"Das Drama wie auch die Schönheit des Lebens bestehen wohl darin, dass wir alle, in einer verwinkelten Ecke unseres Ichs, auf eine Art für immer fünfzehn Jahre alt bleiben."
Benjamin von Stuckrad-Barre über "Dschungel"
Er muss ihn finden. Seinen besten Freund, der schon immer auf der Jagd nach dem Extremen war - nie wird er vergessen, wie euphorisiert Felix neben ihm vor dem felsigen Abgrund stand, unter ihnen ragten die Klippen hervor wie aufgeklappte Messer. Doch selbst Felix sieht es nicht ähnlich, auf einer Reise in Asien spurlos zu verschwinden. Für den Erzähler steht fest: Nur er kann das rätselhafte Abtauchen aufklären. Dafür setzt er sogar seine große Liebe aufs Spiel. Schließlich verbindet ihn mit Felix eine besondere Freundschaft. Und ein Geheimnis, das sie ebenso eint wie trennt. Immer tiefer dringt der Erzähler auf seiner Suche in das wilde Kambodscha vor, in dieses nie genesene Land ohne Gedächtnis, immer verzweifelter durchforstet er seine Erinnerungen nach einem Hinweis, was passiert sein könnte. Bis er begreift, dass er den Freund nur retten kann, wenn er mit ihm verschwindet.
"Peng, peng, peng, und dann den Kopf in Flugmodus. Friedemann Karig hat den Reiseroman neu erfunden. Nur eigentlich ist das mehr als ein Roman, nämlich eine Hymne an das Jungsein und Wildwerden. Und das ist groß." Max Scharnigg
Benjamin von Stuckrad-Barre über "Dschungel"
Er muss ihn finden. Seinen besten Freund, der schon immer auf der Jagd nach dem Extremen war - nie wird er vergessen, wie euphorisiert Felix neben ihm vor dem felsigen Abgrund stand, unter ihnen ragten die Klippen hervor wie aufgeklappte Messer. Doch selbst Felix sieht es nicht ähnlich, auf einer Reise in Asien spurlos zu verschwinden. Für den Erzähler steht fest: Nur er kann das rätselhafte Abtauchen aufklären. Dafür setzt er sogar seine große Liebe aufs Spiel. Schließlich verbindet ihn mit Felix eine besondere Freundschaft. Und ein Geheimnis, das sie ebenso eint wie trennt. Immer tiefer dringt der Erzähler auf seiner Suche in das wilde Kambodscha vor, in dieses nie genesene Land ohne Gedächtnis, immer verzweifelter durchforstet er seine Erinnerungen nach einem Hinweis, was passiert sein könnte. Bis er begreift, dass er den Freund nur retten kann, wenn er mit ihm verschwindet.
"Peng, peng, peng, und dann den Kopf in Flugmodus. Friedemann Karig hat den Reiseroman neu erfunden. Nur eigentlich ist das mehr als ein Roman, nämlich eine Hymne an das Jungsein und Wildwerden. Und das ist groß." Max Scharnigg
"Der finale Reiseführer zum Ich." BR 20190618
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 29.10.2019Du musst dein Leben ändern
Und dafür gegebenenfalls nach Kambodscha reisen: Friedemann Karigs Initiationsroman "Dschungel"
Zwei Milliarden Menschen sind als Touristen auf dem Globus unterwegs - und sie haben als Fluchtgrund nur die Suche nach Abwechslung, Spaß, Erlebnis. Unterwegssein wird von Menschen offenbar überwiegend als positiv empfunden. Auch Schriftsteller haben immer gern vom Reisen erzählt, kamen die buchenswerten Erfahrungen dabei doch von außen auf sie zu; es galt nur Augen und Ohren aufzusperren. So leicht geht das heute, wo der Overtourism zur Plage des Planeten geworden ist und selbst auf dem Himalaja Gedrängel herrscht, allerdings nicht mehr.
