Töten, ohne Hand anzulegen: Nach Motiven eines authentischen Falles erzählt Michael Kumpfmüller von einer ungeheuerlichen Tat.
In der Hitze des Hochsommers, als selbst die Grünflächen in ihrer Wohnsiedlung versteppen, versucht eine junge Frau, aus ihrem Leben zu fliehen. Sie packt einen Rucksack und macht sich davon. Zurück bleiben ihre beiden kleinen Kinder und ein paar Päckchen Saft. Die Frau will nicht lange fortbleiben, und obwohl sie nicht weit kommt, findet sie nicht mehr zurück.
In seinem zweiten Roman lässt sich Michael Kumpfmüller auf ein Thema ein, vor dem sich die Gesellschaft mit Abscheu und Dämonisierung schützt: eine Mutter, die tötet. Die Frage nach dem Naheliegenden leitet die Erzählung: Was, um alles in der Welt, treibt diese Frau, während in ihrer Wohnung das Entsetzliche geschieht? Mit kühlem, niemals anklagendem Blick begleitet Michael Kumpfmüller seine Figur dreizehn schwere Tage lang. In einer klaren, protokollartigen Sprache beschreibt er ihre ziellosen Wege, ihre ruppigen Liebschaften und ihre Einkaufstouren, die sie auch in Spielwarenabteilungen zu den Kuscheltieren führen. Und wie an unsichtbaren Fäden zieht es sie immer wieder in die Nähe ihrer Wohnung. Tag für Tag setzt sie neu an, doch sie ist zu schwach, um heimzukehren. Schichtweise wird ihr mörderisches Versagen freigelegt, und wir ahnen voller Unbehagen, dass es mit Schwäche und Angst viel mehr zu tun hat als mit seelischen Defekten. Michael Kumpfmüller beweist mit diesem Buch, wozu die Literatur im besten Fall im Stande ist - Erkenntnis zu schaffen abseits von schieren Fakten und Psychologie.
In der Hitze des Hochsommers, als selbst die Grünflächen in ihrer Wohnsiedlung versteppen, versucht eine junge Frau, aus ihrem Leben zu fliehen. Sie packt einen Rucksack und macht sich davon. Zurück bleiben ihre beiden kleinen Kinder und ein paar Päckchen Saft. Die Frau will nicht lange fortbleiben, und obwohl sie nicht weit kommt, findet sie nicht mehr zurück.
In seinem zweiten Roman lässt sich Michael Kumpfmüller auf ein Thema ein, vor dem sich die Gesellschaft mit Abscheu und Dämonisierung schützt: eine Mutter, die tötet. Die Frage nach dem Naheliegenden leitet die Erzählung: Was, um alles in der Welt, treibt diese Frau, während in ihrer Wohnung das Entsetzliche geschieht? Mit kühlem, niemals anklagendem Blick begleitet Michael Kumpfmüller seine Figur dreizehn schwere Tage lang. In einer klaren, protokollartigen Sprache beschreibt er ihre ziellosen Wege, ihre ruppigen Liebschaften und ihre Einkaufstouren, die sie auch in Spielwarenabteilungen zu den Kuscheltieren führen. Und wie an unsichtbaren Fäden zieht es sie immer wieder in die Nähe ihrer Wohnung. Tag für Tag setzt sie neu an, doch sie ist zu schwach, um heimzukehren. Schichtweise wird ihr mörderisches Versagen freigelegt, und wir ahnen voller Unbehagen, dass es mit Schwäche und Angst viel mehr zu tun hat als mit seelischen Defekten. Michael Kumpfmüller beweist mit diesem Buch, wozu die Literatur im besten Fall im Stande ist - Erkenntnis zu schaffen abseits von schieren Fakten und Psychologie.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.10.2003Lebensinhalt im Tetrapak
Die Kindsmörderin und ihr Nagellack: Michael Kumpfmüllers zweiter Roman folgt einer wahren Geschichte / Von Hermann Kurzke
Durst" ist spannend, aber extrem trostlos. Die Spannung wird auf einfache Weise erzeugt. Eine ausgebrannte junge Frau sperrt ihre zwei Jungen, einen Drei- und einen Vierjährigen, im Kinderzimmer ein, mit ein paar Tetrapaks und diversen eingeschweißten Würsten, wirft den Zimmerschlüssel weg und verläßt ihre Wohnung. Sie streunt herum, verbringt ihre Nächte bei einem widerlichen Liebhaber oder sonst irgendwo, zehn sinnlose Tage werden quälend genau geschildert, man folgt ihren Wegen, getrieben von der erst ganz am Schluß beantworteten Frage, ob jemand die Kinder retten wird.
