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Zwei Wracks aus dem Zweiten Weltkrieg liegen auf dem Grund des Atlantiks: ein japanisches U-Boot und die SS Aurelia. Beide hatten mehrere Tonnen Gold an Bord. Im Oktober 1994 schloß James Hamilton-Paterson sich dem "Projekt Orca" an, um sich an der Suche nach den Schiffen zu beteiligen. Der Autor schildert hier nicht nur die Schatzsuche, er erzählt von dem Erlebnis, in einer winzigen Tauchkugel schwerelos hinabzusinken, schwebend nie geschautes Leben zu beobachten, um am Ende, 3 Meilen tief, 14 Stunden auf dem Meeresboden zu verbringen.

Produktbeschreibung
Zwei Wracks aus dem Zweiten Weltkrieg liegen auf dem Grund des Atlantiks: ein japanisches U-Boot und die SS Aurelia. Beide hatten mehrere Tonnen Gold an Bord. Im Oktober 1994 schloß James Hamilton-Paterson sich dem "Projekt Orca" an, um sich an der Suche nach den Schiffen zu beteiligen. Der Autor schildert hier nicht nur die Schatzsuche, er erzählt von dem Erlebnis, in einer winzigen Tauchkugel schwerelos hinabzusinken, schwebend nie geschautes Leben zu beobachten, um am Ende, 3 Meilen tief, 14 Stunden auf dem Meeresboden zu verbringen.
Autorenporträt
James Hamilton-Paterson, 1941 in London geboren, Oxfordabsolvent und Mitglied der Royal Geographical Society, renommierter Journalist, Sachbuchautor, Lyriker und Romancier, schreibt u. a. für die "Sunday Times", das "Times Literary Supplement", den "New Statesman" und für die Schweizer "Weltwoche". Er lebt als freier Schriftsteller in Italien und auf den Philippinen.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 01.12.1998

Paparazzo des Meeres
Hamilton-Paterson träumt sich in die Tiefe / Von Freddy Langer

Die letzten weißen Flecken der Erde sind auf Landkarten blau. In Wirklichkeit sind sie schwarz. Sie liegen auf dem Grund der Ozeane. "Kälte und Nacht und Tod" hatte der Meeresforscher William Beebe dieser menschenabweisenden Welt 1934 nach seiner Rekordfahrt in eine Tiefe von 923 Metern bescheinigt. Doch hielt ihn dies keineswegs davon ab, immer wieder in seiner "Bathysphäre", einer dickwandigen Stahlkugel mit kleiner Einstiegsluke und winzigem Bullauge, abzutauchen. Freilich, es war mehr als nur der Erkenntnisdrang des Wissenschaftlers, der ihn in diese düsteren, abgründigen Regionen trieb: Sie hatten ihn "in tiefster Seele erfüllt".

"Ich zitiere Beebe, weil er ebenso gewissenhaft wie phantasievoll ist", schreibt James Hamilton-Paterson in seiner wunderbaren Biographie der Meere, seinem Essay-Band "Seestücke" aus dem Jahr 1992. Er gesteht damit nur die halbe Wahrheit. Denn er zitiert ihn auch, weil er ihn wegen seiner Kühnheit verehrt und ihn um die einzigartigen Erfahrungen am Meeresgrund beneidet. Noch der geringste Nebensatz Hamilton-Patersons über Beebe ist geprägt von diesen Empfindungen und dem Wunsch, seine Seelenverwandtschaft mit dem Tiefseeforscher herauszustellen. Passagenweise wirkte sein Buch damals geradezu wie ein Bewerbungsschreiben für die nächste Mitfahrgelegenheit in die Tiefe. Tatsächlich bot man ihm zwei Jahre später an, als eine Art Chronist das britische "Projekt Orca" zu begleiten, eine Wracksuche im Atlantischen Ozean, tausend Meilen westlich vom Senegal, in deren Verlauf er "vielleicht - aber nur vielleicht" - in einem Tauchboot mehr als fünftausend Meter tief zum Grund des Meeres mitfahren dürfe. Er sagte augenblicklich zu.

