Marktplatzangebote
6 Angebote ab € 6,00 €
Produktdetails
  • Verlag: Sonderzahl
  • Seitenzahl: 167
  • Abmessung: 210mm
  • Gewicht: 207g
  • ISBN-13: 9783854491552
  • Artikelnr.: 25146836
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 13.03.2000

Wie sich die Demokratie selbst abschaffen kann
Der Österreicher Robert Menasse schreibt über ein Land, das schon vor Jörg Haider in einer tiefen Krise steckte
ROBERT MENASSE: Dummheit ist machbar; begleitende Essays zum Stillstand der Republik, Sonderzahl Verlagsgesellschaft, Wien 1999. 167 S. , 27 Mark.
Am Vorabend der Nationalratswahlen in Österreich im Oktober vergangenen Jahres wurde der Dichter und Essayist Robert Menasse während einer Podiumsdiskussion gefragt, wie er sich denn einen Machtwechsel in Österreich vorstelle. Seine Antwort: „Ich mache den Vorschlag, diese Regierung endlich abzuwählen. Ihr nehmt diesen Vorschlag nicht an. Damit kann ich leben. ” Ein Selbstzitat: Die letzten drei Sätze des ersten Kapitels seines neuen Buchs „Dummheit ist machbar; Begleitende Essays zum Stillstand der Republik”.
Seit dem 3. Februar diesen Jahres ist der von Menasse apostrophierte „Stillstand” beendet und sein Vorschlag angenommen. Auch wenn er sich selbst, wie er in dem Buch schreibt, eine Ampelkoalition aus schwarz-gelb-grün als Alternative zur immer währenden SPÖ-ÖVP-Koalition gewünscht hätte, wird ihn das Ergebnis nicht überrascht haben.
Kanzler der Zukunft
Wer begreifen möchte, wie Jörg Haider in Österreich zum Medien- und Politstar werden konnte, der auch schon mal zum nächsten Kanzler stilisiert wird, obwohl zwei Drittel des Wahlvolkes andere Parteien gewählt haben – für den sollten Menasses Kommentare und Essays Pflichtlektüre werden. Dabei beschäftigt sich das Buch keinesfalls in der Hauptsache mit dem Kärntner Landeshauptmann aus dem Bärental. Vor allem anderen wird die Jahrzehnte währende große Koalition seziert. Menasse spießt das Grundmuster österreichischer Politik, das von ihm so genannte „Entweder - und - oder - Prinzip”, anhand vieler Beispiele auf; dieses Prinzip, das die Demokratie im institutionalisierten Interessenausgleich erstickt hat. Im Verschwinden von politischen Alternativen erkennt der österreichische Autor den Grund für Haiders Aufstieg. Und ebenso in der Ausgrenzung von Kritik, wie sie die beiden großen Regierungsparteien unter Führung der Sozialdemokraten im Laufe von Jahrzehnten perfektioniert hatten.
Diese Immunisierung gegen Kritik gedieh in einem gesellschaftlichen Klima, in dem selbst kritische Geister verteidigten, was Haider kritisiert hatte, nur weil Haider es war, der es kritisiert hatte. Mit anderen Worten: Manche Kritik Haiders an den spezifischen Formen österreichischen Korporatismus trifft sich eben auch mit der Kritik der Linken. Immer wieder setzt sich der renommierte Schriftsteller mit der Kulturpolitik der Alpenrepublik auseinander – und damit, wie sie in der Öffentlichkeit und in den Parteien reflektiert wird.
Ein Beispiel: Da soll Menasse für ein großes Wochenmagazin ein Kapitel aus Haiders Buch über Kunst, Medien und Intellektuelle kommentieren, in dem der Rechtspopulist die Abschaffung von Kultursubventionen fordert. Zu diesem Zeitpunkt hat Haider in Österreichs nationaler Politik noch nichts zu sagen. In der gleichen Woche wird von der großen Koalition unter sozialdemokratischer Anleitung ein Gesetz verabschiedet, das massive Kürzungen der Subventionen von Kultur- und Alternativzeitungen vorsieht. Während Haider also Subventionskürzungen für den Fall ankündigt, dass er an die Macht kommt, und Menasse dies kritisieren soll, weil der Vorschlag von Haider ist, wird real von einem sozialdemokratischen Kanzler ein Teil der Medienförderung gekippt – und zwar ohne jede öffentliche Diskussion. Betroffen von diesen Kürzungen waren eben nicht die Großverlage – die werden weiter subventioniert –, sondern ein paar Dutzend unabhängige Alternativzeitschriften.
An anderer Stelle zitiert er eine SPÖ-Ministerin: „Die Künstler sind wie die Beamten. Jetzt sind sie gegen uns, weil wir sie nicht mehr mit der Gießkanne fördern tun. ” Bei Haider heißt es: „Mit dem Tod von Jean Paul Sartre ist auch der letzte europäische Intellektuelle gestorben. Was danach kam, sind Kleinkrämer mit Beamtenmentalität. ” Worin unterscheiden sich diese Aussagen in ihrer Kulturfeindlichkeit, fragt Menasse: Die SPÖ-Frau trägt als Regierungsmitglied politische Verantwortung. Österreich sei, klagt der Essayist, „ein Paradies des politischen Analphabetismus. ”
Gerade weil das Buch erschien, bevor Haiders FPÖ an der Macht in Wien beteiligt und die SPÖ in die Opposition geschickt wurde, ist es so brisant. Allen heimlichen und bekennenden Fans großer Koalitionen – gerade auch hierzulande – sei dieses Buch ans Herz gelegt. Es zeigt en detail, wie sich die Demokratie selber abschaffen kann. Und zwar ganz ohne Haider.
MAX THOMAS MEHR
Der Rezensent ist freier Journalist in
Berlin.
Volle Kraft voraus: Jörg Haider hat große Pläne. Der Experte für Strategie und Taktik will eine andere Republik.
Foto: SZ-Archiv
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Eine Dienstleistung der DIZ München GmbH
…mehr