Sylvia Plath und Ted Hughes verliebten sich 1956 und heirateten schon nach wenigen Monaten. Dass sie beide dichteten, war wesentlich für die Anziehung zwischen ihnen. Beide waren ehrgeizig, getrieben zu ihrer Kunst und von Herzen gewillt, sich gegenseitig zu fördern und zu fordern. Sechs Jahre lang. Bis Hughes mit einer anderen Frau ein Kind zeugte, und Plath, zermürbt von dem Balanceakt zwischen Muttersein und Schreiben, in Depressionen versank und sich schließlich im Februar 1963 das Leben nahm.
Diane Middlebrook führt die Geschichte des Künstlerpaares weit über Sylvia Plaths Tod hinaus fort. Die letzten Kapitel widmet sie Ted Hughes, den die Bedeutung dieser großen Liebe und seiner Rolle als Sylvias Ehemann bis zu seinem Tod 1998 nicht losließ. Der Autorin gelingt das Kunststück, die Beziehung der beiden nirgendwo auf Fragen von Schuld und voyeuristische Details zu reduzieren. Klug und voll Umsicht arbeitet sie die Faszination wie die Nöte heraus, die ein Paar erlebt, wenn es sich im Geist so nahe ist und gleichzeitig Kunst, Alltag und Familienleben zu bewältigen hat.
Diane Middlebrook führt die Geschichte des Künstlerpaares weit über Sylvia Plaths Tod hinaus fort. Die letzten Kapitel widmet sie Ted Hughes, den die Bedeutung dieser großen Liebe und seiner Rolle als Sylvias Ehemann bis zu seinem Tod 1998 nicht losließ. Der Autorin gelingt das Kunststück, die Beziehung der beiden nirgendwo auf Fragen von Schuld und voyeuristische Details zu reduzieren. Klug und voll Umsicht arbeitet sie die Faszination wie die Nöte heraus, die ein Paar erlebt, wenn es sich im Geist so nahe ist und gleichzeitig Kunst, Alltag und Familienleben zu bewältigen hat.
Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
Jürgen Brôcan hat Diane Middlebrooks Doppelbiografie über die amerikanische Lyrikerin Sylvia Plath und den englischen Dichter Ted Hughes sehr freundlich aufgenommen. Er hebt hervor, dass die 2007 verstorbene Autorin, die geläufige Sichtweise, nach der Hughes der allein Schuldige am Selbstmord seiner Frau gilt, in Frage stellt, und eher die Depression Plaths für deren Suizid verantwortlich macht. Middlebrooks essayistische Darstellung schätzt er trotz gelegentlicher Redundanzen als packend und voll von aufschlussreichen Details. Lobend hebt er hervor, dass die Autorin Plath und Hughes nicht erneut als Ikonen zeichnet oder sie als Dichter-Ehepaar stilisiert, sondern als "gewöhnliche Menschen" schildert, die zum Teil eine "bestürzenden Unreife" aufwiesen. Middlebrooks Arbeit zeichnet sich für Brôcan nicht zuletzt dadurch aus, dass sie durch viele Beispiele aus der Lyrik der beiden Dichter die Verschränkung von Leben und Kunst sowie ihre gegenseitige Befruchtung sichtbar macht.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 20.12.2013Wer sich vorwagt, lebt gefährlich wie die Kolumbus-Krabbe
Werke und Tage: Fünfzig Jahre nach dem Tod von Sylvia Plath bereichern zwei Gedichtbände und eine Biographie das Bild der amerikanischen Dichterin auf Deutsch.
Das Jahr 1963 beginnt bitterkalt. Sylvia Plath, einige Monate zuvor von ihrem Mann betrogen, lebt seit kurzem mit ihren zwei kleinen Kindern in London. Sie hat kein Telefon, die Wasserleitungen frieren ein, was das Windelwaschen erschwert, den Kinderwagen schiebt Plath für Besorgungen mühselig durch Eis und Schnee. Sie schreibt mit demselben Furor, mit dem sie Anfang Dezember die Texte für ihren neuen Gedichtband "Ariel" vollendet hat. Allein zwischen dem 28. Januar und dem 5. Februar entstehen zwölf neue Gedichte.
Aber da sind auch Kummer, Kampf und Erschöpfung. Sie bahnen einer Wiederkehr der psychotischen Schübe den Weg, die Plath zehn Jahre zuvor schon einmal hat durchmachen müssen. "Alles ist aufgeblasen & sprudelig & verzerrt & gespalten", notiert sie. In der Nacht zum 11. Februar bereitet sie für ihre schlafenden Kinder Brot und Milch zu, trägt das Frühstück ins Kinderzimmer, dessen Tür sie mit Klebeband versiegelt, dreht in der Küche das Gas auf, stirbt und beginnt ihre Verwandlung zum literarischen Totemtier, angebeteten Opferlamm und Schutzgeist schreibender und lesender Frauen, dessen Kult Ted Hughes, dem verräterischen Ehemann, von den Parteigängern Plaths mehrere Jahrzehnte lang immer wieder symbolisch oder im Kampf um die Beschriftung ihres Grabsteins in Yorkshire auch real entrissen werden muss. Hughes hat nicht nur das Unglück seiner Frau überlebt und arbeitet weiter an seinem eigenen dichterischen Werk, sondern besitzt auch noch die Verfügungsgewalt über Plaths Nachlass. Er bringt Teile heraus und hält andere zurück.
In den Jahren, in denen Sandra Gilbert und Susan Gubar in der Gestalt der Wahnsinnigen auf dem Dachboden das Emblem für die Zwänge entdecken, denen schreibende Frauen im neunzehnten Jahrhundert ausgesetzt waren, verweist die Figur der Dichterin mit dem Kopf im Backofen für ihre Leser auf die Tatsache, dass der Weg der Künstlerin im zwanzigsten Jahrhundert noch immer von Männern abhängig ist und ins Pathologische abgedrängt wird. Plaths Tod wird als so zeichenhaft empfunden, dass Anne Sexton, die ebenso von suizidalen Depressionen heimgesuchte Lyrikerin, mit der Plath sich 1959 in Boston anfreundete, ihrem Therapeuten anvertraut: "Dieser Tod gehörte mir."
So berichtet es Diane Middlebrook in "Du wolltest deine Sterne - Sylvia Plath und Ted Hughes", der Doppelbiographie des Dichterpaares, die in den Vereinigten Staaten vor zehn Jahren erschienen ist und nun endlich auf Deutsch vorliegt. Middlebrook, die vor sechs Jahren gestorbene langjährige Professorin für Feministische Studien in Stanford, hat zum Wert des Überlebens von Mensch oder Werk ihre eigene Meinung. Das Wissen des Lesers über den Februar 1963, schreibt sie, beeinflusse jeden Versuch, Plath und Hughes als Paar zu verstehen. Nur allzu leicht lasse sich die Geschichte der beiden zur Tragödie mit schrecklichem Ende stilisieren. Dagegen stellt sie folgende Beobachtung: "Angesichts ihres künstlerischen Erbes muss man sagen, dass - außer ihrem Leben - nichts geendet hat." Das ist die unbarmherzige, aber den von Plath und Hughes selbst gesetzten Prioritäten auf erfreuliche Weise angemessene Haltung zum Zusammenleben der beiden Dichter, die sich am 25. Februar 1956 auf einer Party in Cambridge begegneten und sich im Sommer 1962 trennten.
