Produktdetails
- Verlag: Gerstenberg
- ISBN-13: 9783806742855
- ISBN-10: 3806742855
- Artikelnr.: 08190226
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.11.1999Die blaue Grinsekatze als Lesezeichen
James Krüss war skeptisch: "Eine Anthologie ist ein Museum" schrieb er vor vierzig Jahren in seiner Gedichtsammlung "So viele Tage wie das Jahr hat", was da hinein komme, sei schon so gut wie tot. Der Erfolg hat ihn widerlegt; sein hoch geachtetes Hausbuch ist heute immer noch zu kaufen. Auch andere Anthologien sind keine Grabesstätten des Kindergedichts; so aus jüngerer Zeit etwa Ute Andresens' "Im Mondlicht wächst das Gras" oder Hans-Joachim Gelbergs Sammlung "Überall und neben Dir".
Nun gibt es ein neues "Hausbuch der Poesie", das Altes und Neues bietet. Ein Hausbuch ist es tatsächlich, denn es wendet sich an Groß und Klein, ist großformatig und umfangreich. Manche Seite wird sich, leicht wieder auffindbar, ins Gedächtnis graben; dafür sorgen Rotraut Susanne Berners verspielt-skurrilen Bilder. Jede Wette, dass sich Heinz Erhardts Kleingetier-Gedichte später einmal leider nicht mehr stotterfrei aufsagen lassen. An die Illustration seiner "Schnecke" aber, die mit blauem Haus und Brille auf der Nase den sich regenden "Wurm" und die Maden-Witwe freudig begrüßt, wird man sich erinnern. Einprägsam auch der Gitter-Körper von Rilkes Panther und die vierundzwanzig Katzen, die, verteilt auf einer Doppelseite, Storms Gedicht "Von Katzen" umrahmen. Eine kleine Schwarze links oben in der Ecke, eine blaue Grinse-Katze gegenüber, und rechts unten hält sich eine den Bauch vor Lachen. Möglich, dass sie das wehleidige Ich des Gedichts amüsiert; darüber lässt sich nachdenken, gar streiten. Wo die Katzen und ihr Gedicht aber zu finden sind, nämlich ziemlich genau in der Mitte des Buchs, wird man auch nach langer Zeit wissen. Hausbücher sind auch Gebrauchsbücher und die Bilder darin haben nebenbei den praktischen Wert eines Lesezeichens.
Der Herausgeber, Edmund Jacoby, ist ein unbefangen durch die Epochen schlendernder Sammler. Ob das jeweilige Gedicht für Kinder bestimmt war oder nicht, interessiert ihn nicht. Nachlässig aber ist er keinesfalls vorgegangen. Mit großer Sicherheit hat Jacoby Gedichte von Goethe, Eichendorff, Claudius und auch Fontane ausgewählt, die, zumindest mit ihren ersten Zeilen, der mittleren Lesergeneration auch heute noch gegenwärtig sind. Freilich sind das nicht mehr so viele, manche kursieren auch nur noch in ihrer parodierten Form, wofür die Sammlung einige Beispiele gibt. Das Spiel mit Worten liegt dem Herausgeber überhaupt sehr am Herzen: Spottverse, respektlose Abzählreime, freche Kinderrätsel, Lautgedichte und viel Nonsens zeigen hier ehrwürdigen Traditionen und Autoritäten die lange Nase.
Etwa zweihundert Gedichte sind in dem Hausbuch versammelt, und inmitten dieser vielen Stimmen aus unterschiedlichen Zeiten und Landschaften kann sich die Kinderlyrik eines Josef Guggenmos, Hans Manz und Hans Adolf Halbey, Frantz Wittkamp, einer Hanna Johannsen, Christine Nöstlinger und Susanne Kilian gut behaupten. Jacoby ist aber nicht nur ein kenntnisreicher Gedichtesammler, sondern auch ein höchst eigenwilliger Sortierer. Eine anthologieübliche Gliederung etwa nach Jahreszeiten fehlt, dafür gibt es Überschriften wie "Liebe" und "Nachdenken", die jedoch nur auf den ersten Blick überraschen können. Denn was hier versammelt ist - neben der Liebe auch der Liebeskummer, Gedankenvolles zur Zeit, Unrecht und Sterben - all das sind Themenkreise, die in ein "Hausbuch der Poesie" für Kinder und Eltern von heute gehören. Viele neuere Kindergedichte finden sich in diesen grüblerischen Abteilungen - Matthias Claudius' "Abendlied" aber auch. Mit diesem Gedicht schließt die Gruppe "Nachdenken" ab. So ganz ohne Parodie-Zusatz steht es da und verblüfft vor allem die Älteren unter den Hausbuch-Blätterern. Einige Dutzend Male haben sie es wohl schon gehört, aber so berührt hat es selten zuvor.
Mit Anthologien ist es eben wie mit Museen: Langweilig sind sie, wenn sie ihre Funde begraben. Stellen sie ihre Sammlung aber so aus, dass auch Exponate aus ferner, unvertrauter Zeit lebendig und fast neu erscheinen, kann noch jedes Projekt gelingen.
MYRIAM MIELES
Rotraut Susanne Berner, Edmund Jacoby: "Dunkel war's, der Mond schien helle". Verse, Reime und Gedichte. Gerstenberg Verlag, Hildesheim 1999. 151 S., geb., 39,80 DM. Für jedes Alter.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
James Krüss war skeptisch: "Eine Anthologie ist ein Museum" schrieb er vor vierzig Jahren in seiner Gedichtsammlung "So viele Tage wie das Jahr hat", was da hinein komme, sei schon so gut wie tot. Der Erfolg hat ihn widerlegt; sein hoch geachtetes Hausbuch ist heute immer noch zu kaufen. Auch andere Anthologien sind keine Grabesstätten des Kindergedichts; so aus jüngerer Zeit etwa Ute Andresens' "Im Mondlicht wächst das Gras" oder Hans-Joachim Gelbergs Sammlung "Überall und neben Dir".