Die Trostlosigkeit wird erzeugt durch die Abwesenheit von allem, was das Leben liebenswert macht. Es gibt hier kein gelungenes Gespräch, kein Verstehen, keine Freundschaft, nicht Vater noch Mutter, die helfen könnten. Natur, Kunst, Politik, Religion und Philosophie haben ausgesungen, sie sind nicht einmal mehr eine Erwähnung wert. Was früher einmal Liebe hieß, kommt nur noch vor in Gestalt verbissener Sexroutinen. Shoppen, Trinken, Fernsehen - alles geschieht aus Verzweiflung, alles ist Ersatz für einen Mangel, für den es keine Worte mehr gibt.
Die Frau läuft vor sich fort, aber sie hat kein Ziel, weiß nicht, was sie will, weiß nicht, wohin, weiß nicht, was sie ist. Sie fühlt sich einmal als pummeliges Kind, ein anderes Mal verbraucht und nuttig. Sie lebt nicht, sondern sie wird gelebt, im Kreis herum gejagt, von Ansprüchen wie schlank sein, reich sein, stets heiß sein, stets mit neuestem Fummel ausgestattet sein, die ausgebufftesten Sextechniken mit ihren Freundinnen cool erörtern können. Sie flieht, aber das Leben geht unbeeindruckt weiter. Das ist das Schlimme.
Immer mehr tritt sie neben sich, erlebt sich selbst wie in einem Film, wird sich unverständlich. Ihr Körper erscheint ihr als ein bis an den Rand gefülltes Gefäß mit fremden zuckenden Teilen. Während sie verhaftet wird, offenbar wegen Kindstötung, bemalt sie sich die Fußnägel, als ginge sie das alles gar nichts an. Sie verwendet ein dunkles, träumerisches Blau, golden gesprenkelt, sie sieht auf dem blauen Grund Millionen funkelnde Sterne. Sie merkt nicht, was sie getan hat. Sie hatte doch nur um die Ecke schauen wollen, ob da ein anderes Leben ist und ob es sich lohnt. Es lohnt sich offenbar nicht, aber probiert muß man es doch haben.
Kumpfmüller präsentiert das hautnah, lakonisch und mit klinischer Präzision, ohne je ein Pro oder Contra zu äußern. Er spielt mit den tiefsten Ängsten unserer Gesellschaft: daß da vielleicht gar nichts ist, wo die Zielfahnen aufgesteckt sind, daß es vielleicht gar keinen Ausgang aus dieser Ordnung gibt, daß sie vielleicht ein lackiertes Gefängnis ist. Man kann einwenden, alles sei doch gar nicht so schlimm, kann die Versuchsanordnung als allzu hermetisch kritisieren, aber der Roman trifft unstreitig auch etwas Wahres und Grundsätzliches. Eine kraftlose Ausbruchssehnsucht rumort in den Eingeweiden unseres alternden Systems. Fluchtversuche müssen immer kläglich enden, weil diese Gesellschaft jede in ihr mögliche Alternative höhnisch eingemeindet hat. Keiner entkommt. Immer wenn der verzweifelte Hase atemlos eintrifft, ruft der Konformitätsigel: Bin schon da!
