Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 29.06.2001Whiskey im Ohr
Christina Schwarz' "Novemberkind" lauscht falschen Tönen
Ein finsteres Geheimnis schmiedet Amanda und ihre Nichte Ruth aneinander. Vor langer Zeit brach Mathilda, Amandas Schwester, Ruths Mutter, in einen zugefrorenen See ein und ertrank. Warum aber heißt das Buch im Original "Drowning Ruth" (also "Ruth ertränken" oder "Die ertrinkende Ruth")? Und warum kann man über das Unglück nicht offen sprechen, warum wird "das, was in jener Nacht geschah", wie in einem Krimi angedeutet, in der Schwebe gelassen und erst auf den allerletzten Seiten des Romans aufgeklärt?
Christina Schwarz legt in ihrem ersten Roman manche falsche Fährte. Dabei geht es hier gar nicht um ein Verbrechen, sondern um ein uneheliches Kind, dessen Existenz um jeden Preis verheimlicht werden muß. Weil das wahrhaftig kein aktuelles Problem mehr ist, verlegt die Autorin die Geschichte der ungleichen Schwestern Mandy und Mattie in die Zeit des Ersten Weltkriegs. Die eine, Krankenschwester von Beruf, fällt einem Hallodri in die Hände; die andere heiratet einen Fleischabpacker, der, nachdem er sie geschwängert hat, in den Krieg zieht. Als er invalid zurückkehrt, ist Mathilda bereits tot. Um die ungebärdige Ruth kümmert sich die Tante.
In verschachtelten Rückblenden und wechselnden Erzählperspektiven entfaltet sich das ausgeklügelte Seelendrama vom Verführer, dessen Stimme "so weich wie teurer Whiskey" war, vom Witwer, der im Glauben gelassen wird, daß seine Frau ihn betrogen hat, von Imogene, dem weggegebenen Kind, das wiederauftaucht und dem der im Unwissen gelassene Vater - der mit der Whiskey-Stimme - nachstellt, ehe ihn Amanda ungerührt ertrinken läßt.
Die Männer sind hier durchweg Schwächlinge oder Lumpen, die Welt wird von den Frauen zusammengehalten. Mathilda und Amanda, die einen Sommer und einen Herbst mit Ruth allein auf einer Insel verbringen, setzen den amerikanischen Mythos von der Zähmung einer unwirtlichen Natur ins Feministische um. Die Schilderung des winterlichen Wisconsin mit dem "wie eine weiße Narbe auf der Erde liegenden zugefrorenen See", wo die Frauen im ärmlichen Bauernhaus der Eltern leben, gehört zu den stärksten Passagen des Romans. Für Amerika mag diese Mischung den rasanten Erfolg des Romans erklären, der, nachdem eine populäre Fernsehmoderatorin ihn empfohlen hatte, sogleich Bestsellerruhm erlangte. Für uns ist er eher unerheblich.
RENATE SCHOSTACK.
Christina Schwarz: "Novemberkind". Roman. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Giovanni und Ditte Bandini. btb Verlag, München 2001. 383 S., geb., 46,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Christina Schwarz' "Novemberkind" lauscht falschen Tönen
Ein finsteres Geheimnis schmiedet Amanda und ihre Nichte Ruth aneinander. Vor langer Zeit brach Mathilda, Amandas Schwester, Ruths Mutter, in einen zugefrorenen See ein und ertrank. Warum aber heißt das Buch im Original "Drowning Ruth" (also "Ruth ertränken" oder "Die ertrinkende Ruth")? Und warum kann man über das Unglück nicht offen sprechen, warum wird "das, was in jener Nacht geschah", wie in einem Krimi angedeutet, in der Schwebe gelassen und erst auf den allerletzten Seiten des Romans aufgeklärt?
Christina Schwarz legt in ihrem ersten Roman manche falsche Fährte. Dabei geht es hier gar nicht um ein Verbrechen, sondern um ein uneheliches Kind, dessen Existenz um jeden Preis verheimlicht werden muß. Weil das wahrhaftig kein aktuelles Problem mehr ist, verlegt die Autorin die Geschichte der ungleichen Schwestern Mandy und Mattie in die Zeit des Ersten Weltkriegs. Die eine, Krankenschwester von Beruf, fällt einem Hallodri in die Hände; die andere heiratet einen Fleischabpacker, der, nachdem er sie geschwängert hat, in den Krieg zieht. Als er invalid zurückkehrt, ist Mathilda bereits tot. Um die ungebärdige Ruth kümmert sich die Tante.
In verschachtelten Rückblenden und wechselnden Erzählperspektiven entfaltet sich das ausgeklügelte Seelendrama vom Verführer, dessen Stimme "so weich wie teurer Whiskey" war, vom Witwer, der im Glauben gelassen wird, daß seine Frau ihn betrogen hat, von Imogene, dem weggegebenen Kind, das wiederauftaucht und dem der im Unwissen gelassene Vater - der mit der Whiskey-Stimme - nachstellt, ehe ihn Amanda ungerührt ertrinken läßt.
Die Männer sind hier durchweg Schwächlinge oder Lumpen, die Welt wird von den Frauen zusammengehalten. Mathilda und Amanda, die einen Sommer und einen Herbst mit Ruth allein auf einer Insel verbringen, setzen den amerikanischen Mythos von der Zähmung einer unwirtlichen Natur ins Feministische um. Die Schilderung des winterlichen Wisconsin mit dem "wie eine weiße Narbe auf der Erde liegenden zugefrorenen See", wo die Frauen im ärmlichen Bauernhaus der Eltern leben, gehört zu den stärksten Passagen des Romans. Für Amerika mag diese Mischung den rasanten Erfolg des Romans erklären, der, nachdem eine populäre Fernsehmoderatorin ihn empfohlen hatte, sogleich Bestsellerruhm erlangte. Für uns ist er eher unerheblich.
RENATE SCHOSTACK.
Christina Schwarz: "Novemberkind". Roman. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Giovanni und Ditte Bandini. btb Verlag, München 2001. 383 S., geb., 46,- DM.
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