Die nordrhein-westfälische Landeshauptstadt Düsseldorf erlebte in den vergangenen 20 Jahren einen tiefgreifenden Wandel. Hierbei wurden nicht nur ehemalige Industrie- und Militärflächen als lebenswerte Stadträume zurückerobert. Bodenversiegelungen wurden aufgebrochen, klimagerechte Wohnquartiere gebaut, öffentliche Grünflächen und Wege angelegt. Damit konnten die Nachteile des segmentierten Stadtkörpers größtenteils überwunden werden. Düsseldorf gewann durch die Abkehr vom Konzept der autogerechten Stadt ein beträchtliches Stück an gelebter Urbanität zurück. Schon heute wird somit greifbar, was einmal die Green City Düsseldorf mit dem neuen innerstädtischen Blaugrünen Ring sein wird. Im Architekturführer Düsseldorf zeichnet Autor Klaus Englert die aktuellen Entwicklungen und deren Traditionslinien kenntnisreich am Beispiel von über 170 Objekten nach - von der barocken Gartenstadt bis zur Stararchitektur des Medienhafens und modernen Wohnquartieren. Er skizziert den urbanen Wandel, der an den Stadträndern begann, und wirft hierbei auch Blicke über die Stadtgrenzen hinaus, etwa auf die Bauten der Stiftung Insel Hombroich im benachbarten Neuss oder das Neanderthal-Museum in Mettmann.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 26.08.2022Wegweiser in die urbane Zukunft
Von wegen Provinz: Klaus Englert zeichnet in seinem kundigen Architekturführer ein Porträt Düsseldorfs als moderner und weltoffener Stadt.
Der "Architekturführer Köln", der vor einem Jahr in derselben Reihe herauskam (F.A.Z. vom 13. Juli 2021), bringt es auf vierhundert Seiten. Der "Architekturführer Düsseldorf" beansprucht achtzehn Seiten mehr und das, obwohl Düsseldorf nur etwas mehr als halb so groß und weniger als halb so alt ist. Und da soll die heutige Landeshauptstadt von Nordrhein-Westfalen architektonisch mehr zu bieten haben als die stolze Colonia?
Die Frage ist dem leidigen Vergleichszwang geschuldet, in dem die ungleichen Rhein-Schwestern ihre Rivalität ritualisiert haben. Doch schon die Auswahl schafft eine Schieflage. Denn während sich der Kölner Autor Anselm Weyer nicht über die Stadtgrenze traut, schweift der Düsseldorfer Klaus Englert auch nach Neuss, Mettmann oder Velbert aus, wo er Gottfried Böhms Mariendom in Neviges (1968), aber auch dessen frühe Kirche St. Paulus (1955) besichtigt.
Beide Publikationen lassen den herkömmlichen Architekturführer, der sehenswerte Gebäude enzyklopädisch auflistet, hinter sich. Dabei sind sie konzeptionell grundverschieden: Weyer erzählt die Baugeschichte seit der römischen Gründung, Englert widmet sich "bestimmten charakteristischen Strängen (...), die das Unverwechselbare der Landeshauptstadt ausmachen" und sich seit der frühen Moderne, als Joseph Maria Olbrich, Peter Behrens und Wilhelm Kreis hier wirkten, abzeichnen. Was älter ist, fehlt: keine (barocke) Andreaskirche und keine Basilika St. Margareta in Gerresheim, nur eine Innenaufnahme von Schloss Benrath, kein Ratinger Tor oder Palais Wittgenstein. Architekturgeschichte schreibt die Stadt, und das entspricht ihrem Selbstverständnis, erst seit 1900.