"Hampels Fluchten" ließ sich noch als Roman des kleinen Mannes im geteilten Deutschland lesen. "Durst" ist kein Zeitroman mehr. Obgleich uns beiläufig der Juni 1999 als Handlungsdatum mitgeteilt wird, geht es hier nicht um Zeit- oder Sozialkritik, sondern um die Conditio humana überhaupt. Um der Geschichte diesen grundsätzlichen Rang zu verleihen, waren einige Manipulationen gegenüber der Wirklichkeit erforderlich. Denn der Roman geht auf einen tatsächlichen Vorfall zurück: Die dreiundzwanzigjährige Floristin Daniela J. aus Frankfurt/Oder, vier Kinder von vier Männern, hatte 1999 ihre beiden kleinen Söhne mit etwas Orangensaft und ein paar Milchschnitten allein gelassen und war zu ihrem Freund gezogen, während die Kinder qualvoll verdursteten.
Kumpfmüller entfernt aus der Geschichte wichtige Rahmenbedingungen: Name, Beruf, Ort. Daniela J. ist nur noch "die Frau" - daß wir irgendwann beiläufig erfahren, sie heiße Conny, ist nebensächlich. Wovon sie lebt, wird nicht gesagt - während des Geschehens scheint sie Urlaub zu haben. Alles lokale Kolorit wird entfernt, die seelenlose Vorstadt könnte in ganz Mitteleuropa liegen. Aus einem extremen Sonderfall mit spezifischen Bedingungen wird so etwas düster Allgemeines. Die Generalisierung des Einzelfalls hat eine Pathologisierung der Gesamtgesellschaft zur Folge. Kumpfmüller hat bewußt alle Erklärungsauswege verstopft, die etwa die Überforderung einer jungen Mutter oder die Plattenbau-Tristesse der ehemaligen DDR oder Armut und Arbeitslosigkeit als Ursache geltend machen wollten. Er erklärt nichts und rückt das Geschehen so in eine fast mythische Unerreichbarkeit. Das Potential, Kinder verdursten zu lassen, bloß weil sie lästig sind, muß so als allen Menschen innewohnend erscheinen. Die dissozialen, infantilen und egozentrischen Züge, die der Gerichtsgutachter im Mordprozeß gegen Daniela J. feststellte, sind ubiquitär - jedenfalls wenn man sich dem Sog dieser Prosa überläßt.
Im Dienst der Generalisierung steht auch die eigentümlich stilisierte, wie eingeebnete Sprache. Jede individuelle, soziale oder dialektale Färbung wird vermieden. Der Erzähler spricht, als säße er zwar im Kopf der Frau, aber neben ihrem Ich. Er redet aus ihrem Innenraum heraus, aber als emotional unbeteiligter Protokollant ihres Bewußtseinsstroms, nicht aus ihrer Mitte, nicht im inneren Monolog. So entsteht ein geschliffenes Beobachter-Idiom, an dessen gepflegte Brüstung das wortlos bleibende Grauen brandet. Diese Sprache, die nicht die Sprache der Frau ist, trägt zur Verfremdung und Verunheimlichung der Vorgänge entscheidend bei. Die animalische Naivität der Mörderin bleibt so sprachlos wie die verdurstenden Kinder.
Ein ausphantasierter Zeitungsartikel nur? Ja, und doch echte Literatur, erregend und beklemmend, gekonnt und erschütternd, tragisch und unterhaltend. Im Verhältnis zu "Hampels Fluchten" ist "Durst" nur eine Novelle oder eine Etüde, auf jeden Fall aber ein Beweis für das Können dieses Autors. Man darf neugierig sein, was er als nächstes machen wird.
Michael Kumpfmüller: "Durst". Roman. Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2003. 207 S., geb., 16,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Die Kindsmörderin und ihr Nagellack: Michael Kumpfmüllers zweiter Roman folgt einer wahren Geschichte / Von Hermann Kurzke
Durst" ist spannend, aber extrem trostlos. Die Spannung wird auf einfache Weise erzeugt. Eine ausgebrannte junge Frau sperrt ihre zwei Jungen, einen Drei- und einen Vierjährigen, im Kinderzimmer ein, mit ein paar Tetrapaks und diversen eingeschweißten Würsten, wirft den Zimmerschlüssel weg und verläßt ihre Wohnung. Sie streunt herum, verbringt ihre Nächte bei einem widerlichen Liebhaber oder sonst irgendwo, zehn sinnlose Tage werden quälend genau geschildert, man folgt ihren Wegen, getrieben von der erst ganz am Schluß beantworteten Frage, ob jemand die Kinder retten wird.
