In wohl guter Absicht - mißraten
Auf der englischen Ausgabe dieses Buches von 1993 prangt werbewirksam als eine Art Untertitel "'The best book about Venice ever written' (Sunday Times)", auf einer neueren englischen Ausgabe (The World of Venice: Revised Edition 1995) "'One of the most diverse and
diverting books ever written about Venice...' Times (London)". Abgesehen davon, daß ich mich frage,…mehrIn wohl guter Absicht - mißraten
Auf der englischen Ausgabe dieses Buches von 1993 prangt werbewirksam als eine Art Untertitel "'The best book about Venice ever written' (Sunday Times)", auf einer neueren englischen Ausgabe (The World of Venice: Revised Edition 1995) "'One of the most diverse and diverting books ever written about Venice...' Times (London)". Abgesehen davon, daß ich mich frage, was die Sunday Times oder Times denn nun wirklich über dieses Buch ihres eigenen Korrespondenten (!) geschrieben hat/haben, und kaum glauben kann, daß es so wenig eingeschränkt zum allerbesten erklärt wurde, wäre den Werbefachleuten doch hier zur Vorsicht zu raten gewesen. Zum einen, weil es eine riskante Sache ist, mit einem Superlativ zu argumentieren: Es wird sich doch in der fast 1.000jährigen Venedigliteratur der großen weiten Welt wenigstens ein einziges Buch finden lassen, das man begründet für besser halten kann. Man darf wohl nicht allzuviel Bücher gelesen haben, um ein einzelnes für das umfassendste und unterhaltsamste oder gar beste von allen zu halten. Außerdem: Was ist eigentlich hier der Maßstab des Guten, um ein Buch begründet an die Spitze der Meßlatte zu setzen? Man kann sicher verständliche Gründe angeben, was ein gutes Buch ist, für ein bestes Buch aber nicht. Diesem hier würde ich aber selbst das im Positiv stehende Prädikat absprechen. Nun will ich nicht gleich in den Superlativ des Gegenteils verfallen - das wäre ungerecht. Ein abgemilderter Komparativ scheint mir hier angemessen: Es ist eines von den vielen gut gemeinten Venedig-Büchern, das leider - wie viele andere auch - insgesamt mißraten ist.
Man mag ja in der Beurteilung dieses Buches vielleicht anderer Meinung sein. Ich habe jedenfalls vergebens darin nach Anhaltspunkten gesucht, daß man ihm das Prädikat "the best ever" zusprechen könnte. Gibt vielleicht die für den Leser überaus wichtige Mitteilung, daß der Autor in der Locanda Cipriani auf Torcello "manche köstliche Mahlzeit" verzehrt habe, "Ginn-Fizz-Cocktails und das filet-mignon" (S. 307) oder daß er mit einem Boot im Schlamm der Lagune stecken geblieben ist (S. 289, 343), ein Kriterium dafür her? Ich würde allerdings vielleicht demgegenüber ein Buch für besser (natürlich nicht für das beste aller Zeiten) halten, in dem der Autor - soweit er sich erinnern kann - mitteilt, wann und wo er nach Restaurantbesuch in der Gosse gelegen hat, und beschreibt, auf welche perfide Weise sich das Essen und Getränke wieder zeigten (Solche feuchten Bücher soll es ja tatsächlich geben.). Ich habe nicht untersucht, was an den späteren englischen Ausgaben dieses Buches von Morris gegenüber der letzten deutschen Ausgabe revidiert und erweitert wurde und damit vielleicht die eingangs zitierten vorgeblichen Begeistungsausbrüche von Sunday Times und Times ausgelöst haben könnte, weil es mir der Mühe nicht wert schien. Irgendwann fiel mir beim Lesen die russische Fabel von dem Bären ein, der in bester Absicht mit einem großen, schweren Stein die lästige Fliege, die seinen Freund aus dem Schlaf aufzuwecken drohte, auf dessen Stirn erschlug...