Was man über das Privatleben junger Menschen in China erfährt, hat man so bisher noch nirgends gelesen. Der brutale Realismus dieser Erzählungen ist krasser und eindringlicher als jedes politische Manifest.
»Willst du uns sagen, wer dich zu der Dunkelparty eingeladen hat?« »Das war keine Dunkelparty. Nur der Strom war abgeschaltet, wie immer zu dieser Zeit.« »Hattest du beim Tanzen sexuelle Kontakte?« »Wenn ich tanze, dann tue ich nichts als tanzen.« »Das ist Frau Dr. Chn. Sie möchte dich kurz untersuchen.« »Wieso untersuchen?«
Das Wort »Intimsphäre« gibt es im Chinesischen nicht, und wer eine Party im Studentenheim feiert, muß damit rechnen, daß plötzlich der Sicherheitsdienst vor der Tür steht, die Personalausweise sehen will und alles durchwühlt. Männer wie Frauen werden in vielfacher Hinsicht gedemütigt, wenn sie nach Freiheit oder persönlichem Glück streben. - Lingyuan Luo, die seit Jahren auf deutsch schreibt, erzählt von der Willkür und Schamlosigkeit, mit denen der Einzelne unterdrückt wird. In acht prägnanten, oft geradezu krassen Geschichten zeigt die Autorin, daß Gewalt und Willkür im High-Tech-Dickicht der großen chinesischen Städte genauso zu Hause sind wie auf dem Land.
»Willst du uns sagen, wer dich zu der Dunkelparty eingeladen hat?« »Das war keine Dunkelparty. Nur der Strom war abgeschaltet, wie immer zu dieser Zeit.« »Hattest du beim Tanzen sexuelle Kontakte?« »Wenn ich tanze, dann tue ich nichts als tanzen.« »Das ist Frau Dr. Chn. Sie möchte dich kurz untersuchen.« »Wieso untersuchen?«
Das Wort »Intimsphäre« gibt es im Chinesischen nicht, und wer eine Party im Studentenheim feiert, muß damit rechnen, daß plötzlich der Sicherheitsdienst vor der Tür steht, die Personalausweise sehen will und alles durchwühlt. Männer wie Frauen werden in vielfacher Hinsicht gedemütigt, wenn sie nach Freiheit oder persönlichem Glück streben. - Lingyuan Luo, die seit Jahren auf deutsch schreibt, erzählt von der Willkür und Schamlosigkeit, mit denen der Einzelne unterdrückt wird. In acht prägnanten, oft geradezu krassen Geschichten zeigt die Autorin, daß Gewalt und Willkür im High-Tech-Dickicht der großen chinesischen Städte genauso zu Hause sind wie auf dem Land.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 23.06.2005Wo kein Hahn kräht
Luo Lingyuans Geschichten alltäglicher Brutalität in China
Luo Lingyuan verbrachte die ersten sechsundzwanzig Jahre ihres Lebens in China. Sie verließ das Land 1989 nach der blutigen Niederschlagung der Studentenproteste, seither lebt und schreibt sie in Deutschland. Die Erinnerungen an ihre Heimat hat sie in einer Reihe von Erzählungen festgehalten, denn diese Erinnerungen, lässt uns der Begleittext wissen, versetzen Lingyuan in eine Welt, die sie auch heute noch „unruhig macht”.
Das Wort „unruhig” ist hier allerdings ganz fehl am Platz. Was Luo Lingyuan zu erzählen hat, ist nämlich nicht beunruhigend, sondern erschreckend - nicht, weil man nichts davon wüsste, sondern weil es am Beispiel einfacher Schicksale so eindringlich vorgeführt wird. Hier gibt es keine Hoffung, keinen Ausgleich, keinen Witz - nicht einmal Wut. Nur das ohnmächtige Ausgeliefertsein gegenüber Behörden, Parteigängern, Polizisten. „Du fliegst jetzt für meinen Sohn aus dem fünften Stock!” erzählt elf Geschichten aus dem Leben junger Chinesen, die eines gemeinsam haben: die Ahnungslosigkeit gegenüber der blinden Härte, mit der die Alltagsbrutalität hereinbrechen wird.
