»An einem milden Frühlingstag des Jahres 1957 nahm eine junge Algerierin - sie war noch keine einundzwanzig - in Paris ein Taxi zu Julliard, dem bekannten Verlag, der gerade ihren ersten Roman >Durst< angenommen hatte. Der Vertrag, den sie unterzeichnen sollte, war im Grunde wertlos, weil sie noch nicht volljährig war. Sie machte sich Sorgen, wie ihre Familie wohl auf ein Buch reagieren würde, in dem von Erotik die Rede war und das sie zu einer Zeit geschrieben hatte, als sie eigentlich für ihr Examen hätte lernen müssen. Sie beschloss impulsiv, ihre Haare abzuschneiden, ihr Geburtsdatum zu verändern und ein Pseudonym zu verwenden.« Aus dem Nachwort von Clarisse Zimra
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 15.11.2002Lebe unmoralisch!
Ein algerischer Sommer:
Assia Djebars Erstling „Durst”
Auch die große Assia Djebar hat klein angefangen. 1957, mit zwanzig Jahren, schrieb sie in wenigen Wochen ihren ersten Roman, „Durst”, den sie später nur als „Stilübung” gelten lassen mochte. Nun, mehr als dies, als die Etüde einer begabten Autorin, ist er schon. Immerhin war dieser kurze Roman eines „heißen, ja erstickenden Sommers”, in dem eine junge Frau die Liebe entdeckt und die Eifersucht, den Hass, das Spiel von Macht und Unterwerfung, Intrige und Hingabe, damals ein unerhörtes Wagnis. So unverblümt über Begierde und Wollust hatte vor Assia Djebar keine Autorin des Maghreb geschrieben. Die literarischen Tugendwächter beiderlei Geschlechts haben sie denn auch prompt mit dem Bannfluch belegt, eine „schreibende Hure” zu sein. 1957 tobte in Algerien der Krieg gegen die französischen Kolonialherren, der Verlobte Assias und ihre Brüder waren im Untergrund tätig – und diese Autorin wagte es, weder von der Grausamkeit der französischen Unterdrücker noch von dem gerechten Kampf der Algerier zu schreiben, sondern von den Irrungen und Wirrungen einer verwöhnten Tochter aus reichem Haus.
Dass ihr Roman gegen die Konvention wie auch gegen das politische Gebot der Stunde verstieß, ist freilich Geschichte; ihre wütenden Kritiker, die sie entweder auf die überkommene Sittsamkeit festlegen wollten oder aber einen politischen Roman von ihr verlangten, in dem es um die Leiden des Volkes, nicht die Einsamkeit einer Privilegierten ging, sind längst vergessen. Assia Djebar aber ist seither zur bedeutendsten Autorin des Maghreb geworden und steht auf der Liste der Anwärterinnen für den Nobelpreis ganz oben. Lässt man den Zwang und die Enge, wider die sie damals revoltierte, außer acht – was taugt ihr Erstling dann?
Die Ich-Erzählerin Nadia berichtet im Nachhinein von den Leidenschaften und den leidenschaftlichen Posen eines Sommers. „Ich war ein verwöhntes Kind”, urteilt sie nachträglich, und: „ruhig, oberflächlich und leer war mein Leben.” Ihre Schwestern und die Freundin Jedla sind bereits verheiratet, und Nadia weiß nicht, ob sie diesen Status ersehnen oder sich ihm so lang wie möglich entziehen soll. Medium ihrer Befreiung ist das Auto, „mein verschwiegener Komplize”, mit dem sie stundenlang übers Land fährt: „Ich mochte diese traurige Trunkenheit der stillen Sommerabende.” Alles ist Warten, gespannte, körperlich quälende Erwartung. Was erwartet wird, ist der Mann. Nadia weiß nicht recht, ob sie den Werbungen des ironischen Hassein nachgeben oder doch lieber Jedlas Mann Ali dazu bringen soll, sie zu verführen. Es ist ein Spiel, vor allem zwischen den beiden Freundinnen, in deren Verhältnis so gar nichts von der Utopie der Schwesterlichkeit liegt, die später häufig beschworen wurde, um Assia Djebars Literatur zu charakterisieren. Nein, diese Freundschaft ist Kampf, Kampf um den Mann, um die Macht über diesen, und darum endet der Sommer auch tödlich.
