Kanada, Anfang der Jahrtausendwende. Mit dem Ziel, ihr Studentendarlehen abzubezahlen, macht sich die junge Historikerin Katie aus Nova Scotia auf ins vom Ölrausch beseelte Alberta an der kanadischen Westküste. Damit reiht sie sich in die lange Tradition der kanadischen Ostküstenbewohner:innen ein, die ihre geliebte Heimat auf der Suche nach Arbeit und Perspektiven verlassen müssen. Auf den Ölsanden Kanadas, wo die Industrie seit Jahren die Landschaft abträgt und die Erde vergiftet, lernt Katie eine harsche Wirklichkeit kennen, in der Traumata an der Tagesordnung sind, aber nie angesprochen werden.Kate Beatons Zeichentalent kommt besonders dann zur Geltung, wenn sie kolossale Maschinen und gigantische Fahrzeuge vor dem Hintergrund der atemberaubenden Natur Westkanadas zeichnet. Ihre erste buchlange Erzählung DUCKS - ZWEI JAHRE IN DEN ÖLSANDEN zeigt eine wenig bekannte Geschichte Kanadas, dem Land, das sich seiner Ideale von Gleichwertigkeit und seiner natürlichen Schönheit rühmt,während es gleichzeitig die Reichtümer seines Bodens ausbeutet und die Würde seiner Bewohner:innen missachtet.Kate Beaton zählt zu den bekanntesten Comic-Zeichnerinnen Nordamerikas. Ihre Web-Comics OBACHT, LUMPENPACK! (Zwerchfell), in denen sie Figuren aus Historie, Pop-Kultur und literarischen Kanon auf den Zahn fühlt, bescherten ihr jede Menge Auszeichnungen sowie zahlreiche Fans, zu denen auch der ehemalige Präsident der USA, Barack Obama, zählt. ZWEI JAHRE IN DEN ÖLSANDEN war auf Barack Obamas jährlicher Empfehlungsliste, als erster Comic überhaupt, und auf den Bestenlisten 2022 der New York Times, des New Yorkers, der Time, Washington Post und vielen weiteren Publikationen.Die deutsche Ausgabe von DUCKS - ZWEI JAHRE IN DEN ÖLSANDEN erscheint als Koproduktion von Reprodukt und Zwerchfell.
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Beeindruckt zeigt sich Kritikerin Martina Knoben von Kate Beatons Graphic Memoir, in das die Kanadierin schockierende Erfahrungen von der Arbeit in den Fracking-Camps Albertas einarbeitet. Nicht nur die harte, gesundheits- wie umweltgefährdende Arbeit kommt hier zur Sprache, sondern vor allem der abstoßende Sexismus, der einer jungen Frauen in einer männerdominierten Branche entgegenschlägt, erklärt Knoben. Von zunächst sexistischen Bemerkungen geht es bis zur Vergewaltigung der Protagonistin, die die Künstlerin als schüchtern, jung und schmal zeichnet, in blaugrau gehaltenen Panels, die die Enge des Betriebs für die Rezensentin greifbar machen. Doch auch die umwerfende Natur Kanadas bekommt sie in Zeichnungen zu sehen, die eine überzeugende Symbiose aus Natur und Surrealismus schaffen. Ein Comic, der nicht zurückschreckt vor der harten Wahrheit und dennoch nicht sein Mitgefühl gegenüber denen verliert, die diese Ölfelder aushalten müssen, resümiert die Kritikerin.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 24.06.2023Allein unter Männern
In ihrem Comic „Ducks“ erzählt Kate Beaton vom harten Alltag auf Kanadas Erdölfeldern – und wie der Sexismus dort und die Naturzerstörung zusammengehören
Ihre Kollegen nennen sie „Schätzchen“, „junge Dame“, „Baby“ oder „Süßes“. Katie ist 21, als sie in den Ölsanden anheuert, den Fracking-Camps im kanadischen Alberta, wo in riesigen Minen Öl aus dem Sand gepresst wird. Die Arbeit wird gut bezahlt, und Katie muss den Kredit abstottern, den sie für ihr Geschichts- und Anthropologiestudium aufgenommen hat. Aber es ist ein harter Job in einer unwirtlichen Gegend, die Arbeiter leben abgekapselt in Camps, es sind Orte mit eigenen Regeln. Eine Männerwelt - an Katies erstem Tag stehen die Kollegen Schlange, einmal rund um die Werkzeugbutze, in der sie arbeitet, unter dem Vorwand Schraubenschlüssel oder anderen Kleinkram zu brauchen, tatsächlich um das neue Mädchen abzuchecken. Kommentare zu ihrem Körper inklusive.
