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Die Briefe eines jüdischen Forschers, der in Wissenschaft und Freundschaft gängige Konventionen durchbrichtDie Briefe des strenggläubigen Juden und herausragenden Altphilologen Jacob Bernays, der in einem protestantischen Umfeld seinen Platz behauptete, an den Schriftsteller Paul Heyse sind das ergreifende Zeugnis einer Freundschaft: Voll Witz, Ironie und zärtlicher Hingabe, durchbrochen von Momenten der Resignation, spiegeln Bernays' Briefe nicht nur seine intensive Beziehung zu dem späteren Literaturnobelpreisträger, sondern u.a. auch die Freundschaft zu dem Historiker Theodor Mommsen…mehr

Produktbeschreibung
Die Briefe eines jüdischen Forschers, der in Wissenschaft und Freundschaft gängige Konventionen durchbrichtDie Briefe des strenggläubigen Juden und herausragenden Altphilologen Jacob Bernays, der in einem protestantischen Umfeld seinen Platz behauptete, an den Schriftsteller Paul Heyse sind das ergreifende Zeugnis einer Freundschaft: Voll Witz, Ironie und zärtlicher Hingabe, durchbrochen von Momenten der Resignation, spiegeln Bernays' Briefe nicht nur seine intensive Beziehung zu dem späteren Literaturnobelpreisträger, sondern u.a. auch die Freundschaft zu dem Historiker Theodor Mommsen wider.Die Briefe, entstanden zwischen 1849 und 1878, vermitteln Einblicke in zentrale Themen von Bernays' Forschungen, wie etwa in die Arbeit am Buch zur Katharsis bei Aristoteles, das sowohl für Nietzsche als auch für Freud und Breuer wichtig wurde, sowie in seine umfangreiche Beschäftigung mit der Weltliteratur.Sie lassen den Leser teilhaben am Denken eines der unbestechlichsten Köpfe der Epoche, dessen genaues Urteil das politische Geschehen der Zeit treffend analysiert. Damit bieten sie ein »exemplarisches Stück Bildungsgeschichte in kaum mehr erreichbarem weltliterarischem Horizont« (Bernhard Böschenstein).
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Autorenporträt
Jacob Bernays (1824-1881) war klassischer Philologe, ab 1853 Dozent am jüdisch-theologischen Seminar in Breslau (Fraenkelsche Stiftung), ab 1866 Direktor der Universitätsbibliothek in Bonn.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 22.02.2011

Subtiler Schnupperkurs
Eau de Raffinesse: Jacob Bernays schreibt Paul Heyse

Das Unzeitgemäße an Jacob Bernays, dem über die Grenzen Deutschlands hinaus bis heute nachwirkenden Altphilologen, war seine geradezu halsstarrige Treue. Im assimilierungswütigen neunzehnten Jahrhundert bekannte sich der Sohn des Hamburger Oberrabbiners Isaak Bernays ungewöhnlich offen zur Religion seiner Ahnen. Dieser Entscheidung opferte er nicht nur manch familiäre Beziehung (mit dem Bruder brach er, nachdem dieser zum Christentum konvertiert war), sondern auch seine in Bonn begonnene akademische Laufbahn.

Der staatliche Universitätsbetrieb sah sich noch nicht in der Lage, Juden in den Kreis ihrer Professorenschaft aufzunehmen. So verbrachte Jacob Bernays sein halbes Gelehrtenleben am neu gegründeten jüdisch-theologischen Seminar im Breslauer Exil. Dorthin folgte ihm 1854 der wegen seiner liberalen Ansichten gleichfalls in akademische Quarantäne geschickte Historiker Theodor Mommsen - offenbar der einzige Lichtblick in Bernays' Leben, "weil ich außer Mommsen, Niemand habe, der mir ein ernstes Interesse einflößt".

Nach genauerer Kenntnis des Nachlasses kann dies allenfalls noch als halbe Wahrheit gelten. Denn treu war Bernays nicht nur im religiösen Sinne; Treue hielt er auch seinen irdischen Göttern. Mit dem sechs Jahre jüngeren Studenten Paul Heyse verband ihn eine innige Freundschaft. Dass Heyses Biographen diese prägende Beziehung des späteren Jahrhundertschriftstellers mit keiner Zeile würdigten, mag wohl an den sittlichen Vorstellungen der Zeit gelegen haben. Mit dem Geplänkel zwischen Männern wusste man zu dieser auch im pädagogischen Sinne nachplatonischen Epoche nur wenig anzufangen.

Die jetzt von William M. Calder III und Timo Günther herausgegebenen Briefe Jacob Bernays' umreißen die Jahre von 1849, unmittelbar nachdem sich die beiden Männer an der Bonner Universität begegnen, bis 1878, als Briefe nur noch gelegentlich ausgetauscht werden und die Freundschaft schließlich zum Erliegen kommt. "Es ist schade", schrieb Heyse an einen gemeinsamen Freund, "dass seine feinen Fühlfäden nur nach dem Fertigen, nicht nach dem Werdenden sich hinstrecken, so daß nur historische Gespräche mit ihm zu führen sind, und da ich ein Mensch von heute und übermorgen bin, haben wir beide doch eigentlich nichts aneinander."

