Duke Ellington war einer der bedeutendsten Jazzkomponisten des 20. Jahrhunderts. Er war auch ein Pianist allerhöchsten Ranges. Sein eigentliches Instrument aber war seine Bigband mit ihren von ihm ganz individuell gestalteten Sounds. Zudem aber war Duke Ellington vor allem ein selbstbewusster Repräsentant Afro-Amerikas. Wolfram Knauer, Fachmann und Fan, stellt die Musik dieses Ausnahmekünstlers in den Mittelpunkt seines Bandes: die persönliche Herangehensweise Duke Ellingtons, die Aufnahmen, die neben den Strukturen der Musik immer auch deren besondere Interpretationsweise dokumentieren, die Klangsätze, das Streben nach Perfektion mit der dazugehörigen Freude an der Improvisationsfreiheit, am Risiko und am Unerwarteten. Ein Personen- und ein Songregister erleichtern die Orientierung.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 25.11.2017Er ließ sich die Avantgarde nicht anmerken
Ein unbestechlicher musikalischer Richter, der sein Handwerk rundum beherrschte: Wolfram Knauer entschlüsselt das Jazz-Genie Duke Ellington.
Von Wolfgang Sandner
Vielleicht ist der lakonische Titel "Duke Ellington" ohne erklärende Zusätze wie "Sein Leben, seine Musik, seine Zeit" oder schmückende Attribute wie "Der Aristokrat des Swing" eine Vorsichtsmaßnahme Wolfram Knauers für sein Buch über einen der bedeutendsten Künstler in der Geschichte des Jazz. Vorwürfe, zu wenig Neues über das Leben des Duke zu bieten, keine Einordnung in die Gesellschaft seiner Zeit vorzunehmen oder einen Aspekt seiner Musik wie seiner Persönlichkeit allzu sehr in den Vordergrund zu rücken, können ihn so kaum treffen. Nichts davon wird durch attraktive Untertitel suggeriert.
Es bedeutet freilich nicht, dass sich keine großen Erwartungen knüpften an diese Veröffentlichung: Knauer leitet seit 1990 das Jazzinstitut Darmstadt und ist der erste nichtamerikanische Louis-Armstrong-Professor für Jazzstudien an der Columbia-Universität in New York.
Knauers Buch über den 1899 in Washington geborenen Duke Ellington ist keine erschöpfende Biographie über den großen Jazzpianisten und Bandleader, keine Monographie über den wichtigsten Vertreter des Bigband-Jazz, vor allem auch keine umfassende Werkschau eines der produktivsten Komponisten und Arrangeure des amerikanischen Entertainments. Vieles an Fakten wird da aus der mittlerweile unüberschaubar gewordenen Literatur über diesen erstaunlichen Künstler vorausgesetzt.
Dafür aber gelingt es Knauer mit seiner klugen Studie, was wenige Autoren bisher erreicht haben - an konkreten musikalischen Beispielen zu demonstrieren, was diesen Jazzkünstler charakterisiert, was ihn handwerklich von anderen großen Big-Band-Chefs wie Fletcher Henderson, Count Basie oder Benny Goodman unterscheidet, wie er sich in seiner langen Karriere ästhetisch wandelte und so den Jazz stilistisch veränderte.
Dabei wird offenkundig, wie sehr Duke Ellington gerade mit seinen vielen Jazz-Suiten über die Unterhaltungssphäre hinaus an der Schöpfung einer genuin afroamerikanischen Kultur im Sinne der Harlem Renaissance gearbeitet und die öffentliche Wahrnehmung dafür verändert hat. Solche Nachweise am musikalischen Objekt mit einer allgemeinverständlichen Sprache geschafft zu haben, ohne die Kenner mit Vergröberungen abzuschrecken, ist kein geringes zusätzliches Verdienst des Autors. Man könnte nahezu vermuten, Knauer habe sich hier die Kunst Duke Ellingtons zum Vorbild genommen, der mit eingängiger Klangsprache überaus erfolgreich gewesen ist, ohne sich dabei in seinen wesentlichen Kunstäußerungen stilistisch zu verbiegen oder einem ästhetischen Mainstream zu huldigen. Im Grunde war Duke Ellington - so Knauer - "ein Avantgardist, dem man dies nicht anmerkte".
Viel ist schon darüber geschrieben worden, wie sehr Duke Ellington mit Klangfarben umgehen konnte, dass er seine Arrangements nicht für ein standardisiertes Jazzorchester schrieb, sondern für ganz bestimmte Musiker seines eigenen Orchesters. Knauer fügt diesen Fakten wichtige Erkenntnisse hinzu, die er nicht zuletzt durch Recherchen an der Smithsonian Institution in Washington, D. C., im Nachlass des Künstlers gewonnen hat. Ellingtons Kompositionen und Arrangements waren nie "Werke" im europäischen Sinne, sie befanden sich stets im Zustand des Erfindens, waren eher "Werkstadien", was etwa auch daran ersichtlich wird, dass Duke Ellington Schwierigkeiten hatte, ansprechende Schlüsse für seine Werke zu finden.
