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Fast ein halbes Jahrtausend war Dresden die Residenzstadt der Albertiner, die erst Herzöge, dann Kurfürsten und ab 1806 Könige von Sachsen waren. Der berühmteste Albertiner, August der Starke (1670-1733), baute Dresden zu jener glanzvollen Barockstadt aus, deren Ruf als "Elbflorenz" bis heute gerne beschworen wird. Als Reiseziel stand Dresden schon früh auf dem Programm der europäischen Grand Tour, und als Motiv in der Malerei der Romantik sollte es auch die Photographie nachhaltig prägen. Die berühmte Silhouette am Elbufer mit Frauenkirche, Schloss, Hofkirche, Semperoper und Zwinger - der…mehr

Produktbeschreibung
Fast ein halbes Jahrtausend war Dresden die Residenzstadt der Albertiner, die erst Herzöge, dann Kurfürsten und ab 1806 Könige von Sachsen waren. Der berühmteste Albertiner, August der Starke (1670-1733), baute Dresden zu jener glanzvollen Barockstadt aus, deren Ruf als "Elbflorenz" bis heute gerne beschworen wird. Als Reiseziel stand Dresden schon früh auf dem Programm der europäischen Grand Tour, und als Motiv in der Malerei der Romantik sollte es auch die Photographie nachhaltig prägen. Die berühmte Silhouette am Elbufer mit Frauenkirche, Schloss, Hofkirche, Semperoper und Zwinger - der vielkopierte und immer wieder photographierte "Canaletto-Blick" - blieb auch dann noch weitgehend unangetastet, als die Industrialisierung bereits weit fortgeschritten war. Unser von Andreas Krase, Kustos für Fotografie und Kinematografie an den Technischen Sammlungen Dresden, betreuter Band schildert in 250 Photographien die Entwicklung Dresdens in den Jahren von 1850 bis 1916, erzählt von denBrüchen und Errungenschaften des 19. Jahrhunderts und lässt die im Zweiten Weltkrieg untergegangene Stadt auf dem Papier wiedererstehen. Die jetzt vorliegende 2. Auflage enthält Biographien aller beteiligten Photographen und zur besseren Orientierung einen historischen Stadtplan und ein Verzeichnis der abgebildeten Straßen und Plätze.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Nur begeistert ist Rezensent Peter Richter von diesem Band, den er als Schirmer'schen "Nachfolgeband" einer Sammlung von frühen Fotografien identifiziert, die einmal als "Vorlagen für Idyllenmaler" in alle Welt exportiert worden waren und die der Verlag in den 1980er Jahren reproduzierte. Hier nun sieht man der Verwandlung eines Barockstädtchens in eine Industriestadt zu und den Bürgern in steifen Kleidern nicht nur beim Flanieren. Vielmehr sind sie langsam selbst technische Experten, jedenfalls in Sachen Kameras, wie sie sich über die Apparaturen beugen, denn in Dresden hatte sich früh die entsprechende Industrie angesiedelt. An der feinen Kleidung freut sich der Kritiker so oder so, denn sie war immerhin reizvoller als alles, was der Fremdenverkehr heutzutage sommers wie winters in die Stadt spült.