Beide sahen ihr Werk als das Entscheidende im Leben an. Plath schreibt im Tagebuch: "Immer halte ich mich daran fest, am Schreiben, drücke es an mich, verteidige, verteidige es." Das hätte ihr Mann genau so formulieren können. Es gibt gute Gründe dafür, mit Middlebrooks Biographie anzunehmen, dass Hughes Plath verlassen und sie sich von ihm trennen konnte, als das bis dahin glückliche Gleichgewicht ihrer Beziehung, in der sie künstlerisch gereift waren, durch die dichterische und persönliche Weiterentwicklung der beiden Partner nicht mehr zu halten war. Bis dahin hatte Plath in Hughes den Ehemann, Liebhaber, Vater und Sohn sehen können, in deren Nähe sie weibliche Lebensweisen und künstlerische Strategien ausprobieren und hinter sich lassen konnte, während er in ihr das Wirken jener Weißen Göttin auf sein Leben verkörpert sah, der ein Mann dem anthropologischen Mythos von Robert Graves zufolge durch magische Rituale wie das Dichten dient.
Damit war es im Frühjahr 1962 in Devon vorbei. Zu den zahlreichen klugen Gedichtanalysen, auf die Middlebrooks doppelte Lebensbeschreibung immer wieder zuläuft, zählen Passagen, in denen sie nachweist, dass sich Symptome innerer Unruhe gerade in Plaths Werken schon zeigen, ehe Hughes die Ehe bricht. "Kalte Leeren nähern sich uns: Sie haben es eilig", heißt es in "Vorahnungen" (in Judith Zanders Übertragung).
Das Werk weiß mehr als sein Schöpfer. Zu der von Middlebrook angemahnten Konzentration auf Plaths dichterisches Schaffen trägt im fünfzigsten Jahr nach ihrem Tod das Erscheinen zweier Gedichtbände bei, die den Umfang ihres auf Deutsch vorliegenden dichterischen OEuvres auf einen Schlag verdreifachen. Plath, deren 1981 von Hughes veröffentlichte "Collected Poems" im Gegensatz zum Roman "Die Glasglocke" sowie zu Briefen und Tagebüchern nicht auf Deutsch vorliegen, ist nun auch hierzulande nicht mehr die tote Verfasserin eines einzigen Gedichtbands, sondern steht dem Leser, abgesehen von einer höchst lebendigen, faktenreichen und souverän gewichtenden Biographie, plötzlich auch mit einem sehr viel umfangreicheren Werk vor Augen.
"Ariel", 1965 von Hughes ohne Rücksicht auf Plaths ursprüngliches Konzept herausgegeben, in den siebziger Jahren von Erich Fried zum ersten und 2008 von Alissa Walser zum zweiten Mal ins Deutsche übertragen, treten nun "Der Koloss", die Übersetzung von Plaths 1960 erschienenem Debütband, und "Übers Wasser", die Übertragung eines der beiden von Hughes 1971 zusammengestellten Bände mit Texten aus Plaths Nachlass, zur Seite. Beide Bände stammen aus einer Hand. Übersetzt hat sie Judith Zander, herausgekommen sind sie nach einem Rechtehandel bei zwei verschiedenen Verlagen, der eine bei Suhrkamp, der andere bei Luxbooks. Beide bieten neben dem deutschen auch den englischen Text.
Damit ist der einzige Gedichtband, den Plath zu Lebzeiten veröffentlichte, nun ebenso auf Deutsch greifbar wie ihre Lyrik aus der Zeit vor dem kreativen Ausbruch von "Ariel", die dem ungleich bekannteren Band im künstlerischen Rang nur wenig nachsteht. Was Middlebrook die "vorbildlose Präzision" von Plaths Spätstil nennt und als "extrem verdichtete Metaphorik in kurzen Verszeilen" definiert ("Jede Zeile eine Falle, die eine emotionale Beute fängt"), zeigt sich auch schon in "Der Koloss", in dem die Gedichte nur um ein Weniges lockerer und länger gearbeitet sind als im ungeheuer verdichteten Nachfolger. In den Gedichten von "Übers Wasser" sind die beutegefüllten Fallen ohnehin auf Schritt und Tritt zu finden.
Wanderungen durch ein unheimliches Diesseits, geprägt von Werden und Vergehen, aber auch von Mächten, die sich dem Einfluss des Menschen entziehen, prägen die Gedichte in "Der Koloss", die zusammengehalten werden durch ein dichtes motivisches Geflecht von Bewegungen zwischen Tod und Leben, Irdischem, Überirdischem und Unterirdischem, das sich in allen Texten bemerkbar macht. Ironisch gespiegelt wird dieses Verfahren in "Pilze", in dem das Verborgene den Waldboden durchstößt und zu sprechen beginnt: "Wir werden am Morgen / Das Erdreich besitzen. / Unser Fuß ist in der Tür."
Auch in "Muschelsucherin bei Rock Harbour" kriechen die Krabben aus ihren Höhlen an der Grenze von Schlamm und Vegetation: "Dem Gras wuchsen Scheren." Eine leere Krabbenschale findet sich weiter den Strand hinauf: "Nicht auszumachen, ob gestorben / Als Einsiedler oder Selbstmörder / Oder sture Kolumbus-Krabbe." Wer sich vorwagt, lebt gefährlich. Deshalb hat sich die Tochter im Titelgedicht in der Ruine ihres Vaterbilds eingerichtet, das sie instand hält, auch wenn die Pflege der gigantischen Statue alles ist, was ihr nun bleibt: "Meine Stunden sind dem Schatten vermählt. / Nicht länger lausche ich auf das Kratzen eines Kiels / Auf den blanken Steinen der Anlegestelle." Es bleibt die Dichtung. "Des Imkers Tochter" spielt schon im "Koloss" mit der Bienenzucht aus den Abschlussgedichten von "Ariel", die vom Honig ebenso wie von der Kunst handeln. Fruchtbarkeit und Tod vermählen sich im Dichten als Sammeln der Welt: "Eine Frucht, die den Tod bringt: dunkles Fleisch, dunkle Schale."
"Übers Wasser", dem jüngeren Band, fehlt die von der Verfasserin geschaffene motivische Einheit. Aber er enthält grandiose Einzelstücke wie "In Gips", in dem das Gipsbett einer Krankenhauspatientin, äußere Hülle ihres Leibes, Frauenrollen der Abhängigkeit und Herrschaft durchspielt, während es das verletzte Selbst zur Unbeweglichkeit zwingt. Aber das ist nicht das letzte Wort: "Ich sammele meine Kräfte; eines Tages komme ich ohne sie aus, / Und dann wird sie zugrundegehen an Leere und anfangen, mich zu vermissen." Oder "Facelifting", in dem dasselbe Thema weiblicher Identität und ihrer Gestaltung mit bösem Humor durchgespielt wird: "Mutter meiner selbst, erwache ich, gewickelt in Gaze, / Rosa und glatt wie ein Baby."
