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Thomas, den Flussschiffer, hat es in die norddeutsche Tiefebene verschlagen, wo er in zehn Regennächten an phantastische Begebenheiten seines abenteuerlichen Lebens zurückdenkt. Eine besondere Rolle spielt dabei die dunkle Gesellschaft, der er immer wieder begegnet eine Gruppe schwarz Gekleideter, deren Auftauchen Katastrophen ankündigt und vor denen Thomas schon von seinem Großvater gewarnt wurde. Gert Loschütz erzeugt in seinem Roman eine magische Stimmung, einen Sog, dem man sich nicht entziehen kann.

Produktbeschreibung
Thomas, den Flussschiffer, hat es in die norddeutsche Tiefebene verschlagen, wo er in zehn Regennächten an phantastische Begebenheiten seines abenteuerlichen Lebens zurückdenkt. Eine besondere Rolle spielt dabei die dunkle Gesellschaft, der er immer wieder begegnet eine Gruppe schwarz Gekleideter, deren Auftauchen Katastrophen ankündigt und vor denen Thomas schon von seinem Großvater gewarnt wurde. Gert Loschütz erzeugt in seinem Roman eine magische Stimmung, einen Sog, dem man sich nicht entziehen kann.
Autorenporträt
Gert Loschütz, geboren 1946 in Genthin in Sachsen-Anhalt und 1957 ins hessische Dillenburg übergesiedelt, ist seit 1970 freier Schriftsteller, unter anderem für Theater und Hörfunk. Sein Werk wurde mehrfach preisgekrönt, darunter 2000 mit der Ehrengabe der Deutschen Schillergesellschaft. Heute lebt Loschütz in Berlin.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 19.10.2005

Auf dem Regenplaneten tragen alle Gummistiefel
Hier kommt die Flut: In der Romanlandschaft von Gert Loschütz blubbert's gewaltig / Von Heinrich Detering

Wenn die dunklen Tage kommen und das Holz im Ofen knistert, dann erzählt man sich, bei Storm wie bei Stevenson, Gespenstergeschichten. In dem neuen Roman von Gert Loschütz erzählt sie sich einer selbst, Nacht für Nacht, als einsamer Spaziergänger.

Ein Flüchtling ist er, dieser Flußschiffer, der sich nach vielen schaurigen Erfahrungen von den Gewässern dieser Welt ins niedersächsische Binnenland zurückgezogen hat. Da aber wird er, in einer tragikomischen Wendung, vom Regen eingeholt; am Ende wird es eine wahre Sintflut sein. Und mit dem Wasser kehrt die Vergangenheit wieder. Jedesmal also, wenn dieser Thomas unruhig durch die Felder wandert, kommt ihm eine neue schicksalhafte Begegnung in den Sinn, zehn Nächte lang. Ein Anblick, ein Geräusch löst die Erinnerung aus, die sich dann verselbständigt: "Es war vor vielen Jahren."

So behaglich setzt ein, was in den Zusammenbruch aller vernunftgemäßen Ordnungen münden soll. Denn jedes düstere Geheimnis hängt irgendwie mit der "dunklen Gesellschaft" zusammen - einer Gruppe schwarzgekleideter, weißgesichtiger und stummer Gestalten, die womöglich bei allen bösen Zufällen die Hände im Spiel hat. Schon der Großvater, auch er ein Schiffer, hat Thomas einst vor diesen Unholden gewarnt und ihm auferlegt, künftig ein "Ausguck" zu sein. Und so hat denn der Enkel die Augen offengehalten und dunkles Treiben erblickt, wohin es ihn auch verschlug. Manchmal erblickt er die Dunklen selbst, öfter aber die unerklärlichen Spuren, die auf sie hinweisen. In jeder Episode kommt ein Rätsel zum anderen, dann steigern sich die Unheimlichkeiten rasch und spitzen sich katastrophal zu.

Es ist eine finstere Welt, von der Gert Loschütz erzählt, ein Regenplanet. Nirgends ist es ganz geheuer, überall lauern Wiedergänger, Schattenmänner, Zauberfrauen; jede Begegnung kann ein gespenstisches Zusammentreffen werden. Jederzeit kann man Menschen begegnen, die wie aus dem Nichts erscheinen, im Nichts verschwinden und jedenfalls nichts Gutes im Schilde führen. Einer von ihnen könnte der Erzähler selbst sein. Einmal in New York zum Beispiel reicht ihm ein Fremder die Hand und sagt einen merkwürdigen Namen. Es dauert lange, bis Thomas begreift, daß der Fremde nicht etwa sich vorgestellt, sondern ihn selbst angeredet hat, daß der Name zur Erlöserfigur einer geheimnisvollen Sekte gehört und man also ausgerechnet ihn für den Erwarteten hält. Was immer hier alltäglich beginnt, wird bald ins Phantastische entstellt. Tatsächlich, man würde sich nicht wundern, wenn dieser Erzähler sich eines Morgens beim Aufwachen in ein ungeheures Ungeziefer verwandelt fände.

