The Berlin Wall was the symbol of the Cold War. For the first time, this path-breaking book tells the behind-the-scenes story of the communists' decision to build the Wall in 1961. Hope Harrison's use of archival sources from the former East German and Soviet regimes is unrivalled, and from these sources she builds a highly original and provocative argument: the East Germans pushed the reluctant Soviets into building the Berlin Wall. This fascinating work portrays the different approaches favored by the East Germans and the Soviets to stop the exodus of refugees to West Germany. In the wake of Stalin's death in 1953, the Soviets refused the East German request to close their border to West Berlin. The Kremlin rulers told the hard-line East German leaders to solve their refugee problem not by closing the border, but by alleviating their domestic and foreign problems. The book describes how, over the next seven years, the East German regime managed to resist Soviet pressures for liberalization and instead pressured the Soviets into allowing them to build the Berlin Wall. Driving the Soviets Up the Wall forces us to view this critical juncture in the Cold War in a different light. Harrison's work makes us rethink the nature of relations between countries of the Soviet bloc even at the height of the Cold War, while also contributing to ongoing debates over the capacity of weaker states to influence their stronger allies.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 29.03.2006Der Diener als Partner?
Beziehungen zwischen Ost-Berlin und Moskau 1953 bis 1961
Hope Harrison lenkt in ihrer verdienstvollen Untersuchung zum Ost-West-Konflikt den Blick auf einen der kleineren Akteure. In den von den Supermächten geführten Imperien des Kalten Krieges hatten die Vereinigten Staaten und die Sowjetunion schon wegen ihres sicherheitspolitisch ausschlaggebenden Gewichts eine unangreifbare Schlüsselrolle. Das Gravitationszentrum von Nato und Warschauer Pakt lag in Washington beziehungsweise in Moskau. Damit ist allerdings nicht gesagt, daß es sich um monolithische Blöcke handelte, in denen das Zentrum der Macht die Zügel in allen Bereichen fest in der Hand hatte und die absolute Kontrolle über die Blockmitglieder ausübte. Frau Harrison geht dieser Frage am Beispiel des Verhältnisses zwischen der Sowjetunion und der DDR in den fünfziger Jahren nach.
Publikumswirksam rangiert der Mauerbau von 1961 als Blickfang auf dem Umschlag und als Schlüsselereignis im Titel des Buches. Es handelt sich aber um eine Studie, die zum Kern der Beziehungen zwischen der Sowjetunion und der DDR vordringen will. Die beiden ersten Phasen umfassen die Konflikte und ideologischen Neujustierungen der Zeit nach Stalins Tod von den Diadochenkämpfen in Moskau und dem Aufstand des 17. Juni 1953 in Berlin bis hin zu Chruschtschows Rede auf dem 20. Parteitag der KPdSU 1956, als der sowjetische Parteichef nun Stalin vom Sockel stieß und von "friedlicher Koexistenz" sprach. Daran schließt sich die 1958 von Moskau ausgelöste Berlin-Krise mit dem Mauerbau 1961 an, der den Höhepunkt und zugleich einen Lösungsansatz der Krise darstellte. Ulbricht hatte sein lange verfolgtes Ziel erreicht, nämlich die Schließung der Grenze und die Stabilisierung des SED-Regimes durch Abschottung und Zwang.
Damit habe sich Ulbricht, so die These der Autorin, endgültig behauptet und sich erfolgreich allen sowjetischen Wünschen widersetzt, die Lebensfähigkeit der DDR nicht in erster Linie durch Repression zu bewerkstelligen, sondern dadurch, eine attraktive Alternative zur Bundesrepublik anzubieten. Noch im Juni 1961 appellierte der sowjetische Erste Stellvertretende Ministerpräsident Mikojan an die Ost-Berliner Genossen, der Erfolg des Sozialismus gerade in der DDR sei der entscheidende Test. Beweise sich der Kommunismus hier nicht als überlegen und vital, sei alles verloren. Frau Harrison leitet daraus eine Veto-Funktion für die DDR ab: Diese sei nicht die Befehlsempfängerin Moskaus gewesen, sondern ein Verbündeter der besonderen Art, ein "Superalliierter" der Supermacht - darin der Bundesrepublik nicht unähnlich, die im Westen für die Vereinigten Staaten eine vergleichbare Position eingenommen habe. Der DDR - so die These von Frau Hope - wuchs in dem Maß Handlungsspielraum zu, wie die sowjetische Führung den ostdeutschen Teilstaat zu einem Eckstein, zu einem "Super-Dominostein" ihrer Großmachtpolitik machte, der weder vom Westen herausgebrochen werden durfte noch - vor dem Hintergrund der Risse im Weltkommunismus - in das chinesische Fahrwasser geraten sollte. Ulbricht habe diese Konstellation unbeirrt zum Ausbau einer relativen Autonomie genutzt und schließlich den Bau der Mauer durchgesetzt.