Vieles von Plaths Dichte auf kleinem Raum überträgt Zander exzellent. Im Gedicht "Fasan" heißt es von der beglückenden Gegenwart des wilden Tieres im eigenen Garten: "Er ist ein kleines Füllhorn. / Fliegt knatternd auf, blattbraun und laut." Das kommt dem liebevollen klanglichen Nachvollzug der Erscheinung des Wildnisboten im Original schon sehr nahe: "It's a little cornucopia. / It unclaps, brown as a leaf, and loud." Da Plaths Zeilen metrisch kaum gebunden sind, fällt der im Deutschen oft notwendige und von Zander reichlich beschrittene Ausweg von mehr Silben und Wörtern meist nicht sehr ins Gewicht. Bedauerliche Folgen hat er nur dann, wenn durch ihn Plaths immer klarer, kurzer und bündiger Rhythmus unübersichtlicher wird als im Original. Das ist hier und da der Fall.
Das Deutsch von Barbara von Bechtolsheim hingegen, die Middlebrooks Biographie für die Edition Fünf übertragen hat, geht bisweilen auf englischen Stelzen. Dann ist von "Koinzidenz" die Rede, wenn der "Zufall" genügt hätte. Aber das sind Details. Das Geschick, mit dem Middlebrook ihr überreiches Material anordnet, Mann und Frau und Werk und Leben gegeneinander schneidet, Glück und Schuld gewichtet, entfaltet auch auf Deutsch seine Spannung. Als "vollkommenes gegenseitiges Vertrauen" definierte Hughes die Beziehung der beiden Dichter, ehe er dieses Vertrauen zerstörte. Die Spuren finden sich in Middlebrooks Biographie und in den Gedichten von Sylvia Plath.
FLORIAN BALKE
Sylvia Plath: "Der Koloss". Gedichte. Englisch und Deutsch.
Aus dem Englischen von Judith Zander. Suhrkamp Verlag, Berlin 2013. 163 S., geb., 22,95 [Euro].
Sylvia Plath: "Übers Wasser". Nachgelassene Gedichte. Zweisprachig.
Aus dem Englischen von Judith Zander. Luxbooks, Wiesbaden 2013. 140 S., br., 22,80 [Euro].
Diane Middlebrook: "Du wolltest deine Sterne - Sylvia Plath und Ted Hughes".
Biographie.
Aus dem Englischen von Barbara von Bechtolsheim. Edition Fünf, Gräfelfing, Hamburg 2013. 464 S., geb., 22,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Werke und Tage: Fünfzig Jahre nach dem Tod von Sylvia Plath bereichern zwei Gedichtbände und eine Biographie das Bild der amerikanischen Dichterin auf Deutsch.
Das Jahr 1963 beginnt bitterkalt. Sylvia Plath, einige Monate zuvor von ihrem Mann betrogen, lebt seit kurzem mit ihren zwei kleinen Kindern in London. Sie hat kein Telefon, die Wasserleitungen frieren ein, was das Windelwaschen erschwert, den Kinderwagen schiebt Plath für Besorgungen mühselig durch Eis und Schnee. Sie schreibt mit demselben Furor, mit dem sie Anfang Dezember die Texte für ihren neuen Gedichtband "Ariel" vollendet hat. Allein zwischen dem 28. Januar und dem 5. Februar entstehen zwölf neue Gedichte.
Aber da sind auch Kummer, Kampf und Erschöpfung. Sie bahnen einer Wiederkehr der psychotischen Schübe den Weg, die Plath zehn Jahre zuvor schon einmal hat durchmachen müssen. "Alles ist aufgeblasen & sprudelig & verzerrt & gespalten", notiert sie. In der Nacht zum 11. Februar bereitet sie für ihre schlafenden Kinder Brot und Milch zu, trägt das Frühstück ins Kinderzimmer, dessen Tür sie mit Klebeband versiegelt, dreht in der Küche das Gas auf, stirbt und beginnt ihre Verwandlung zum literarischen Totemtier, angebeteten Opferlamm und Schutzgeist schreibender und lesender Frauen, dessen Kult Ted Hughes, dem verräterischen Ehemann, von den Parteigängern Plaths mehrere Jahrzehnte lang immer wieder symbolisch oder im Kampf um die Beschriftung ihres Grabsteins in Yorkshire auch real entrissen werden muss. Hughes hat nicht nur das Unglück seiner Frau überlebt und arbeitet weiter an seinem eigenen dichterischen Werk, sondern besitzt auch noch die Verfügungsgewalt über Plaths Nachlass. Er bringt Teile heraus und hält andere zurück.
In den Jahren, in denen Sandra Gilbert und Susan Gubar in der Gestalt der Wahnsinnigen auf dem Dachboden das Emblem für die Zwänge entdecken, denen schreibende Frauen im neunzehnten Jahrhundert ausgesetzt waren, verweist die Figur der Dichterin mit dem Kopf im Backofen für ihre Leser auf die Tatsache, dass der Weg der Künstlerin im zwanzigsten Jahrhundert noch immer von Männern abhängig ist und ins Pathologische abgedrängt wird. Plaths Tod wird als so zeichenhaft empfunden, dass Anne Sexton, die ebenso von suizidalen Depressionen heimgesuchte Lyrikerin, mit der Plath sich 1959 in Boston anfreundete, ihrem Therapeuten anvertraut: "Dieser Tod gehörte mir."
So berichtet es Diane Middlebrook in "Du wolltest deine Sterne - Sylvia Plath und Ted Hughes", der Doppelbiographie des Dichterpaares, die in den Vereinigten Staaten vor zehn Jahren erschienen ist und nun endlich auf Deutsch vorliegt. Middlebrook, die vor sechs Jahren gestorbene langjährige Professorin für Feministische Studien in Stanford, hat zum Wert des Überlebens von Mensch oder Werk ihre eigene Meinung. Das Wissen des Lesers über den Februar 1963, schreibt sie, beeinflusse jeden Versuch, Plath und Hughes als Paar zu verstehen. Nur allzu leicht lasse sich die Geschichte der beiden zur Tragödie mit schrecklichem Ende stilisieren. Dagegen stellt sie folgende Beobachtung: "Angesichts ihres künstlerischen Erbes muss man sagen, dass - außer ihrem Leben - nichts geendet hat." Das ist die unbarmherzige, aber den von Plath und Hughes selbst gesetzten Prioritäten auf erfreuliche Weise angemessene Haltung zum Zusammenleben der beiden Dichter, die sich am 25. Februar 1956 auf einer Party in Cambridge begegneten und sich im Sommer 1962 trennten.
