Das Magazin Monocle kürte Tokio drei Jahre in Folge zur lebenswertesten Stadt der Welt. Und doch findet sich in so gut wie jedem Reiseführer die Warnung: »Tokio ist keine schöne Stadt.« Andreas Neuenkirchen ist dennoch zusammen mit seiner Frau und seinem Kind geblieben und lüftet wunderbar unterhaltsam das Geheimnis, warum seine neue Wahlheimat auf ihre ganz eigene Weise glücklich macht.
Seine Entdeckungsreise führt ihn in Karaoke-Kabinen genauso wie in Alte-Herren-Nudellokale, unter Kirschblüten wie unter Millionen von Regenschirme, früh morgens in den Park und mitternachts in den Convenience Store. Im vernetzten, intelligenten Haus hält er Zwiegespräche mit Alarm- und Klimaanlage, und in der kleinen Craft-Getränke-Bar in seiner Straße macht er die Bekanntschaft von Süßkartoffel-Ales und anderen Spezialitäten japanischer Bierbraukunst.
Seine Entdeckungsreise führt ihn in Karaoke-Kabinen genauso wie in Alte-Herren-Nudellokale, unter Kirschblüten wie unter Millionen von Regenschirme, früh morgens in den Park und mitternachts in den Convenience Store. Im vernetzten, intelligenten Haus hält er Zwiegespräche mit Alarm- und Klimaanlage, und in der kleinen Craft-Getränke-Bar in seiner Straße macht er die Bekanntschaft von Süßkartoffel-Ales und anderen Spezialitäten japanischer Bierbraukunst.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 04.10.2018Treibenlassen
in Tokio
Zwei unterschiedliche Bücher
über die japanische Megastadt
Oberflächlich betrachtet haben Leopold Federmair und Andreas Neuenkirchen einiges gemein. Beide männliche Autoren haben Frau und Tochter, sind deutsche Auswanderer, sesshaft in Tokio. Sie schreiben als Außenseiter über Insider der Hauptstadt Japans, dabei wandern sie als Vermittler zwischen zwei fernen Kulturen durch die dicht bebaute Neun-Millionen-Einwohner-Stadt, durch ihre Bezirke Meguro, Shinjuku, Shibuya und halten dabei ihre Eindrücke fest. Doch ihre beiden Bücher könnten nicht unterschiedlicher sein, sie beschwören zwei völlig verschiedene Bilder der Stadt.
Während Neuenkirchen seine Eindrücke in „Happy Tokio“ auf knapp 300 Seiten in humorvoller, selbstironischer Leichtigkeit darlegt, neigen Federmairs „Tokyo Fragmente“ zu Melancholie. Der österreichische Schriftsteller und Übersetzer Federmair lebt seit 16 Jahren in der japanischen Metropole. Seine Gedanken und Beschreibungen mäandern wie er durch das Dickicht der Stadt, oft ohne erkennbaren Zusammenhang, ohne roten Faden, ziellos treibt er dahin, verloren in der anonymen Masse und doch wissend, irgendwie dazuzugehören, strauchelnd zwischen Konsumoasen und Kirschblütengärten.
Federmair ist der autobiografische Erzähler seiner Fragmente, doch bleibt dieser Erzähler eigentümlich anonym. Seine manierierte Sprache schafft eine Distanz, die es während der Begegnungen mit Einheimischen in Kaffeehäusern oder bei einer Tasse Oolong-Tee eigentlich gar nicht gibt. Ausschweifende Randbemerkungen führen zudem weg von der Stadt, weg von Tokio.
Einen anderen Zugang – lockerer, gelöster – gewährt Neuenkirchen. Auch er strukturiert sein Buch lose danach, wohin ihn der Schreibfluss treibt. Er erzählt von garstigen Krähen im Park und Guilty Pleasures wie dem Maid-Café, wo sich junge Japanerinnen als Mägde verkleiden und meist männliche Gäste keusch über ihre Einsamkeit hinwegtrösten. An fragwürdigen kulinarischen Kostproben wie Haifischflossensuppe, vergorenen Sojabohnen („Natto“), Pizza mit Honig oder süffigem Orion-Bier lässt Neuenkirchen den Leser ebenso teilhaben wie an seinem Alltag als ausländischer Freiberufler und Spielplatz-Vati, der zwischen überwiegend japanischen Spielplatz-Muttis recht skeptisch beäugt wird.
