Anfang der siebziger Jahre schrieb Ursula Lebert für die Frauenzeitschrift Brigitte eine Serie über jung verheiratete Paare in der ganzen Bundesrepublik. Sie berichtete über die realen Verhältnisse, die Träume, Hoffnungen und Pläne der jungen Eheleute. Dreißig Jahre später nahm ihr Sohn mit einigen von ihnen wieder Kontakt auf, um herauszufinden, was aus ihnen geworden ist. Die Reportagen von früher stehen den Gesprächsaufzeichnungen von heute gegenüber.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 09.12.2002Da kann wirklich Lust am Heiraten entstehen
Besser als eine Fernsehshow: Mutter und Sohn Lebert berichten über langjährige Ehen
Drei- bis viermal hat - statistisch gesehen - der Bundesbürger die Chance, jemanden zu treffen, der so gut zu ihm paßt, daß die beiden ein Leben lang zusammenbleiben. Das ist das Ergebnis aus Umfragen in den siebziger Jahren und wird sich auch bis heute nicht wesentlich verändert haben. Die Trefferquote für den idealen Partner ist also nicht eben hoch, und so entstehen aus diesen mehr zufälligen Bekanntschaften Ehen, die teilweise schon nach kurzem zerbrechen, teilweise aber auch tatsächlich lebenslang halten. Die Autoren Ursula und Stephan Lebert sind der Frage nachgegangen, warum das so ist.
Im Jahrzehnt von 1972 bis 1982 hat die Journalistin Ursula Lebert für die Zeitschrift "Brigitte" eine Reihe von Porträts junger Ehepaare verfaßt: Ehepaare aus allen Regionen der westdeutschen Republik, aus den verschiedensten sozialen Bereichen, mit unterschiedlichen Vorstellungen von der Ehe. Diese Porträts sind leuchtende Mosaiksteinchen aus einem Bild der damaligen Zeit, sie zeigen nicht nur die jungen Paare, sondern auch die sozioökonomische Kulisse der siebziger Jahre. Damals, als das Märkische Viertel in Berlin aus dem Boden gestampft wurde, als junge Männer sich noch entschließen konnten, Bergmann zu werden, als in Hamburg-Steilshoop mit Mitteln des sozialen Wohnungsbaus ein Gebäude für die Bedürfnisse von Wohngemeinschaften errichtet wurde. Eine Zeit des Aufbruchs, in der die in den späten sechziger Jahren errungene Loslösung vom sogenannten Establishment ausgelebt wurde.
Was ist aus diesen Ehen geworden? Wie haben sich die Menschen verändert, die sich damals zu Lebensgemeinschaften zusammenschlossen? Ursula Leberts Sohn Stephan, auch er Journalist, ist der Frage nachgegangen. Er hat sieben der damals porträtierten Ehepaare nach dreißig Jahren aufgesucht und beschreibt ihre jetzigen Lebensumstände. Aus diesen Gegenüberstellungen ist ein wunderbares Buch entstanden, das den Leser nicht nur über die dargestellten Lebens- und Zeitumstände nachdenken läßt, sondern immer wieder auch über das eigene Leben: Was wäre, wenn? Stephan Lebert hat diese Frage nicht ruhen lassen: Er wollte wissen, wann eine Ehe Chancen hat auf Beständigkeit. Er hat im Anhang eine beachtliche Zahl von Büchern aufgeführt, die zu lesen ihm bei der Bearbeitung dieser Frage sinnvoll schien, er hat den auf Ehefragen spezialisierten Psychotherapeuten Karl Herbert Mandel im Ruhestand aufgestört, den schon seine Mutter bei ihren Recherchen konsultiert hatte. Er gibt zu, daß die Beschäftigung mit Eheverläufen ihn geradezu süchtig gemacht hat, darüber nachzudenken, wie wohl irgendeine ihm bekannte Paarbeziehung weitergehen mag.