Die Trostlosigkeit wird erzeugt durch die Abwesenheit von allem, was das Leben liebenswert macht. Es gibt hier kein gelungenes Gespräch, kein Verstehen, keine Freundschaft, nicht Vater noch Mutter, die helfen könnten. Natur, Kunst, Politik, Religion und Philosophie haben ausgesungen, sie sind nicht einmal mehr eine Erwähnung wert. Was früher einmal Liebe hieß, kommt nur noch vor in Gestalt verbissener Sexroutinen. Shoppen, Trinken, Fernsehen - alles geschieht aus Verzweiflung, alles ist Ersatz für einen Mangel, für den es keine Worte mehr gibt.
Die Frau läuft vor sich fort, aber sie hat kein Ziel, weiß nicht, was sie will, weiß nicht, wohin, weiß nicht, was sie ist. Sie fühlt sich einmal als pummeliges Kind, ein anderes Mal verbraucht und nuttig. Sie lebt nicht, sondern sie wird gelebt, im Kreis herum gejagt, von Ansprüchen wie schlank sein, reich sein, stets heiß sein, stets mit neuestem Fummel ausgestattet sein, die ausgebufftesten Sextechniken mit ihren Freundinnen cool erörtern können. Sie flieht, aber das Leben geht unbeeindruckt weiter. Das ist das Schlimme.
Immer mehr tritt sie neben sich, erlebt sich selbst wie in einem Film, wird sich unverständlich. Ihr Körper erscheint ihr als ein bis an den Rand gefülltes Gefäß mit fremden zuckenden Teilen. Während sie verhaftet wird, offenbar wegen Kindstötung, bemalt sie sich die Fußnägel, als ginge sie das alles gar nichts an. Sie verwendet ein dunkles, träumerisches Blau, golden gesprenkelt, sie sieht auf dem blauen Grund Millionen funkelnde Sterne. Sie merkt nicht, was sie getan hat. Sie hatte doch nur um die Ecke schauen wollen, ob da ein anderes Leben ist und ob es sich lohnt. Es lohnt sich offenbar nicht, aber probiert muß man es doch haben.
Kumpfmüller präsentiert das hautnah, lakonisch und mit klinischer Präzision, ohne je ein Pro oder Contra zu äußern. Er spielt mit den tiefsten Ängsten unserer Gesellschaft: daß da vielleicht gar nichts ist, wo die Zielfahnen aufgesteckt sind, daß es vielleicht gar keinen Ausgang aus dieser Ordnung gibt, daß sie vielleicht ein lackiertes Gefängnis ist. Man kann einwenden, alles sei doch gar nicht so schlimm, kann die Versuchsanordnung als allzu hermetisch kritisieren, aber der Roman trifft unstreitig auch etwas Wahres und Grundsätzliches. Eine kraftlose Ausbruchssehnsucht rumort in den Eingeweiden unseres alternden Systems. Fluchtversuche müssen immer kläglich enden, weil diese Gesellschaft jede in ihr mögliche Alternative höhnisch eingemeindet hat. Keiner entkommt. Immer wenn der verzweifelte Hase atemlos eintrifft, ruft der Konformitätsigel: Bin schon da!