Die Zukunft von Düsseldorf aber beginnt früher: mit dem 1769 angelegten Hofgarten und seiner Umgestaltung durch Maximilian Wilhelm Weyhe Anfang des neunzehnten Jahrhunderts. An dessen grünes Band für eine offene Gartenstadt, das immer weiter beschnitten wurde, knüpft Englert den Diskurs über einen ökologischen Stadtumbau, der den Hofgarten als Herz einer "Green City" definiert. Mit Vorschlägen dazu ist seit dreißig Jahren Christoph Ingenhoven zur Stelle. Der Architekt, geboren 1960, ist der herausragende Kopf seiner Zunft in der Stadt, mit der er, ingeniös und diskursstark, emotional verbunden ist. Englert, der ihn auch im Interview zu Wort kommen lässt ("Eine Million Bäume für Düsseldorf"), macht ihn zum Gewährsmann seiner Erörterung und belässt es nicht dabei, die bisher realisierten Phasen, mit dem Kö-Bogen I von Daniel Libeskind und dem Kö-Bogen II von Ingenhoven, nachzuzeichnen: Der "Architekturführer" wird zum Wegweiser in die Zukunft der Stadt, in der das Gewässer, nach dem sie benannt ist, wieder sichtbar wird.
Die folgenden Kapitel sind historisch und thematisch geordnet: "Frühe Moderne", die sich - zwischen Mannesmann-Hauptverwaltung und Ehrenhof - am Rhein entlang zieht, "Neues Bauen" mit vom Bauhaus inspirierten Siedlungen und Projekten, "Kulturlandschaft", die nach Neuss (Insel Hombroich) und Mettmann (Neanderthal-Museum) ausgreift, sowie "Quartiersentwicklung", die mehrere Vorzeigeprojekte und die mit Solitären von Stararchitekten gestylte Transformation des Industriehafens zum Medienhafen vorstellt. Ähnlich ausführlich fällt "Sakralarchitektur der Moderne" aus, wo neben Böhm vor allem Josef Lehmbrock, Emil Steffann und Hans Schwippert die Experimentierfreude des Erzbistums Köln bezeugen, mit der die evangelische Konkurrenz mit Werken von Hans Junghanns oder Hentrich Petschnigg & Partner (HHP) - doch ohne die Matthäikirche von Wach + Rosskotten - nicht mithalten kann. "Kirchliche Einrichtungen" ziehen die Linie in die Gegenwart fort.
Nur wenige Einfamilienhäuser werden berücksichtigt, darunter jene, die Architekten wie Schwippert oder Bernhard Pfau für sich selbst gebaut haben. Auch das Kapitel "Moderner Schulbau" könnte mehr hergeben, "Verkehrsbauten" reicht von Paul Schneider-Eslebens ikonischer Haniel-Garage (1951) bis zu den U-Bahn-Stationen der Wehrhahn-Linie von netzwerkarchitekten (2016). Das Amerikanische Generalkonsulat von Skidmore, Owings & Merrill (SOM) markiert den Beginn der Nachkriegsmoderne, das Dreischeibenhaus von HPP (1960) setzt das Ausrufezeichen des Wirtschaftswunders, der NRW-Landtag von Eller Moser Walter + Partner (1988) symbolisiert die bürgernahe Demokratie. Dass Düsseldorf in seiner Affinität zur Moderne immer wieder eingeknickt ist, prägende Bauten vernachlässigt und entstellt sowie Ensembles vom Verkehr zerschnitten wurden, wird kritisch vermerkt. Das 1997 abgerissene Studienhaus von Bernhard Pfau ist das prominenteste, "die in die Jahre gekommene Oper" wohl das nächste Opfer.
Über die Auswahl und manche Einschätzung lässt sich streiten. Die Galerie Schmela von Aldo van Eyck, sein einziger Bau in Deutschland, fehlt, und ob der vielgescholtene Friedrich Tamms mit der Nord-Süd-Achse und der "Brückenfamilie" die Stadt nicht erst aus ihren engen Strukturen befreit hat, erscheint ebenso diskutabel wie die Bedeutung der (unerwähnten) Einkaufspassagen, zumal deren mondänste, die Kö-Galerie (1986), die Talmi-Seite der Düsseldorfer Moderne repräsentiert. Das Lektorat hat nicht nur Redundanzen durchgehen lassen: Der zweite Vorname von Oswald Mathias Ungers ist nicht Maria, und Dani Karavan hat am Duisburger Innenhafen neben dem "Garten der Erinnerung" nicht auch die (von Zvi Hecker entworfene) Synagoge gestaltet.
Doch das sind Nachlässigkeiten. Die belesene und engagierte Darstellung zeichnet das Porträt einer modernen, weltoffenen Stadt. Wer seine Vorurteile über Düsseldorf, provinziell und protzig, ablegen möchte, ist mit diesem vielfältig bebilderten Architekturführer gut bedient. ANDREAS ROSSMANN
Klaus Englert: "Architekturführer Düsseldorf".
