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Warum zeigt Dürer im Münchner Selbstporträt mit seiner Hand auf den Marderpelz? Auf der Suche nach einer Antwort auf diese Frage geht die vorliegende Untersuchung der Bedeutung der Kleidung in Dürers Selbstdarstellung nach. Der Blick auf weitere Bildzeugnisse der Epoche sowie zeitgenössische Schriftquellen wie Kleidervorschriften und Luxusgesetze eröffnet eine neue Sichtweise auf das berühmte Gemälde. Die Analyse des Bildes unter Heranziehung der Kleiderforschung führt nicht nur zu einer neuen Datierung des Selbstporträts, sondern auch zu einer innovativen Deutung im Kontext rechtshistorischer…mehr

Produktbeschreibung
Warum zeigt Dürer im Münchner Selbstporträt mit seiner Hand auf den Marderpelz? Auf der Suche nach einer Antwort auf diese Frage geht die vorliegende Untersuchung der Bedeutung der Kleidung in Dürers Selbstdarstellung nach. Der Blick auf weitere Bildzeugnisse der Epoche sowie zeitgenössische Schriftquellen wie Kleidervorschriften und Luxusgesetze eröffnet eine neue Sichtweise auf das berühmte Gemälde. Die Analyse des Bildes unter Heranziehung der Kleiderforschung führt nicht nur zu einer neuen Datierung des Selbstporträts, sondern auch zu einer innovativen Deutung im Kontext rechtshistorischer Zusammenhänge. Ein methodischer Ausblick auf eine Kunstgeschichte, welche die Kulturgeschichte der Kleidung als visuelles System der Zeichen und Symbole einbezieht, rundet den Band ab.
Autorenporträt
Philipp Zitzlsperger studierte Kunstgeschichte, klassische Archäologie und neuere Geschichte in München und Rom. Seit seiner Promotion ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Humboldt-Universität Berlin und der Universität Fribourg (Schweiz) für das von der Fritz-Thyssen-Stiftung finanzierte Forschungsprojekt "Requiem - Die römischen Papst- und Kardinalsgräber der frühen Neuzeit".
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung

Heiland im Marderpelz
Albrecht Dürers Selbstbildnis als juristisches Manifest

Irgendetwas stört. Immerhin ist kein Anblick uns vertrauter, keine Gestalt so gegenwärtig wie er. Der enigmatische, durchdringende Blick, schulterlanges, gewelltes Haar, der Gesichtsausdruck weich und gütig. Kein Zweifel: ER sieht uns an.

Aber seit wann trägt der Messias Pelz? An sich kommt für einen Mann von solcher Statur nur ein luftiges Gewand als modisches Accessoire in Betracht. Diese eigentümliche, unausgesprochene Kleiderordnung erinnert uns immer wieder schmerzhaft daran, dass wir dem Süden alles, fast alles verdanken. 25 Grad Celsius, blauer Himmel, leichte Brise, ewiger Sommer. Das ist Kultur. Ob griechische Dichter, römische Feldherren oder orientalische Erlöser: wir kennen sie nur in Bettlaken gehüllt. Götter tragen keine Pelze.

Götter vielleicht nicht, dafür aber deutsche Richter des fünfzehnten Jahrhunderts. Den Hinweis verdanken wir einer anregenden und kurzweiligen Studie aus der Feder des Kunsthistorikers Philipp Zitzlsperger (Dürers Pelz und das Recht im Bild. Kleiderkunde als Methode der Kunstgeschichte, Akademie Verlag, Berlin 2008). Natürlich handelt es sich bei dem Abgebildeten nicht um Jesus von Nazareth, sondern um den Maler Albrecht Dürer, der das rätselhafte Selbstporträt zu Beginn des sechzehnten Jahrhunderts schuf. Die Forschung hat sich bisher vor allem mit der offenkundigen Christus-Ähnlichkeit beschäftigt, mit dem humanistischen Verständnis von der Rolle des Künstlers, der spätestens seit Alberti sich als "alter deus" (miss-)verstand. Das Gemälde dokumentiere das gewachsene Selbstbewusstsein derer, die nicht mehr Handwerker sein wollten. Zitzlsperger stellt diese Deutung nicht grundsätzlich in Frage. Er gibt ihr aber eine andere Wendung, indem er auf den unteren Teil des Bildes blickt.