Was bleibt von diesem Erstling, außer dass er seine literarhistorischen Verdienste hat und Assia Djebar anderen Autorinnen mutig den Weg bereitet hat? Es bleibt die Atmosphäre sommerlicher Überhitzung, diese Getriebenheit in heißen Nächten, das ziellose Begehren; es bleibt, dass in diesem ganz und gar unpolitischen Roman eine Frau den Vorsatz fasst, nicht schwesterlich noch mütterlich, sondern unmoralisch zu leben und sich zu nehmen, was sie begehrt. Und das ist so unpolitisch wieder auch nicht, wie man es Assia Djebar damals vorgeworfen hat.
KARL-MARKUS GAUSS
ASSIA DJEBAR: Durst. Roman. Aus dem Französischen von Rudolf Kimmig. Mit einem Nachwort von Clarissa Zimra. Unionsverlag Taschenbuch, Zürich 2002. 156 Seiten, 7,90 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
Ein algerischer Sommer:
Assia Djebars Erstling „Durst”
Auch die große Assia Djebar hat klein angefangen. 1957, mit zwanzig Jahren, schrieb sie in wenigen Wochen ihren ersten Roman, „Durst”, den sie später nur als „Stilübung” gelten lassen mochte. Nun, mehr als dies, als die Etüde einer begabten Autorin, ist er schon. Immerhin war dieser kurze Roman eines „heißen, ja erstickenden Sommers”, in dem eine junge Frau die Liebe entdeckt und die Eifersucht, den Hass, das Spiel von Macht und Unterwerfung, Intrige und Hingabe, damals ein unerhörtes Wagnis. So unverblümt über Begierde und Wollust hatte vor Assia Djebar keine Autorin des Maghreb geschrieben. Die literarischen Tugendwächter beiderlei Geschlechts haben sie denn auch prompt mit dem Bannfluch belegt, eine „schreibende Hure” zu sein. 1957 tobte in Algerien der Krieg gegen die französischen Kolonialherren, der Verlobte Assias und ihre Brüder waren im Untergrund tätig – und diese Autorin wagte es, weder von der Grausamkeit der französischen Unterdrücker noch von dem gerechten Kampf der Algerier zu schreiben, sondern von den Irrungen und Wirrungen einer verwöhnten Tochter aus reichem Haus.
Dass ihr Roman gegen die Konvention wie auch gegen das politische Gebot der Stunde verstieß, ist freilich Geschichte; ihre wütenden Kritiker, die sie entweder auf die überkommene Sittsamkeit festlegen wollten oder aber einen politischen Roman von ihr verlangten, in dem es um die Leiden des Volkes, nicht die Einsamkeit einer Privilegierten ging, sind längst vergessen. Assia Djebar aber ist seither zur bedeutendsten Autorin des Maghreb geworden und steht auf der Liste der Anwärterinnen für den Nobelpreis ganz oben. Lässt man den Zwang und die Enge, wider die sie damals revoltierte, außer acht – was taugt ihr Erstling dann?
Die Ich-Erzählerin Nadia berichtet im Nachhinein von den Leidenschaften und den leidenschaftlichen Posen eines Sommers. „Ich war ein verwöhntes Kind”, urteilt sie nachträglich, und: „ruhig, oberflächlich und leer war mein Leben.” Ihre Schwestern und die Freundin Jedla sind bereits verheiratet, und Nadia weiß nicht, ob sie diesen Status ersehnen oder sich ihm so lang wie möglich entziehen soll. Medium ihrer Befreiung ist das Auto, „mein verschwiegener Komplize”, mit dem sie stundenlang übers Land fährt: „Ich mochte diese traurige Trunkenheit der stillen Sommerabende.” Alles ist Warten, gespannte, körperlich quälende Erwartung. Was erwartet wird, ist der Mann. Nadia weiß nicht recht, ob sie den Werbungen des ironischen Hassein nachgeben oder doch lieber Jedlas Mann Ali dazu bringen soll, sie zu verführen. Es ist ein Spiel, vor allem zwischen den beiden Freundinnen, in deren Verhältnis so gar nichts von der Utopie der Schwesterlichkeit liegt, die später häufig beschworen wurde, um Assia Djebars Literatur zu charakterisieren. Nein, diese Freundschaft ist Kampf, Kampf um den Mann, um die Macht über diesen, und darum endet der Sommer auch tödlich.