Frau Harrison bewegt sich im Trend der nach 1990 entwickelten new cold war history. Diese ist vor allem deswegen "neu", weil sie von der Öffnung zahlreicher Archive der Warschauer-Pakt-Staaten profitiert (zugleich aber unter der allzu restriktiven Archivpolitik der russischen Regierung leidet). Im Unterschied zur älteren Forschung hebt sie stärker auf die Rolle der Persönlichkeiten, ihrer Weltbilder und innenpolitischen Ausgangslagen ab. So zeigt die Autorin Chruschtschow, den "Bauern vom Land", und Ulbricht, den "städtischen Arbeiter", einerseits in wechselseitiger Abhängigkeit, läßt sie zugleich aber in ihrer Gegensätzlichkeit auftreten. Ulbricht wollte die Mauer als einseitige Aktion des Ostens, während Chruschtschow an der Spitze einer Weltmacht, deren globale Risiken er in Rechnung stellen mußte, bei aller Aggressivität in der Berlin-Frage eine Verhandlungslösung vorgezogen hätte, der Forderung Ulbrichts aber habe nachgeben müssen.
Künftige Forschungen könnten zeigen, daß Frau Harrison mit ihrer durchaus produktiven Fragestellung das Pendel von der älteren Supermachtperspektive zu weit zur Peripherieperspektive ausschlagen läßt. Schließlich war der Mauerbau durchaus vereinbar mit Chruschtschows übergeordnetem Interesse an einer Ost-West-Entspannung. Nicht zuletzt Präsident Kennedy erblickte in ihm eine Chance zur Stabilisierung des Status quo und zur Beruhigung der Lage in Mitteleuropa.
GOTTFRIED NIEDHART
Hope M. Harrison: Driving the Soviets up the Wall. Soviet-East German Relations, 1953-1961. Princeton University Press, Princeton 2005. 345 S., 27.95 $.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Beziehungen zwischen Ost-Berlin und Moskau 1953 bis 1961
Hope Harrison lenkt in ihrer verdienstvollen Untersuchung zum Ost-West-Konflikt den Blick auf einen der kleineren Akteure. In den von den Supermächten geführten Imperien des Kalten Krieges hatten die Vereinigten Staaten und die Sowjetunion schon wegen ihres sicherheitspolitisch ausschlaggebenden Gewichts eine unangreifbare Schlüsselrolle. Das Gravitationszentrum von Nato und Warschauer Pakt lag in Washington beziehungsweise in Moskau. Damit ist allerdings nicht gesagt, daß es sich um monolithische Blöcke handelte, in denen das Zentrum der Macht die Zügel in allen Bereichen fest in der Hand hatte und die absolute Kontrolle über die Blockmitglieder ausübte. Frau Harrison geht dieser Frage am Beispiel des Verhältnisses zwischen der Sowjetunion und der DDR in den fünfziger Jahren nach.
Publikumswirksam rangiert der Mauerbau von 1961 als Blickfang auf dem Umschlag und als Schlüsselereignis im Titel des Buches. Es handelt sich aber um eine Studie, die zum Kern der Beziehungen zwischen der Sowjetunion und der DDR vordringen will. Die beiden ersten Phasen umfassen die Konflikte und ideologischen Neujustierungen der Zeit nach Stalins Tod von den Diadochenkämpfen in Moskau und dem Aufstand des 17. Juni 1953 in Berlin bis hin zu Chruschtschows Rede auf dem 20. Parteitag der KPdSU 1956, als der sowjetische Parteichef nun Stalin vom Sockel stieß und von "friedlicher Koexistenz" sprach. Daran schließt sich die 1958 von Moskau ausgelöste Berlin-Krise mit dem Mauerbau 1961 an, der den Höhepunkt und zugleich einen Lösungsansatz der Krise darstellte. Ulbricht hatte sein lange verfolgtes Ziel erreicht, nämlich die Schließung der Grenze und die Stabilisierung des SED-Regimes durch Abschottung und Zwang.