In der Titelgeschichte versteckt der Bauer Wang Mang seine Frau in einer geheimen Kammer seines Hauses, weil sie zum dritten Mal schwanger wurde und zum Abtreiben gezwungen werden soll. Ziviler Ungehorsam, der auf lange Sicht wohl geduldet werden wird - was soll man auch machen, wenn das Kind erst mal da ist? Doch die Frau hat gerade entbunden, da kommt Zhao von der Familienplanungskommission ins Dorf und lässt das Haus, das er mehrmals erfolglos durchsucht hatte, von einem Bulldozer platt machen. Wang Mangs Familie bleibt unter den Trümmern begraben.
Lingyuans Erzählband ist eine Sammlung solcher Planierungsgeschichten. In jeder walzt es über Leben und Wünsche eines Menschen hinweg. Lingyuan erzählt krass realistisch, berichtet mit einfacher Sprache ohne Dramatisierung. Der Schock sitzt trotzdem tief, zumal die Geschichten stets ihren Anfang nehmen beim kleinen Glück des Nichtsahnenden: dem Bauernleben Wang Mangs mit Jaucheduft und Entenschnattern, dem Spaziergang Frischverliebter in einer warmen Nacht am Damm des Westsees, der heimlichen Freude beim Walzer-Tanzen im Studentenwohnheim.
Die Studenten werden vom Sicherheitsdienst gestellt, und weil gerade die Kampagne gegen geistige Verschmutzung ins Leben gerufen wurde, muss Yuyan den Nachweis führen, nicht „illegal entjungfert” worden zu sein. „Willst Du uns sagen, wer die zur Dunkelparty eingeladen hat? - Das war keine Dunkelparty. Nur der Strom war abgeschaltet, wie immer zu dieser Zeit. - Hattest Du beim Tanzen sexuelle Kontakte? - Wenn ich tanze, dann tue ich nichts als tanzen. - „Das ist Frau Dr. Chen. Sie möchte dich kurz untersuchen. - Wieso untersuchen?”
Willkür gegen Leib und Leben gibt es in vielen Ländern, doch nirgendwo dürfte sie derart mit der Geringschätzung des einzelnen Menschen einhergehen wie in China. Kein Hahn kräht nach den Verschwundenen, Misshandelten, Gedemütigten und Gemeuchelten, mit denen nahezu jede dieser Episoden ihr Ende findet. Vielleicht hat Lingyuan die Hilflosigkeit und die Einsamkeit ihrer Protagonisten etwas übertrieben - als Leser möchte man jedenfalls nicht wahrhaben, dass Mitgefühl dort eine derart seltene Regung sei. Wie sehr sich aber Gewalt in solchen Gesellschaften in das Privatleben argloser Menschen Bahn bricht, hat man noch selten in derart schmuck- und schonungsloser Konsequenz erzählt bekommen wie hier.
SEBASTIAN HANDKE
LUO LINGYUAN: Du springst jetzt für meinen Sohn aus dem fünften Stock! dtv premium, München 2005. 219 Seiten, 14 Euro.
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Luo Lingyuans Geschichten alltäglicher Brutalität in China
Luo Lingyuan verbrachte die ersten sechsundzwanzig Jahre ihres Lebens in China. Sie verließ das Land 1989 nach der blutigen Niederschlagung der Studentenproteste, seither lebt und schreibt sie in Deutschland. Die Erinnerungen an ihre Heimat hat sie in einer Reihe von Erzählungen festgehalten, denn diese Erinnerungen, lässt uns der Begleittext wissen, versetzen Lingyuan in eine Welt, die sie auch heute noch „unruhig macht”.
Das Wort „unruhig” ist hier allerdings ganz fehl am Platz. Was Luo Lingyuan zu erzählen hat, ist nämlich nicht beunruhigend, sondern erschreckend - nicht, weil man nichts davon wüsste, sondern weil es am Beispiel einfacher Schicksale so eindringlich vorgeführt wird. Hier gibt es keine Hoffung, keinen Ausgleich, keinen Witz - nicht einmal Wut. Nur das ohnmächtige Ausgeliefertsein gegenüber Behörden, Parteigängern, Polizisten. „Du fliegst jetzt für meinen Sohn aus dem fünften Stock!” erzählt elf Geschichten aus dem Leben junger Chinesen, die eines gemeinsam haben: die Ahnungslosigkeit gegenüber der blinden Härte, mit der die Alltagsbrutalität hereinbrechen wird.