Nun gibt es ein neues "Hausbuch der Poesie", das Altes und Neues bietet. Ein Hausbuch ist es tatsächlich, denn es wendet sich an Groß und Klein, ist großformatig und umfangreich. Manche Seite wird sich, leicht wieder auffindbar, ins Gedächtnis graben; dafür sorgen Rotraut Susanne Berners verspielt-skurrilen Bilder. Jede Wette, dass sich Heinz Erhardts Kleingetier-Gedichte später einmal leider nicht mehr stotterfrei aufsagen lassen. An die Illustration seiner "Schnecke" aber, die mit blauem Haus und Brille auf der Nase den sich regenden "Wurm" und die Maden-Witwe freudig begrüßt, wird man sich erinnern. Einprägsam auch der Gitter-Körper von Rilkes Panther und die vierundzwanzig Katzen, die, verteilt auf einer Doppelseite, Storms Gedicht "Von Katzen" umrahmen. Eine kleine Schwarze links oben in der Ecke, eine blaue Grinse-Katze gegenüber, und rechts unten hält sich eine den Bauch vor Lachen. Möglich, dass sie das wehleidige Ich des Gedichts amüsiert; darüber lässt sich nachdenken, gar streiten. Wo die Katzen und ihr Gedicht aber zu finden sind, nämlich ziemlich genau in der Mitte des Buchs, wird man auch nach langer Zeit wissen. Hausbücher sind auch Gebrauchsbücher und die Bilder darin haben nebenbei den praktischen Wert eines Lesezeichens.
Der Herausgeber, Edmund Jacoby, ist ein unbefangen durch die Epochen schlendernder Sammler. Ob das jeweilige Gedicht für Kinder bestimmt war oder nicht, interessiert ihn nicht. Nachlässig aber ist er keinesfalls vorgegangen. Mit großer Sicherheit hat Jacoby Gedichte von Goethe, Eichendorff, Claudius und auch Fontane ausgewählt, die, zumindest mit ihren ersten Zeilen, der mittleren Lesergeneration auch heute noch gegenwärtig sind. Freilich sind das nicht mehr so viele, manche kursieren auch nur noch in ihrer parodierten Form, wofür die Sammlung einige Beispiele gibt. Das Spiel mit Worten liegt dem Herausgeber überhaupt sehr am Herzen: Spottverse, respektlose Abzählreime, freche Kinderrätsel, Lautgedichte und viel Nonsens zeigen hier ehrwürdigen Traditionen und Autoritäten die lange Nase.
Etwa zweihundert Gedichte sind in dem Hausbuch versammelt, und inmitten dieser vielen Stimmen aus unterschiedlichen Zeiten und Landschaften kann sich die Kinderlyrik eines Josef Guggenmos, Hans Manz und Hans Adolf Halbey, Frantz Wittkamp, einer Hanna Johannsen, Christine Nöstlinger und Susanne Kilian gut behaupten. Jacoby ist aber nicht nur ein kenntnisreicher Gedichtesammler, sondern auch ein höchst eigenwilliger Sortierer. Eine anthologieübliche Gliederung etwa nach Jahreszeiten fehlt, dafür gibt es Überschriften wie "Liebe" und "Nachdenken", die jedoch nur auf den ersten Blick überraschen können. Denn was hier versammelt ist - neben der Liebe auch der Liebeskummer, Gedankenvolles zur Zeit, Unrecht und Sterben - all das sind Themenkreise, die in ein "Hausbuch der Poesie" für Kinder und Eltern von heute gehören. Viele neuere Kindergedichte finden sich in diesen grüblerischen Abteilungen - Matthias Claudius' "Abendlied" aber auch. Mit diesem Gedicht schließt die Gruppe "Nachdenken" ab. So ganz ohne Parodie-Zusatz steht es da und verblüfft vor allem die Älteren unter den Hausbuch-Blätterern. Einige Dutzend Male haben sie es wohl schon gehört, aber so berührt hat es selten zuvor.
Mit Anthologien ist es eben wie mit Museen: Langweilig sind sie, wenn sie ihre Funde begraben. Stellen sie ihre Sammlung aber so aus, dass auch Exponate aus ferner, unvertrauter Zeit lebendig und fast neu erscheinen, kann noch jedes Projekt gelingen.
MYRIAM MIELES
Rotraut Susanne Berner, Edmund Jacoby: "Dunkel war's, der Mond schien helle". Verse, Reime und Gedichte. Gerstenberg Verlag, Hildesheim 1999. 151 S., geb., 39,80 DM. Für jedes Alter.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension
Ute Blaich begeistert sich in ihrer Rezension vor allem für die Zeichnungen Berners, die ihrer Meinung nach die jeweilige Atmosphäre der Texte - oft mit einem Augenzwinkern - erstaunlich treffend wiedergeben. Mit grosser Sicherheit wisse sie die jeweils passende Bildidee für die vielfältigen Gedichte zu entwickeln, ohne dabei jedoch in Manierismen zu verfallen oder lediglich "kostümierte Niedlichkeiten" auf`s Papier zu bringen: Berners Illustrationen seien "Notenschlüssel für die Texte".
© Perlentaucher Medien GmbH
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"Was für ein Glück wäre es, wenn ein solches Buch einen Stammplatz in jeder Familie mit Kindern bekommen könnte."Spielen und Lernen