Ins Auge fällt dann sofort der schmucke Pelzbesatz am Kragen, der über der Brust in handbreiten Bahnen übereinandergelegt ist. Der Maler selbst scheint uns dazu ermuntern zu wollen, das Kleidungsstück etwas näher zu betrachten, denn die sichtbare Hand greift in den Kragen und weckt dadurch unser Interesse. Gewiss ist auch heute noch in manchen Kreisen der Pelz oder sogar nur ein Pelz von bestimmter Güte ein Statussymbol. Aber zu Beginn der Neuzeit bedeuteten die einzelnen Requisiten des äußeren Erscheinungsbildes den Menschen noch weit mehr. Wir machen uns gewöhnlich keine Vorstellung von der einstigen Schulung des Auges, die dazu befähigte, nahezu alle textilen Nuancen der Kleidung zu erkennen.

Einen wichtigen Anteil daran hatte die Gesetzgebung. So wie die Preise für Waren auf den Märkten meist nicht zur Disposition von Käufer und Verkäufer standen, weil die Obrigkeit sie verbindlich vorgab, so blieb es auch nicht dem individuellen Geschmack überlassen, wie man sich anzog und schmückte. Das Recht war nicht nur in ökonomischer, sondern auch in ästhetischer Hinsicht ein gebundenes und bindendes Recht. Die Reichspolizeiordnung von 1530 enthält einen detaillierten Katalog, der regelte, wer welche Pelzsorte tragen durfte. An der Spitze der Pelzhierarchie stand das hochwertige, dichte Rückenfell des Marders, das auch Dürers Kragen ziert. Es war den Bürgern von Geschlecht vorbehalten. Das geringwertige Kehlfell des Marders trugen die Kaufleute, und mit Lamm, Fuchs oder Iltis mussten sich die einfachen Handwerker begnügen.

Kleider machen Leute: Der Satz klang damals also viel bedrohlicher, "juristischer" als heute. Es ist das Verdienst von Zitzlsperger, diesen oft vernachlässigten normativen Grundlagen der Kostümargumentation in der Kunst Beachtung zu schenken. Wichtiger aber noch ist die Erkenntnis, dass die Marderschaube in Wahrheit vornehmlich ein Erkennungszeichen der Rechtsgelehrten war. Jedenfalls gilt das für die bildlichen Darstellungen um 1500, die Zitzlsperger ausgewertet hat. Inszenierte sich Dürer in dem geheimnisvollen, religiös konnotierten Selbstbildnis also (auch) als Jurist, als Richter? Die Verknüpfung ist nicht so fernliegend, wie sie zunächst erscheinen mag. Mit juristischen Themen und Symbolen experimentierte Dürer recht häufig. Man denke an den Stich "Sol iustitiae" oder an die verschiedenen Holzschnitte, die Dürer zur Ausstattung juristischer Werke anfertigte. Auch die "Melencolia § I", Dürers berühmtester Kupferstich, ist inzwischen als Abbild der geflügelten Justitia entschlüsselt.

Die sublime Fusion von Künstler und Richter hat wohl mehr eine kunsttheoretische als eine soziale Dimension. Dürer usurpiert nicht den Status des Rechtsgelehrten, er bezieht sich auf dessen Anspruch, das rechte Maß zu ermitteln. Gleichgewicht und Augenmaß sind Leitideen im Programm Dürers, der wie kein anderer nördlich der Alpen sich mit Geometrie und Proportionen beschäftigte. Er hat das Verbindende von Rechtsetzung und Kunstschaffen einmal selbst in die folgende Worte gekleidet: "Etwas ,schön' zu heißen, will ich hier also setzen, wie etliche ,recht' gesetzt sind: also was alle Welt für recht schätzt, das halten wir für recht. Also auch das, was alle Welt für schön achtet, das wollen wir auch für schön halten, und uns bemühen, dies machen."

Dem Zusammenhang von juristischen und kunsttheoretischen Reflexionen in der Renaissance widmete sich bereits 1961 E. H. Kantorowicz in dem Jahrhundertaufsatz "The sovereignty of the artist". Der Ansatz ist also nicht ganz neu. Aber Zitzlsperger liefert mit seiner Bildanalyse einen weiteren wichtigen Beleg dafür, dass Kunst und Recht von Zeit zu Zeit sich gegenseitig Begriffe und Bilder leihen, die sich später verselbständigen. Vielleicht sollten wir uns an diesen Gedanken gewöhnen - und auch an den Pelz.

DANIEL DAMLER

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