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 21.12.2020

Als alles noch viel schöner war
Barockkirchen und Ballonfahrten, Schornsteine und Stehkragen: Ein Prachtband zeigt
frühe Fotografien ausgerechnet aus der Maler-Metropole Dresden
VON PETER RICHTER
Guck mal, die Kreuzkirche brennt. . . Das tat sie zwar nicht zum ersten und nicht zum letzten Mal, aber hier ausnahmsweise zu Friedenszeiten: Weder Preußen noch Briten hatten ihre Hände im Spiel. Und wer sich je gefragt hat, wie es kam, dass der Kreuzchor, den es seit dem Mittelalter gibt, das „Jauchzet, frohlocket“ in seiner Stammkirche heute an die (beim nächsten Brand) ausgerußten Decken eines Jugendstil-Saales schmettert: Der muss sich dieses Foto von 1897 anschauen, als der Bau in Flammen stand, der seinerseits denjenigen ersetzte, den der Vedutenmaler Bernardo Bellotto noch geschildert hatte, den sie in Dresden auch Canaletto nennen.
Bellotto hatte für seine Gemälde bekanntlich Vorformen der Fotokamera zu Hilfe genommen. Die ersten Fotografen, die im 19. Jahrhundert die Stadt in den Blick nahmen, orientierten sich im Gegenzug an dem, was Bellotto gemalt hatte, den barocken Postkartenmotiven der schönen Stadt. Kein Wunder, dass ihre Bilder oft wie gemalt wirken.
Dass „das Malerische“ als ästhetische Kategorie so richtig erst ausformuliert wurde, als ein Bild genauso gut oder besser auch mit dem Fotoapparat aufgenommen werden konnte, ist das eine. Dass es beide, Maler wie Fotografen, so oft mit Dresden und seiner Umgebung hatten, das andere.
Der Münchner Verleger Lothar Schirmer hatte schon in den Achtzigerjahren einen Band über den Fotografen August Kotzsch herausgebracht, der einst seine Aufnahmen aus den Winzerdörfern am Elbhang als Vorlagen für Idyllenmaler bis in die USA geliefert hatte. Das Buch, das von den Dresdner Spezialisten Ernst Hirsch und Matz Griebel sowie Kotzschs Enkelsohn Volkmar Herre recherchiert wurde und auch in der DDR herauskam, gilt vor Ort bis heute als so epochal und geradezu leitbildartig wie sonst nur noch Fritz Löfflers „Altes Dresden“.
Dreieinhalb Jahrzehnte später legt Schirmers Verlag nun mit „Dresden in Photographien des 19. Jahrhunderts“ einen Nachfolgeband vor, mit knapper Einführung durch Andreas Krase, den Foto-Kustos an den Technischen Sammlungen, und vor allem: eine atemberaubende Menge wirklich hinreißender Fotos aus den Jahren zwischen 1850 und 1916: Der komplette Weg von der beschaulichen Residenzstadt zur Halbmillionenmetropole mit Schornsteinpanorama. Oder, in Malerei gesprochen: Von den Romantikern bis zum Industrievorstadt-seligen Expressionismus der „Brücke“. Oft ist auch Hochwasser, dann schwimmen die Mietshäuser wie melancholische Schiffe durch die Straßen, und bei jedem zweiten Kind denkt man, es wär der kleine Erich Kästner.
Manchmal sind die Fotografen berühmt, so wie Hermann Krone oder eben August Kotzsch, meistens kennt man ihre Namen nicht, dafür aber die Orte: Im industriellen Reick hebt ein Ballon ab und bringt den Mann mit der Kamera vor Aufregung ganz aus dem Gleichgewicht. Auf der Vogelwiese an der Elbe ist der Rummel aufgebaut – und schon damals geht es den jungen Leuten dort augenscheinlich nicht nur ums gemeinsame Karussellfahren. Hinterm alten Dorfkern von Plauen donnert ein Güterzug vorüber, ein neuartiges Automobil wartet, von den Dörflern bestaunt, an der Schranke, und vor der Frauenkirche gucken die Altvorderen noch voller Neugier in den Apparat. Man kann sie förmlich hören, wie sie sich in warmem Dialekt nach technischen Einzelheiten erkundigen. Viele sind ja „selber vom Fach“, wie man hier gern so sagt, und schrauben mit spitzen Fleißfingern in den Kamerawerken im Osten der Stadt herum.
Man muss auch sagen: Sie sehen aus, als hätten sie sich fein gemacht, bevor sie ihre schöne, malerische Altstadt betreten. Heute ist die ja leider oft nicht immer so ansehnlich, und zwar nicht nur, wenn wie einst am Markttag grimmige Ländler in die Stadt kommen, die sich zum Demonstrieren in Deutschlandfahnen wickeln. Auch die, die dort meinen, sie flanierten, haben das Kleinod zuletzt leider oft zu einem Laufsteg von Trekkingkleidung im Winter und Dreiviertelhosen im Sommer gemacht, den man gerade als Eingeborener an dieser Stelle vielleicht einmal ganz ästhetizistisch benaserümpfen darf. Denn wenn man erst einmal so tief in der Nostalgie von Photographien mit großem Ph badet wie in diesem Prachtband, dann will man am Ende am liebsten auch, dass
Reifröcke und Vatermörder wieder verpflichtend werden, zumindest für alle anderen.
Andreas Krase (Hrsg.): Dresden in Photographien des 19. Jahrhunderts. Schirmer Mosel, München 2020. 312 Seiten, 49,80 Euro.
Oft ist auch Hochwasser, dann
schwimmen die Mietshäuser wie
Schiffe durch die Straßen
Die Menschen auf diesen Fotos sehen aus, als hätten sie sich fein gemacht, bevor sie ihre malerische Stadt betreten:
Der Brand der Dresdner Kreuzkirche am 16. Februar 1897 (links) und ein Ballonaufstieg in Reick um 1910.
Fotos: Andreas Krase/Schirmer-Mosel
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 22.07.2021

Damals, gestern, heute

Dresden - Ein Spaziergang durch die Stadt und durch drei Epochen.