Damit habe sich Ulbricht, so die These der Autorin, endgültig behauptet und sich erfolgreich allen sowjetischen Wünschen widersetzt, die Lebensfähigkeit der DDR nicht in erster Linie durch Repression zu bewerkstelligen, sondern dadurch, eine attraktive Alternative zur Bundesrepublik anzubieten. Noch im Juni 1961 appellierte der sowjetische Erste Stellvertretende Ministerpräsident Mikojan an die Ost-Berliner Genossen, der Erfolg des Sozialismus gerade in der DDR sei der entscheidende Test. Beweise sich der Kommunismus hier nicht als überlegen und vital, sei alles verloren. Frau Harrison leitet daraus eine Veto-Funktion für die DDR ab: Diese sei nicht die Befehlsempfängerin Moskaus gewesen, sondern ein Verbündeter der besonderen Art, ein "Superalliierter" der Supermacht - darin der Bundesrepublik nicht unähnlich, die im Westen für die Vereinigten Staaten eine vergleichbare Position eingenommen habe. Der DDR - so die These von Frau Hope - wuchs in dem Maß Handlungsspielraum zu, wie die sowjetische Führung den ostdeutschen Teilstaat zu einem Eckstein, zu einem "Super-Dominostein" ihrer Großmachtpolitik machte, der weder vom Westen herausgebrochen werden durfte noch - vor dem Hintergrund der Risse im Weltkommunismus - in das chinesische Fahrwasser geraten sollte. Ulbricht habe diese Konstellation unbeirrt zum Ausbau einer relativen Autonomie genutzt und schließlich den Bau der Mauer durchgesetzt.
Frau Harrison bewegt sich im Trend der nach 1990 entwickelten new cold war history. Diese ist vor allem deswegen "neu", weil sie von der Öffnung zahlreicher Archive der Warschauer-Pakt-Staaten profitiert (zugleich aber unter der allzu restriktiven Archivpolitik der russischen Regierung leidet). Im Unterschied zur älteren Forschung hebt sie stärker auf die Rolle der Persönlichkeiten, ihrer Weltbilder und innenpolitischen Ausgangslagen ab. So zeigt die Autorin Chruschtschow, den "Bauern vom Land", und Ulbricht, den "städtischen Arbeiter", einerseits in wechselseitiger Abhängigkeit, läßt sie zugleich aber in ihrer Gegensätzlichkeit auftreten. Ulbricht wollte die Mauer als einseitige Aktion des Ostens, während Chruschtschow an der Spitze einer Weltmacht, deren globale Risiken er in Rechnung stellen mußte, bei aller Aggressivität in der Berlin-Frage eine Verhandlungslösung vorgezogen hätte, der Forderung Ulbrichts aber habe nachgeben müssen.
Künftige Forschungen könnten zeigen, daß Frau Harrison mit ihrer durchaus produktiven Fragestellung das Pendel von der älteren Supermachtperspektive zu weit zur Peripherieperspektive ausschlagen läßt. Schließlich war der Mauerbau durchaus vereinbar mit Chruschtschows übergeordnetem Interesse an einer Ost-West-Entspannung. Nicht zuletzt Präsident Kennedy erblickte in ihm eine Chance zur Stabilisierung des Status quo und zur Beruhigung der Lage in Mitteleuropa.
GOTTFRIED NIEDHART
Hope M. Harrison: Driving the Soviets up the Wall. Soviet-East German Relations, 1953-1961. Princeton University Press, Princeton 2005. 345 S., 27.95 $.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 08.08.2011Wie Moskau gegenüber der DDR einknickte
Hope Harrisons großartige Studie über den Mauerbau belegt: Im Kalten Krieg wurde die Großmacht manchmal ganz schwach
Welch ein Zufall und was für ein Geschenk: Ausgerechnet am
9. November 1989 machte sich die amerikanische Historikerin Hope Harrison mit einer Gruppe anderer Stipendiaten aus Harvard und Stanford auf den Weg nach West-Berlin. Der Fall der Mauer hat sie über Jahre nicht mehr losgelassen – zum Glück, sollte man aus der Perspektive ihrer Leser hinzufügen. Ihre 2003 erstmals in den USA publizierte Studie „Driving the Soviets Up the Wall“ liegt jetzt endlich auch in deutscher Sprache vor. Die in den vergangenen Jahren neu zugänglichen Quellen hat die Autorin weitgehend für die neue Ausgabe berücksichtigt und dabei im Vorbeigehen bestätigt, dass fast alle mit dem Thema Mauerbau Beschäftigten auf ihren Schultern stehen.