Beide sahen ihr Werk als das Entscheidende im Leben an. Plath schreibt im Tagebuch: "Immer halte ich mich daran fest, am Schreiben, drücke es an mich, verteidige, verteidige es." Das hätte ihr Mann genau so formulieren können. Es gibt gute Gründe dafür, mit Middlebrooks Biographie anzunehmen, dass Hughes Plath verlassen und sie sich von ihm trennen konnte, als das bis dahin glückliche Gleichgewicht ihrer Beziehung, in der sie künstlerisch gereift waren, durch die dichterische und persönliche Weiterentwicklung der beiden Partner nicht mehr zu halten war. Bis dahin hatte Plath in Hughes den Ehemann, Liebhaber, Vater und Sohn sehen können, in deren Nähe sie weibliche Lebensweisen und künstlerische Strategien ausprobieren und hinter sich lassen konnte, während er in ihr das Wirken jener Weißen Göttin auf sein Leben verkörpert sah, der ein Mann dem anthropologischen Mythos von Robert Graves zufolge durch magische Rituale wie das Dichten dient.
Damit war es im Frühjahr 1962 in Devon vorbei. Zu den zahlreichen klugen Gedichtanalysen, auf die Middlebrooks doppelte Lebensbeschreibung immer wieder zuläuft, zählen Passagen, in denen sie nachweist, dass sich Symptome innerer Unruhe gerade in Plaths Werken schon zeigen, ehe Hughes die Ehe bricht. "Kalte Leeren nähern sich uns: Sie haben es eilig", heißt es in "Vorahnungen" (in Judith Zanders Übertragung).
Das Werk weiß mehr als sein Schöpfer. Zu der von Middlebrook angemahnten Konzentration auf Plaths dichterisches Schaffen trägt im fünfzigsten Jahr nach ihrem Tod das Erscheinen zweier Gedichtbände bei, die den Umfang ihres auf Deutsch vorliegenden dichterischen OEuvres auf einen Schlag verdreifachen. Plath, deren 1981 von Hughes veröffentlichte "Collected Poems" im Gegensatz zum Roman "Die Glasglocke" sowie zu Briefen und Tagebüchern nicht auf Deutsch vorliegen, ist nun auch hierzulande nicht mehr die tote Verfasserin eines einzigen Gedichtbands, sondern steht dem Leser, abgesehen von einer höchst lebendigen, faktenreichen und souverän gewichtenden Biographie, plötzlich auch mit einem sehr viel umfangreicheren Werk vor Augen.
"Ariel", 1965 von Hughes ohne Rücksicht auf Plaths ursprüngliches Konzept herausgegeben, in den siebziger Jahren von Erich Fried zum ersten und 2008 von Alissa Walser zum zweiten Mal ins Deutsche übertragen, treten nun "Der Koloss", die Übersetzung von Plaths 1960 erschienenem Debütband, und "Übers Wasser", die Übertragung eines der beiden von Hughes 1971 zusammengestellten Bände mit Texten aus Plaths Nachlass, zur Seite. Beide Bände stammen aus einer Hand. Übersetzt hat sie Judith Zander, herausgekommen sind sie nach einem Rechtehandel bei zwei verschiedenen Verlagen, der eine bei Suhrkamp, der andere bei Luxbooks. Beide bieten neben dem deutschen auch den englischen Text.
Damit ist der einzige Gedichtband, den Plath zu Lebzeiten veröffentlichte, nun ebenso auf Deutsch greifbar wie ihre Lyrik aus der Zeit vor dem kreativen Ausbruch von "Ariel", die dem ungleich bekannteren Band im künstlerischen Rang nur wenig nachsteht. Was Middlebrook die "vorbildlose Präzision" von Plaths Spätstil nennt und als "extrem verdichtete Metaphorik in kurzen Verszeilen" definiert ("Jede Zeile eine Falle, die eine emotionale Beute fängt"), zeigt sich auch schon in "Der Koloss", in dem die Gedichte nur um ein Weniges lockerer und länger gearbeitet sind als im ungeheuer verdichteten Nachfolger. In den Gedichten von "Übers Wasser" sind die beutegefüllten Fallen ohnehin auf Schritt und Tritt zu finden.
Wanderungen durch ein unheimliches Diesseits, geprägt von Werden und Vergehen, aber auch von Mächten, die sich dem Einfluss des Menschen entziehen, prägen die Gedichte in "Der Koloss", die zusammengehalten werden durch ein dichtes motivisches Geflecht von Bewegungen zwischen Tod und Leben, Irdischem, Überirdischem und Unterirdischem, das sich in allen Texten bemerkbar macht. Ironisch gespiegelt wird dieses Verfahren in "Pilze", in dem das Verborgene den Waldboden durchstößt und zu sprechen beginnt: "Wir werden am Morgen / Das Erdreich besitzen. / Unser Fuß ist in der Tür."
Auch in "Muschelsucherin bei Rock Harbour" kriechen die Krabben aus ihren Höhlen an der Grenze von Schlamm und Vegetation: "Dem Gras wuchsen Scheren." Eine leere Krabbenschale findet sich weiter den Strand hinauf: "Nicht auszumachen, ob gestorben / Als Einsiedler oder Selbstmörder / Oder sture Kolumbus-Krabbe." Wer sich vorwagt, lebt gefährlich. Deshalb hat sich die Tochter im Titelgedicht in der Ruine ihres Vaterbilds eingerichtet, das sie instand hält, auch wenn die Pflege der gigantischen Statue alles ist, was ihr nun bleibt: "Meine Stunden sind dem Schatten vermählt. / Nicht länger lausche ich auf das Kratzen eines Kiels / Auf den blanken Steinen der Anlegestelle." Es bleibt die Dichtung. "Des Imkers Tochter" spielt schon im "Koloss" mit der Bienenzucht aus den Abschlussgedichten von "Ariel", die vom Honig ebenso wie von der Kunst handeln. Fruchtbarkeit und Tod vermählen sich im Dichten als Sammeln der Welt: "Eine Frucht, die den Tod bringt: dunkles Fleisch, dunkle Schale."
"Übers Wasser", dem jüngeren Band, fehlt die von der Verfasserin geschaffene motivische Einheit. Aber er enthält grandiose Einzelstücke wie "In Gips", in dem das Gipsbett einer Krankenhauspatientin, äußere Hülle ihres Leibes, Frauenrollen der Abhängigkeit und Herrschaft durchspielt, während es das verletzte Selbst zur Unbeweglichkeit zwingt. Aber das ist nicht das letzte Wort: "Ich sammele meine Kräfte; eines Tages komme ich ohne sie aus, / Und dann wird sie zugrundegehen an Leere und anfangen, mich zu vermissen." Oder "Facelifting", in dem dasselbe Thema weiblicher Identität und ihrer Gestaltung mit bösem Humor durchgespielt wird: "Mutter meiner selbst, erwache ich, gewickelt in Gaze, / Rosa und glatt wie ein Baby."