Von Ulrike Maria Hund

Auf dem ansteigenden Ufer unweit der Augustusbrücke finden auch in diesem Jahr die Dresdner Filmnächte am Elbufer statt. Nur kommt man in diesem Sommer etwas schwieriger hin, denn erst wird kontrolliert: die Taschen zunächst, dann der Impfpass, sogar ein Testzentrum ist am Einlasstor aufgebaut. Als die Letzten getestet sind, verblasst allmählich der Sonnenuntergang. Eine meterhohe Leinwand, tagsüber waagrecht montiert wie eine überdimensionale Tischtennisplatte, dreht sich in senkrechte Position nach oben, und dann weiter, um die eigene Achse, sodass kurz noch einmal, wie hinter einem Theatervorhang, das andere Ufer auftaucht. Jenseits der Brücke die farbig beleuchteten Gebäude von Zwinger und Semperoper, die zur Elbe hin geöffnete Fassade der Hofkirche, die mit ihrem Skulpturenschmuck und dem von Arkaden durchbrochenen Turm an eine mehrstöckige Hochzeitstorte erinnert. Das hohe Ufer der Brühlschen Terrasse mit der Kunstakademie und ihrer gefalteten Kuppel aus Glas und Stahl. Türme und Türmchen, Kuppeln und Skulpturenschmuck. All das erhebt sich wie Spitzenwerk vor dem dunkelnden Himmel - und darüber schwebt wie ein Wunder die hohe Kuppel der Frauenkirche. Der Anblick ist berückend schön.

Der Traum des Barockfürsten August des Starken, der seine Residenzstadt an der Elbe, die nie ein großes Reich beherrschte, zu einer der schönsten Städte Europas machte, verbrannte in einer Nacht. Die Vernichtung von Dresden im Februar 1945 durch britische Bomber hat sich ins kollektive Gedächtnis der Deutschen eingebrannt. Die NS-Propaganda sprach von zweihunderttausend Toten. Heute schätzen Historiker, dass es wohl Zehntausende waren. Weniger als im Hamburger Feuersturm, etwas mehr als in Köln. Dennoch ist das zerstörte Dresden zum Symbol für die Verheerungen des Krieges geworden und der lange umstrittene Wiederaufbau der Frauenkirche nach der Wende ein Fanal, das die ganze Republik bewegte.

Im Frühjahr 1989 besuchte ich zum ersten Mal Dresden. Ich war Teil einer Studentengruppe aus Westdeutschland, eingeladen von Funktionären und Dezernenten des Deutschen Gewerkschaftsbundes FDGB. Es sollte meine erste und einzige Begegnung mit der DDR sein. Ich erinnere mich an riesige Schneisen für den Autoverkehr, nicht weniger gigantische Plattenbauviertel und dazwischen wie Inseln einzelne historische Straßenzüge. Wir besichtigten den wieder errichteten Zwinger und die Semperoper. Auch die katholische Hofkirche und das Mosaik des Fürstenzuges am historischen Schloss. Die barocke Architektur wirkte auf mich düster und schwer. Das mag am Baumaterial, dem Elbsandstein, gelegen haben, der durch Witterungseinflüsse beinahe schwarz wird, aber mehr noch daran, dass diese Gebäude in keinem Zusammenhang mehr standen. Hinter Schloss und Brühlscher Terrasse öffnete sich kein Platz, keine Gassen einer Stadt, nur eine riesige Leere, an deren Rand ein Steinhaufen lag: die Ruine der Frauenkirche. Sie sollte nach dem Willen der Stadtoberen ein Mahnmal bleiben für die Schrecken des Krieges. Ein Friedenssymbol, wie die Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche in Berlin. Aber stärker als diese Mahnung wirkte auf mich die Ödnis, die sie umgab, im Herzen einer Stadt, die doch den Titel "Elbflorenz" trägt.

Um den Altmarkt stand es nicht besser, er wurde noch in den Fünfzigerjahren mit großem Prunk historisierend wieder aufgebaut. Ein Aufmarschplatz. Er ist es bis heute geblieben. Später wurde gegenüber der Kulturpalast errichtet, im modernistischen Stil der DDR, mit großflächigem Mosaik der Roten Fahne an der Außenwand, einer Geschichte der DDR von Walter Ulbricht bis zu den Trümmerfrauen. Der Kulturpalast wurde renoviert und schließt heute die rekonstruierte Altstadt ab. Und, wie ich finde, gar nicht schlecht.