DOM publishers, Berlin 2022, 418 S., Abb., br., 38,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Von wegen Provinz: Klaus Englert zeichnet in seinem kundigen Architekturführer ein Porträt Düsseldorfs als moderner und weltoffener Stadt.
Der "Architekturführer Köln", der vor einem Jahr in derselben Reihe herauskam (F.A.Z. vom 13. Juli 2021), bringt es auf vierhundert Seiten. Der "Architekturführer Düsseldorf" beansprucht achtzehn Seiten mehr und das, obwohl Düsseldorf nur etwas mehr als halb so groß und weniger als halb so alt ist. Und da soll die heutige Landeshauptstadt von Nordrhein-Westfalen architektonisch mehr zu bieten haben als die stolze Colonia?
Die Frage ist dem leidigen Vergleichszwang geschuldet, in dem die ungleichen Rhein-Schwestern ihre Rivalität ritualisiert haben. Doch schon die Auswahl schafft eine Schieflage. Denn während sich der Kölner Autor Anselm Weyer nicht über die Stadtgrenze traut, schweift der Düsseldorfer Klaus Englert auch nach Neuss, Mettmann oder Velbert aus, wo er Gottfried Böhms Mariendom in Neviges (1968), aber auch dessen frühe Kirche St. Paulus (1955) besichtigt.
Beide Publikationen lassen den herkömmlichen Architekturführer, der sehenswerte Gebäude enzyklopädisch auflistet, hinter sich. Dabei sind sie konzeptionell grundverschieden: Weyer erzählt die Baugeschichte seit der römischen Gründung, Englert widmet sich "bestimmten charakteristischen Strängen (...), die das Unverwechselbare der Landeshauptstadt ausmachen" und sich seit der frühen Moderne, als Joseph Maria Olbrich, Peter Behrens und Wilhelm Kreis hier wirkten, abzeichnen. Was älter ist, fehlt: keine (barocke) Andreaskirche und keine Basilika St. Margareta in Gerresheim, nur eine Innenaufnahme von Schloss Benrath, kein Ratinger Tor oder Palais Wittgenstein. Architekturgeschichte schreibt die Stadt, und das entspricht ihrem Selbstverständnis, erst seit 1900.
Die Zukunft von Düsseldorf aber beginnt früher: mit dem 1769 angelegten Hofgarten und seiner Umgestaltung durch Maximilian Wilhelm Weyhe Anfang des neunzehnten Jahrhunderts. An dessen grünes Band für eine offene Gartenstadt, das immer weiter beschnitten wurde, knüpft Englert den Diskurs über einen ökologischen Stadtumbau, der den Hofgarten als Herz einer "Green City" definiert. Mit Vorschlägen dazu ist seit dreißig Jahren Christoph Ingenhoven zur Stelle. Der Architekt, geboren 1960, ist der herausragende Kopf seiner Zunft in der Stadt, mit der er, ingeniös und diskursstark, emotional verbunden ist. Englert, der ihn auch im Interview zu Wort kommen lässt ("Eine Million Bäume für Düsseldorf"), macht ihn zum Gewährsmann seiner Erörterung und belässt es nicht dabei, die bisher realisierten Phasen, mit dem Kö-Bogen I von Daniel Libeskind und dem Kö-Bogen II von Ingenhoven, nachzuzeichnen: Der "Architekturführer" wird zum Wegweiser in die Zukunft der Stadt, in der das Gewässer, nach dem sie benannt ist, wieder sichtbar wird.
Die folgenden Kapitel sind historisch und thematisch geordnet: "Frühe Moderne", die sich - zwischen Mannesmann-Hauptverwaltung und Ehrenhof - am Rhein entlang zieht, "Neues Bauen" mit vom Bauhaus inspirierten Siedlungen und Projekten, "Kulturlandschaft", die nach Neuss (Insel Hombroich) und Mettmann (Neanderthal-Museum) ausgreift, sowie "Quartiersentwicklung", die mehrere Vorzeigeprojekte und die mit Solitären von Stararchitekten gestylte Transformation des Industriehafens zum Medienhafen vorstellt. Ähnlich ausführlich fällt "Sakralarchitektur der Moderne" aus, wo neben Böhm vor allem Josef Lehmbrock, Emil Steffann und Hans Schwippert die Experimentierfreude des Erzbistums Köln bezeugen, mit der die evangelische Konkurrenz mit Werken von Hans Junghanns oder Hentrich Petschnigg & Partner (HHP) - doch ohne die Matthäikirche von Wach + Rosskotten - nicht mithalten kann. "Kirchliche Einrichtungen" ziehen die Linie in die Gegenwart fort.