Die kanadische Zeichnerin Kate Beaton hat das alles so oder so ähnlich erlebt. Mehr als zwei Jahre arbeitete sie für verschiedene Firmen in den Minen und hat ihre teilweise traumatischen Erlebnisse auf über 400 Seiten festgehalten. Ihr graphic memoir „Ducks. Zwei Jahre in den Ölsanden“ beschreibt die schmutzigen Geschäfte des Kapitalismus, aus dem Inneren der Ausbeutungsmaschine. Es ist ein Bericht, der Sexismus, die miesen Lebensbedingungen der Arbeiter, die Gewalt gegenüber der indigenen Bevölkerung und die Plünderung der Umwelt zusammendenkt. In den USA wurde das Buch bereits in diverse Bestenlisten gewählt, unter anderem hat Barack Obama „Ducks“ in seine jährlichen Leseempfehlungen aufgenommen.
Katies Anstellungen in immer abgelegeneren Camps sind eine Reise ins Herz der Finsternis toxischer Männlichkeit. Bei dummen Witzen und anzüglichen Sprüchen bleibt es nicht. Die Isolation in den Camps und der Männerüberschuss (50:1!) schaffen ein Klima, in dem Machtmissbrauch bis hin zu sexueller Gewalt an der Tagesordnung ist. Als Katie einmal eine Party besucht und mit einem der Männer in dessen Zimmer geht, um eine Flasche Wodka zu holen, vergewaltigt er sie – Kate Beaton deutet es in vier gänzlich schwarzen, untereinander stehenden Panels an. Die mit ihr befreundeten männlichen Kollegen nehmen den Vorfall nicht ernst, lachen nur, als Katie davon erzählt – weil sie betrunken war, als es passierte. Die wenigen Frauen, denen Katie sich anvertraut, erzählen ihr dann ähnliche Geschichten. Und als Katie sich bei ihrem Vorgesetzten über die Belästigungen beschwert, meint der nur, sie habe schließlich gewusst, worauf sie sich eingelassen habe. Das ist nicht mehr nur toxische Männlichkeit, „Ducks“ beschreibt – sehr genau – die Strukturen eines vergifteten Systems. Vergleiche mit den Strukturen in der Pop-Industrie, dem Machtmissbrauch, wie er derzeit von diversen Frauen etwa Till Lindemann und seiner Band Rammstein vorgeworfen wird, drängen sich auf.
Sich selbst zeichnet Kate Beaton als sehr junge, verschüchterte Frau, die Augen klein hinter ihrer Schutzbrille, die Haare halblang unter einem Helm. In dezent blaugrau kolorierten Panels ist ihr Alltag zu sehen, alte E-Mails und Gespräche mit Ex-Kollegen hatten der Zeichnerin geholfen, sich zu erinnern. Die vielen kleinen Kästchen, in denen die Figuren agieren, entsprechen der Enge in den Camps, wo Katie den Kollegen nicht aus dem Weg gehen kann. Die Beziehungen zu ihnen sind dadurch gleichzeitig intensiv und flüchtig, mit jedem Wechsel der Arbeitsstätte tauchen neue Gesichter auf. Nur selten öffnet sich der Blick – etwa auf die riesigen Industrieanlagen, die wie von Aliens abgeworfen als gigantische Fremdkörper in der Landschaft liegen. In solchen Bildern zeigt die Zeichnerin Kate Beaton, was sie kann.