Ein cleverer Autor inszeniert seine Figur deshalb als widerwillig Reisenden, so wie es der 1982 geborene Friedemann Karig, der bisher mit einem Sachbuch über das "Ende der Monogamie" hervorgetreten ist, in seinem Debütroman "Dschungel" tut. Sein namenloser Ich-Erzähler steigt nur gezwungenermaßen und zum Verdruss seiner anhänglichen Freundin Lea in den Flieger. Sein Jugendfreund Felix ist verschollen, irgendwo weit hinten in Kambodscha; auf Anrufe reagiert er nicht. Und nun drängt ihn Felix' Mutter, eine selbstgerechte, manipulative Frau, doch bitte nach ihrem Sohn zu suchen; nur er, der gute, alte Freund, könne das. Sie hat das Flugticket schon gebucht.
Kambodscha - so weit muss man heute entfliehen, um verlorenzugehen, ohne dass eine gute Handy-Ortung, die Polizei oder hilfreiche Botschaftsangehörige das Abenteuer der Suche beeinträchtigen. Der Erzähler begibt sich befremdet in die Zonen des Exotismus, interessiert sich wenig für traumhafte Strände, unternimmt halsbrecherische Busfahrten ins Hinterland, verirrt sich auf eine gespenstische Toteninsel aus der Zeit der Killing Fields. Er bekommt es mit Drogenhändlern und Pseudo-Piraten zu tun. Und fast überall, wo er auftaucht, sind schon ein paar Hippies oder Backpacker vor Ort. Immer wieder zeigt der Erzähler sein Foto von Felix herum; meist erntet er Kopfschütteln oder die hintersinnige Feststellung, dass dieser Felix ja wie er selbst aussehe. Natürlich; die Suche wird auch zur Suche nach dem Selbst. Der Erzähler entfremdet sich per Smartphone zunehmend von seiner Freundin Lea, die das geordnete Leben daheim im Zweisamkeitsidyll repräsentiert. Er hat eine Affäre mit einer Frau, die zuvor schon eine Affäre mit Felix hatte - auch dies eine Spur, eine Annäherung, ebenso das Handy des Verschollenen, das er in einer Motel-Matratze findet. Das Gerät gibt jedoch nicht mehr her als das Foto einer weiteren Insel als nächsten Hinweis im Versteckspiel, das am Ende in den tiefsten Dschungel führt.
Die Reise wird als Parallelaktion erzählt. Während der Ich-Erzähler durch immer unwegsamere Regionen Kambodschas streift, finden in regelmäßigen Rückblenden Erinnerungsreisen in Kindheit und Jugend statt. Es werden Schlüsselszenen einer heiklen Freundschaft erzählt, viel Irritierendes, misslingende Mutproben, Momente des Verrats. Und schnell zeigt sich: Es ist nicht das erste Mal, dass Felix es an Verlässlichkeit und Rationalität fehlen lässt. Schon die Eingangsszene des Romans, eine der Jugenderinnerungen, beschreibt ein Muster: Die beiden Freunde stehen auf einer Klippe über einem Abgrund, der Erzähler ist nicht schwindelfrei, aber Felix zwingt ihn immer näher an die Kante und spielt mit ihm das Ich-lass-mich-gleich-fallen-Spiel, bis der Erzähler sich überwindet und Felix zurückreißt. Wiederholt begibt sich Felix in riskante, selbstzerstörerische Situationen, aus denen ihn der Erzähler rettet, etwa wenn er ihn im letzten Moment davor bewahrt, von einer Gruppe Kampfsportler, die er sinnlos provoziert hat, zusammengeschlagen zu werden. Dank dafür bekommt er nie. Und wenn er selbst Hilfe oder Solidarität von Felix gebrauchen könnte, entzieht sich dieser. Als der Erzähler bei einem jugendlichen Sauf-Exzess den Alkohol nicht gut verträgt und fortan von den Mitschülern mit dem Spitznamen "Kotze" gemobbt wird, kündigt Felix die Freundschaft erst einmal auf. Wer solche Freunde hat, braucht keine Feinde, könnte man schließen; dennoch scheint gerade die Unzuverlässigkeit die Bindung noch zu verstärken, so wie in Liebesbeziehungen der Partner, der sich entzieht, den anderen dadurch oft nur fester an sich heftet - Proust hat es gelegentlich beschrieben. Gerade das Bizarre, Unberechenbare seines Verhaltens macht Felix für den Erzähler interessant, auch wenn die jugendliche Existenzphilosophie, mit der Felix sein Verhalten überhöht, etwas halbgar anmutet. Sie hat die Aura des Dezisionismus: Entscheidung ist alles, du musst dein Leben ändern. Und gegebenenfalls nach Kambodscha reisen.