Voller Neugier streife ich mit dem Fahrrad durch die Stadt, esse ein Eis beim Italiener und betrachte den hellen Sandsteinbau der Frauenkirche, der trotz seiner Monumentalität leicht, beinahe schwebend wirkt. Der die Kirche umgebende Platz am Neumarkt ist gerade vollendet, nach historischem Vorbild mit Bürgerhäusern und barocken Palais rekonstruiert, seine Ränder mit jungen Bäumen bepflanzt, Hotels und Caféterrassen laden zum Verweilen ein. Die Stadt hat ihr Herz zurück, die kostbare Kirche ihren Rahmen, wenn auch noch etwas künstlich und kulissenhaft. Andererseits: Ist nicht Barock schon immer Kulisse gewesen? Ein großes Theater, hinter dem sich die Vergänglichkeit verbirgt. Mir nötigt der trotzige Wille der Dresdner zum Wiederaufbau Bewunderung ab. Dresden, so empfinde ich es, hat seine Identität zurück, auch wenn immer eine letzte Spur von Vergeblichkeit und Melancholie bleibt, wie über einer Wunde, die nie ganz verheilt.

Das Verlorengegangene lässt sich wunderbar im jüngst erschienenen Bildband von Andreas Krase erforschen: "Dresden in Photographien des 19. Jahrhunderts". Und natürlich suche ich als Erstes die Frauenkirche. Auf manchen Fotos erhebt sie sich nahezu unwirklich blass vor dem winterlichen Himmel, umgeben von ärmlich wirkenden Bürgerhäusern mit bröckelndem Putz und verwitterten Mauern, die dem überlieferten glanzvollen Bild Dresdens zu widersprechen scheinen. Nur auf den Aufnahmen von der Elbseite gesehen überragt die Kirche strahlend das herrschaftliche Ufer und dient als glanzvolle Kulisse. Der Altmarkt ist noch kleinteilig bebaut und voll bunter Marktschirme, der Neumarkt mit seinen barocken Bürgerhäusern durchaus mit der heutigen Form zu vergleichen. "Hellwigs Ausflugslokal", eine elegante Terrasse am Elbufer, war gerade zum Abriss freigegeben, so ein Hinweis unter der Bildtafel, ebenso wie die verwinkelten Gassen der italienischen Stadt, wo einst die Baumeister August des Starken lebten. Die in die Jahre gekommenen Häuser mussten repräsentativeren Bauten weichen. Die Stadt war von einem tiefgreifenden Wandel ergriffen. Der Umbau von einer barocken Residenz- zu einer modernen Industriestadt ging nicht ohne Abriss und Verluste einher, auch das ist in Krases Buch dokumentiert.

Wie viele europäische Städte nahm Dresden im neunzehnten Jahrhundert eine rasante Entwicklung. Die Bevölkerung wuchs in hundert Jahren um mehr auf das Elffache an, bis die Stadt kurz vor dem Ersten Weltkrieg etwa mehr als eine halbe Million Einwohner zählte. Ebenso viele wie heute. Aber die riesigen Mietshausviertel der Gründerzeit mit ihren breiten kopfsteingepflasterten Chausseen, die im Bildband zu sehen sind, sind heute weitgehend verschwunden, ebenso die düsteren Kasernenhöfe für die königlich-sächsischen Regimenter.

Das monumentale Gebäude des Landgerichts am Münchner Platz, im Reformstil der Jahrhundertwende gebaut, steht noch, heute Teil des Campus der TU Dresden. Einst diente es als Folterkeller der Nazis. Als Studenten besuchten wir 1989 auch diese Gedenkstätte und bekamen die grausige Historie erzählt, aber die Opfer des DDR-Regimes, die ebenfalls hier litten, wurden uns verschwiegen. Auch die mächtige Halle des Hauptbahnhofs wurde um die Wende zum zwanzigsten Jahrhundert gebaut und wird heute wieder restauriert. Die Kuppel und der Turm der ehemaligen Tabakfabrik, im Stil von Moschee und Minarett, ragen immer noch provozierend am Elbufer auf und wirken wie ein augenzwinkernder Spott auf die Demonstranten von PEGIDA, die jeden Montag etwas verloren auf dem Altmarkt stehen.