Nur wenige Einfamilienhäuser werden berücksichtigt, darunter jene, die Architekten wie Schwippert oder Bernhard Pfau für sich selbst gebaut haben. Auch das Kapitel "Moderner Schulbau" könnte mehr hergeben, "Verkehrsbauten" reicht von Paul Schneider-Eslebens ikonischer Haniel-Garage (1951) bis zu den U-Bahn-Stationen der Wehrhahn-Linie von netzwerkarchitekten (2016). Das Amerikanische Generalkonsulat von Skidmore, Owings & Merrill (SOM) markiert den Beginn der Nachkriegsmoderne, das Dreischeibenhaus von HPP (1960) setzt das Ausrufezeichen des Wirtschaftswunders, der NRW-Landtag von Eller Moser Walter + Partner (1988) symbolisiert die bürgernahe Demokratie. Dass Düsseldorf in seiner Affinität zur Moderne immer wieder eingeknickt ist, prägende Bauten vernachlässigt und entstellt sowie Ensembles vom Verkehr zerschnitten wurden, wird kritisch vermerkt. Das 1997 abgerissene Studienhaus von Bernhard Pfau ist das prominenteste, "die in die Jahre gekommene Oper" wohl das nächste Opfer.
Über die Auswahl und manche Einschätzung lässt sich streiten. Die Galerie Schmela von Aldo van Eyck, sein einziger Bau in Deutschland, fehlt, und ob der vielgescholtene Friedrich Tamms mit der Nord-Süd-Achse und der "Brückenfamilie" die Stadt nicht erst aus ihren engen Strukturen befreit hat, erscheint ebenso diskutabel wie die Bedeutung der (unerwähnten) Einkaufspassagen, zumal deren mondänste, die Kö-Galerie (1986), die Talmi-Seite der Düsseldorfer Moderne repräsentiert. Das Lektorat hat nicht nur Redundanzen durchgehen lassen: Der zweite Vorname von Oswald Mathias Ungers ist nicht Maria, und Dani Karavan hat am Duisburger Innenhafen neben dem "Garten der Erinnerung" nicht auch die (von Zvi Hecker entworfene) Synagoge gestaltet.
Doch das sind Nachlässigkeiten. Die belesene und engagierte Darstellung zeichnet das Porträt einer modernen, weltoffenen Stadt. Wer seine Vorurteile über Düsseldorf, provinziell und protzig, ablegen möchte, ist mit diesem vielfältig bebilderten Architekturführer gut bedient. ANDREAS ROSSMANN
Klaus Englert: "Architekturführer Düsseldorf".
DOM publishers, Berlin 2022, 418 S., Abb., br., 38,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Rezensent Andreas Rossmann empfiehlt Klaus Englerts Architekturführer durch Düsseldorf allen, die ihre Vorurteile über die Stadt revidieren möchten. Provinziell oder protzig kann Rossmann nicht finden, was Englert in seinem reich bebilderten Band vorstellt, eher erkennt der Rezensent die Weltoffenheit der Stadt und ihrer Umgebung. Das liegt vielleicht auch daran, dass sich der Autor auf die neueren Bauten konzentriert, den "ökologischen Stadtumbau" und damit die Zukunft der City in den Blick nimmt. Die thematische und historische Ordnung hilft Rossmann durch die Menge an Bauten. Vermisst hat er eine weitergehende Beschäftigung mit dem Schulbau und mit dem Einfamilienhaus. Immerhin behandelt Englert laut Rossmann Sünden an der architektonischen Moderne, wo er sie erkennt. Einige Redundanzen und Sachfehler schmälern die Freude an dem Band für den Rezensenten kaum.
© Perlentaucher Medien GmbH
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