Überzeugend und den Horizont in vielfacher Weise erweiternd ist der analytische Ansatz von Hope Harrison. Wer, so ihre Grundthese, die Bündnissysteme Warschauer Pakt und Nato als klar gegliederte Hierarchien deutet und eine Abhängigkeit der „Peripherie“ vom „Zentrum“ unterstellt, verkennt eine politische Pointe des Kalten Krieges: Schwäche konnte stets in Stärke umgemünzt werden, je schlechter es den „Kleinen“ ging, desto mehr konnten sie die „Großen“ für ihre Zwecke einspannen. Dieses Paradox gründet in der Machtarithmetik der Zeit, genauer gesagt im psychologischen Abnutzungskrieg zwischen Ost und West. Ob Washington oder Moskau, kein Patron wollte in diesem Poker als unzuverlässig wahrgenommen werden, jeder deutete Konflikte im eigenen Haus als politisch ansteckende Krankheit und damit als Punktsieg des Rivalen auf der anderen Seite des Atlantiks. Wegen Süd- und Nordkorea, wegen Taiwan, Nord- und Südvietnam, wegen Kuba oder eben der DDR: Überall wurde das gleiche Stück aufgeführt, überall kann man die Dynamik einer wechselseitigen Abhängigkeit beobachten. Der Starke konnte seine Macht nicht immer so einsetzen, wie er wollte, der Schwache vermochte stets mehr, als er auf sich allein gestellt je gekonnt hätte.
Dass Moskau in einer Glaubwürdigkeitsfalle saß, hatte Walter Ulbricht spätestens im Juni 1953 durchschaut. Angesichts der Unruhen in der DDR nahm die sowjetische Führung von ihren Plänen Abstand, Ulbricht zu entmachten und einen „Neuen Kurs“ in der ostdeutschen Wirtschafts- und Sozialpolitik zu verlangen. Das Risiko einer unkontrollierbaren Kettenreaktion weit über die Grenzen der DDR hinaus wollte man unter keinen Umständen eingehen, hätte dergleichen doch Moskaus Ruf als kontrollstarke und durchsetzungsfähige „Zentrale“ angekratzt. Die Fortsetzung folgte im Herbst 1956, als Ulbricht die Krisen in Ungarn und Polen erneut für seine Zwecke ausbeutete, reformorientierte Konkurrenten ausbootete und seine eigene Stellung durch eine Erhöhung sowjetischer Wirtschaftshilfe aufwerten ließ. Gewiss sind die von Hope Harrison geschilderten Entwicklungen aus den 1950er Jahren weitgehend bekannt; aber kaum jemand arbeitet so deutlich heraus, wovon diese Geschichte im Kern handelt – vom Schwanz nämlich, der mit dem Hund wedelt.
Indem er seit 1958 den Einsatz im Psychokrieg gegen den Westen erhöhte, gab Chruschtschow seinem Paladin in Ost-Berlin eine unerwartete Steilvorlage. Das dauernde Schwadronieren über eine Umwandlung West-Berlins in eine „freie Stadt“, die Drohung, ostdeutsche Behörden die Zugangswege nach WestBerlin kontrollieren zu lassen, das Ausrufen immer neuer Ultimaten – ein um das andere Mal setzte Chruschtschow seine Glaubwürdigkeit aufs Spiel. „Die DDR und Ostberlin sollen zum Schaufenster des Sozialismus werden“: Spätestens mit diesem Satz hatte der Kremlchef sein politisches Schicksal an die Konsolidierung der Macht von Walter Ulbricht gekoppelt.
Wer so redete, musste im Zweifelsfall auch liefern. Und worin die Lieferung bestehen sollte, machte Ulbricht mit nervtötender Penetranz, ablesbar an ungezählten Telegrammen und Briefen nach Moskau, deutlich: Ein Ende der „unnötigen Duldsamkeit“ gegenüber dem Westen, Abschottung der Sektorengrenze, Unterbindung des Monat um Monat anschwellenden Flüchtlingsstroms, Bau einer Mauer quer durch Berlin. Seit Mitte der 1950er Jahre hatte die sowjetische Führung dergleichen Ansinnen immer wieder zurückgewiesen. Anfang Juli 1961 willigte Chruschtschow schließlich ein. Die selbstgestellte Solidaritätsfalle war zugeschnappt.