Vieles von Plaths Dichte auf kleinem Raum überträgt Zander exzellent. Im Gedicht "Fasan" heißt es von der beglückenden Gegenwart des wilden Tieres im eigenen Garten: "Er ist ein kleines Füllhorn. / Fliegt knatternd auf, blattbraun und laut." Das kommt dem liebevollen klanglichen Nachvollzug der Erscheinung des Wildnisboten im Original schon sehr nahe: "It's a little cornucopia. / It unclaps, brown as a leaf, and loud." Da Plaths Zeilen metrisch kaum gebunden sind, fällt der im Deutschen oft notwendige und von Zander reichlich beschrittene Ausweg von mehr Silben und Wörtern meist nicht sehr ins Gewicht. Bedauerliche Folgen hat er nur dann, wenn durch ihn Plaths immer klarer, kurzer und bündiger Rhythmus unübersichtlicher wird als im Original. Das ist hier und da der Fall.
Das Deutsch von Barbara von Bechtolsheim hingegen, die Middlebrooks Biographie für die Edition Fünf übertragen hat, geht bisweilen auf englischen Stelzen. Dann ist von "Koinzidenz" die Rede, wenn der "Zufall" genügt hätte. Aber das sind Details. Das Geschick, mit dem Middlebrook ihr überreiches Material anordnet, Mann und Frau und Werk und Leben gegeneinander schneidet, Glück und Schuld gewichtet, entfaltet auch auf Deutsch seine Spannung. Als "vollkommenes gegenseitiges Vertrauen" definierte Hughes die Beziehung der beiden Dichter, ehe er dieses Vertrauen zerstörte. Die Spuren finden sich in Middlebrooks Biographie und in den Gedichten von Sylvia Plath.
FLORIAN BALKE
Sylvia Plath: "Der Koloss". Gedichte. Englisch und Deutsch.
Aus dem Englischen von Judith Zander. Suhrkamp Verlag, Berlin 2013. 163 S., geb., 22,95 [Euro].
Sylvia Plath: "Übers Wasser". Nachgelassene Gedichte. Zweisprachig.
Aus dem Englischen von Judith Zander. Luxbooks, Wiesbaden 2013. 140 S., br., 22,80 [Euro].
Diane Middlebrook: "Du wolltest deine Sterne - Sylvia Plath und Ted Hughes".
Biographie.
Aus dem Englischen von Barbara von Bechtolsheim. Edition Fünf, Gräfelfing, Hamburg 2013. 464 S., geb., 22,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 20.01.2014Sarkophag mit Tigerstreifen
Zwei Gedichtbände und eine Doppelbiographie zeigen, wie eng die Werke des gescheiterten Ehepaares Ted Hughes und Sylvia Plath verzahnt sind
Sechs Jahre führten sie ein gemeinsames Leben, bis Ted Hughes’ Affäre mit Assia Wevill ihre Ehe zerrüttete und sich Sylvia Plath am 11. Februar 1963 im eiskalten Londoner Winter das Leben nahm. Die Geschichte dieser Ehe ist zu einem modernen Mythos geworden, angefeuert von der Sensationsgier einer ins Private vordringenden Öffentlichkeit, die sich alles aneignete, was normalerweise mit gutem Grund verborgen bleibt. Die 1932 in Boston geborene Sylvia Plath war gerade dreißig geworden, sie hatte nur einen Gedichtband, „The Colossus“ (1960), und soeben ihren ersten Roman, „The Bell Jar“, veröffentlicht, als sie durch ihren Selbstmord mit einem Schlag berühmt wurde.
„Ich wollte alles ein für allemal erledigen und dann fertig sein“, überlegt Esther Greenwood, ihr Alter Ego in „Die Glasglocke“. In seiner Mischung aus starkem Ehrgeiz, patenter Hausfraulichkeit und depressiver Erschöpfung wirkt dieser Wille wie das Fatum ihres Ruhms. Der Roman, von dem sie sich ihren endgültigen Durchbruch erhoffte, erschien im Januar 1963, in einer Lebensphase, in der sie nach der Trennung von Ted Hughes das Wiederaufflammen der Psychose spürte, deren Behandlung eines der Romanthemen ist. Trotz aller Wunden, die er bei ihren Angehörigen schlug, war ihr Selbstmord zweifellos der kürzeste Weg auf den Olymp, wo sie zunächst als Ikone des aufkommenden Feminismus Platz nahm.
An kaum einem Schriftsteller der Moderne lässt sich das Zusammenspiel von Leben, Werk und Tod und seine Bedeutung für den Nachruhm so anschaulich studieren wie bei Sylvia Plath. Dazu gehört, dass Ted Hughes, der im Studentenmilieu von Cambridge, wo sie sich im Februar 1956 auf einer Party kennenlernten, und während ihrer Ehe der bekanntere Dichter war, zum Herausgeber ihres nachgelassenen Werks wurde. Plötzlich wurde er vor allem als Ehemann wahrgenommen, dem viele die Schuld am Tod seiner Frau gaben. Seine Herausgeberschaft geriet überdies ins Zwielicht, als man feststellte, dass er nicht nur Tagebücher und Briefe redigiert hatte, sondern auch jenes Konvolut von Gedichten, dem Sylvia Plath selbst noch den Titel „Ariel“ gegeben hatte.
In einem Klemmordner lag es auf ihrem Schreibtisch, als sie den Kopf in den Backofen schob, während die damals dreijährige Frieda und der neun Monate alte Nicholas im sorgfältig mit feuchten Handtüchern abgedichteten Kinderzimmer schliefen. „Ariel“ sollte ihr berühmtester Gedichtband werden und begründete ihren Ruf als wichtigste amerikanische Dichterin nach Emily Dickinson. Erst 2004 erschien er auf Englisch in der ursprünglichen Fassung, 2008 auf Deutsch. In der von Ted Hughes besorgten Ausgabe fehlen einige Gedichte, die er als zu privat angesehen hatte, andere aus dem Nachlass hatte er eingefügt.
In der Außenwahrnehmung dieser Ehe spielte Ted Hughes lange die Rolle des Bösewichts, während man Sylvia Plath heiligsprach, ausgerechnet wegen ihres Selbstmords, wie ihre Tochter Frieda Hughes im Vorwort zur Urfassung von „Ariel“ beklagte. Doch Leser, die sich für die inneren Gesetzmäßigkeiten eines Werks interessieren und nicht nur für Lebensgeschichten, wissen spätestens seit Ted Hughes Gedichtband „Birthday Letters“, der 1998 kurz vor seinem Tod erschien, wie stark sich die beiden wechselseitig beeinflusst haben. Seine Weltsicht hat sich noch zu Lebzeiten in ihr Werk eingeprägt. Ihr Einfluss auf ihn war nach ihrem Tod stärker als zuvor.
Durch die glückliche Koinzidenz dreier Publikationen, die nun auf Deutsch erschienen sind, kann man das Kreativitätspotential dieser transatlantischen Ehe aus nächster Nähe nachvollziehen. Sie scheiterte im Leben, nicht aber in der Kunst. Der Suhrkamp Verlag hat endlich die erste deutsch-englische Ausgabe von „Der Koloss“ publiziert, dem einzigen zu Lebzeiten von Sylvia Plath erschienenen Gedichtband. Offenbar geschah das auf Druck des kleinen Luxbooks Verlags, an den sich die Schriftstellerin Judith Zander vor drei Jahren mit einer Übersetzung von „Crossing the Water“, einer Gedichtsammlung aus dem Nachlass, gewandt hatte. Weil Suhrkamp seine Option auf die deutschen Rechte geltend machte, konnte die Publikation erst nach einer Crowdfunding-Kampagne geschehen, so zumindest stellt es der Verleger Christian Lux in einem Begleitschreiben zu „Übers Wasser“ dar.