Was bleibt von diesem Erstling, außer dass er seine literarhistorischen Verdienste hat und Assia Djebar anderen Autorinnen mutig den Weg bereitet hat? Es bleibt die Atmosphäre sommerlicher Überhitzung, diese Getriebenheit in heißen Nächten, das ziellose Begehren; es bleibt, dass in diesem ganz und gar unpolitischen Roman eine Frau den Vorsatz fasst, nicht schwesterlich noch mütterlich, sondern unmoralisch zu leben und sich zu nehmen, was sie begehrt. Und das ist so unpolitisch wieder auch nicht, wie man es Assia Djebar damals vorgeworfen hat.
KARL-MARKUS GAUSS
ASSIA DJEBAR: Durst. Roman. Aus dem Französischen von Rudolf Kimmig. Mit einem Nachwort von Clarissa Zimra. Unionsverlag Taschenbuch, Zürich 2002. 156 Seiten, 7,90 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 29.05.2001Wenn die Welt fehlt
Assia Djebars nachgereifter Roman-Erstling "Durst"
Anfang der neunziger Jahre gab es diesen Roman schon einmal, damals lautete der Titel "Die Zweifelnden", die Autorin war noch nicht durch den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels nobilitiert, und ihre Bücher erschienen im Heyne-Verlag zwischen Mittelalter- und Arztromanen. Assia Djebar wurde zu jener Zeit als "Frauenliteratur" verkauft, als exotischer Nachklapp des Genres, während sie heute im kleinen Zürcher Unionsverlag mit Yasar Kemal und Nagib Machfus zwischen "Dritte Welt" und "Postkolonialismus" ihre ideologische Heimat gefunden hat. Das Buch, das nun wieder, wie im Original, "Durst" heißt, wird durch die verschiedenen Verlage und Schubladen nicht besser oder schlechter, doch man liest es anders. "Die Zweifelnden" war zu gequält, hatte eine allzu widerspenstige, böswillige Heldin, um bloß zu unterhalten, wie es dem Verlagsprofil von Heyne entspräche. Um aber, wie die späteren Werke Djebars, die Erwartungen an postkoloniale Literatur zu erfüllen, ist die Heldin allzu brav und verwöhnt, ist der Schauplatz, sind die gesellschaftlichen Zwänge zu stark ausgeblendet. Algerien erscheint als beliebig gewählter Hintergrund, eine Möchtegern-Côte d'Azur, und wenn das Land an etwas leidet, dann daran, nicht so schick wie Frankreich zu sein. Die Vielsprachigkeit, Djebars späteres Hauptthema, wird nur am Rande erwähnt, und emanzipiert ist die Protagonistin schon - wenn man darunter versteht, daß sie mit den Männern macht, was sie will, nur um wirklich den besten zu heiraten.
Die Erzählung ist stilistisch eher farblos, aber sie hat Poesie. Es ist die Poesie der Mobilität, der einsamen Fahrten in schnellen Autos auf Küstenstraßen, die Poesie alter Farbfilme mit langem, aus Cabriolets wehendem Frauenhaar, als die Autos noch schön und die Benzinpreise niedrig waren. Auch die Trägheit, in der Sonne zu liegen, stundenlang zu sinnieren und zu wissen, daß man nichts tun muß, wenn man nicht will, zählt dazu, die Flirts um des Flirts willen und der Sadismus aus Langeweile, oder weil man jung ist und Grenzen nur da sind, um übertreten zu werden.
Und dennoch ist es eine Pein. Man fragt sich, wie begabte junge Leute, die offensichtlich mehr vom Leben wollen als Party und Spaß, so sinnlos ihre Zeit vertändeln können. Die gelangweilten Figuren ("Selbst mein Wagen langweilte mich neuerdings") lechzen nach einem Bürgerkrieg, einer Revolution, einem Gegner. Sie sind reich, und Traditionen kümmern sie nicht mehr. Aber sie haben auch nichts, was an deren Stelle tritt. Daß sich ihnen kein Handlungsfeld eröffnet, außer bis aufs Blut miteinander zu rivalisieren, ist ihre Tragik.