Man hat Hope Harrison vorgeworfen, die Rolle der SED über die Maßen aufzuwerten und Moskaus Anteil am Mauerbau geringzuschätzen. Und wie in der von Missgunst und Eifersüchteleien durchsetzten Historikerzunft üblich, durfte der Hinweis auf dieses oder jenes Dokument, das erst kürzlich ausgegraben wurde, nicht fehlen. Wer will, kann diese Quellen in den neuen Büchern von Manfred Wilke und Gerhard Wettig studieren. Sie belegen vieles, aber Harrisons These der „asymmetrischen Abhängigkeit“ Moskaus von Ost-Berlin dementieren sie nicht. Zumal die Autorin deutlich macht, wie Moskau nach dem 13. August 1961 die Grenzen dieser Abhängigkeit vor aller Augen markierte: Nach dem Mauerbau konnte Ulbricht seinen Traum von einem separaten Friedensvertrag ebenso vergessen wie die Kontrolle über den Zugang nach West-Berlin. Der „Superdominostein“ und der „Superverbündete“ waren auf Normalmaß zurechtgestutzt. Wie und warum, hat kaum jemand so packend und lebendig geschildert wie Hope Harrison. BERND GREINER
HOPE M. HARRISON: Ulbrichts Mauer. Wie die SED Moskaus Widerstand gegen den Mauerbau brach. Aus dem Amerikanischen von Klaus-Dieter Schmidt. Propyläen, Berlin 2011. 506 S., 24, 99 Euro.
Der Historiker Bernd Greiner forscht am Hamburger Institut für Sozialforschung. Unlängst erschien sein neues Buch: „9/11. Der Tag, die Angst, die Folgen“.
Im Kalten Krieg galt:
Schwäche konnte stets in Stärke
umgemünzt werden.
Die Führung der UdSSR
wurde Opfer ihrer eigenen
Versprechungen.
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Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Hope Harrisons großartige Studie über den Mauerbau belegt: Im Kalten Krieg wurde die Großmacht manchmal ganz schwach
Welch ein Zufall und was für ein Geschenk: Ausgerechnet am
9. November 1989 machte sich die amerikanische Historikerin Hope Harrison mit einer Gruppe anderer Stipendiaten aus Harvard und Stanford auf den Weg nach West-Berlin. Der Fall der Mauer hat sie über Jahre nicht mehr losgelassen – zum Glück, sollte man aus der Perspektive ihrer Leser hinzufügen. Ihre 2003 erstmals in den USA publizierte Studie „Driving the Soviets Up the Wall“ liegt jetzt endlich auch in deutscher Sprache vor. Die in den vergangenen Jahren neu zugänglichen Quellen hat die Autorin weitgehend für die neue Ausgabe berücksichtigt und dabei im Vorbeigehen bestätigt, dass fast alle mit dem Thema Mauerbau Beschäftigten auf ihren Schultern stehen.
Überzeugend und den Horizont in vielfacher Weise erweiternd ist der analytische Ansatz von Hope Harrison. Wer, so ihre Grundthese, die Bündnissysteme Warschauer Pakt und Nato als klar gegliederte Hierarchien deutet und eine Abhängigkeit der „Peripherie“ vom „Zentrum“ unterstellt, verkennt eine politische Pointe des Kalten Krieges: Schwäche konnte stets in Stärke umgemünzt werden, je schlechter es den „Kleinen“ ging, desto mehr konnten sie die „Großen“ für ihre Zwecke einspannen. Dieses Paradox gründet in der Machtarithmetik der Zeit, genauer gesagt im psychologischen Abnutzungskrieg zwischen Ost und West. Ob Washington oder Moskau, kein Patron wollte in diesem Poker als unzuverlässig wahrgenommen werden, jeder deutete Konflikte im eigenen Haus als politisch ansteckende Krankheit und damit als Punktsieg des Rivalen auf der anderen Seite des Atlantiks. Wegen Süd- und Nordkorea, wegen Taiwan, Nord- und Südvietnam, wegen Kuba oder eben der DDR: Überall wurde das gleiche Stück aufgeführt, überall kann man die Dynamik einer wechselseitigen Abhängigkeit beobachten. Der Starke konnte seine Macht nicht immer so einsetzen, wie er wollte, der Schwache vermochte stets mehr, als er auf sich allein gestellt je gekonnt hätte.