Beim Blättern in Krases historischem Fotoband fällt auch ein neoklassizistischer Rundbau an der Prager Straße auf: Unter einer großen Glaskuppel war damals ein Schlachtenpanorama untergebracht, als eine Art Vorläufer der Kinos eine beliebte Form von Unterhaltung im neunzehnten Jahrhundert. Und unwillkürlich muss ich an das eindrucksvolle Rundkino denken, das 1989 fast genau an derselben Stelle an der Prager Straße stand, frei stehend mit leuchtend vertikalen Lamellen inmitten einer breiten Allee mit Springbrunnen und modernistischen Gebäuden, kühl, weit und verloren, dennoch schön. Mit dem Fahrrad streife ich durch die Stadt und suche nach dem Dresden jener Jahre. Ich finde das Rundkino schließlich, verborgen hinter nichtssagenden Kaufhausfassaden und seiner Wirkung beraubt.

In den seltenen Momenten, in denen wir Studenten es 1989 schafften, unserem dichten Programm zu entkommen, spazierten wir über die Augustusbrücke in die Neustadt, ein Gründerzeitviertel, mit bröckelnden Sandsteinfassaden, das uns sofort begeisterte. Hier waren die alternativen Cafés, kleine Läden, improvisierte Plätze, die wir suchten. Häuser, die ein Gesicht und eine Geschichte hatten, bröckelnd und kurz vor dem Verfall, aber lebendig. Hier hätte jeder von uns sofort eine Wohngemeinschaft gegründet oder ein Haus besetzt. Viel lieber, als in Gorbitz zu wohnen, dem Modellstadtteil im südwestlichen Umland von Dresden, zu dem wir in einer Exkursion geführt wurden. Mit Gorbitz, zwischen 1980 und 1990 errichtet und für vierzigtausend Menschen geplant, sollten, so die damalige Sekretärin für Sozialpolitik, die Wohnungsprobleme Dresdens bis 1990 gelöst sein. Auf unsere kritischen Nachfragen, ob ein Plattenbauviertel in dieser Größenordnung nicht zu sozialen Problemen führen würde, erhielten wir die Antwort, in der DDR bestehe der Anspruch, dass die Gesellschaft sich um Randgruppen kümmere, um so erst keine Randgruppen entstehen zu lassen. Dieser Satz, ebenso paradox wie entlarvend, ging in das Protokoll unserer Reise ein. Als die Sprache auf die Neustadt kam, erfuhren wir, es sei geplant, das Viertel bis auf wenige denkmalgeschützte Gebäude abzureißen. Bekanntlich ist es anders gekommen.

Heute ist die Neustadt als einziger geschlossener Stadtteil des neunzehnten Jahrhunderts in Dresden erhalten. Studenten treffen sich am Elbufer, in Cafés und Hinterhöfen des Gründerzeitviertels, das trotz Sanierung nicht von der Glätte und Bürgerlichkeit des Prenzlauer Berges in Berlin überzogen ist. Alles in Dresden scheint etwas verlangsamt. Das mag in ihrer Rolle als Residenz- und Beamtenstadt liegen, mehr der Repräsentation als der Geschäftigkeit verpflichtet. Vielleicht überträgt auch der träge dahingleitende Fluss, der die Stadt in einer weiten Schlaufe durchströmt, seinen Rhythmus auf die Stadt. Sanfte Wiesen fallen zum Ufer hin ab. Keine Lastkähne, sondern Fähren und Ausflugsdampfer gleiten flussaufwärts, von der Brühlschen Terrasse zu den Elbschlössern, unter dem "Blauen Wunder" hindurch, einer 1892 errichteten Stahlbrücke, die das romantische Dörfchen Löschwitz mit dem Villenviertel am gegenüberliegenden Ufer verbindet. Vor dem Ausflugsgasthaus am Schillerschen Garten stehen Passanten um selbst hergestelltes Eis an, sitzen in den Biergärten und am Ufer, wie vielleicht schon vor hundert Jahren. Eine Standseilbahn führt auf die grünen Hügel zu einem Aussichtspunkt. Von dort öffnet sich ein weiter Blick auf die Stadt, die sich an den Ufern der Elbauen ausbreitet. "Auferstanden aus Ruinen", wie es so schön in der ehemaligen DDR-Hymne heißt.

"Dresden in Photographien des 19. Jahrhunderts" von Andreas Krase. Schirmer/Mosel Verlag, München 2020. 312 Seiten, 254 Abbildungen. Gebunden,

49,80 Euro.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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