"Für einen ganz und gar eigenen Mann hätte ich keine Zeit."
Eine halbwegs gebildete Prostituierte Anfang dreißig, die ihre Kunden in ihrem Prager Appartement empfängt, erzählt in einer überraschenden Mischung aus Vulgärjargon und poetischer Sprache atemlos von ihrem Denken und Sein.Religion, das Altern, die Männer und die Frauen, Sexualität, Konsum - über alles und jeden macht sich die Erzählerin atemlose Gedanken. Ihre ungeschminkten Weisheiten sind geprägt von fantasievollen Assoziationen, die den Leser nicht nur aufgrund der überraschenden Schlussfolgerungen, sondern auch wegen der Sprache von Anfang an fesseln. Selbst wenn sich der Lebensraum auf das Appartement und das Einkaufszentrum beschränkt, so weiß sie doch genug vom Leben, um es dem Leser um die Ohren zu hauen: bitterböse, oft zynisch und manchmal schmerzhaft.Petra Hulová wurde mit ihrem ersten Roman "Kurzer Abriss meines Lebens in der mongolischen Steppe" einem größeren deutschen Publikum bekannt. Ihr neuer Roman, meisterhaft übersetzt von Doris Kouba, zeigt die sprachliche Wucht der jungen Schriftstellerin.Ein sprachmusikalischer und provozierender Hochgenuss.
Eine halbwegs gebildete Prostituierte Anfang dreißig, die ihre Kunden in ihrem Prager Appartement empfängt, erzählt in einer überraschenden Mischung aus Vulgärjargon und poetischer Sprache atemlos von ihrem Denken und Sein.Religion, das Altern, die Männer und die Frauen, Sexualität, Konsum - über alles und jeden macht sich die Erzählerin atemlose Gedanken. Ihre ungeschminkten Weisheiten sind geprägt von fantasievollen Assoziationen, die den Leser nicht nur aufgrund der überraschenden Schlussfolgerungen, sondern auch wegen der Sprache von Anfang an fesseln. Selbst wenn sich der Lebensraum auf das Appartement und das Einkaufszentrum beschränkt, so weiß sie doch genug vom Leben, um es dem Leser um die Ohren zu hauen: bitterböse, oft zynisch und manchmal schmerzhaft.Petra Hulová wurde mit ihrem ersten Roman "Kurzer Abriss meines Lebens in der mongolischen Steppe" einem größeren deutschen Publikum bekannt. Ihr neuer Roman, meisterhaft übersetzt von Doris Kouba, zeigt die sprachliche Wucht der jungen Schriftstellerin.Ein sprachmusikalischer und provozierender Hochgenuss.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.02.2013Was Sie schon immer über Plastikvögelchen wissen wollten
Warum schreiben nur noch Frauen über Sex? Petra Hulovás Roman über eine Ingenieurin der käuflichen Liebe
Um die Männer steht es miserabel. Wird zumindest behauptet. Ihr Geschlecht hat angeblich längst den Zenit seiner Macht überschritten. Als ein eher unbedeutender Beleg für diese neue Allerweltsthese könnte auch gelten, dass die skandalträchtigen Bestseller der Erotikliteratur und was dafür gehalten wird, inzwischen fast ausschließlich von Frauen geschrieben werden.
Was bei Anaïs Nin oder Benoîte Groult noch eine Sensation war, nämlich das Geschlecht der Autorin, nimmt man heute eher als Gesetzmäßigkeit hin. Man könnte es natürlich auch anders betrachten und käme dann womöglich zu der Vermutung, dass die vermeintlich an die Wand gedrängte Spezies der Männer Besseres zu tun haben könnte, als Feldforschungen in den Hautfalten und Muskelsträngen des bereits recht gut erforschten Sexlebens zu betreiben. Da macht Mann sich doch lieber an ein neues Handbuch zur Steuererklärung oder an einen Ratgeber zur geschlechterübergreifenden Identitätsfindung nach Art von "Wer bin ich - und wenn ja wie viele?"
