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Eine Stadt ist in Aufruhr. Drei Kinder sind verschwunden. Die erfolglosen Ermittlungen schüren die Wut der Bürger, befeuern die Gerüchte. Verdächtigungen und Schuldzuweisungen greifen um sich. Gehetzt wird gegen die "Katzenfresser", die Zigeuner. Im Radio und im Internet lodert die Sprache des Hasses.Alicja Tabor hat diese Stadt früh verlassen. Nun kehrt sie als Journalistin zurück, um Nachforschungen über die rätselhaften Entführungen anzustellen. Sie quartiert sich im alten Haus ein, das seit dem Tod des Vaters leer steht; die Atmosphäre ist düster, die Stimmung im einst so geliebten Garten…mehr

Produktbeschreibung
Eine Stadt ist in Aufruhr. Drei Kinder sind verschwunden. Die erfolglosen Ermittlungen schüren die Wut der Bürger, befeuern die Gerüchte. Verdächtigungen und Schuldzuweisungen greifen um sich. Gehetzt wird gegen die "Katzenfresser", die Zigeuner. Im Radio und im Internet lodert die Sprache des Hasses.Alicja Tabor hat diese Stadt früh verlassen. Nun kehrt sie als Journalistin zurück, um Nachforschungen über die rätselhaften Entführungen anzustellen. Sie quartiert sich im alten Haus ein, das seit dem Tod des Vaters leer steht; die Atmosphäre ist düster, die Stimmung im einst so geliebten Garten unheimlich. Ständig fühlt sie sich beobachtet, um sie herum ereignen sich unerklärliche Dinge.Schon in Sandberg und Wolkenfern begegnete uns Joanna Bator als Virtuosin der Verknüpfung, die in den verschwiegenen Familiendramen die Geschichte einer Epoche aufleuchten lässt. Mit der ihr eigenen Subtilität schildert sie, wie Stimmungen kippen können, wie latente Ängste und Traumata sich in jähe Ausbrüche von Wahnsinn verwandeln. Dunkel, fast Nacht ist ein Roman über die Brüchigkeit einer Gesellschaft, die ihre gemeinsame Sprache verloren hat.
Autorenporträt
Bator, Joanna
Joanna Bator, 1968 geboren, publizierte in wichtigen polnischen Zeitungen und Zeitschriften und forschte mehrere Jahre lang in Japan. Die deutsche Übersetzung ihres Romans Sandberg durch Esther Kinsky war ein literarisches Ereignis. Seither gilt Joanna Bator als eine der wichtigsten neuen Stimmen der europäischen Literatur. Für Dunkel, fast Nacht (2012) wurde sie mit dem NIKE, dem wichtigsten Literaturpreis Polens, ausgezeichnet. Joanna Bator ist Hochschuldozentin und lebt in Japan und Polen.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Rezensentin Katharina Teutsch lernt, wie Gespenster riechen, und noch einiges mehr in Joanna Bators neuem Roman, den Teutsch durchaus als Weiterführung von Bators früheren Romanen deutet. Die Heldin, eine junge Journalistin, kehrt zurück in ihre niederschlesische Heimatstadt Wałbrzych, um dort über verschwundene Kinder zu recherchieren. Bator inszeniert das laut Teutsch mit Sinn für Splatter und Kitsch, aber vor allem fürs spannende Erzählen über Gattungsgrenzen hinweg. Mal voller Drive, dann wieder im Stil einer Gespenstergeschichte, dann humorig, meint Teutsch, lässt Bator Polens Erniedrigte und Beleidigte sich auf die Suche nach einem uralten Geheimnis machen. Und Platz für eine Liebesgeschichte ist im Buch auch, staunt sie.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.07.2016

Gruselgeschichte aus dem Schlesien der Gegenwart
Wie riecht eigentlich Ektoplasma? Joanna Bators Roman "Dunkel, fast Nacht" zieht alle literarischen Register

Ektoplasma ist das Blut der Geister. Experten stritten lange über die Farbe des Stoffs, der angeblich gräulich beziehungsweise rosafarben schimmerte. Sein Entdecker war der spätere französische Medizin-Nobelpreisträger Charles Richet, der sich Ende des neunzehnten Jahrhunderts auch im spiritistischen Sektor verdient gemacht hatte: ein Ghostbuster mit akademischen Weihen.

