Sue Ellen findet, dass ihre tote Freundin May Lynn etwas Besseres verdient hat. Wenn schon kein Filmstar aus ihr wird, wie sie sich immer erträumte, soll wenigstens ihre Asche in Hollywood verstreut werden. Beim Durchsuchen von May Lynns Habseligkeiten stößt sie mit ihren Freunden Terry und Jinx auf einen Hinweis, der sie zur Beute eines Banküberfalls führt. Zusammen mit Sue Ellens labiler Mutter flüchten die drei Freunde Hals über Kopf mit dem Floß in Richtung Süden. Habgierige Verwandte und der wenig gesetzestreue Constable hängen sich sofort an ihre Fersen. In Panik geraten die Flüchtenden jedoch erst, als sie merken, dass der sagenumwobene Killer Skunk ebenfalls hinter ihnen her ist. Dem wahnsinnigen Fährtenleser ist angeblich noch nie jemand entkommen.
DIE KRIMI-KOLUMNE
Strudel der Gewalt: Joe R. Lansdales „Dunkle Gewässer“
Es gibt Geschichten, die sind so irre, dass man ihnen gerade deshalb bereitwillig folgt. Diese hier geht so: Drei 16-Jährige wollen von Texas aus nach Hollywood aufbrechen. Sie haben die Asche ihrer toten Freundin dabei. Und: Der Trip wird mit der Beute aus einem Bankraub finanziert. Es ist die Zeit der Großen Depression in Amerika, und diese Teenager hier – die Erzählerin Sue Ellen, der homosexuelle Terry und die Schwarze Jinx – sind so verdammt arm dran, dass sie den Depressions-Fotografen Dorothea Lange und Walker Evans hätten Modell stehen können. Und von dem, was sich auf dem Planeten so tut, wissen die drei eigentlich auch nur, was der Sabine River an ihrer Haustür vorbeischwemmt – oder wieder freigibt.
In diesem Fall finden Angler die Leiche der schönen, offenbar ermordeten May Lynn, die man, beschwert mit einer Nähmaschine, im Fluss versenkt hat. May Lynn war ein mit den drei Helden befreundetes, gleichaltriges Mädchen, das sich eine Karriere in Hollywood in den Kopf gesetzt hatte. Untersucht wird der Todesfall sowieso nicht, der zuständige Sheriff, der völlig skrupel- wie gesetzlose Constable Sy, lässt die Leiche gleich am nächsten Morgen verscharren. Sue Ellen und Terry, die dabei waren, als man die entstellte May Lynn fand, sind empört, aber machtlos. „Keiner von uns war in Osttexas glücklich“, erklärt Sue Ellen. „Wir wollten alle weg, aber irgendwie schienen wir festzustecken wie tiefverwurzelte Bäume. Wenn ich dachte, von hier zu verschwinden, konnte ich mir einfach nicht vorstellen, was jenseits der Wälder und Sümpfe lag. Außer Hollywood. Und das auch nur, weil May Lynn ununterbrochen darüber geredet hatte. Bei ihr klang es großartig, obwohl sie nie dort gewesen war.“
Sue Ellen hat jeden Grund, dieses verwahrloste Sumpfkaff zu verlassen. Ihr Vater, von dem sie erst im Lauf der Geschichte erfahren wird, dass er gar nicht ihr Vater ist, schlägt die Mutter und versucht nachts, in Sues Bett zu kommen. Das Mädchen geht darum immer mit einem Knüppel ins Bett, um sich den dauerbesoffenen, viehischen Mann vom Leib halten zu können. Oder ihren genauso geifernden Onkel Gene, von dem sie sagt, er sei so fett wie ein Schwein, habe aber deutlich weniger Charakter.
Die Mutter, eine verfallene Schönheit, schießt sich mit einem Drogen-Alkohol-Cocktail nahezu ununterbrochen in die Umlaufbahn einer besseren Welt. Das Bett verlässt sie schon lange nicht mehr. Jetzt also, nach May Lynns Tod, ist es darum so weit: Sue Ellen, Jinx und Terry beschließen, diesen Horror-Ort zu verlassen. Terry exhumiert zuerst die tote May Lynn, verbrennt die Leiche und ist nun zuständig für deren Asche, die in Hollywood verstreut werden soll.