Dass es nicht irgendein fernes Schwellenland ist, in dem Bagger Riesenkrater in den Sand fressen, Industrieabwässer die Flüsse vergiften und Arbeiter unter miesen Bedingungen schuften, sondern Kanada, das Land der Wälder, Seen und Büffel, macht den Bericht zusätzlich brisant. Büffel gibt es in einem der Camps dann tatsächlich zu sehen, eine ganze Herde sogar. „Die haben sie auf das zurückgewonnene Grubengelände gestellt, so ’ne Firmensache“, heißt es. Die ausgepresste Natur wird eingehegt und ausgestellt wie ein Schmuckstück. Ein von Beaton wunderschön gezeichneter Büffel wirkt ebenso naturalistisch wie surreal. Ebenso wie ein Fuchs, der während einer Nachtschicht vor Katie auftaucht wie eine Erscheinung. Er hat nur drei Beine, und Katie scheucht ihn weg. Viel zu gefährlich sei es im Camp für ihn, sagt sie, er wolle doch nicht noch ein weiteres Bein verlieren.
Auch unter den Arbeitern gibt es immer wieder Unfälle, Witze über drohende Krebserkrankungen durch die schlechte Luft sind üblich. Die Arbeit in den Ölsanden ist buchstäblich vergiftet – und trotz allem, was sie erlebt hat, hat die Autorin viel Mitgefühl mit den Männern, die hier ihren Lebensunterhalt verdienen. Sie sind gefangen in den dreckigen Jobs dieser Ölindustrie – wie die Enten, auf die der Titel des Buches anspielt. Ganze Schwärme stecken im ölverseuchten Abwasser fest. Sie verenden im schwarzen Matsch.
MARTINA KNOBEN
Sie wird angeglotzt, hört blöde Sprüche, erlebt sexuelle Gewalt: Katie (rechts) im Fracking-Camp.
Foto: Reprodukt/Zwerchfell
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In ihrem Comic „Ducks“ erzählt Kate Beaton vom harten Alltag auf Kanadas Erdölfeldern – und wie der Sexismus dort und die Naturzerstörung zusammengehören
Ihre Kollegen nennen sie „Schätzchen“, „junge Dame“, „Baby“ oder „Süßes“. Katie ist 21, als sie in den Ölsanden anheuert, den Fracking-Camps im kanadischen Alberta, wo in riesigen Minen Öl aus dem Sand gepresst wird. Die Arbeit wird gut bezahlt, und Katie muss den Kredit abstottern, den sie für ihr Geschichts- und Anthropologiestudium aufgenommen hat. Aber es ist ein harter Job in einer unwirtlichen Gegend, die Arbeiter leben abgekapselt in Camps, es sind Orte mit eigenen Regeln. Eine Männerwelt - an Katies erstem Tag stehen die Kollegen Schlange, einmal rund um die Werkzeugbutze, in der sie arbeitet, unter dem Vorwand Schraubenschlüssel oder anderen Kleinkram zu brauchen, tatsächlich um das neue Mädchen abzuchecken. Kommentare zu ihrem Körper inklusive.
Die kanadische Zeichnerin Kate Beaton hat das alles so oder so ähnlich erlebt. Mehr als zwei Jahre arbeitete sie für verschiedene Firmen in den Minen und hat ihre teilweise traumatischen Erlebnisse auf über 400 Seiten festgehalten. Ihr graphic memoir „Ducks. Zwei Jahre in den Ölsanden“ beschreibt die schmutzigen Geschäfte des Kapitalismus, aus dem Inneren der Ausbeutungsmaschine. Es ist ein Bericht, der Sexismus, die miesen Lebensbedingungen der Arbeiter, die Gewalt gegenüber der indigenen Bevölkerung und die Plünderung der Umwelt zusammendenkt. In den USA wurde das Buch bereits in diverse Bestenlisten gewählt, unter anderem hat Barack Obama „Ducks“ in seine jährlichen Leseempfehlungen aufgenommen.
