Die Mittvierzigerin Agnes Imhof ist vieles - promovierte Islamwissenschaftlerin, Autorin, ausgebildete Sängerin, Schwertkämpferin etc. Kein Wunder, dass Gleichförmigkeit und Routinen sie im Alltag einengen. Hinzu kommen ihre blitzschnelle Auffassungsgabe, ihre unstillbare Neugier, ihr starker
Gerechtigkeitssinn und ihre entwaffnende Ehrlichkeit. Was hinter ihrem Drang, Wissen anzusammeln und den…mehrDie Mittvierzigerin Agnes Imhof ist vieles - promovierte Islamwissenschaftlerin, Autorin, ausgebildete Sängerin, Schwertkämpferin etc. Kein Wunder, dass Gleichförmigkeit und Routinen sie im Alltag einengen. Hinzu kommen ihre blitzschnelle Auffassungsgabe, ihre unstillbare Neugier, ihr starker Gerechtigkeitssinn und ihre entwaffnende Ehrlichkeit. Was hinter ihrem Drang, Wissen anzusammeln und den eigenen Intellekt stets herauszufordern, stecken könnte, bleibt lange Zeit unklar. Das lag zum einen an der Unwissenheit der Eltern und den damals vorherrschenden Rollenbildern und zum anderen an der noch wenig erforschten Diagnose Hochbegabung. Erst als sich herausstellt, dass Imhofs Tochter hochbegabt ist, sieht Agnes ihre Vergangenheit plötzlich mit ganz anderen Augen. Nun ergibt die Ablehnung, das Unverständnis und das gefühlte Anderssein endlich Sinn. Denn auch die polyglotte Autorin hat einen IQ von über 130. Ihr jahrelanges Versteckspiel als Underachiever, ihre unbändige Lust über den Tellerrand zu schauen und ihr mäßiger Erfolg bei Männern offenbaren, dass es vor allem hochbegabte Frauen nicht leicht haben, von der Gesellschaft akzeptiert zu werden. Imhof fasst dies auf Seite 16 so zusammen: "Intelligente Männer haben Groupies, intelligente Frauen haben einen Therapeuten." Und das stimmt. Während sich Frauen immer noch dafür entschuldigen müssen, Karriere zu machen bzw. besser als ihre männlichen Kollegen zu sein, sind hochintelligente Männer in Führungspositionen etc. geradezu normal. Selbstironisch und mit viel Sachverstand berichtet Imhof in ihrem herrlich plakativen Buchtitel "Dummerweise hochbegabt" von ihrem steinigen Weg zu einem zufriedenen Leben als Hochbegabte. Als Vergleichsbeispiele wählt sie ebenfalls hochintelligente Serienstars wie Sheldon aus "The Big Bang Theory" oder Sherlock Holmes. Besonders im Alltagsleben stößt sie mit ihrem klaren Verstand oft an ihre Grenzen. Denn wofür andere sich begeistern können und womit sie ihre Zeit verbringen, das füllt die Autorin nicht aus. Belangloser Smalltalk, immer gleiche Verwaltungstätigkeiten und Machtspielchen auf der Arbeit, öden sie an, führen in ihrem Fall sogar zum Bore-out. Daraufhin setzt bei ihr ein Umdenken in Sachen Persönlichkeit und Selbstentfaltung ein. Endlich lebt sie ihre Talente frei aus, umgibt sich mit Gleichgesinnten und schämt sich nicht mehr, wenn ihr mal wieder ein gebildeter und vor Sarkasmus triefender Kommentar herausrutscht.
Mir hat Agnes Imhof mit ihren persönlichen Zeilen aus der Seele gesprochen. Besonders ihre komplexen und sprunghaften Gedankengänge sowie ihre ausgeprägte Wissbegierde kamen mir bekannt vor. Zudem offenbart ihr Beispiel, wie schwer es hochbegabte Frauen selbst heute noch haben. Ihre unverstellte wie humorige Sprache entsprach vollkommen meinem Geschmack. Kurzum, locker-flockig anstatt streberhaft-trocken kombiniert sie eigene Erlebnisse mit wissenschaftlichen Erkenntnissen und Forschungen.
FAZIT
Meine erste wirkliche Buchentdeckung in 2019. Imhof ist ein Paradebespiel dafür, dass in unserer heutigen Gesellschaft in Sachen Gleichberechtigung und Akzeptanz noch nicht alles stimmt. Weibliche Intelligenz ist keine Diagnose, die aufs soziale Abstellgleis führen sollte, sondern ein Geschenk.