May Lynn hatte den dreien noch eine Schatzkarte hinterlassen; das Versteck der Beute aus dem Bankraub ist darauf verzeichnet. Diese über 1000 Dollar sind zumindest ein Anfang für das neue Leben. Dummerweise haben jedoch nicht wenige der habgierigen Hillbillys, der Constable inklusive, davon erfahren, dass die Kids jetzt so viel Geld haben. Dann aber, mit dem Besteigen des Fluchtfloßes, auf dem die drogenkranke Mutter dann auch noch Platz gefunden hat, beginnt in Joe R. Lansdales Roman „Dunkle Gewässer“ erst der wahre Horror.
Der 1951 geborene Joe Richard Lansdale ist so etwas wie der Samuel Fuller oder John Huston des pulpnahen Romans, also jemand, der Elemente des Film Noir in seine Geschichten überträgt. Er hat Western, Horror-Romane, Science-Fiction, viel Mystery und Thriller geschrieben, auch für Comic-Serien im Fernsehen, „Batman: The Animated Series“ ist von ihm mitgeschrieben worden. Aber „Edge of Dark Water“, wie dieser Texas-Noir-Roman im Original heißt, ist wohl das Beste, was er je verfasst hat.
Wenn Hollywood noch alle Tassen im Schrank hat, dann besorgt sich dort irgendjemand bald die Filmrechte. Denn allein die halsbrecherische Floßfahrt über die dunklen Gewässer, die mörderisch-debile Horde und die menschliche Waldbestie „Skunk“, die hinter den Flüchtigen her sind – das alles liefert Bilderstoff satt. Was aber unbedingt erhalten bleiben müsste in jeder denkbaren Filmadaption, ist Lansdales lakonischer Sprachwitz. „Also mussten wir uns einen Plan ausdenken, und das taten wir auch. Es war kein Plan, wie er im Strategie-Lehrbuch der Armee steht, aber immerhin hatten wir uns was einfallen lassen, und zwar: (Zuerst) brauchten wir eine Schaufel, um die alte Frau zu begraben. Und den abgesägten Arm. Die Vorstellung, dass die Leiche und der Arm hier herumlagen, und der Gestank, der immer stärker wurde, sorgten dafür, dass wir uns darum zuerst kümmerten.“
Lansdales Roman ist so etwas wie die Splatter-Version von „Huckleberry Finn“. Und erst mit dem allerletzten Satz: „Ich setzte mich (. . .) ans Fenster und wartete, bis sich der erste Lichtstreifen am Horizont abzeichnete“ kommt der Irrsinn endlich zur Ruhe.
BERND GRAFF
Joe R. Lansdale: Dunkle Gewässer. Roman. Aus dem Englischen von Hannes Riffel. Tropen Verlag, Stuttgart 2013. 320 Seiten, 19,95 Euro.
Der Roman ist so etwas
wie die Splatter-Version von
„Huckleberry Finn“
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Strudel der Gewalt: Joe R. Lansdales „Dunkle Gewässer“
Es gibt Geschichten, die sind so irre, dass man ihnen gerade deshalb bereitwillig folgt. Diese hier geht so: Drei 16-Jährige wollen von Texas aus nach Hollywood aufbrechen. Sie haben die Asche ihrer toten Freundin dabei. Und: Der Trip wird mit der Beute aus einem Bankraub finanziert. Es ist die Zeit der Großen Depression in Amerika, und diese Teenager hier – die Erzählerin Sue Ellen, der homosexuelle Terry und die Schwarze Jinx – sind so verdammt arm dran, dass sie den Depressions-Fotografen Dorothea Lange und Walker Evans hätten Modell stehen können. Und von dem, was sich auf dem Planeten so tut, wissen die drei eigentlich auch nur, was der Sabine River an ihrer Haustür vorbeischwemmt – oder wieder freigibt.