Die Musiker stellten selbst so etwas wie musikalische Parameter dar, als seien sie Träger ganz konkreter Tonhöhen, Tonlängen, rhythmischer Werte oder harmonischer Zusammenhänge, die sich erst im Konzert oder im Studio individuell darstellten. Daraus erklärt sich auch, warum Ellington und sein Orchester eine so unverrückbare Einheit bildeten, seine Musiker sich angemessen vor allem in seinen Arrangements ausdrücken konnten und dies auch spürten.
Viele von ihnen haben die beste Zeit ihrer musikalischen Aktivität in der Big Band des Duke verbracht. Einer von ihnen hat es plakativ formuliert: Der Duke sei ein unbestechlicher musikalischer Richter gewesen, und der Urteilsspruch für viele, die vor die Schranken seines Orchesters traten, lautete: "Lebenslänglich".
Duke Ellington - das wird nach der Lektüre dieses Buches offenkundig - war ein umfassend gebildeter Musiker, der jenseits stilistischer Kategorien alle Aspekte seines Handwerkszeugs, das Klavier, das Schreiben fürs Orchester, die Bühnenpräsentation, Tanzmusik, Schlager, Film- und Konzertmusik beherrschte, dabei modern und nie modisch agierte.
Wolfram Knauer hat aber auch das Umfeld im Blick. Es gelingt ihm, in knappsten Exkursen geradezu beispielhaft, Zusammenhänge herzustellen und musikalische Entwicklungen aufzuzeigen, etwa seine Geburtsstadt Washington D. C. in ihrer sozialen und kulturellen Vielfalt um die Jahrhundertwende vor Augen zu führen oder die größten Individualisten des Jazz zu porträtieren: Louis Armstrong, den ersten Solokünstler des Jazz, Charlie Parker in seiner spieltechnischen Meisterschaft, Miles Davis, den Entdecker der Zwischentöne und des Sounds, John Coltrane mit harmonischen Experimenten. Und Duke Ellington als Vordenker all dieser Genies.
Wolfram Knauer: "Duke Ellington".
Reclam Verlag, Stuttgart 2017. 328 S., Abb., geb., 29,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Ein unbestechlicher musikalischer Richter, der sein Handwerk rundum beherrschte: Wolfram Knauer entschlüsselt das Jazz-Genie Duke Ellington.
Von Wolfgang Sandner
Vielleicht ist der lakonische Titel "Duke Ellington" ohne erklärende Zusätze wie "Sein Leben, seine Musik, seine Zeit" oder schmückende Attribute wie "Der Aristokrat des Swing" eine Vorsichtsmaßnahme Wolfram Knauers für sein Buch über einen der bedeutendsten Künstler in der Geschichte des Jazz. Vorwürfe, zu wenig Neues über das Leben des Duke zu bieten, keine Einordnung in die Gesellschaft seiner Zeit vorzunehmen oder einen Aspekt seiner Musik wie seiner Persönlichkeit allzu sehr in den Vordergrund zu rücken, können ihn so kaum treffen. Nichts davon wird durch attraktive Untertitel suggeriert.
Es bedeutet freilich nicht, dass sich keine großen Erwartungen knüpften an diese Veröffentlichung: Knauer leitet seit 1990 das Jazzinstitut Darmstadt und ist der erste nichtamerikanische Louis-Armstrong-Professor für Jazzstudien an der Columbia-Universität in New York.
Knauers Buch über den 1899 in Washington geborenen Duke Ellington ist keine erschöpfende Biographie über den großen Jazzpianisten und Bandleader, keine Monographie über den wichtigsten Vertreter des Bigband-Jazz, vor allem auch keine umfassende Werkschau eines der produktivsten Komponisten und Arrangeure des amerikanischen Entertainments. Vieles an Fakten wird da aus der mittlerweile unüberschaubar gewordenen Literatur über diesen erstaunlichen Künstler vorausgesetzt.
Dafür aber gelingt es Knauer mit seiner klugen Studie, was wenige Autoren bisher erreicht haben - an konkreten musikalischen Beispielen zu demonstrieren, was diesen Jazzkünstler charakterisiert, was ihn handwerklich von anderen großen Big-Band-Chefs wie Fletcher Henderson, Count Basie oder Benny Goodman unterscheidet, wie er sich in seiner langen Karriere ästhetisch wandelte und so den Jazz stilistisch veränderte.
