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Produktdetails
  • Eva Wissenschaft, Zeitgeschichte
  • Verlag: Europäische Verlagsanstalt
  • Seitenzahl: 319
  • Abmessung: 210mm
  • Gewicht: 406g
  • ISBN-13: 9783434520078
  • ISBN-10: 3434520074
  • Artikelnr.: 23948946
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 27.11.1999

Liebe und Hass
Kissinger, Bahr und die Ostpolitik

Stephan Fuchs: "Dreiecksverhältnisse sind immer kompliziert". Kissinger, Bahr und die Ostpolitik, Europäische Verlagsanstalt, Hamburg 1999. 321 Seiten, 42,- Mark.

"Der Kissinger hat den Bahr ja gehasst", sprach der Professor, und das Promotionsthema war da. Zunächst hat Stephan Fuchs alles darangesetzt, diese These zu untermauern. Hätte er den angeblichen Hass belegen können, wäre das tatsächlich eine Neuigkeit gewesen. Am Ende kam aber das Gegenteil heraus: Bahr und Kissinger wurden rasch Freunde und sind es bis heute geblieben. Neu daran ist vor allem die Behauptung des Autors, diese Einschätzung sei neu.

Für Fuchs, der, anders als der Titel vermuten lässt, wenig über "Dreiecksverhältnisse" zu berichten weiß, wurde in der wissenschaftlichen Literatur die Bedeutung des Kontakts zwischen Bahr und Kissinger unter- und verschätzt. Gerne plaudert er über Bücher und Studien, die sich mit der Beziehung zwischen den beiden und der Ostpolitik befassen. Ein deutliches Urteil scheut er nicht und bestimmt die - für ihn allesamt lücken- und fehlerhaften - "Klassiker zur Ostpolitik".

Dabei bewertet er weniger den Inhalt als den Seitenumfang: Kistlers Werk "bringt es auf knapp 200 Seiten", Bender umfasst "gut 300 Seiten", Baring erreicht dagegen "beinahe 800 Seiten", und Garton Ash liegt bei "über 800". Je umfangreicher die Bücher, so will es scheinen, desto mehr mäkelt Fuchs an ihnen herum. Hanrieders Gesamtsicht der bundesdeutschen Außenpolitik habe es in der deutschen Übersetzung "fast zum Rang eines Klassikers bringen" können. Wahrscheinlich nur "fast", weil dessen Studie auch recht dickleibig ist.

Das Volumen dieser Werke hat zugenommen, doch keines habe die tiefe Freundschaft zwischen Bahr und Kissinger und ihren großen Anteil am Gelingen der Ostpolitik richtig erfasst. "Die entscheidende Verbindung, um sämtliche Kontakte zunächst zu ermöglichen, später dann die Konzepte in Verhandlungen, Verträge und schließlich Erfolge umzusetzen", schreibt Fuchs, "lag in der Tat zwischen Egon Bahr und Henry Kissinger." Ihr persönliches Verhältnis bewertet der Autor höher als die ideologischen und machtpolitischen Rahmenbedingungen des Ost-West-Konflikts und die Sensibilisierung der westlichen und insbesondere der amerikanischen Politik für mögliche und latente deutsche Eigenwege. Fuchs' personalistischer Ansatz allein schon ist mehr als fragwürdig. Doch selbst wenn man die Rolle von Einzelnen in den internationalen Beziehungen hoch einschätzt, überzeugt doch die hier gebotene Interpretation der beiden Akteure in ihrer Pauschalität und Überspitztheit nicht.

Zweierlei hält Fuchs nicht auseinander: persönliche Sympathie, die Bahr und Kissinger frühzeitig füreinander empfanden, und professionelles Misstrauen, das sich vor allem Kissinger gegenüber Bahr bewahrte. Sonst würde Fuchs auch nicht aus Kissingers Memoiren "Antipathie gegen Bahr" herauslesen, sondern vielmehr Anerkennung für einen intelligenten und schlitzohrigen Außenpolitiker, der aus dem gleichen Holz wie Kissinger geschnitzt war, den dieser als ebenbürtig empfand und dessen politischer Stil ihm als Liebhaber der Geheimdiplomatie sehr zusagte. Gleichzeitig wusste Kissinger aber um Bahrs Reserviertheit gegenüber den Vereinigten Staaten. Zu Recht blieb er als Vertreter der Regierung und Interessen seines Landes gegenüber dem deutschen Unterhändler argwöhnisch. Dies unterstreichen im Übrigen die in diesem Jahr erschienenen "Kissinger Transcripts", die bislang geheimen Protokolle der hochrangigen Treffen des damaligen amerikanischen Außenministers mit Regierungsvertretern verschiedener Länder. Fuchs' These von "Bahrs stets proamerikanischer Haltung über die gesamte Länge seiner Karriere" ist schlicht absurd. Zwar betrieb Bahr keine antiwestliche und antiamerikanische Politik - trotz einer nicht von der Hand zu weisenden, aber uneingestandenen Neigung zu neutralistischen Gedankenspielen. Er sicherte die Ostpolitik im Westen ab. Für einen Realisten wie ihn war dies eine Notwendigkeit, sollte die deutsche Ostpolitik nicht von vornherein zum Scheitern verurteilt sein. Insofern erstaunt es auch, wie sehr Fuchs seine "Grundthese" betont, selbst in den Jahren 1969 bis 1973 habe der "größere Teil der Anstrengungen in der Westpolitik" gelegen. Das ist ein ebenso alter Hut wie der von der Freundschaft zwischen Bahr und Kissinger. Unter den Leitsatz "Westbindung plus Ostverbindungen" stellte Werner Link schon vor langer Zeit diese Phase der bundesdeutschen Außenpolitik.

Bahr wusste, dass ein Abweichen von der Politik der Westbindung sein Ende und das der Bundesregierung bedeutet hätte. Doch ein Pro-Amerikaner war er deswegen noch lange nicht. Er war, wie Kissinger in seinen Memoiren urteilt, "frei von allen gefühlsmäßigen Bindungen an die Vereinigten Staaten. Für ihn war Amerika nur ein Gewicht, das auf die richtige Art und zur rechten Zeit zugunsten der Bundesrepublik auf die Waagschale gelegt werden mußte." Bahr ist und war seit jeher ein Kritiker der Pax Americana - unabhängig von der Freundschaft zu Kissinger, die während ihrer aktiven Zeit ambivalente Züge trug. In seiner jüngsten Streitschrift "Deutsche Interessen" hat Bahr nochmals deutlich ausgesprochen, wie gerne er den Vereinigten Staaten den Weg aus Europa weisen und stattdessen ein eigenes kontinentales Sicherheitssystem errichten würde. Hass und Liebe aber spielten für die beiden Freunde Bahr und Kissinger als Bewunderer und auch Nachahmer Bismarcks in außenpolitischen Angelegenheiten nur eine geringe Rolle.

ALEXANDER GALLUS

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