Nachrichten aus den Feuchtgebieten der Lust und den Schlammschlachten des Geschlechterkampfes gibt es jetzt auch von der 1979 in Prag geborenen Petra Hulová. Es ist bereits ihr viertes auf Deutsch vorliegendes Buch, und irgendwie scheint sie mit diesem neuen Roman im Trend einer globalisierten femininen und feministischen Erotikliteratur zu liegen: Der Roman ist vollkommen entkulturalisiert - der Ort des Geschehens könnte überall und nirgendwo sein.
Die namenlose Heldin dieses Romans sinniert mit professioneller Erfahrung über eine mehrteilige Fernsehserie zum Thema Geheimnisse der Frauen und Männer. Dieses Medienereignis stellt sich die leidlich gebildete, recht clevere Dame schon als eine Art Gegenentwurf zur hirnlosen "Digiwelt" vor, in der sie als knapp über dreißigjährige Prostituierte stets der allgegenwärtigen Pornographie und deren Jugendwahn hinterherhecheln muss. Ihr modernes Dienstleistungsunternehmen betreibt sie in einer ziemlich sterilen Dreizimmerwohnung, von der man lediglich erfährt, dass sie sich in einem Wohnblock nahe einem Einkaufszentrum befindet. Dank ihrer langjährigen Praxis in den Grauzonen der männlichen Sexualität kann man ihr nichts über unbekannte Muskeln und Zuckungen im Unterleib erzählen. Um die lustvollen Schatten des Graus geht es hier auch gar nicht. Sie "analyseziert" die Welt ziemlich nüchtern, als eine Art diplomierte Porno-Ingenieurin in Sachen Sex und Geschlechter, die sich mit "Reinsteckseln" und "Reibeisen" bestens auskennt. Mit viel Sport und ausgiebiger Körperpflege kämpft sie tapfer gegen das unerbittliche Näherrücken der Altersgrenze: Großzügige Vorruhestandsregelungen gibt's in ihrem Gewerbe nicht. Ihre eher lieblos eingerichtete Dreizimmerwohnung, in dem ein Plastikvogel im Plastikkäfig wippt, wenn ihre Kunden es etwas wilder treiben, gibt dabei ein ebenso trostloses Bild vom Zustand der modernen Menschheit ab wie der Rest ihres ziemlich vorbildlich organisierten Lebens, in dem außer den Kundenkontakten wenig gesellige Zweisamkeit zu existieren scheint. Dies wird auch nicht beklagt, ganz im Gegenteil, sie ist ja froh, wenn sie und ihr "Reinstecksel" ein Wochenende ohne männliches Geschlecht genießen können.
Im Übrigen, so lassen ihre scheinbar abgeklärten Einblicke in die dunkelsten Zonen der Feuchtgebiete mehr als ahnen, hat die allgegenwärtige sexualisierte Digiwelt die Hemmschwellen der Kunden übel sinken lassen, so dass sie längst in Konkurrenz zu Dreizehn- und Vierzehnjährigen steht, ihre Dienste als Voyeurin bei Swinger-Partys anbieten und auch sonst allerlei akrobatische und weitere Kunststücke parat haben muss, um in der Branche zu bestehen und finanziell über die Runden zu kommen.
Was man in diesem Buch über die männliche Begierde erfahren kann, ist nicht wirklich neu. Mal braucht es eine Zweitfrau, um den erotischen Wert für den Kunden zu steigern, mal törnt den Mann ein bisschen Gewalt schneller an, mal ergeht er sich in "Rumgeflenne", weil er daheim stets das Klo putzen und dann auch noch als "Buschjäger Bill" im heimischen Schlafzimmer den Wilden spielen muss. In die Dreizimmerwohnung kommen, das wird schnell klar, die eher langweiligen Spießer, die aus der neuen trendigen Wohnküche fliehen, wo ihre Gattin sie stets unter Kontrolle hat. Überhaupt sind diese Wohnküchen scheinbar Teil eines von Frauen dominierten neuen Familien-GULags.