Die Reise als Initiationserfahrung und Schwellenerlebnis - das ist ein großes Thema in Adoleszenz-Romanen. Man denke an Wolfgang Herrndorfs "Tschick" oder an "Junger Mann" von Wolf Haas. Es geht in diesen Büchern um die Abnabelung von der Herkunftswelt. Damit verbunden ist die Inszenierung erst wunderlicher, dann wunderbarer Freundschaften wie die zwischen Maik Klingenberg und Tschick oder die zwischen dem jungen Mann und dem Lastwagenfahrer Tscho. Während es nicht an Romanen mangelt, die die Ambivalenzen und Abgründe der Liebe ausloten, wird Freundschaft meist verklärt, als hätte sie nicht auch oft ihre dunklen Seiten, ihre Widrigkeiten und Geheimnisse, ihren untergründigen Hass. Eine Freundschaft darzustellen, die von alldem geprägt ist - das ist Friedemann Karig eindrucksvoll gelungen.
Sicher lassen sich auch Einwände geltend machen. Einige Metaphern und Cliffhanger wirken allzu forciert. Wie eine Pflichtübung wirkt es mittlerweile, wenn in Romanen popkulturelle Referenzen eingeflochten werden, in diesem Fall Songzeilen von Radiohead oder Pink Floyd. Zutreffend, wenn auch wenig originell ist die Kritik an den Verheerungen des Tourismus, insbesondere jenes Tourismus, der kein pauschaler sein will und sich mit seinen Geheimtipps und Individualrouten als Speerspitze des Verhängnisses erweist. Der Backpacker planiert den Weg für den Rollkoffer. Und nicht wirklich überzeugend ist ein Kapitel gegen Ende, das als Erklärung für die ungute Freundschaftsdynamik eine gleichsam psychoanalytische Urszene nachreicht. Das Reizthema des verdrängten sexuellen Missbrauchs kommt hier ins Spiel, wobei als Täterin zur Abwechslung eine toxische Mutter firmiert. Dieses Muster der Wiederkehr des "Verdrängten" ist schon in zu vielen Filmen und Romanen als Konfliktlösung abgenutzt worden.
Aber das sind kleine, verzeihliche Schwächen eines Romans, der zu den stärksten Debüts des Jahres zählt: abenteuerlich und intelligent zugleich, fesselnd geschrieben und in den Grundmotiven sorgfältig durchgearbeitet. Eines dieser Motive ist der Gegensatz von Vergessen und Erinnern. Kambodscha ist eine Metapher dafür: ein Land, in dem unter der bauernsozialistischen Diktatur Pol Pots Entsetzliches geschehen ist, von dem die Nachgeborenen oft nur noch wenig wissen. Und irgendwo dort gibt es eine Insel, auf der die Einheimischen einen mysteriösen Trank brauen, der auf Gedächtnisinhalte wie die Löschtaste am Computer wirkt. Dort treffen sich Felix und der Erzähler zum Showdown ihrer Freundschaft wieder.
WOLFGANG SCHNEIDER
Friedemann Karig:
"Dschungel". Roman.
Ullstein Verlag, Berlin 2019. 384 S., geb., 22,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Und dafür gegebenenfalls nach Kambodscha reisen: Friedemann Karigs Initiationsroman "Dschungel"
Zwei Milliarden Menschen sind als Touristen auf dem Globus unterwegs - und sie haben als Fluchtgrund nur die Suche nach Abwechslung, Spaß, Erlebnis. Unterwegssein wird von Menschen offenbar überwiegend als positiv empfunden. Auch Schriftsteller haben immer gern vom Reisen erzählt, kamen die buchenswerten Erfahrungen dabei doch von außen auf sie zu; es galt nur Augen und Ohren aufzusperren. So leicht geht das heute, wo der Overtourism zur Plage des Planeten geworden ist und selbst auf dem Himalaja Gedrängel herrscht, allerdings nicht mehr.