Dass Moskau in einer Glaubwürdigkeitsfalle saß, hatte Walter Ulbricht spätestens im Juni 1953 durchschaut. Angesichts der Unruhen in der DDR nahm die sowjetische Führung von ihren Plänen Abstand, Ulbricht zu entmachten und einen „Neuen Kurs“ in der ostdeutschen Wirtschafts- und Sozialpolitik zu verlangen. Das Risiko einer unkontrollierbaren Kettenreaktion weit über die Grenzen der DDR hinaus wollte man unter keinen Umständen eingehen, hätte dergleichen doch Moskaus Ruf als kontrollstarke und durchsetzungsfähige „Zentrale“ angekratzt. Die Fortsetzung folgte im Herbst 1956, als Ulbricht die Krisen in Ungarn und Polen erneut für seine Zwecke ausbeutete, reformorientierte Konkurrenten ausbootete und seine eigene Stellung durch eine Erhöhung sowjetischer Wirtschaftshilfe aufwerten ließ. Gewiss sind die von Hope Harrison geschilderten Entwicklungen aus den 1950er Jahren weitgehend bekannt; aber kaum jemand arbeitet so deutlich heraus, wovon diese Geschichte im Kern handelt – vom Schwanz nämlich, der mit dem Hund wedelt.
Indem er seit 1958 den Einsatz im Psychokrieg gegen den Westen erhöhte, gab Chruschtschow seinem Paladin in Ost-Berlin eine unerwartete Steilvorlage. Das dauernde Schwadronieren über eine Umwandlung West-Berlins in eine „freie Stadt“, die Drohung, ostdeutsche Behörden die Zugangswege nach WestBerlin kontrollieren zu lassen, das Ausrufen immer neuer Ultimaten – ein um das andere Mal setzte Chruschtschow seine Glaubwürdigkeit aufs Spiel. „Die DDR und Ostberlin sollen zum Schaufenster des Sozialismus werden“: Spätestens mit diesem Satz hatte der Kremlchef sein politisches Schicksal an die Konsolidierung der Macht von Walter Ulbricht gekoppelt.
Wer so redete, musste im Zweifelsfall auch liefern. Und worin die Lieferung bestehen sollte, machte Ulbricht mit nervtötender Penetranz, ablesbar an ungezählten Telegrammen und Briefen nach Moskau, deutlich: Ein Ende der „unnötigen Duldsamkeit“ gegenüber dem Westen, Abschottung der Sektorengrenze, Unterbindung des Monat um Monat anschwellenden Flüchtlingsstroms, Bau einer Mauer quer durch Berlin. Seit Mitte der 1950er Jahre hatte die sowjetische Führung dergleichen Ansinnen immer wieder zurückgewiesen. Anfang Juli 1961 willigte Chruschtschow schließlich ein. Die selbstgestellte Solidaritätsfalle war zugeschnappt.
Man hat Hope Harrison vorgeworfen, die Rolle der SED über die Maßen aufzuwerten und Moskaus Anteil am Mauerbau geringzuschätzen. Und wie in der von Missgunst und Eifersüchteleien durchsetzten Historikerzunft üblich, durfte der Hinweis auf dieses oder jenes Dokument, das erst kürzlich ausgegraben wurde, nicht fehlen. Wer will, kann diese Quellen in den neuen Büchern von Manfred Wilke und Gerhard Wettig studieren. Sie belegen vieles, aber Harrisons These der „asymmetrischen Abhängigkeit“ Moskaus von Ost-Berlin dementieren sie nicht. Zumal die Autorin deutlich macht, wie Moskau nach dem 13. August 1961 die Grenzen dieser Abhängigkeit vor aller Augen markierte: Nach dem Mauerbau konnte Ulbricht seinen Traum von einem separaten Friedensvertrag ebenso vergessen wie die Kontrolle über den Zugang nach West-Berlin. Der „Superdominostein“ und der „Superverbündete“ waren auf Normalmaß zurechtgestutzt. Wie und warum, hat kaum jemand so packend und lebendig geschildert wie Hope Harrison. BERND GREINER
HOPE M. HARRISON: Ulbrichts Mauer. Wie die SED Moskaus Widerstand gegen den Mauerbau brach. Aus dem Amerikanischen von Klaus-Dieter Schmidt. Propyläen, Berlin 2011. 506 S., 24, 99 Euro.
Der Historiker Bernd Greiner forscht am Hamburger Institut für Sozialforschung. Unlängst erschien sein neues Buch: „9/11. Der Tag, die Angst, die Folgen“.
Im Kalten Krieg galt:
Schwäche konnte stets in Stärke
umgemünzt werden.
Die Führung der UdSSR
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Versprechungen.
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