Die ausgesprochen sprachversierte Protagonistin ist übrigens alles andere als eine Feministin. Über schwitzende Frauen in der Menopause, dickliche Hausfrauen und machtbewusste Egomaninnen urteilt die nur scheinbar abgeklärte Misanthropin gleichermaßen zynisch und radikal wie über Männer. Das Besondere an diesem bitterbösen Buch ist zweifelsohne die Sprache. Man kann nur ahnen, welche Wortakrobatik die Übersetzerin hier zu bewältigen hatte. Zuweilen allerdings ermüden die Spitzfindigkeiten, und man sehnt sich nach einer altmodischen Geschichte, die mehr ist als eine Mischung aus Gift und Gags.
SABINE BERKING.
Petra Hulová: "Dreizimmerwohnung aus Plastik". Roman.
Aus dem Tschechischen von Doris Kouba. Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2013. 190 S., geb., 15,99 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Warum schreiben nur noch Frauen über Sex? Petra Hulovás Roman über eine Ingenieurin der käuflichen Liebe
Um die Männer steht es miserabel. Wird zumindest behauptet. Ihr Geschlecht hat angeblich längst den Zenit seiner Macht überschritten. Als ein eher unbedeutender Beleg für diese neue Allerweltsthese könnte auch gelten, dass die skandalträchtigen Bestseller der Erotikliteratur und was dafür gehalten wird, inzwischen fast ausschließlich von Frauen geschrieben werden.
Was bei Anaïs Nin oder Benoîte Groult noch eine Sensation war, nämlich das Geschlecht der Autorin, nimmt man heute eher als Gesetzmäßigkeit hin. Man könnte es natürlich auch anders betrachten und käme dann womöglich zu der Vermutung, dass die vermeintlich an die Wand gedrängte Spezies der Männer Besseres zu tun haben könnte, als Feldforschungen in den Hautfalten und Muskelsträngen des bereits recht gut erforschten Sexlebens zu betreiben. Da macht Mann sich doch lieber an ein neues Handbuch zur Steuererklärung oder an einen Ratgeber zur geschlechterübergreifenden Identitätsfindung nach Art von "Wer bin ich - und wenn ja wie viele?"
Nachrichten aus den Feuchtgebieten der Lust und den Schlammschlachten des Geschlechterkampfes gibt es jetzt auch von der 1979 in Prag geborenen Petra Hulová. Es ist bereits ihr viertes auf Deutsch vorliegendes Buch, und irgendwie scheint sie mit diesem neuen Roman im Trend einer globalisierten femininen und feministischen Erotikliteratur zu liegen: Der Roman ist vollkommen entkulturalisiert - der Ort des Geschehens könnte überall und nirgendwo sein.
Die namenlose Heldin dieses Romans sinniert mit professioneller Erfahrung über eine mehrteilige Fernsehserie zum Thema Geheimnisse der Frauen und Männer. Dieses Medienereignis stellt sich die leidlich gebildete, recht clevere Dame schon als eine Art Gegenentwurf zur hirnlosen "Digiwelt" vor, in der sie als knapp über dreißigjährige Prostituierte stets der allgegenwärtigen Pornographie und deren Jugendwahn hinterherhecheln muss. Ihr modernes Dienstleistungsunternehmen betreibt sie in einer ziemlich sterilen Dreizimmerwohnung, von der man lediglich erfährt, dass sie sich in einem Wohnblock nahe einem Einkaufszentrum befindet. Dank ihrer langjährigen Praxis in den Grauzonen der männlichen Sexualität kann man ihr nichts über unbekannte Muskeln und Zuckungen im Unterleib erzählen. Um die lustvollen Schatten des Graus geht es hier auch gar nicht. Sie "analyseziert" die Welt ziemlich nüchtern, als eine Art diplomierte Porno-Ingenieurin in Sachen Sex und Geschlechter, die sich mit "Reinsteckseln" und "Reibeisen" bestens auskennt. Mit viel Sport und ausgiebiger Körperpflege kämpft sie tapfer gegen das unerbittliche Näherrücken der Altersgrenze: Großzügige Vorruhestandsregelungen gibt's in ihrem Gewerbe nicht. Ihre eher lieblos eingerichtete Dreizimmerwohnung, in dem ein Plastikvogel im Plastikkäfig wippt, wenn ihre Kunden es etwas wilder treiben, gibt dabei ein ebenso trostloses Bild vom Zustand der modernen Menschheit ab wie der Rest ihres ziemlich vorbildlich organisierten Lebens, in dem außer den Kundenkontakten wenig gesellige Zweisamkeit zu existieren scheint. Dies wird auch nicht beklagt, ganz im Gegenteil, sie ist ja froh, wenn sie und ihr "Reinstecksel" ein Wochenende ohne männliches Geschlecht genießen können.