"Hampels Fluchten" ließ sich noch als Roman des kleinen Mannes im geteilten Deutschland lesen. "Durst" ist kein Zeitroman mehr. Obgleich uns beiläufig der Juni 1999 als Handlungsdatum mitgeteilt wird, geht es hier nicht um Zeit- oder Sozialkritik, sondern um die Conditio humana überhaupt. Um der Geschichte diesen grundsätzlichen Rang zu verleihen, waren einige Manipulationen gegenüber der Wirklichkeit erforderlich. Denn der Roman geht auf einen tatsächlichen Vorfall zurück: Die dreiundzwanzigjährige Floristin Daniela J. aus Frankfurt/Oder, vier Kinder von vier Männern, hatte 1999 ihre beiden kleinen Söhne mit etwas Orangensaft und ein paar Milchschnitten allein gelassen und war zu ihrem Freund gezogen, während die Kinder qualvoll verdursteten.
Kumpfmüller entfernt aus der Geschichte wichtige Rahmenbedingungen: Name, Beruf, Ort. Daniela J. ist nur noch "die Frau" - daß wir irgendwann beiläufig erfahren, sie heiße Conny, ist nebensächlich. Wovon sie lebt, wird nicht gesagt - während des Geschehens scheint sie Urlaub zu haben. Alles lokale Kolorit wird entfernt, die seelenlose Vorstadt könnte in ganz Mitteleuropa liegen. Aus einem extremen Sonderfall mit spezifischen Bedingungen wird so etwas düster Allgemeines. Die Generalisierung des Einzelfalls hat eine Pathologisierung der Gesamtgesellschaft zur Folge. Kumpfmüller hat bewußt alle Erklärungsauswege verstopft, die etwa die Überforderung einer jungen Mutter oder die Plattenbau-Tristesse der ehemaligen DDR oder Armut und Arbeitslosigkeit als Ursache geltend machen wollten. Er erklärt nichts und rückt das Geschehen so in eine fast mythische Unerreichbarkeit. Das Potential, Kinder verdursten zu lassen, bloß weil sie lästig sind, muß so als allen Menschen innewohnend erscheinen. Die dissozialen, infantilen und egozentrischen Züge, die der Gerichtsgutachter im Mordprozeß gegen Daniela J. feststellte, sind ubiquitär - jedenfalls wenn man sich dem Sog dieser Prosa überläßt.
Im Dienst der Generalisierung steht auch die eigentümlich stilisierte, wie eingeebnete Sprache. Jede individuelle, soziale oder dialektale Färbung wird vermieden. Der Erzähler spricht, als säße er zwar im Kopf der Frau, aber neben ihrem Ich. Er redet aus ihrem Innenraum heraus, aber als emotional unbeteiligter Protokollant ihres Bewußtseinsstroms, nicht aus ihrer Mitte, nicht im inneren Monolog. So entsteht ein geschliffenes Beobachter-Idiom, an dessen gepflegte Brüstung das wortlos bleibende Grauen brandet. Diese Sprache, die nicht die Sprache der Frau ist, trägt zur Verfremdung und Verunheimlichung der Vorgänge entscheidend bei. Die animalische Naivität der Mörderin bleibt so sprachlos wie die verdurstenden Kinder.
Ein ausphantasierter Zeitungsartikel nur? Ja, und doch echte Literatur, erregend und beklemmend, gekonnt und erschütternd, tragisch und unterhaltend. Im Verhältnis zu "Hampels Fluchten" ist "Durst" nur eine Novelle oder eine Etüde, auf jeden Fall aber ein Beweis für das Können dieses Autors. Man darf neugierig sein, was er als nächstes machen wird.
Michael Kumpfmüller: "Durst". Roman. Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2003. 207 S., geb., 16,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 06.10.2003Dein Vater ist allein, das Schwein
Ein gutes Buch, ein komplizierter Fall: Michael Kumpfmüllers Roman-Zweitling „Durst”
Wer darf sich ein deutscher Dichter nennen? Wer, unter welchen Bedingungen, der deutschen Literatur Großes hinzufügen? Das sind so Fragen. Zählt nur das Ergebnis? Ist Literatur, was sich gut liest und uns auf hohem Qualitätsniveau erschüttert?