Joanna Bator hat jetzt den dritten Roman über ihre niederschlesische Heimatstadt Walbrzych geschrieben, das einmal Waldenburg hieß. Ganz in der Nähe befindet sich Schloss Fürstenstein, die ehemalige Festung von Fürst Bolko dem Strengen, Wohnort zahlreicher Hausgespenster und letzte Residenz einer gewissen Prinzessin Daisy. Als Fürstin von Pless hatte die Engländerin Schlesien zu einem weltläufigen Ort gemacht. Ihre Salons und Jagdgesellschaften waren in der europäischen Noblesse legendär. Aber Daisy hatte auch einen Sinn für Zeitgeschichte. Verbürgt ist ihr soziales Engagement. Die von ihr veranlassten Sozialleistungen für Arbeiter und Angestellte haben Bismarck inspiriert. In den vierziger Jahren wurde Schloss Fürstenstein dann von den Nazis okkupiert und mit unzähligen unterirdischen Gängen versehen. Hier sollte im Rahmen der Aktion "Riese", einem zwangsparanoiden Bauprojekt Speers, Hitlers letztes Hauptquartier entstehen - ausgeführt von Insassen des Konzentrationslagers Groß-Rosen.

Angeblich liegt Daisys sechs Meter lange Orientperlenkette heute immer noch irgendwo im Wald vergraben. Deshalb tummeln sich Schatzsucher, Gespensterjäger und Ahnenforscher aller Couleur in Walbrzych. Um nun allem Unsichtbaren in und um Walbrzych einen Namen zu geben, wird im Roman von Joanna Bator das Ektoplasma eingeführt. So hatte die Schwester der Ich-Erzählerin Alicja einst ihre Dämonen dingfest machen wollen. Als Achtzehnjährige wird sie sich im Wald von Walbrzych das Leben nehmen.

"Dunkel, fast Nacht" ist keine Fortsetzung von Bators Vorgängerromanen, die beide vom Lebensweg der jungen Dominika aus der Plattenbausiedlung "Sandberg" handelten. Und doch kann man eine Art Weiterführung darin erkennen. Handelte "Sandberg" noch von einer Kindheit in den siebziger Jahren und führte "Wolkenfern" ins Polen der späten achtziger Jahre, ist Joanna Bator nun in der Gegenwart angekommen. Ihr Alter Ego ist eine junge Journalistin aus Warschau, die sich zurück in ihre Heimatstadt begibt, um dort eine Reportage über drei verschwundene Kinder zu recherchieren. Dabei dringt sie nicht nur immer tiefer in den Morast von Walbrzych ein, sondern auch in den ihrer Familiengeschichte. Zigeuner, Polen und Deutsche hinterlassen ihre Spuren im Leben der Tabors, Nationalsozialisten und die Rote Armee verwüsten das Land. Ein überforderter Vater sucht nach einem Schatz, eine grausame Mutter bedroht ihre eigenen Kinder und ist dabei - wen wundert's? - selbst das Opfer. Ab und zu erscheint ein Schatten im Garten und hängt als Warnung eine tote Katze in den Baum. Doch wovor wird hier gewarnt? Und von wem?