Daß scheinbar ganz disparate Motive einen unbestimmten, aber jedenfalls unheilvollen Plan enthüllen: diese Paranoikerphantasie liegt Loschütz' Erzählungen zugrunde. Der Phantasie verdanken sie ihre romantische Grundspannung, dem Paranoiden eine romantische Ironie. Dabei sind es eigentlich ganz vertraute Schauermotive, mit denen der Autor sein Genre-Spiel treibt: das Geisterschiff auf der Themse, die in keinem Kursbuch verzeichnete Eisenbahn, das geheimnisvolle Brandmal, die orakelhafte Nachricht auf einem zufällig gefundenen Zettel und die einem Albtraum entstiegenen Flagellanten; auch an Siegelringen, Voodoo und Alraunen fehlt es nicht. Es ist eine beträchtliche Kunstanstrengung, die hier unternommen worden ist, und es gibt Passagen, in denen die Atmosphäre eines unbestimmten Grauens beklemmend wird.

Spätestens um die Mitte des Buches aber geht irgend etwas gründlich schief. Irgendwann verschwimmen im Dauerregen auch die Konturen des Erzählten, und dann ist es nur noch ein kleiner Schritt vom Fabeln zum Faseln. Wenn die Verfremdung sich abzunutzen beginnt, lesen sich diese Regennächte als doch ziemlich konventionelle, dafür allerdings erstaunlich nachlässig konstruierte Gruselgeschichten. In derselben Nacht, in der dem Erzähler Unheimliches widerfahren ist, werden sich in der Stadt vierundzwanzig Unglücksfälle zugetragen haben. Was genau sie miteinander und mit jener dunklen Gesellschaft zu tun haben, bleibt im dunklen. Aber vierundzwanzig Unglücksfälle, flüstert der Erzähler: das seien "so viele, wie der Tag Stunden zählt". Man denke! Ja, aber was eigentlich?

Je bedeutungsvoller der Erzähler raunt, je parabelhafter dies alles sein soll, desto mehr gerät es zur wilden Geheimnisfuchtelei; am Ende bleibt von den Schwindelgefühlen nur das Gefühl von Schwindel. Da ist ein vergessener Künstler, der obsessiv die "Schwarzgekleideten" gemalt hat, bei der staatlichen Kunstaufsicht in Ungnade gefallen - man versteht schon: ein Pessimist im Getriebe der zwangsoptimistischen Welt, ein Surrealist als Realist. Wer mag, kann auch an die vom Schlaf der Vernunft geborenen Ungeheuer denken oder an Hobbes, dessen Namen hier eine Nebenfigur tatsächlich trägt. Aber es macht die Erzählungen nicht tiefer oder reicher, wenn man es tut. Das gilt auch für einige vage politische Motive wie die ausdrückliche Datierung einer Episode ins "Wendejahr zwei" oder das Erscheinen des Kanzlers in Gummistiefeln in der Überschwemmung. Fehlte er, es würde nichts fehlen.

Was eindringlich anfing, hört zudringlich auf. Die Überanstrengung ist auch im Stil zu spüren, dessen forcierte Künstlichkeit anfangs noch reizvoll war. Der Erzähler erinnert sich, daß er aus dem Mund der Geliebten beim Liebesakt "fast nie mehr als ein verzweifeltes Ach zu hören pflegte": mit diesem letzten Wort rutscht der Satz ins Pretiöse. Im Blick einer Gestalt liegt einmal "ein ironisches Aufblitzen, nein, kein Aufblitzen, sondern ein langes ironisches Schauen"; aber müßte sich zwischen Blitzen und langem Schauen nicht ein Unterschied bemerken lassen? Und wie mag es klingen, wenn jemand mit einer "blubbernden Stimme" das Wort "jetzt" sagt?

Das traurigste Opfer dieser Verstiegenheit ist die Grammatik. Einmal verschlägt es den Erzähler auf "ein enges Schiff, von der Abmessung her, aber auch von den Leuten"; und "aus keinem der Hofhäuser fiel Licht, und von oben, die Stadtgeräusche zerklopfend, der Regen". So fintenreich das Spiel begonnen hat, so schnell hat es an Elan verloren. Weil er so angestrengt nach Tiefgang sucht, landet der Kahn im ziemlich flachen Wasser. Schade um das schöne Schiff.

Gert Loschütz: "Dunkle Gesellschaft". Roman in zehn Regennächten. Frankfurter Verlagsanstalt, Frankfurt am Main 2005. 222 S., geb., 19,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Dies ist ein Roman, so kann man Heinrich Deterings Rezension zusammenfassen, der viel verspricht und zuletzt umso bitterer enttäuscht. Erzählt wird von einem Flussschiffer, der in den Dauerregen gerät, in dem dann jede Vernunft perdu geht. Gert Loschütz entwerfe eine so rätselhafte wie "finstere Welt" voller geheimnisvoller Figuren und Vorgänge, angelehnt an "romantische Schauermotive", aber auch nicht ohne "romantische Ironie". Und bis etwa zur Hälfte des Romans geht das auch gut, stellt Detering fest. Danach aber stürzt der Roman ab, meint er. Loschütz führe seine Gruselgeschichte auf abstruse Pfade, gerate ins Schwätzen und verlange seiner Sprache entschieden zu viel ab, was Detering mit Beispielen zu belegen sucht.

© Perlentaucher Medien GmbH