Und doch ist das Ergebnis der Bemühungen nur, daß sich auch hier die Natur des Schleiers nicht berauben läßt. Warum die im scheinbar stabilen Bergmannsmilieu gegründete Familie zerbrach, warum aber die offene Ehe mit einander zugestandenen Affären mehr als dreißig Jahre hielt, muß letztlich offenbleiben. Hilfreich zur Stabilisierung einer Ehe sind Kinder und gemeinsamer Besitz (die beide aber möglicherweise emotional längst erfolgte Trennungen auch verhindern), hilfreich ist die Bereitschaft, gemeinsam auch schlechte Zeiten durchzustehen, hilfreich ist eine gemeinsam entwickelte Vorstellung vom Zusammenleben. Ob das alles im Einzelfall aber reicht, um eine Beziehung über Jahrzehnte zu tragen, läßt sich nicht voraussagen.
Beide Autoren haben die Fähigkeit, in knapper Sprache ein detailreiches Bild der jeweiligen Situation zu erstellen. Sie nehmen den Leser mit bei den Besuchen in die verschiedenen Wohnungen, sind bei ihrer Berichterstattung nie sentimental und lassen auch den dargestellten Personen genug Raum, um ihre Geschichten zu entwickeln. Die eigenen Kommentare und Fragen zum Erlebten werden nie aufdringlich formuliert, sondern eher anregend. So ist ein faszinierendes Buch entstanden, das sich nicht nur gut liest, sondern Lust auf weiterführende Gedankenspiele weckt: Wie gehen Geschichten weiter? Das Buch sei wie eine Fernsehshow, sagt Stephan Lebert in der Einleitung. Das ist Unsinn. Es ist viel besser.
GANGOLF SEITZ
Ursula und Stephan Lebert: "Du bist mein Augenstern". Was die Zeit aus Ehen macht. Blessing Verlag, München 2002. 192 S., geb., 19,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Besser als eine Fernsehshow: Mutter und Sohn Lebert berichten über langjährige Ehen
Drei- bis viermal hat - statistisch gesehen - der Bundesbürger die Chance, jemanden zu treffen, der so gut zu ihm paßt, daß die beiden ein Leben lang zusammenbleiben. Das ist das Ergebnis aus Umfragen in den siebziger Jahren und wird sich auch bis heute nicht wesentlich verändert haben. Die Trefferquote für den idealen Partner ist also nicht eben hoch, und so entstehen aus diesen mehr zufälligen Bekanntschaften Ehen, die teilweise schon nach kurzem zerbrechen, teilweise aber auch tatsächlich lebenslang halten. Die Autoren Ursula und Stephan Lebert sind der Frage nachgegangen, warum das so ist.
Im Jahrzehnt von 1972 bis 1982 hat die Journalistin Ursula Lebert für die Zeitschrift "Brigitte" eine Reihe von Porträts junger Ehepaare verfaßt: Ehepaare aus allen Regionen der westdeutschen Republik, aus den verschiedensten sozialen Bereichen, mit unterschiedlichen Vorstellungen von der Ehe. Diese Porträts sind leuchtende Mosaiksteinchen aus einem Bild der damaligen Zeit, sie zeigen nicht nur die jungen Paare, sondern auch die sozioökonomische Kulisse der siebziger Jahre. Damals, als das Märkische Viertel in Berlin aus dem Boden gestampft wurde, als junge Männer sich noch entschließen konnten, Bergmann zu werden, als in Hamburg-Steilshoop mit Mitteln des sozialen Wohnungsbaus ein Gebäude für die Bedürfnisse von Wohngemeinschaften errichtet wurde. Eine Zeit des Aufbruchs, in der die in den späten sechziger Jahren errungene Loslösung vom sogenannten Establishment ausgelebt wurde.