Geht man den Gründen nach, die zum rasanten Popularitätsverlust des einst unter den Fittichen des bayrischen Königs so sagenhaft erfolgreichen Schriftstellers Paul Heyse geführt haben, kann man dem nur noch eingeschränkt zustimmen. Als Anhänger eines an Goethe geschulten Idealismus galt der erste deutsche Literatur-Nobelpreisträger vielen als hoffnungslos rückwärtsgewandt. Die aufstrebenden Naturalisten sahen in ihm bloß den phantasielosen Epigonen, gefangen in altertümelnden Stoffen und romantisierenden Motiven. "Heyse lesen", meinte sein Kontrahent Konrad Alberti, "heißt ein Mensch ohne Geschmack sein - Heyse bewundern, heißt ein Lump sein."

Jacob Bernays bewunderte Heyse, und er tat es nicht nur mit dem Kopf des Gelehrten, sondern mit dem Herzen eines Liebenden. "Du bist freilich noch kein ausgewachsener Messias, aber Du liegst doch schon in der Krippe", schreibt er dem Freund: "Lord of my love", "geliebter Schalk", "Anima mea". So schön singt die Nachtigall, zumal es sich bei Bernays um einen kunstsinnigen Sänger handelt, dessen Sublimierungsgeschick das tatsächliche Ausmaß dieser Männerbeziehung geschickt im Dunkeln lässt. Auch die Herausgeber erliegen nicht der möglicherweise ernüchternden Versuchung, zwischen all den ausgetauschten Bruderküssen nach fleischlichen Evidenzen zu suchen. Paul Heyse jedenfalls war ein verheirateter Mann und Frauenschwarm, woran seine Beziehung zu Bernays nicht das Geringste ändern konnte. Die beiden pflegten wohl eine höhere Form der Freundschaft, ein erotisch-heroisch aufgeladenes Männerbündnis, wie es in früheren Jahrhunderten durchaus üblich war und in dem Frauen in ihrem "unbändigen, willenlosen Wollen", wie Bernays es einmal formuliert, höchstens als lässliche Randfiguren vorkommen. So liest sich der oftmals um philologische Details, neueste Lesefrüchte und Manuskripte kreisende Briefwechsel auch als Absage an das bürgerliche Familienleben.

"Wer hat Dir mein schmucker Zeisig gesagt, dass ich zu den Leuten gehöre, die partout eine ,harmonische Lösung' haben wollen?" Dass Bernays auch intellektuell nie nach "harmonischen Lösungen" suchte, zeigte die erst im vergangenen Jahr erschienene Studie des Gräzisten Jean Bollack ("Ein Mensch zwischen zwei Welten. Der Philologe Jacob Bernays", Wallstein Verlag, Göttingen 2009), der Bernays als Anwalt eines dezidiert jüdisch-griechischen Humanismus darstellte. Auch die eindrucksvolle Biographie von Hans Israel Bach ("Jacob Bernays. Ein Beitrag zur Emanzipationsgeschichte der Juden und zur Geschichte des deutschen Geistes im neunzehnten Jahrhundert", J.C.B. Mohr, Tübingen 1974) hat Bernays als maßgeblichen intellektuellen Außenseiter seiner Zeit ein Denkmal gesetzt.

Nun lernen wir ihn auch als glänzenden Stilisten in der Gattung des Liebesbriefs kennen. Jacob Bernays schrieb vor Nietzsche und Freud über die Katharsis im Sinne einer dionysischen Triebabfuhr und konnte um Liebe betteln wie ein unerlöster Froschkönig. Dabei schrieb er so hintersinnig, dass es ein Vergnügen ist, ihm auch in seinem Liebestaumel zu folgen: ein entwaffnendes Werben und Leiden am Entzug, bei dem Paul Heyse, der sich für den sicheren Hafen der Ehe entschied, am Ende nur herzlos pragmatisch wirkt.

"Von bedeutenden Menschen habe ich hier eigentlich nur einen kennengelernt, den Philologen Bernays", schrieb Theodor Mommsen. "Halb Rabbi, halb vielseitiger Mensch, von den großartigsten Kenntnissen, die mir vorgekommen sind, und dabei gründlich unpoetisch und voll Schrullen und Unannehmlichkeiten ... Trotz Renommierens mit Charakterfestigkeit doch ein eiserner Charakter; stinkt beständig und schwärmt für Eau de mille fleurs." Und Jacob Bernays, der am Ende doch noch nach Bonn berufen wurde, erläuterte diese Vorliebe in einem Brief an Paul Heyse: "Du mußt mich oft ein bisschen erquicken mein Eau de Cologne-Springbrunnen!" Die Vorlieben und Geschmäcker ändern sich, Jacob Bernays blieb sich treu.

KATHARINA TEUTSCH

Jacob Bernays: "Du, von dem ich lebe!" Briefe an Paul Heyse.

Herausgegeben von W. M. Calder III, T. Günther. Wallstein Verlag, Göttingen 2010. 325 S., geb. 24,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Wie gut, dass es das Duftbuch nicht gibt. Die parfümierten Briefe des blitzgescheiten Altphilologen Jacob Bernays an seinen "Zeisig" und "Eau de Cologne-Springbrunnen" Paul Heyse würde Katharina Teutsch sonst wohl nur halb so gern lesen. So aber freut sie sich am Hintersinn (auch im Liebestaumel), am glänzenden Stil und am Sublimierungsgeschick des Liebesbriefschreibers Bernays. Den Herausgebern William Calder und Timo Günther dankt sie dafür, nicht nach fleischlichen Entsprechungen der schriftlichen Beteuerungen zu fahnden, sondern dieses "erotisch-heroische" Herrenbündnis als solches einfach stehenzulasssen, verstanden allenfalls als Ausdruck einer antibürgerlichen Haltung, übrigens eingebettet in philologische Lektüre- und Arbeitsgespräche.

© Perlentaucher Medien GmbH