Das gilt zumal für die Frauen, wenn sie noch keine Kinder haben, wie Nadia, die Erzählerin und Protagonistin. Sie läßt sich in ein grausames Spiel mit der einstmals geliebten und bewunderten Freundin ein, die sie im Sommerurlaub wiedersieht. Diese fürchtet nach einer Totgeburt, unfruchtbar zu sein und damit ihrem Mann nicht mehr zu genügen, obwohl er das ableugnet. Um es ihm leichter zu machen, sich von ihr zu trennen, soll Nadia ihn verführen. Doch die Freundin wird schwanger, aber das Spiel hat Eigendynamik gewonnen. Sie treibt daher ab und stirbt.
Nichts von den kulturellen Strömungen und fixen Ideen, welche die Figuren regieren, wird ausgesprochen; selbst der damals zwanzigjährigen Autorin dürften sie kaum klar gewesen sein. Heute, über vierzig Jahre nach dem Erscheinen des Originals, sind sie so offenkundig, daß, sie nicht ausgesprochen zu haben, als die große Kunst des Buchs erscheint, eine nachreifende, jetzt erst genießbare Kunst. Die Freiheit der Autos und Flirts nützt nichts, solange die Fahrten kein Ziel, die Beziehungen keine Zukunft haben. Die Langeweile ist der Dornröschenschlaf der einheimischen Bourgeoisie, bevor die FLN, die algerische Befreiungsarmee, als küssender Prinz hinzutrat.
Als das Buch 1957 erschien, stand Algerien seit drei Jahren im Bürgerkrieg, und Assia Djebar, die als erste Algerierin die berühmte Hochschule von Sèvres besuchen durfte, verfaßte den Roman während eines Proteststreiks der algerischen Studenten. Eine solche Geschichte unter diesen Umständen zu schreiben hat etwas von Weltflucht. Eine algerische Françoise Sagan sei Djebar, sagten die Franzosen bewundernd, die Algerier verächtlich. Recht hatten sie beide. Aber dieses "algerisch", das macht es. Es besagt, was in diesem Roman alles ungesagt ist. Und das ist so viel, daß es die Geschichte fast schon wieder bereichert. Heute, rund ein Dutzend Bücher von Assia Djebar später, weiß man, um wieviel.
STEFAN WEIDNER
Assia Djebar: "Durst". Roman. Aus dem Französischen übersetzt von Rudolf Kimmig. Unionsverlag, Zürich 2001. 156 S., geb., 28,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Assia Djebars nachgereifter Roman-Erstling "Durst"
Anfang der neunziger Jahre gab es diesen Roman schon einmal, damals lautete der Titel "Die Zweifelnden", die Autorin war noch nicht durch den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels nobilitiert, und ihre Bücher erschienen im Heyne-Verlag zwischen Mittelalter- und Arztromanen. Assia Djebar wurde zu jener Zeit als "Frauenliteratur" verkauft, als exotischer Nachklapp des Genres, während sie heute im kleinen Zürcher Unionsverlag mit Yasar Kemal und Nagib Machfus zwischen "Dritte Welt" und "Postkolonialismus" ihre ideologische Heimat gefunden hat. Das Buch, das nun wieder, wie im Original, "Durst" heißt, wird durch die verschiedenen Verlage und Schubladen nicht besser oder schlechter, doch man liest es anders. "Die Zweifelnden" war zu gequält, hatte eine allzu widerspenstige, böswillige Heldin, um bloß zu unterhalten, wie es dem Verlagsprofil von Heyne entspräche. Um aber, wie die späteren Werke Djebars, die Erwartungen an postkoloniale Literatur zu erfüllen, ist die Heldin allzu brav und verwöhnt, ist der Schauplatz, sind die gesellschaftlichen Zwänge zu stark ausgeblendet. Algerien erscheint als beliebig gewählter Hintergrund, eine Möchtegern-Côte d'Azur, und wenn das Land an etwas leidet, dann daran, nicht so schick wie Frankreich zu sein. Die Vielsprachigkeit, Djebars späteres Hauptthema, wird nur am Rande erwähnt, und emanzipiert ist die Protagonistin schon - wenn man darunter versteht, daß sie mit den Männern macht, was sie will, nur um wirklich den besten zu heiraten.