Drei Meilen tief" ist James Hamilton-Patersons Bericht dieser Orca-Expedition überschrieben. Es ist sein drittes Buch über die See und das erste, das er einer Reise, vielleicht sogar: einem einzigen Erlebnis gewidmet hat. Genaugenommen nämlich ist die mehr als dreihundert Seiten dicke Reportage nur der Rahmen für die knappe Schilderung seines fünfzehn Stunden dauernden Tauchgangs: kaum mehr als ein Dutzend Buchseiten, Tausende von Metern unter dem Meer notiert, "unverziert durch duftige Aperçus", die ihm später einfallen sollten. Es ist das Protokoll einer gespenstischen Reise in die Schwerelosigkeit eines Traums.

Anfangs beschreibt Hamilton-Paterson die Veränderung der Farben außerhalb des Tauchboots, später schildert er detailliert Gallertkörperchen, die aufwärtstreiben wie gefrorener Rauch. Irgendwann aber während des fast zeitlupenhaften Hinabgleitens um gerade einmal dreißig Meter pro Minute geht er fast unmerklich den Schritt von der exakten Wissenschaft zur Metaphysik. In einem Schauer von Lichtpartikeln glaubt er griechische Sternbilder zu erkennen, und am Ende liest er im Sand des Meeresgrunds neben einer Seegurke den Namen eines alten Schulfreunds. Als einige Tropfen am Bullauge hinunterrinnen, weiß er nicht, ob es sich um Kondenswasser handelt oder um Tränen.

"Sinken ohne das Gefühl zu sinken, unerreichbar werden", trägt er in sein Notizbuch ein. Oder: "Ich wüßte gern, wie es dort draußen riecht." Auch: "Das ist nicht die See. ,Die See' hat hier nichts zu bedeuten." Natürlich ist es nicht die See. Fünftausend Meter unter dem Wasserspiegel gleitet das Tauchboot mit dem schönen Namen "Mir" gleichsam über einen fremden, fernen Planeten. Wo aber die Reise ihren Endpunkt erreicht, führt sie nur noch nach innen weiter. Der Abstieg zum Meeresgrund wird zum Ausflug ins Unterbewußte.

Bis heute waren mehr Menschen im Weltall als auf dem Grund der Ozeane. Das Meer ist ein Ort der Spekulationen geblieben, in dessen Tiefen Platz genug ist für die größten Ungeheuer des Globus und in dessen dunklem Versteck sich etliche Geheimnisse der Evolution verbergen mögen. Die dreiköpfige Besatzung der winzigen "Mir" sieht während ihres Tauchgangs nichts davon. Gerade zehn Meter reicht die Sicht im engen Strahl der Außenlampen. So schauen die drei nach draußen wie durch einen schmalen, beleuchteten Schlauch, an dessen Ende ein paar Fische vorbeischwimmen, sich ein paar Würmer aalen, eine Krabbe davonläuft. Irgendwo liegt ein Kartoffelsack, den die Mannschaft Tage zuvor selbst über Bord ihres Forschungsschiffs geworfen hat. Es sei, vergleicht James Hamilton-Paterson, als leuchtete jemand in stockfinsterer Nacht die Bergketten der Alpen mit einer Taschenlampe ab. Und doch schreibt er später in der Kajüte: "Wo ich eben gewesen bin, ist es wundervoll, schöner als alles, was ich je gesehen habe, und zum Teil gerade, weil es so augenfällig gottlos, zu weit entrückt ist, um anthropomorphisiert zu werden." Man glaubt ihm aufs Wort.

Aber das Orca-Team, das für 38000 Dollar am Tag das russische Forschungsschiff "Akademik Mstislaw Keldysch" gechartert hat, verfolgt handfestere Interessen, als nur einen verklärten Blick auf die weltentrückte Tiefseelandschaft zu werfen. Es sucht nach Gold. Immerhin 3,6 Millionen Dollar haben britische Geldgeber in die Expedition investiert, dafür hoffen sie im Laufe der Operation Goldbarren im Wert von mehr als achtzig Millionen Dollar aus einem japanischen Unterseeboot und einem kanadischen Passagierschiff zu bergen - beide wurden gegen Ende des Zweiten Weltkriegs versenkt.