Ein cleverer Autor inszeniert seine Figur deshalb als widerwillig Reisenden, so wie es der 1982 geborene Friedemann Karig, der bisher mit einem Sachbuch über das "Ende der Monogamie" hervorgetreten ist, in seinem Debütroman "Dschungel" tut. Sein namenloser Ich-Erzähler steigt nur gezwungenermaßen und zum Verdruss seiner anhänglichen Freundin Lea in den Flieger. Sein Jugendfreund Felix ist verschollen, irgendwo weit hinten in Kambodscha; auf Anrufe reagiert er nicht. Und nun drängt ihn Felix' Mutter, eine selbstgerechte, manipulative Frau, doch bitte nach ihrem Sohn zu suchen; nur er, der gute, alte Freund, könne das. Sie hat das Flugticket schon gebucht.
Kambodscha - so weit muss man heute entfliehen, um verlorenzugehen, ohne dass eine gute Handy-Ortung, die Polizei oder hilfreiche Botschaftsangehörige das Abenteuer der Suche beeinträchtigen. Der Erzähler begibt sich befremdet in die Zonen des Exotismus, interessiert sich wenig für traumhafte Strände, unternimmt halsbrecherische Busfahrten ins Hinterland, verirrt sich auf eine gespenstische Toteninsel aus der Zeit der Killing Fields. Er bekommt es mit Drogenhändlern und Pseudo-Piraten zu tun. Und fast überall, wo er auftaucht, sind schon ein paar Hippies oder Backpacker vor Ort. Immer wieder zeigt der Erzähler sein Foto von Felix herum; meist erntet er Kopfschütteln oder die hintersinnige Feststellung, dass dieser Felix ja wie er selbst aussehe. Natürlich; die Suche wird auch zur Suche nach dem Selbst. Der Erzähler entfremdet sich per Smartphone zunehmend von seiner Freundin Lea, die das geordnete Leben daheim im Zweisamkeitsidyll repräsentiert. Er hat eine Affäre mit einer Frau, die zuvor schon eine Affäre mit Felix hatte - auch dies eine Spur, eine Annäherung, ebenso das Handy des Verschollenen, das er in einer Motel-Matratze findet. Das Gerät gibt jedoch nicht mehr her als das Foto einer weiteren Insel als nächsten Hinweis im Versteckspiel, das am Ende in den tiefsten Dschungel führt.
Die Reise wird als Parallelaktion erzählt. Während der Ich-Erzähler durch immer unwegsamere Regionen Kambodschas streift, finden in regelmäßigen Rückblenden Erinnerungsreisen in Kindheit und Jugend statt. Es werden Schlüsselszenen einer heiklen Freundschaft erzählt, viel Irritierendes, misslingende Mutproben, Momente des Verrats. Und schnell zeigt sich: Es ist nicht das erste Mal, dass Felix es an Verlässlichkeit und Rationalität fehlen lässt. Schon die Eingangsszene des Romans, eine der Jugenderinnerungen, beschreibt ein Muster: Die beiden Freunde stehen auf einer Klippe über einem Abgrund, der Erzähler ist nicht schwindelfrei, aber Felix zwingt ihn immer näher an die Kante und spielt mit ihm das Ich-lass-mich-gleich-fallen-Spiel, bis der Erzähler sich überwindet und Felix zurückreißt. Wiederholt begibt sich Felix in riskante, selbstzerstörerische Situationen, aus denen ihn der Erzähler rettet, etwa wenn er ihn im letzten Moment davor bewahrt, von einer Gruppe Kampfsportler, die er sinnlos provoziert hat, zusammengeschlagen zu werden. Dank dafür bekommt er nie. Und wenn er selbst Hilfe oder Solidarität von Felix gebrauchen könnte, entzieht sich dieser. Als der Erzähler bei einem jugendlichen Sauf-Exzess den Alkohol nicht gut verträgt und fortan von den Mitschülern mit dem Spitznamen "Kotze" gemobbt wird, kündigt Felix die Freundschaft erst einmal auf. Wer solche Freunde hat, braucht keine Feinde, könnte man schließen; dennoch scheint gerade die Unzuverlässigkeit die Bindung noch zu verstärken, so wie in Liebesbeziehungen der Partner, der sich entzieht, den anderen dadurch oft nur fester an sich heftet - Proust hat es gelegentlich beschrieben. Gerade das Bizarre, Unberechenbare seines Verhaltens macht Felix für den Erzähler interessant, auch wenn die jugendliche Existenzphilosophie, mit der Felix sein Verhalten überhöht, etwas halbgar anmutet. Sie hat die Aura des Dezisionismus: Entscheidung ist alles, du musst dein Leben ändern. Und gegebenenfalls nach Kambodscha reisen.