In diesem Fall finden Angler die Leiche der schönen, offenbar ermordeten May Lynn, die man, beschwert mit einer Nähmaschine, im Fluss versenkt hat. May Lynn war ein mit den drei Helden befreundetes, gleichaltriges Mädchen, das sich eine Karriere in Hollywood in den Kopf gesetzt hatte. Untersucht wird der Todesfall sowieso nicht, der zuständige Sheriff, der völlig skrupel- wie gesetzlose Constable Sy, lässt die Leiche gleich am nächsten Morgen verscharren. Sue Ellen und Terry, die dabei waren, als man die entstellte May Lynn fand, sind empört, aber machtlos. „Keiner von uns war in Osttexas glücklich“, erklärt Sue Ellen. „Wir wollten alle weg, aber irgendwie schienen wir festzustecken wie tiefverwurzelte Bäume. Wenn ich dachte, von hier zu verschwinden, konnte ich mir einfach nicht vorstellen, was jenseits der Wälder und Sümpfe lag. Außer Hollywood. Und das auch nur, weil May Lynn ununterbrochen darüber geredet hatte. Bei ihr klang es großartig, obwohl sie nie dort gewesen war.“
Sue Ellen hat jeden Grund, dieses verwahrloste Sumpfkaff zu verlassen. Ihr Vater, von dem sie erst im Lauf der Geschichte erfahren wird, dass er gar nicht ihr Vater ist, schlägt die Mutter und versucht nachts, in Sues Bett zu kommen. Das Mädchen geht darum immer mit einem Knüppel ins Bett, um sich den dauerbesoffenen, viehischen Mann vom Leib halten zu können. Oder ihren genauso geifernden Onkel Gene, von dem sie sagt, er sei so fett wie ein Schwein, habe aber deutlich weniger Charakter.
Die Mutter, eine verfallene Schönheit, schießt sich mit einem Drogen-Alkohol-Cocktail nahezu ununterbrochen in die Umlaufbahn einer besseren Welt. Das Bett verlässt sie schon lange nicht mehr. Jetzt also, nach May Lynns Tod, ist es darum so weit: Sue Ellen, Jinx und Terry beschließen, diesen Horror-Ort zu verlassen. Terry exhumiert zuerst die tote May Lynn, verbrennt die Leiche und ist nun zuständig für deren Asche, die in Hollywood verstreut werden soll.
May Lynn hatte den dreien noch eine Schatzkarte hinterlassen; das Versteck der Beute aus dem Bankraub ist darauf verzeichnet. Diese über 1000 Dollar sind zumindest ein Anfang für das neue Leben. Dummerweise haben jedoch nicht wenige der habgierigen Hillbillys, der Constable inklusive, davon erfahren, dass die Kids jetzt so viel Geld haben. Dann aber, mit dem Besteigen des Fluchtfloßes, auf dem die drogenkranke Mutter dann auch noch Platz gefunden hat, beginnt in Joe R. Lansdales Roman „Dunkle Gewässer“ erst der wahre Horror.
Der 1951 geborene Joe Richard Lansdale ist so etwas wie der Samuel Fuller oder John Huston des pulpnahen Romans, also jemand, der Elemente des Film Noir in seine Geschichten überträgt. Er hat Western, Horror-Romane, Science-Fiction, viel Mystery und Thriller geschrieben, auch für Comic-Serien im Fernsehen, „Batman: The Animated Series“ ist von ihm mitgeschrieben worden. Aber „Edge of Dark Water“, wie dieser Texas-Noir-Roman im Original heißt, ist wohl das Beste, was er je verfasst hat.
Wenn Hollywood noch alle Tassen im Schrank hat, dann besorgt sich dort irgendjemand bald die Filmrechte. Denn allein die halsbrecherische Floßfahrt über die dunklen Gewässer, die mörderisch-debile Horde und die menschliche Waldbestie „Skunk“, die hinter den Flüchtigen her sind – das alles liefert Bilderstoff satt. Was aber unbedingt erhalten bleiben müsste in jeder denkbaren Filmadaption, ist Lansdales lakonischer Sprachwitz. „Also mussten wir uns einen Plan ausdenken, und das taten wir auch. Es war kein Plan, wie er im Strategie-Lehrbuch der Armee steht, aber immerhin hatten wir uns was einfallen lassen, und zwar: (Zuerst) brauchten wir eine Schaufel, um die alte Frau zu begraben. Und den abgesägten Arm. Die Vorstellung, dass die Leiche und der Arm hier herumlagen, und der Gestank, der immer stärker wurde, sorgten dafür, dass wir uns darum zuerst kümmerten.“
Lansdales Roman ist so etwas wie die Splatter-Version von „Huckleberry Finn“. Und erst mit dem allerletzten Satz: „Ich setzte mich (. . .) ans Fenster und wartete, bis sich der erste Lichtstreifen am Horizont abzeichnete“ kommt der Irrsinn endlich zur Ruhe.
BERND GRAFF
Joe R. Lansdale: Dunkle Gewässer. Roman. Aus dem Englischen von Hannes Riffel. Tropen Verlag, Stuttgart 2013. 320 Seiten, 19,95 Euro.
Der Roman ist so etwas
wie die Splatter-Version von
„Huckleberry Finn“
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de