Wie auch immer: erfreulicherweise liegen nun zwei Gedichtbände von Sylvia Plath in der Übersetzung von Judith Zander vor. Sie zeigt sich ihrem schwierigen Gegenstand eindrucksvoll gewachsen, auch wenn ihr die Lockerheit eines Erich Fried, der die erste „Ariel“-Ausgabe übersetzte, und die Kühnheit von Alissa Walser, die für Suhrkamp die deutsche Erstausgabe der Urfassung von „Ariel“ besorgte, fehlen. Zwar schmerzen einige ungelenke Verse, in der sie der wörtlichen Bedeutung Vorrang vor dem Klang oder der stilistischen Eleganz einräumt. Aber das hat auch mit der grammatischen Umständlichkeit des Deutschen zu tun. So wird etwa aus „This is not death, it is something safer“, dem klangvollen Vers des großen Gedichts „Poem for a Birthday“, das Sylvia Plaths ersten Gedichtband abschließt (und viele Jahre später in Ted Hughes „Birthday Letters“ ein Echo findet): „Dies ist nicht der Tod, es ist etwas Sichereres.“ Das Wiegende des Originals klingt durch den hässlichen deutschen Komparativ wie ein Stottern oder Krächzen.
Auch die direkte Verdopplung eines Wortes klingt unbeholfen. Etwa wenn in dem Gedicht „Faun“ aus „Until all owls in the twigged forest / Flapped black to look and brood“ die Verse werden: „Bis alle Eulen im zweigwirren Wald / Schwarz aufflatterten, um um sich zu schauen“.
Dennoch gelingt es Judith Zander den Wandel in der Dichtung von Sylvia Plath sichtbar zu machen. Hat der Debütband noch etwas kühl Statuarisches, das sich am Kanon orientiert und das lyrische Ich eher vermeidet, entdeckt sie es später als dichterisches Kraftzentrum. In einem BBC-Interview von 1962 bekennt sie, wie schwer es ihr falle, in einem Gedicht so vieles auf engem Raum sagen zu müssen und all die Dinge des täglichen Lebens, die Pflege der Kinder und des Haushalts, den weiblichen Schmuck und Tand aus ihrer Lyrik fern zu halten. Und doch findet sie am Ende ihres Lebens zu großer poetischer Freiheit.
Ein geradezu epischer Erzählwunsch paart sich mit konzentrierter Energie zu einem lyrischen Furor, der alles aussprechen kann: Zartheit, Einsamkeit, Fremdheit, Nähe und die ständige Bedrohung durch die eigene Todessehnsucht. Bizarre und zugleich völlig transparente Bilder jagen einander, ohne gesucht zu wirken. Der Kunstwille der frühen Gedichte weicht einer stets spürbaren Dringlichkeit, die unter Sylvia Plaths geübter Feder die Gestalt somnambuler Poesie annimmt. So beginnt das Gedicht „Letzte Worte“: „Ich will keine einfache Kiste, ich will einen Sarkophag / Mit Tigerstreifen und einem Gesicht / Rund wie der Mond, um heraufzustarren. / Ich will sie angucken, wenn sie kommen, / Herumstochern zwischen den stummen Mineralien, den Wurzeln.“
Ebenfalls ein ambitionierter Kleinverlag, die Hamburger edition fünf, legt unter dem Titel „Du wolltest deine Sterne“ die überaus lesenswerte Doppelbiografie der 2007 verstorbenen amerikanischen Professorin und Lyrikerin Diane Middlebrook auf Deutsch vor. Im 2003 publizierten Original heißt sie „Her Husband“, in Anspielung auf die Rolle von Ted Hughes nach dem Tod von Sylvia Plath. Die Lebensstationen beider Dichter erzählt sie anschaulich und unpathetisch, bis hin zu den Jahren, in denen sich Ted Hughes intensiv um seine Kinder kümmerte und nach dem Selbstmord seiner Geliebten Assia Wevill, die ihre gemeinsame Tochter mit in den Tod nahm, eine zweite Ehe einging.
Es geht Middlebrook liegt nicht um die Verteilung von Credit Points für untadelige Lebensführung. Erfreulich unakademisch erkundet sie das Zusammenwirken zweier Autoren, die in Herkunft und Temperament höchst unterschiedlich waren und sich umso fruchtbarer von einander inspirieren ließen. So zeigt sie, wie die zwischen Depression und forcierter Munterkeit schwankende Sylvia Plath von Ted Hughes mythologischer Weltsicht angezogen wurde. Seine Vorliebe für die Jagd, seine Gewaltobsession, seine fehlende Scheu vor Schmutz und dem Chaos des Unbewussten wanderten in ihre Bildwelt ein. Ted Hughes wiederum, Zeit seines Lebens ein Anhänger der Astrologie, baute seine ländliche Herkunft aus South Yorkshire unter dem Einfluss von Sylvia Plath zu einer Privatmythologie aus. Bis er sie bei ihrem Besuch in seiner Heimat alle Eindrücke in ein Notizbuch eintragen sah, hatte er sich kaum für die Geschichten seiner Eltern interessiert. Eine zeitlang wurden die mündlichen Erzählkünste seiner Mutter und ihre keltische Herkunft zum Vorbild seiner poetischen Stimme.
Am aufregendsten aber ist, wie die intensive Lektüre der Tagebücher, Briefe und nachgelassenen Schriften von Sylvia Plath im Lauf der Jahre seine eigene Poetik verwandelte. Als sie sich kennenlernten, war er ein glühender Verehrer des damals in Cambridge sehr populären Robert Graves. Dessen Glorifizierung des Weiblichen konnte er zu ihren Lebzeiten nicht mit dem Eifer in Einklang bringen, mit dem sie sich der Mutterschaft widmete. Für sie gehörte das Muttersein unbedingt zur Weiblichkeit. Ihm war das eher suspekt.
Zehn Jahre arbeitete er an seinem Gedichtzyklus „Birthday Letters“, in dem er sich die Innensicht ihrer weiblichen Weltwahrnehmung anverwandelte. Sylvia Plath ist dort alles zugleich: die Gefährtin, die gestorbene Ehefrau, die Mutter seiner Kinder, die Muse und vor allem das „Du“, an das er sich wendet, um seiner Stimme einen intimen Klang zu geben. Fünfunddreißig Jahre nach ihrem Tod legt er ihr mit dieser Stimme ihre eigene Welt zu Füßen. Diane Middlebrooks Biografie ist auch eine Einladung, das Werk der beiden noch einmal zu lesen: als furioses Zusammenspiel über den Tod hinaus.