Die Reise als Initiationserfahrung und Schwellenerlebnis - das ist ein großes Thema in Adoleszenz-Romanen. Man denke an Wolfgang Herrndorfs "Tschick" oder an "Junger Mann" von Wolf Haas. Es geht in diesen Büchern um die Abnabelung von der Herkunftswelt. Damit verbunden ist die Inszenierung erst wunderlicher, dann wunderbarer Freundschaften wie die zwischen Maik Klingenberg und Tschick oder die zwischen dem jungen Mann und dem Lastwagenfahrer Tscho. Während es nicht an Romanen mangelt, die die Ambivalenzen und Abgründe der Liebe ausloten, wird Freundschaft meist verklärt, als hätte sie nicht auch oft ihre dunklen Seiten, ihre Widrigkeiten und Geheimnisse, ihren untergründigen Hass. Eine Freundschaft darzustellen, die von alldem geprägt ist - das ist Friedemann Karig eindrucksvoll gelungen.
Sicher lassen sich auch Einwände geltend machen. Einige Metaphern und Cliffhanger wirken allzu forciert. Wie eine Pflichtübung wirkt es mittlerweile, wenn in Romanen popkulturelle Referenzen eingeflochten werden, in diesem Fall Songzeilen von Radiohead oder Pink Floyd. Zutreffend, wenn auch wenig originell ist die Kritik an den Verheerungen des Tourismus, insbesondere jenes Tourismus, der kein pauschaler sein will und sich mit seinen Geheimtipps und Individualrouten als Speerspitze des Verhängnisses erweist. Der Backpacker planiert den Weg für den Rollkoffer. Und nicht wirklich überzeugend ist ein Kapitel gegen Ende, das als Erklärung für die ungute Freundschaftsdynamik eine gleichsam psychoanalytische Urszene nachreicht. Das Reizthema des verdrängten sexuellen Missbrauchs kommt hier ins Spiel, wobei als Täterin zur Abwechslung eine toxische Mutter firmiert. Dieses Muster der Wiederkehr des "Verdrängten" ist schon in zu vielen Filmen und Romanen als Konfliktlösung abgenutzt worden.
Aber das sind kleine, verzeihliche Schwächen eines Romans, der zu den stärksten Debüts des Jahres zählt: abenteuerlich und intelligent zugleich, fesselnd geschrieben und in den Grundmotiven sorgfältig durchgearbeitet. Eines dieser Motive ist der Gegensatz von Vergessen und Erinnern. Kambodscha ist eine Metapher dafür: ein Land, in dem unter der bauernsozialistischen Diktatur Pol Pots Entsetzliches geschehen ist, von dem die Nachgeborenen oft nur noch wenig wissen. Und irgendwo dort gibt es eine Insel, auf der die Einheimischen einen mysteriösen Trank brauen, der auf Gedächtnisinhalte wie die Löschtaste am Computer wirkt. Dort treffen sich Felix und der Erzähler zum Showdown ihrer Freundschaft wieder.
WOLFGANG SCHNEIDER
Friedemann Karig:
"Dschungel". Roman.
Ullstein Verlag, Berlin 2019. 384 S., geb., 22,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main