Die Erzählung ist stilistisch eher farblos, aber sie hat Poesie. Es ist die Poesie der Mobilität, der einsamen Fahrten in schnellen Autos auf Küstenstraßen, die Poesie alter Farbfilme mit langem, aus Cabriolets wehendem Frauenhaar, als die Autos noch schön und die Benzinpreise niedrig waren. Auch die Trägheit, in der Sonne zu liegen, stundenlang zu sinnieren und zu wissen, daß man nichts tun muß, wenn man nicht will, zählt dazu, die Flirts um des Flirts willen und der Sadismus aus Langeweile, oder weil man jung ist und Grenzen nur da sind, um übertreten zu werden.
Und dennoch ist es eine Pein. Man fragt sich, wie begabte junge Leute, die offensichtlich mehr vom Leben wollen als Party und Spaß, so sinnlos ihre Zeit vertändeln können. Die gelangweilten Figuren ("Selbst mein Wagen langweilte mich neuerdings") lechzen nach einem Bürgerkrieg, einer Revolution, einem Gegner. Sie sind reich, und Traditionen kümmern sie nicht mehr. Aber sie haben auch nichts, was an deren Stelle tritt. Daß sich ihnen kein Handlungsfeld eröffnet, außer bis aufs Blut miteinander zu rivalisieren, ist ihre Tragik.
Das gilt zumal für die Frauen, wenn sie noch keine Kinder haben, wie Nadia, die Erzählerin und Protagonistin. Sie läßt sich in ein grausames Spiel mit der einstmals geliebten und bewunderten Freundin ein, die sie im Sommerurlaub wiedersieht. Diese fürchtet nach einer Totgeburt, unfruchtbar zu sein und damit ihrem Mann nicht mehr zu genügen, obwohl er das ableugnet. Um es ihm leichter zu machen, sich von ihr zu trennen, soll Nadia ihn verführen. Doch die Freundin wird schwanger, aber das Spiel hat Eigendynamik gewonnen. Sie treibt daher ab und stirbt.
Nichts von den kulturellen Strömungen und fixen Ideen, welche die Figuren regieren, wird ausgesprochen; selbst der damals zwanzigjährigen Autorin dürften sie kaum klar gewesen sein. Heute, über vierzig Jahre nach dem Erscheinen des Originals, sind sie so offenkundig, daß, sie nicht ausgesprochen zu haben, als die große Kunst des Buchs erscheint, eine nachreifende, jetzt erst genießbare Kunst. Die Freiheit der Autos und Flirts nützt nichts, solange die Fahrten kein Ziel, die Beziehungen keine Zukunft haben. Die Langeweile ist der Dornröschenschlaf der einheimischen Bourgeoisie, bevor die FLN, die algerische Befreiungsarmee, als küssender Prinz hinzutrat.
Als das Buch 1957 erschien, stand Algerien seit drei Jahren im Bürgerkrieg, und Assia Djebar, die als erste Algerierin die berühmte Hochschule von Sèvres besuchen durfte, verfaßte den Roman während eines Proteststreiks der algerischen Studenten. Eine solche Geschichte unter diesen Umständen zu schreiben hat etwas von Weltflucht. Eine algerische Françoise Sagan sei Djebar, sagten die Franzosen bewundernd, die Algerier verächtlich. Recht hatten sie beide. Aber dieses "algerisch", das macht es. Es besagt, was in diesem Roman alles ungesagt ist. Und das ist so viel, daß es die Geschichte fast schon wieder bereichert. Heute, rund ein Dutzend Bücher von Assia Djebar später, weiß man, um wieviel.
STEFAN WEIDNER
Assia Djebar: "Durst". Roman. Aus dem Französischen übersetzt von Rudolf Kimmig. Unionsverlag, Zürich 2001. 156 S., geb., 28,- DM.
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"Raffinesse, Boshaftigkeit und Wahnsinn gehen eine Mixtur ein, die an jeder Station des Erzählverlaufs immer wieder neue Überraschungen bereit hält. 'Durst' ist ein Text von vibrierender Spannung." (Beatrice Eichmann-Leutenegger, NZZ)