Was ist aus diesen Ehen geworden? Wie haben sich die Menschen verändert, die sich damals zu Lebensgemeinschaften zusammenschlossen? Ursula Leberts Sohn Stephan, auch er Journalist, ist der Frage nachgegangen. Er hat sieben der damals porträtierten Ehepaare nach dreißig Jahren aufgesucht und beschreibt ihre jetzigen Lebensumstände. Aus diesen Gegenüberstellungen ist ein wunderbares Buch entstanden, das den Leser nicht nur über die dargestellten Lebens- und Zeitumstände nachdenken läßt, sondern immer wieder auch über das eigene Leben: Was wäre, wenn? Stephan Lebert hat diese Frage nicht ruhen lassen: Er wollte wissen, wann eine Ehe Chancen hat auf Beständigkeit. Er hat im Anhang eine beachtliche Zahl von Büchern aufgeführt, die zu lesen ihm bei der Bearbeitung dieser Frage sinnvoll schien, er hat den auf Ehefragen spezialisierten Psychotherapeuten Karl Herbert Mandel im Ruhestand aufgestört, den schon seine Mutter bei ihren Recherchen konsultiert hatte. Er gibt zu, daß die Beschäftigung mit Eheverläufen ihn geradezu süchtig gemacht hat, darüber nachzudenken, wie wohl irgendeine ihm bekannte Paarbeziehung weitergehen mag.
Und doch ist das Ergebnis der Bemühungen nur, daß sich auch hier die Natur des Schleiers nicht berauben läßt. Warum die im scheinbar stabilen Bergmannsmilieu gegründete Familie zerbrach, warum aber die offene Ehe mit einander zugestandenen Affären mehr als dreißig Jahre hielt, muß letztlich offenbleiben. Hilfreich zur Stabilisierung einer Ehe sind Kinder und gemeinsamer Besitz (die beide aber möglicherweise emotional längst erfolgte Trennungen auch verhindern), hilfreich ist die Bereitschaft, gemeinsam auch schlechte Zeiten durchzustehen, hilfreich ist eine gemeinsam entwickelte Vorstellung vom Zusammenleben. Ob das alles im Einzelfall aber reicht, um eine Beziehung über Jahrzehnte zu tragen, läßt sich nicht voraussagen.
Beide Autoren haben die Fähigkeit, in knapper Sprache ein detailreiches Bild der jeweiligen Situation zu erstellen. Sie nehmen den Leser mit bei den Besuchen in die verschiedenen Wohnungen, sind bei ihrer Berichterstattung nie sentimental und lassen auch den dargestellten Personen genug Raum, um ihre Geschichten zu entwickeln. Die eigenen Kommentare und Fragen zum Erlebten werden nie aufdringlich formuliert, sondern eher anregend. So ist ein faszinierendes Buch entstanden, das sich nicht nur gut liest, sondern Lust auf weiterführende Gedankenspiele weckt: Wie gehen Geschichten weiter? Das Buch sei wie eine Fernsehshow, sagt Stephan Lebert in der Einleitung. Das ist Unsinn. Es ist viel besser.
GANGOLF SEITZ
Ursula und Stephan Lebert: "Du bist mein Augenstern". Was die Zeit aus Ehen macht. Blessing Verlag, München 2002. 192 S., geb., 19,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Für immer und ewig?
Gleich auf der ersten Seite macht Stephan Lebert deutlich, was ihn zu dem Projekt Du bist mein Augenstern bewogen hat: Es war die Neugierde. Als seine Mutter, Journalistin bei der Zeitschrift Brigitte, Anfang der 70er Jahre frisch verheiratete Paare zu ihren Hoffnungen und Lebenszielen befragte, war viel von Romantik und "wir machen alles anders" die Rede. 30 Jahre später wollte Lebert, ebenfalls Journalist, herausfinden: "Wer hat es wohl geschafft, wer ist noch zusammen? Welche der Ehen hat gehalten, bis heute?"
Von Hoffnungen und Wünschen
Die sieben Paare, die Lebert besucht hat, könnten unterschiedlicher nicht sein. Sie kommen aus allen sozialen Schichten, arbeiten in den verschiedensten Berufen und haben vollkommen verschiedene Beziehungskonzepte. Manche lebten nach ihrer Heirat in trauter Zweisamkeit, andere führten eine offene Beziehung. Das Patentrezept für ein gemeinsames Glück jedoch hatte keines der Paare.