Joanna Bator gelingt das seltene Kunststück, über weite Strecken eine Spannung zu erzeugen, die über sämtliche Gattungssprünge trägt. In "Dunkel, fast Nacht" zeigt sich der erzählerische Drive der Reporterin Alicja Tabor - ein hübsches Anagramm auf Bator. Kinder werden vermisst, und man fiebert mit der Reporterin, wenn sie den talgigen Sohn des Weisenhausbesitzers im Verdacht hat ("Augen, umkränzt von kurzen hellen Wimpern wie trockenes Schilf") oder der Mutter der vermissten Andzelika einen Besuch abstattet: "Alles an ihr strebte nach unten: das strähnig platte Haar, die herabhängenden Augen- und Mundwinkel, das bauchwärts zur Endmoräne getürmte Fettgewebe, die in Fellpantoffeln gerammten Füße, die aussahen wie zwei standfeste Knollen." Dann wechselt Bator das Register. Ein alter Nachbar ihrer Eltern beginnt aus der Vergangenheit zu erzählen. Geheimnisse, die Fürstin Daisy als Partisanin zeigen, werden dem Leser enthüllt, und er blättert gierig weiter, auch wenn es für den Widerstand der Bewohner des 1943 enteigneten Schlosses keine Belege gibt.

Und abermals springt Bator auf eine andere Stilebene. Ein ehemaliges Stripteaselokal, genannt "Kaninchenloch", mit falschem Spiegel und geheimen Zimmern, wird zum Ausgangspunkt einer TKKGhaften Suche mit ersterbenden Handyakkus und verräterischen Gerüchen nach den Kinderschändern, die am Endpunkt eines verschachtelten Labyrinths auch gefunden werden, inklusive Kinderleiche, Folterbank und Kakerlaken. Draußen auf dem Walbrzycher Marktplatz tobt inzwischen der Mob. Ein falscher Prophet namens Jerry Swan verführt die Leute zum Knochenbuddeln. "Die Leute", das sind alle Arten von Abgehängten des gegenwärtigen Polens - Alte, Kranke, Debile, Sadisten, die wenig mehr verbindet als Armut und Frust und die Bator mit unerbittlichem Humor beschreibt: "Die füllige Knochenverkäuferin genoss ganz offensichtlich die Aufmerksamkeit, die ihr zuteil wurde, und zog sich den Pullover über den vorspringenden Brüsten glatt. Sie hatte seltsame, grau verfärbte Zähne mit Lücken, als wären sie angewidert voneinander abgerückt."

Selbst den neuen Rechtsruck, der sich vor allem im digitalen Typus des Trolls ausdrückt, hat Bator uneinholbar burlesk beschrieben. Und in alldem bringt sie auch noch eine etwas verquälte Liebesgeschichte unter. Obwohl das ziemlich viel ist, verliert sie ihre Leser auf dieser tollkühnen Reise in den polnischen Abgrund nie aus den Augen. Dort herrschen übrigens die sogenannten "Katzenfresser", die Bator unnötig plump als große Antipoden der "Katzenfrauen" ins Spiel bringt. Obwohl dieser dritte Walbrzycher Roman also nicht ohne Kitsch und Splatter auskommt, bleibt er doch ein ganz großes Erzählkunstwerk. Und am Ende wissen wir endlich auch, wie Geister riechen: "Stickige Luft schlug uns entgegen und erschwerte die Bewegungen wie Ektoplasma, es roch schwach nach Räucherwurst."

KATHARINA TEUTSCH

Joanna Bator: "Dunkel, fast Nacht". Roman.

Aus dem Polnischen von Lisa Palmes. Suhrkamp Verlag, Berlin 2016. 510 S., geb., 24,95 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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"Dieser Roman ist so reichhaltig und spielt auch sprachlich auf vielen Ebenen."
Jeannette Villachica, Wiener Zeitung 12.03.2016
»Meisterhaft verwebt Joanna Bator ihr Schicksal mit den großen Themen unserer Zeit. Sie erzählt schnell, beinahe atemlos, mit einer Gabe für liebenswert-skurrile Figuren, die den Leser an die Hand nehmen und aus der Finsternis herausführen.« Angela Wittmann Brigitte 20160413