In der Titelgeschichte versteckt der Bauer Wang Mang seine Frau in einer geheimen Kammer seines Hauses, weil sie zum dritten Mal schwanger wurde und zum Abtreiben gezwungen werden soll. Ziviler Ungehorsam, der auf lange Sicht wohl geduldet werden wird - was soll man auch machen, wenn das Kind erst mal da ist? Doch die Frau hat gerade entbunden, da kommt Zhao von der Familienplanungskommission ins Dorf und lässt das Haus, das er mehrmals erfolglos durchsucht hatte, von einem Bulldozer platt machen. Wang Mangs Familie bleibt unter den Trümmern begraben.
Lingyuans Erzählband ist eine Sammlung solcher Planierungsgeschichten. In jeder walzt es über Leben und Wünsche eines Menschen hinweg. Lingyuan erzählt krass realistisch, berichtet mit einfacher Sprache ohne Dramatisierung. Der Schock sitzt trotzdem tief, zumal die Geschichten stets ihren Anfang nehmen beim kleinen Glück des Nichtsahnenden: dem Bauernleben Wang Mangs mit Jaucheduft und Entenschnattern, dem Spaziergang Frischverliebter in einer warmen Nacht am Damm des Westsees, der heimlichen Freude beim Walzer-Tanzen im Studentenwohnheim.
Die Studenten werden vom Sicherheitsdienst gestellt, und weil gerade die Kampagne gegen geistige Verschmutzung ins Leben gerufen wurde, muss Yuyan den Nachweis führen, nicht „illegal entjungfert” worden zu sein. „Willst Du uns sagen, wer die zur Dunkelparty eingeladen hat? - Das war keine Dunkelparty. Nur der Strom war abgeschaltet, wie immer zu dieser Zeit. - Hattest Du beim Tanzen sexuelle Kontakte? - Wenn ich tanze, dann tue ich nichts als tanzen. - „Das ist Frau Dr. Chen. Sie möchte dich kurz untersuchen. - Wieso untersuchen?”
Willkür gegen Leib und Leben gibt es in vielen Ländern, doch nirgendwo dürfte sie derart mit der Geringschätzung des einzelnen Menschen einhergehen wie in China. Kein Hahn kräht nach den Verschwundenen, Misshandelten, Gedemütigten und Gemeuchelten, mit denen nahezu jede dieser Episoden ihr Ende findet. Vielleicht hat Lingyuan die Hilflosigkeit und die Einsamkeit ihrer Protagonisten etwas übertrieben - als Leser möchte man jedenfalls nicht wahrhaben, dass Mitgefühl dort eine derart seltene Regung sei. Wie sehr sich aber Gewalt in solchen Gesellschaften in das Privatleben argloser Menschen Bahn bricht, hat man noch selten in derart schmuck- und schonungsloser Konsequenz erzählt bekommen wie hier.
SEBASTIAN HANDKE
LUO LINGYUAN: Du springst jetzt für meinen Sohn aus dem fünften Stock! dtv premium, München 2005. 219 Seiten, 14 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension
Die Rezensentin Nicole Henneberg freut sich über diese Geschichten der seit 1990 in Berlin lebenden und auf deutsch schreibenden Exil-Chinesin Luo Lingyuan, weil sie stark mit dem Eigensinn sympathisieren, der zum Überleben im China der Achtziger Jahre notwendig war - und trotzdem die harte Wirklichkeit keineswegs idealisieren. Die Realität in den Kurzgeschichten mit ihrem "starr reglementierten Alltag" sei noch weit davon entfernt, wie frei etwa die in der Literatur ebenfalls stark präsente Shanghaier Jugend heutzutage lebt: Lingyuan beschäftige sich nicht nur mit der zunehmenden bürgerlichen Freiheiten, sondern auch mit dem Schock nach deren plötzlicher Einschränkung mit dem Massaker am Platz des Himmlischen Friedens in Peking 1989. "Wie auf dünnem Eis bewegen sich die Figuren, die äußere Ruhe trügt".
© Perlentaucher Medien GmbH
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