In unseren Tagen, berichtet James Hamilton-Paterson, seien jederzeit etwa zwanzig Teams dabei, in flacheren Stellen des Meeres Wracks aufzuspüren und zu entladen. Tiefseebergungen allerdings sind eine andere Kategorie. Auf der ganzen Welt gibt es nur fünf Tauchboote, die dem Druck in sechstausend Metern Tiefe widerstehen können, vier Forschungsschiffe und die "Sea Cliff" der amerikanischen Navy.

Auch die "Keldysch" mit ihren beiden Tauchkapseln "Mir", entwickelt von dem russischen Pionier Anatoly Sagalewitsch, dessen Name in eine Reihe gestellt wird mit Beebe, Piccard und Cousteau, ist ursprünglich im wissenschaftlichen Auftrag unterwegs gewesen. Seit aber mit dem Zerfall der Sowjetunion die Mittel äußerst knapp wurden, wird das Schiff für die bizarrsten Zwecke vermietet. Furore machte es 1991, als die Piloten der "Mir"-Kapseln Filmbilder der "Titanic" aufnahmen.

Hamilton-Paterson, der sich bei Gelegenheit als "Paparazzo der Meereskunde" bezeichnet, nimmt seinen Expeditionsbericht zum Anlaß für zahllose Exkursionen in die Geschichte der Seefahrt und berichtet über den jüngsten Stand der Tiefseeforschung, rekonstruiert Seeschlachten, führt in die juristischen Aspekte der Bergung von Wracks ein, debattiert ihre ethische Seite angesichts Hunderter von Toten in den Schiffen und beschreibt auch, weshalb Leichen in fünftausend Meter Tiefe durch den immensen hydrostatischen Druck buchstäblich pulverisiert werden. Das ist nicht uninteressant, leider aber ohne besonderes Engagement geschrieben.

Größere Energie verwendet Hamilton-Paterson auf die Beschreibung der Crew und des Lebens an Bord. Das Schiff wird ihm dabei zum Mikrokosmos, in dem immer wieder gegensätzliche Weltbilder aufeinander treffen: hier der reine Kapitalismus, dort Reste eines von Planwirtschaft geprägten Denkens, hier Geschäftsleute, dort Wissenschaftler, hier der unorganisierte Haufen aus Anwälten, Forschern und Abenteurern, dort die straff hierarchisch organisierte Mannschaft des Schiffs. Mehr als einmal kommt es aufgrund von Sprachproblemen und verschwörerischer Geheimniskrämerei zu Spannungen, zu Verdächtigungen, ja zu Anfällen von Paranoia - bis kaum noch jemand begreift, was an Bord eigentlich vor sich geht. Auch das hätte ein Thema werden können. Wiederum aber verfällt James Hamilton-Paterson in den Ton jener trockenen Kommentare aus dem Off bei Fernsehreportagen.

Selbst die Kurzporträts der wichtigsten Personen an Bord, allen voran des russischen Forschers Anatoly Sagalewitsch und des Briten Mike Anderson, des geistigen Kopfs der Expedition, verdichten sich am Ende doch nicht zu einem Bild, so daß Hamilton-Paterson gesteht: "Wie komisch sind wir doch allesamt, unbeständig und undurchsichtig wie das Meer, auf dem wir, wie mir manchmal scheint, ziellos dahintreiben."

James Hamilton-Paterson arbeitet als Journalist für die "Sunday Times" und das "Times Literary Supplement", aber Reflexionen und Analysen wollen ihm in diesem Buch nicht gelingen. James Hamilton-Paterson ist auch Romancier, doch Momente von Sinnlichkeit finden sich in "Drei Meilen tief" nur sehr wenige.

Womöglich wurde ihm jegliche Spekulation um den Urgrund Wasser, um die mythisch-symbolische Dimension des Ozeans und seiner Tiefen von der Besatzung an Bord ausgetrieben. Nur für einen Augenblick kommt ihm der Gedanke, daß dieses Tauchabenteuer mehr als nur eine Jagd nach Geld und Gold sein könnte, nämlich "die Verlängerung eines erotischen Traums von lustvoller Gefahr". Aber kaum, daß er die Frage an sich selbst gerichtet hat, geht ihm die Luft aus.

James Hamilton-Paterson: "Drei Meilen tief". Aus dem Englischen übersetzt von Wolfgang Krege. Verlag Klett-Cotta, Stuttgart 1998. 320 S., geb., 38,- DM.

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