Dabei wird offenkundig, wie sehr Duke Ellington gerade mit seinen vielen Jazz-Suiten über die Unterhaltungssphäre hinaus an der Schöpfung einer genuin afroamerikanischen Kultur im Sinne der Harlem Renaissance gearbeitet und die öffentliche Wahrnehmung dafür verändert hat. Solche Nachweise am musikalischen Objekt mit einer allgemeinverständlichen Sprache geschafft zu haben, ohne die Kenner mit Vergröberungen abzuschrecken, ist kein geringes zusätzliches Verdienst des Autors. Man könnte nahezu vermuten, Knauer habe sich hier die Kunst Duke Ellingtons zum Vorbild genommen, der mit eingängiger Klangsprache überaus erfolgreich gewesen ist, ohne sich dabei in seinen wesentlichen Kunstäußerungen stilistisch zu verbiegen oder einem ästhetischen Mainstream zu huldigen. Im Grunde war Duke Ellington - so Knauer - "ein Avantgardist, dem man dies nicht anmerkte".
Viel ist schon darüber geschrieben worden, wie sehr Duke Ellington mit Klangfarben umgehen konnte, dass er seine Arrangements nicht für ein standardisiertes Jazzorchester schrieb, sondern für ganz bestimmte Musiker seines eigenen Orchesters. Knauer fügt diesen Fakten wichtige Erkenntnisse hinzu, die er nicht zuletzt durch Recherchen an der Smithsonian Institution in Washington, D. C., im Nachlass des Künstlers gewonnen hat. Ellingtons Kompositionen und Arrangements waren nie "Werke" im europäischen Sinne, sie befanden sich stets im Zustand des Erfindens, waren eher "Werkstadien", was etwa auch daran ersichtlich wird, dass Duke Ellington Schwierigkeiten hatte, ansprechende Schlüsse für seine Werke zu finden.
Die Musiker stellten selbst so etwas wie musikalische Parameter dar, als seien sie Träger ganz konkreter Tonhöhen, Tonlängen, rhythmischer Werte oder harmonischer Zusammenhänge, die sich erst im Konzert oder im Studio individuell darstellten. Daraus erklärt sich auch, warum Ellington und sein Orchester eine so unverrückbare Einheit bildeten, seine Musiker sich angemessen vor allem in seinen Arrangements ausdrücken konnten und dies auch spürten.
Viele von ihnen haben die beste Zeit ihrer musikalischen Aktivität in der Big Band des Duke verbracht. Einer von ihnen hat es plakativ formuliert: Der Duke sei ein unbestechlicher musikalischer Richter gewesen, und der Urteilsspruch für viele, die vor die Schranken seines Orchesters traten, lautete: "Lebenslänglich".
Duke Ellington - das wird nach der Lektüre dieses Buches offenkundig - war ein umfassend gebildeter Musiker, der jenseits stilistischer Kategorien alle Aspekte seines Handwerkszeugs, das Klavier, das Schreiben fürs Orchester, die Bühnenpräsentation, Tanzmusik, Schlager, Film- und Konzertmusik beherrschte, dabei modern und nie modisch agierte.
Wolfram Knauer hat aber auch das Umfeld im Blick. Es gelingt ihm, in knappsten Exkursen geradezu beispielhaft, Zusammenhänge herzustellen und musikalische Entwicklungen aufzuzeigen, etwa seine Geburtsstadt Washington D. C. in ihrer sozialen und kulturellen Vielfalt um die Jahrhundertwende vor Augen zu führen oder die größten Individualisten des Jazz zu porträtieren: Louis Armstrong, den ersten Solokünstler des Jazz, Charlie Parker in seiner spieltechnischen Meisterschaft, Miles Davis, den Entdecker der Zwischentöne und des Sounds, John Coltrane mit harmonischen Experimenten. Und Duke Ellington als Vordenker all dieser Genies.
Wolfram Knauer: "Duke Ellington".
Reclam Verlag, Stuttgart 2017. 328 S., Abb., geb., 29,- [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Rezensent Wolfgang Sandner bekommt mit dem Buch des Jazzspezialisten Wolfram Knauer weder eine erschöpfende Biografie des Jazz-Pianisten und Bandleaders Duke Ellington noch eine Monografie des Bigband-Jazzers oder eine umfassende Werkschau. Was ihm der Autor hingegen bietet, ist eine auf Recherchen im Nachlass des Musikers basierende, mit konkreten Musikbeispielen arbeitende handwerkliche Charakterisierung Ellingtons und seiner künstlerischen Entwicklung wie seines kulturellen Umfelds. Eine verständliche Sprache und ein Differenzierungsvermögen, das auch Kenner zur Lektüre einlädt, machen den Band für Sandner zum Leckerbissen.
© Perlentaucher Medien GmbH
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