Im Übrigen, so lassen ihre scheinbar abgeklärten Einblicke in die dunkelsten Zonen der Feuchtgebiete mehr als ahnen, hat die allgegenwärtige sexualisierte Digiwelt die Hemmschwellen der Kunden übel sinken lassen, so dass sie längst in Konkurrenz zu Dreizehn- und Vierzehnjährigen steht, ihre Dienste als Voyeurin bei Swinger-Partys anbieten und auch sonst allerlei akrobatische und weitere Kunststücke parat haben muss, um in der Branche zu bestehen und finanziell über die Runden zu kommen.
Was man in diesem Buch über die männliche Begierde erfahren kann, ist nicht wirklich neu. Mal braucht es eine Zweitfrau, um den erotischen Wert für den Kunden zu steigern, mal törnt den Mann ein bisschen Gewalt schneller an, mal ergeht er sich in "Rumgeflenne", weil er daheim stets das Klo putzen und dann auch noch als "Buschjäger Bill" im heimischen Schlafzimmer den Wilden spielen muss. In die Dreizimmerwohnung kommen, das wird schnell klar, die eher langweiligen Spießer, die aus der neuen trendigen Wohnküche fliehen, wo ihre Gattin sie stets unter Kontrolle hat. Überhaupt sind diese Wohnküchen scheinbar Teil eines von Frauen dominierten neuen Familien-GULags.
Die ausgesprochen sprachversierte Protagonistin ist übrigens alles andere als eine Feministin. Über schwitzende Frauen in der Menopause, dickliche Hausfrauen und machtbewusste Egomaninnen urteilt die nur scheinbar abgeklärte Misanthropin gleichermaßen zynisch und radikal wie über Männer. Das Besondere an diesem bitterbösen Buch ist zweifelsohne die Sprache. Man kann nur ahnen, welche Wortakrobatik die Übersetzerin hier zu bewältigen hatte. Zuweilen allerdings ermüden die Spitzfindigkeiten, und man sehnt sich nach einer altmodischen Geschichte, die mehr ist als eine Mischung aus Gift und Gags.
SABINE BERKING.
Petra Hulová: "Dreizimmerwohnung aus Plastik". Roman.
Aus dem Tschechischen von Doris Kouba. Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2013. 190 S., geb., 15,99 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Gift und Gags am laufenden Band, Sabine Berking ist ein bisschen aus der Puste nach dieser Lektüre. Das Leben einer modernen Prostituierten, die ihren Marktwert erhalten muss und die kein Wunsch mehr vom Hocker haut, präsentiert die Autorin Petra Hulova der Rezensentin zynisch, radikal und mit jeder Menge Spitzfindigkeiten. Daran dass die Autorin mit ihrem bitterbösen Blick auf die Feuchtgebiete der Lust und die Kampfzonen der Geschlechter voll im Trend liegt, scheint Berking keinen Zweifel zu haben. Wenn sie sich da mal nicht täuscht.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH
"Ein faszinierendes Gedankensammelsurium." Claudia Cosmo Deutschlandfunk 20130801