Erstens kommt es anders und zweitens als man denkt
Es ist spannend und zum Teil auch anrührend zu lesen, wie sich die Beziehungen entwickelten. Den Texten Ursula Leberts aus den 70er Jahren sind die heutigen ihres Sohnes gegenübergestellt. Wie nicht anders zu erwarten, haben sich viele Paare scheiden lassen, manche ehemaligen Ehepartner haben keinerlei Kontakt mehr, andere sind gute Freunde geworden, wieder andere haben sich scheiden lassen, um erneut zu heiraten. Du bist mein Augenstern ist eine vergnügliche Lektüre - die aber auch ihre bitteren Momente hat, denn wirklich glücklich ist keiner der Befragten geworden.
(Eva Hepper, literaturtest.de)
Gleich auf der ersten Seite macht Stephan Lebert deutlich, was ihn zu dem Projekt Du bist mein Augenstern bewogen hat: Es war die Neugierde. Als seine Mutter, Journalistin bei der Zeitschrift Brigitte, Anfang der 70er Jahre frisch verheiratete Paare zu ihren Hoffnungen und Lebenszielen befragte, war viel von Romantik und "wir machen alles anders" die Rede. 30 Jahre später wollte Lebert, ebenfalls Journalist, herausfinden: "Wer hat es wohl geschafft, wer ist noch zusammen? Welche der Ehen hat gehalten, bis heute?"
Von Hoffnungen und Wünschen
Die sieben Paare, die Lebert besucht hat, könnten unterschiedlicher nicht sein. Sie kommen aus allen sozialen Schichten, arbeiten in den verschiedensten Berufen und haben vollkommen verschiedene Beziehungskonzepte. Manche lebten nach ihrer Heirat in trauter Zweisamkeit, andere führten eine offene Beziehung. Das Patentrezept für ein gemeinsames Glück jedoch hatte keines der Paare.
Erstens kommt es anders und zweitens als man denkt
Es ist spannend und zum Teil auch anrührend zu lesen, wie sich die Beziehungen entwickelten. Den Texten Ursula Leberts aus den 70er Jahren sind die heutigen ihres Sohnes gegenübergestellt. Wie nicht anders zu erwarten, haben sich viele Paare scheiden lassen, manche ehemaligen Ehepartner haben keinerlei Kontakt mehr, andere sind gute Freunde geworden, wieder andere haben sich scheiden lassen, um erneut zu heiraten. Du bist mein Augenstern ist eine vergnügliche Lektüre - die aber auch ihre bitteren Momente hat, denn wirklich glücklich ist keiner der Befragten geworden.
(Eva Hepper, literaturtest.de)
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Anfang der siebziger Jahre führte die Journalistin Ursula Lebert für die Zeitschrift "Brigitte" eine Reihe von Interviews mit Vertreterinnen und Vertretern einer damals nicht mehr selbstverständlich erscheinenden Lebensform. Sie befragte junge Paare, die entgegen dem Zeitgeist geheiratet hatten, berichtet Franziska Sperr. Drei Jahrzehnte später hat, führt die Rezensentin weiter aus, Leberts Sohn Stephan, auch Journalist, einige dieser Menschen wieder aufgesucht und nachgefragt, was aus ihren Träumen, Visionen und Ideen von damals geworden ist. Das Ergebnis sei, so Sperr, durchaus gemischt, ein Teil lebe heute in Trennung, ein kleiner Teil glücklich, ein Teil eher pragmatisch zusammen. Da dass aber wohl, schmunzelt die Rezensentin, den Leberts zu wenig war, lassen sie in ihr Buch die Ergebnisse soziologischer Studien und psychotherapeutische Kenntnisse einfließen, als ob, grübelt Sperr, die eigens gewonnenen Erkenntnisse nicht ausreichten.
© Perlentaucher Medien GmbH
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