MEIKE FESSMANN
Sylvia Plath: Der Koloss. Gedichte. Englisch und deutsch. Übertragen von Judith Zander. Suhrkamp Verlag, Berlin 2013. 163 Seiten, 22,95 Euro.
Sylvia Plath: Übers Wasser. Nachgelassene Gedichte. Zweisprachig. Aus dem Amerikanischen von Judith Zander. Luxbooks, Wiesbaden 2013. 138 Seiten, 22,80 Euro.
Diane Middlebrook: Du wolltest deine Sterne. Sylvia Plath und Ted Hughes. Aus dem Englischen von Barbara von Bechtolsheim. Vorwort von Carl Djerassi. edition fünf, Hamburg 2013. 463 Seiten, mit Fotos. 22,90 Euro.
Nach ihrem Selbstmord wurde
Sylvia Plath im Olymp der Poeten
zur Ikone des frühen Feminismus
Ted Hughes nahm in seinen
letzten Gedichtband die poetische
Weltsicht von Sylvia Plath hinein
Ted Hughes und Sylvia Plath, Ende der Fünfziger.
Foto: Imago/Granata Images
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Zwei Gedichtbände und eine Doppelbiographie zeigen, wie eng die Werke des gescheiterten Ehepaares Ted Hughes und Sylvia Plath verzahnt sind
Sechs Jahre führten sie ein gemeinsames Leben, bis Ted Hughes’ Affäre mit Assia Wevill ihre Ehe zerrüttete und sich Sylvia Plath am 11. Februar 1963 im eiskalten Londoner Winter das Leben nahm. Die Geschichte dieser Ehe ist zu einem modernen Mythos geworden, angefeuert von der Sensationsgier einer ins Private vordringenden Öffentlichkeit, die sich alles aneignete, was normalerweise mit gutem Grund verborgen bleibt. Die 1932 in Boston geborene Sylvia Plath war gerade dreißig geworden, sie hatte nur einen Gedichtband, „The Colossus“ (1960), und soeben ihren ersten Roman, „The Bell Jar“, veröffentlicht, als sie durch ihren Selbstmord mit einem Schlag berühmt wurde.
„Ich wollte alles ein für allemal erledigen und dann fertig sein“, überlegt Esther Greenwood, ihr Alter Ego in „Die Glasglocke“. In seiner Mischung aus starkem Ehrgeiz, patenter Hausfraulichkeit und depressiver Erschöpfung wirkt dieser Wille wie das Fatum ihres Ruhms. Der Roman, von dem sie sich ihren endgültigen Durchbruch erhoffte, erschien im Januar 1963, in einer Lebensphase, in der sie nach der Trennung von Ted Hughes das Wiederaufflammen der Psychose spürte, deren Behandlung eines der Romanthemen ist. Trotz aller Wunden, die er bei ihren Angehörigen schlug, war ihr Selbstmord zweifellos der kürzeste Weg auf den Olymp, wo sie zunächst als Ikone des aufkommenden Feminismus Platz nahm.
An kaum einem Schriftsteller der Moderne lässt sich das Zusammenspiel von Leben, Werk und Tod und seine Bedeutung für den Nachruhm so anschaulich studieren wie bei Sylvia Plath. Dazu gehört, dass Ted Hughes, der im Studentenmilieu von Cambridge, wo sie sich im Februar 1956 auf einer Party kennenlernten, und während ihrer Ehe der bekanntere Dichter war, zum Herausgeber ihres nachgelassenen Werks wurde. Plötzlich wurde er vor allem als Ehemann wahrgenommen, dem viele die Schuld am Tod seiner Frau gaben. Seine Herausgeberschaft geriet überdies ins Zwielicht, als man feststellte, dass er nicht nur Tagebücher und Briefe redigiert hatte, sondern auch jenes Konvolut von Gedichten, dem Sylvia Plath selbst noch den Titel „Ariel“ gegeben hatte.
In einem Klemmordner lag es auf ihrem Schreibtisch, als sie den Kopf in den Backofen schob, während die damals dreijährige Frieda und der neun Monate alte Nicholas im sorgfältig mit feuchten Handtüchern abgedichteten Kinderzimmer schliefen. „Ariel“ sollte ihr berühmtester Gedichtband werden und begründete ihren Ruf als wichtigste amerikanische Dichterin nach Emily Dickinson. Erst 2004 erschien er auf Englisch in der ursprünglichen Fassung, 2008 auf Deutsch. In der von Ted Hughes besorgten Ausgabe fehlen einige Gedichte, die er als zu privat angesehen hatte, andere aus dem Nachlass hatte er eingefügt.
In der Außenwahrnehmung dieser Ehe spielte Ted Hughes lange die Rolle des Bösewichts, während man Sylvia Plath heiligsprach, ausgerechnet wegen ihres Selbstmords, wie ihre Tochter Frieda Hughes im Vorwort zur Urfassung von „Ariel“ beklagte. Doch Leser, die sich für die inneren Gesetzmäßigkeiten eines Werks interessieren und nicht nur für Lebensgeschichten, wissen spätestens seit Ted Hughes Gedichtband „Birthday Letters“, der 1998 kurz vor seinem Tod erschien, wie stark sich die beiden wechselseitig beeinflusst haben. Seine Weltsicht hat sich noch zu Lebzeiten in ihr Werk eingeprägt. Ihr Einfluss auf ihn war nach ihrem Tod stärker als zuvor.
Durch die glückliche Koinzidenz dreier Publikationen, die nun auf Deutsch erschienen sind, kann man das Kreativitätspotential dieser transatlantischen Ehe aus nächster Nähe nachvollziehen. Sie scheiterte im Leben, nicht aber in der Kunst. Der Suhrkamp Verlag hat endlich die erste deutsch-englische Ausgabe von „Der Koloss“ publiziert, dem einzigen zu Lebzeiten von Sylvia Plath erschienenen Gedichtband. Offenbar geschah das auf Druck des kleinen Luxbooks Verlags, an den sich die Schriftstellerin Judith Zander vor drei Jahren mit einer Übersetzung von „Crossing the Water“, einer Gedichtsammlung aus dem Nachlass, gewandt hatte. Weil Suhrkamp seine Option auf die deutschen Rechte geltend machte, konnte die Publikation erst nach einer Crowdfunding-Kampagne geschehen, so zumindest stellt es der Verleger Christian Lux in einem Begleitschreiben zu „Übers Wasser“ dar.
Wie auch immer: erfreulicherweise liegen nun zwei Gedichtbände von Sylvia Plath in der Übersetzung von Judith Zander vor. Sie zeigt sich ihrem schwierigen Gegenstand eindrucksvoll gewachsen, auch wenn ihr die Lockerheit eines Erich Fried, der die erste „Ariel“-Ausgabe übersetzte, und die Kühnheit von Alissa Walser, die für Suhrkamp die deutsche Erstausgabe der Urfassung von „Ariel“ besorgte, fehlen. Zwar schmerzen einige ungelenke Verse, in der sie der wörtlichen Bedeutung Vorrang vor dem Klang oder der stilistischen Eleganz einräumt. Aber das hat auch mit der grammatischen Umständlichkeit des Deutschen zu tun. So wird etwa aus „This is not death, it is something safer“, dem klangvollen Vers des großen Gedichts „Poem for a Birthday“, das Sylvia Plaths ersten Gedichtband abschließt (und viele Jahre später in Ted Hughes „Birthday Letters“ ein Echo findet): „Dies ist nicht der Tod, es ist etwas Sichereres.“ Das Wiegende des Originals klingt durch den hässlichen deutschen Komparativ wie ein Stottern oder Krächzen.