Charmant ist an beiden Büchern, von ihnen keine touristische Perspektive aufgedrängt zu bekommen. Sehenswürdigkeiten wie Shibuya Crossing oder das Kaufhaus Laforet Harajuku streifen die Autoren nur flüchtig. Stattdessen dringt ein Hauch des Alltags durch die Seiten, beschwingt, ja, und schwermütig zugleich.
CAROLIN WERTHMANN
Leopold Federmair: Tokyo Fragmente. Otto Müller Verlag, Salzburg und Wien 2018. 398 Seiten, 24 Euro. E-Book 19,99 Euro.
Andreas Neuenkirchen: Happy Tokio. Mein neues Leben in Japans hässlich-schöner Stadt. Dumont Reiseverlag, Ostfildern 2018. 294 Seiten, 14,99 Euro. E-Book 12,99 Euro.
Ein Hauch Alltag dringt durch
die Seiten, beschwingt und
schwermütig zugleich
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Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
in Tokio
Zwei unterschiedliche Bücher
über die japanische Megastadt
Oberflächlich betrachtet haben Leopold Federmair und Andreas Neuenkirchen einiges gemein. Beide männliche Autoren haben Frau und Tochter, sind deutsche Auswanderer, sesshaft in Tokio. Sie schreiben als Außenseiter über Insider der Hauptstadt Japans, dabei wandern sie als Vermittler zwischen zwei fernen Kulturen durch die dicht bebaute Neun-Millionen-Einwohner-Stadt, durch ihre Bezirke Meguro, Shinjuku, Shibuya und halten dabei ihre Eindrücke fest. Doch ihre beiden Bücher könnten nicht unterschiedlicher sein, sie beschwören zwei völlig verschiedene Bilder der Stadt.
Während Neuenkirchen seine Eindrücke in „Happy Tokio“ auf knapp 300 Seiten in humorvoller, selbstironischer Leichtigkeit darlegt, neigen Federmairs „Tokyo Fragmente“ zu Melancholie. Der österreichische Schriftsteller und Übersetzer Federmair lebt seit 16 Jahren in der japanischen Metropole. Seine Gedanken und Beschreibungen mäandern wie er durch das Dickicht der Stadt, oft ohne erkennbaren Zusammenhang, ohne roten Faden, ziellos treibt er dahin, verloren in der anonymen Masse und doch wissend, irgendwie dazuzugehören, strauchelnd zwischen Konsumoasen und Kirschblütengärten.
Federmair ist der autobiografische Erzähler seiner Fragmente, doch bleibt dieser Erzähler eigentümlich anonym. Seine manierierte Sprache schafft eine Distanz, die es während der Begegnungen mit Einheimischen in Kaffeehäusern oder bei einer Tasse Oolong-Tee eigentlich gar nicht gibt. Ausschweifende Randbemerkungen führen zudem weg von der Stadt, weg von Tokio.
Einen anderen Zugang – lockerer, gelöster – gewährt Neuenkirchen. Auch er strukturiert sein Buch lose danach, wohin ihn der Schreibfluss treibt. Er erzählt von garstigen Krähen im Park und Guilty Pleasures wie dem Maid-Café, wo sich junge Japanerinnen als Mägde verkleiden und meist männliche Gäste keusch über ihre Einsamkeit hinwegtrösten. An fragwürdigen kulinarischen Kostproben wie Haifischflossensuppe, vergorenen Sojabohnen („Natto“), Pizza mit Honig oder süffigem Orion-Bier lässt Neuenkirchen den Leser ebenso teilhaben wie an seinem Alltag als ausländischer Freiberufler und Spielplatz-Vati, der zwischen überwiegend japanischen Spielplatz-Muttis recht skeptisch beäugt wird.
Charmant ist an beiden Büchern, von ihnen keine touristische Perspektive aufgedrängt zu bekommen. Sehenswürdigkeiten wie Shibuya Crossing oder das Kaufhaus Laforet Harajuku streifen die Autoren nur flüchtig. Stattdessen dringt ein Hauch des Alltags durch die Seiten, beschwingt, ja, und schwermütig zugleich.
CAROLIN WERTHMANN
Leopold Federmair: Tokyo Fragmente. Otto Müller Verlag, Salzburg und Wien 2018. 398 Seiten, 24 Euro. E-Book 19,99 Euro.
Andreas Neuenkirchen: Happy Tokio. Mein neues Leben in Japans hässlich-schöner Stadt. Dumont Reiseverlag, Ostfildern 2018. 294 Seiten, 14,99 Euro. E-Book 12,99 Euro.
Ein Hauch Alltag dringt durch
die Seiten, beschwingt und
schwermütig zugleich
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