Katies Anstellungen in immer abgelegeneren Camps sind eine Reise ins Herz der Finsternis toxischer Männlichkeit. Bei dummen Witzen und anzüglichen Sprüchen bleibt es nicht. Die Isolation in den Camps und der Männerüberschuss (50:1!) schaffen ein Klima, in dem Machtmissbrauch bis hin zu sexueller Gewalt an der Tagesordnung ist. Als Katie einmal eine Party besucht und mit einem der Männer in dessen Zimmer geht, um eine Flasche Wodka zu holen, vergewaltigt er sie – Kate Beaton deutet es in vier gänzlich schwarzen, untereinander stehenden Panels an. Die mit ihr befreundeten männlichen Kollegen nehmen den Vorfall nicht ernst, lachen nur, als Katie davon erzählt – weil sie betrunken war, als es passierte. Die wenigen Frauen, denen Katie sich anvertraut, erzählen ihr dann ähnliche Geschichten. Und als Katie sich bei ihrem Vorgesetzten über die Belästigungen beschwert, meint der nur, sie habe schließlich gewusst, worauf sie sich eingelassen habe. Das ist nicht mehr nur toxische Männlichkeit, „Ducks“ beschreibt – sehr genau – die Strukturen eines vergifteten Systems. Vergleiche mit den Strukturen in der Pop-Industrie, dem Machtmissbrauch, wie er derzeit von diversen Frauen etwa Till Lindemann und seiner Band Rammstein vorgeworfen wird, drängen sich auf.
Sich selbst zeichnet Kate Beaton als sehr junge, verschüchterte Frau, die Augen klein hinter ihrer Schutzbrille, die Haare halblang unter einem Helm. In dezent blaugrau kolorierten Panels ist ihr Alltag zu sehen, alte E-Mails und Gespräche mit Ex-Kollegen hatten der Zeichnerin geholfen, sich zu erinnern. Die vielen kleinen Kästchen, in denen die Figuren agieren, entsprechen der Enge in den Camps, wo Katie den Kollegen nicht aus dem Weg gehen kann. Die Beziehungen zu ihnen sind dadurch gleichzeitig intensiv und flüchtig, mit jedem Wechsel der Arbeitsstätte tauchen neue Gesichter auf. Nur selten öffnet sich der Blick – etwa auf die riesigen Industrieanlagen, die wie von Aliens abgeworfen als gigantische Fremdkörper in der Landschaft liegen. In solchen Bildern zeigt die Zeichnerin Kate Beaton, was sie kann.
Dass es nicht irgendein fernes Schwellenland ist, in dem Bagger Riesenkrater in den Sand fressen, Industrieabwässer die Flüsse vergiften und Arbeiter unter miesen Bedingungen schuften, sondern Kanada, das Land der Wälder, Seen und Büffel, macht den Bericht zusätzlich brisant. Büffel gibt es in einem der Camps dann tatsächlich zu sehen, eine ganze Herde sogar. „Die haben sie auf das zurückgewonnene Grubengelände gestellt, so ’ne Firmensache“, heißt es. Die ausgepresste Natur wird eingehegt und ausgestellt wie ein Schmuckstück. Ein von Beaton wunderschön gezeichneter Büffel wirkt ebenso naturalistisch wie surreal. Ebenso wie ein Fuchs, der während einer Nachtschicht vor Katie auftaucht wie eine Erscheinung. Er hat nur drei Beine, und Katie scheucht ihn weg. Viel zu gefährlich sei es im Camp für ihn, sagt sie, er wolle doch nicht noch ein weiteres Bein verlieren.
Auch unter den Arbeitern gibt es immer wieder Unfälle, Witze über drohende Krebserkrankungen durch die schlechte Luft sind üblich. Die Arbeit in den Ölsanden ist buchstäblich vergiftet – und trotz allem, was sie erlebt hat, hat die Autorin viel Mitgefühl mit den Männern, die hier ihren Lebensunterhalt verdienen. Sie sind gefangen in den dreckigen Jobs dieser Ölindustrie – wie die Enten, auf die der Titel des Buches anspielt. Ganze Schwärme stecken im ölverseuchten Abwasser fest. Sie verenden im schwarzen Matsch.
MARTINA KNOBEN
Sie wird angeglotzt, hört blöde Sprüche, erlebt sexuelle Gewalt: Katie (rechts) im Fracking-Camp.
Foto: Reprodukt/Zwerchfell
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