Auch die direkte Verdopplung eines Wortes klingt unbeholfen. Etwa wenn in dem Gedicht „Faun“ aus „Until all owls in the twigged forest / Flapped black to look and brood“ die Verse werden: „Bis alle Eulen im zweigwirren Wald / Schwarz aufflatterten, um um sich zu schauen“.
Dennoch gelingt es Judith Zander den Wandel in der Dichtung von Sylvia Plath sichtbar zu machen. Hat der Debütband noch etwas kühl Statuarisches, das sich am Kanon orientiert und das lyrische Ich eher vermeidet, entdeckt sie es später als dichterisches Kraftzentrum. In einem BBC-Interview von 1962 bekennt sie, wie schwer es ihr falle, in einem Gedicht so vieles auf engem Raum sagen zu müssen und all die Dinge des täglichen Lebens, die Pflege der Kinder und des Haushalts, den weiblichen Schmuck und Tand aus ihrer Lyrik fern zu halten. Und doch findet sie am Ende ihres Lebens zu großer poetischer Freiheit.
Ein geradezu epischer Erzählwunsch paart sich mit konzentrierter Energie zu einem lyrischen Furor, der alles aussprechen kann: Zartheit, Einsamkeit, Fremdheit, Nähe und die ständige Bedrohung durch die eigene Todessehnsucht. Bizarre und zugleich völlig transparente Bilder jagen einander, ohne gesucht zu wirken. Der Kunstwille der frühen Gedichte weicht einer stets spürbaren Dringlichkeit, die unter Sylvia Plaths geübter Feder die Gestalt somnambuler Poesie annimmt. So beginnt das Gedicht „Letzte Worte“: „Ich will keine einfache Kiste, ich will einen Sarkophag / Mit Tigerstreifen und einem Gesicht / Rund wie der Mond, um heraufzustarren. / Ich will sie angucken, wenn sie kommen, / Herumstochern zwischen den stummen Mineralien, den Wurzeln.“
Ebenfalls ein ambitionierter Kleinverlag, die Hamburger edition fünf, legt unter dem Titel „Du wolltest deine Sterne“ die überaus lesenswerte Doppelbiografie der 2007 verstorbenen amerikanischen Professorin und Lyrikerin Diane Middlebrook auf Deutsch vor. Im 2003 publizierten Original heißt sie „Her Husband“, in Anspielung auf die Rolle von Ted Hughes nach dem Tod von Sylvia Plath. Die Lebensstationen beider Dichter erzählt sie anschaulich und unpathetisch, bis hin zu den Jahren, in denen sich Ted Hughes intensiv um seine Kinder kümmerte und nach dem Selbstmord seiner Geliebten Assia Wevill, die ihre gemeinsame Tochter mit in den Tod nahm, eine zweite Ehe einging.
Es geht Middlebrook liegt nicht um die Verteilung von Credit Points für untadelige Lebensführung. Erfreulich unakademisch erkundet sie das Zusammenwirken zweier Autoren, die in Herkunft und Temperament höchst unterschiedlich waren und sich umso fruchtbarer von einander inspirieren ließen. So zeigt sie, wie die zwischen Depression und forcierter Munterkeit schwankende Sylvia Plath von Ted Hughes mythologischer Weltsicht angezogen wurde. Seine Vorliebe für die Jagd, seine Gewaltobsession, seine fehlende Scheu vor Schmutz und dem Chaos des Unbewussten wanderten in ihre Bildwelt ein. Ted Hughes wiederum, Zeit seines Lebens ein Anhänger der Astrologie, baute seine ländliche Herkunft aus South Yorkshire unter dem Einfluss von Sylvia Plath zu einer Privatmythologie aus. Bis er sie bei ihrem Besuch in seiner Heimat alle Eindrücke in ein Notizbuch eintragen sah, hatte er sich kaum für die Geschichten seiner Eltern interessiert. Eine zeitlang wurden die mündlichen Erzählkünste seiner Mutter und ihre keltische Herkunft zum Vorbild seiner poetischen Stimme.
Am aufregendsten aber ist, wie die intensive Lektüre der Tagebücher, Briefe und nachgelassenen Schriften von Sylvia Plath im Lauf der Jahre seine eigene Poetik verwandelte. Als sie sich kennenlernten, war er ein glühender Verehrer des damals in Cambridge sehr populären Robert Graves. Dessen Glorifizierung des Weiblichen konnte er zu ihren Lebzeiten nicht mit dem Eifer in Einklang bringen, mit dem sie sich der Mutterschaft widmete. Für sie gehörte das Muttersein unbedingt zur Weiblichkeit. Ihm war das eher suspekt.
Zehn Jahre arbeitete er an seinem Gedichtzyklus „Birthday Letters“, in dem er sich die Innensicht ihrer weiblichen Weltwahrnehmung anverwandelte. Sylvia Plath ist dort alles zugleich: die Gefährtin, die gestorbene Ehefrau, die Mutter seiner Kinder, die Muse und vor allem das „Du“, an das er sich wendet, um seiner Stimme einen intimen Klang zu geben. Fünfunddreißig Jahre nach ihrem Tod legt er ihr mit dieser Stimme ihre eigene Welt zu Füßen. Diane Middlebrooks Biografie ist auch eine Einladung, das Werk der beiden noch einmal zu lesen: als furioses Zusammenspiel über den Tod hinaus.
MEIKE FESSMANN
Sylvia Plath: Der Koloss. Gedichte. Englisch und deutsch. Übertragen von Judith Zander. Suhrkamp Verlag, Berlin 2013. 163 Seiten, 22,95 Euro.
Sylvia Plath: Übers Wasser. Nachgelassene Gedichte. Zweisprachig. Aus dem Amerikanischen von Judith Zander. Luxbooks, Wiesbaden 2013. 138 Seiten, 22,80 Euro.
Diane Middlebrook: Du wolltest deine Sterne. Sylvia Plath und Ted Hughes. Aus dem Englischen von Barbara von Bechtolsheim. Vorwort von Carl Djerassi. edition fünf, Hamburg 2013. 463 Seiten, mit Fotos. 22,90 Euro.
Nach ihrem Selbstmord wurde
Sylvia Plath im Olymp der Poeten
zur Ikone des frühen Feminismus
Ted Hughes nahm in seinen
letzten Gedichtband die poetische
Weltsicht von Sylvia Plath hinein
Ted Hughes und Sylvia Plath, Ende der Fünfziger.
Foto: Imago/Granata Images
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