In der bildenden Kunst ist die Preisfestsetzung zum Beispiel ganz und gar auragebunden: Ein Jackson-Pollock-Gemälde, das Jackson Pollock selbst schöpferisch erlitten hat, ist Kunst, die Kopie aus dem Kindergarten dagegen wird nur im Mutterherzen bepreist. Kindergärtnerinnen, die die Werke ihrer Schützlinge zu Geld machen möchten, mögen das doof finden. Bisher jedoch gehören Geniekult, Authentizität und Originalität zum korrekten Kunsterlebnis. Es darf vom Markt nichts wissen wollen. Wir denken uns das Originalgenie auch in der Literatur als ein Wesen, das sich seine Bedrängnis marktunabhängig für uns alle schön leidet – anders als im Angelsächsischen zum Beispiel, wo ein Buch sein So-Sein als Hergestelltes durchaus nicht verstecken muss. Ach, Adorno. Ein hundertjähriges Markthindernis.
Der Autor Michael Kumpfmüller ist gleich zu Beginn seiner Karriere ins Haifischbecken der berühmten Generation Abzocke gefallen. Sein Romanerstling „Hampels Fluchten” (2000) wurde von einem Literaturagenten überhaupt erst angeregt, der Vorschuss auf das Manuskript erreichte bisher unerreichte, oft kolportierte Höhen, und der Vorabdruck in einer großen Tageszeitung ergab sich unter allerzwielichtigsten Eine-Haifischflosse-wäscht-die-andere-Umständen. Das Buch, ein deutsch-deutscher Unterhaltungsroman, in dem der Autor oft als Stimmungskanone aufzutreten sich gedrängt fühlte, war deshalb nicht schlecht. Aber der Auraschaden am Unterboden blieb erkennbar. Wenn man Michael Kumpfmüllers zweiten Roman „Durst” aufschlägt, kann man nicht so tun, als wüsste man das alles nicht, und der Autor kann nicht so tun, als sei er dafür nicht verantwortlich.
Kumpfmüller reduziert das Personal in „Durst” auf das Äußerste und nimmt Zuflucht im Kopf einer einzigen Frau, deren Bezugsrahmen deutlich enger ist als jener des rasenden, erotomanen Bettenverkäufers Hampel: Cornelia, genannt Conny, in der Stadt F.. Dem epischen Großangriff auf die gesamtdeutsche Geschichte folgt eine Miniatur: Dreizehn Tage im Juni schreitet er mit ihr ab, es ist heiß, und Conny schließt ihre beiden kleinen Söhne in der Wohnung ein und lässt sie dort sterben. Es ist unmöglich, von diesem Schauerstoff nicht gefesselt zu sein. Es ist wenig überraschend, dass Kumpfmüller um Verständnis für seine Antiheldin bittet, und es ist natürlich auch richtig.
Das Buch zeichnet den Fall der 23jährigen Kindsmörderin Daniela J. aus Frankfurt an der Oder nach, der sich im Juni 1999 ereignet hat, im so genannten wirklichen Leben. Die Horrorstory wurde zum Inbild der Auswirkungen sozialer Kälte im Osten, viel ist darüber geschrieben worden. Im Januar 2000 hat zum Beispiel der Tagesspiegel einen Bericht von Harald Martenstein veröffentlicht, der alle Beteiligten vorführt, ihre Komplizenschaft darstellt und an stiller Schaurigkeit nicht hinter Kumpfmüllers literarischer Verarbeitung zurückbleibt. Kurz ist man irritiert: Genügt die Reportage nicht? Muss der Roman auch noch sein? Das ist natürlich keine zulässige Frage. Brecht, der Be- und Verarbeitungs-Großindustrielle und Klaudieb, hätte nur kurz gelacht.
Was Kumpfmüllers Position im Literaturbetrieb angeht und ihre Auswirkungen auf sein Verhältnis zu seiner Figur Conny, so ist er natürlich einer, der in einer verspiegelten Don-DeLillo-Stretch-Limousine in der Plattenbausiedlung vorfährt und sich einfühlt, ohne auszusteigen. Das merkt man dem Produkt nicht an, was vielleicht seine größte Kunstleistung darstellt. Denn nun muss Schluss sein mit den Bedenken. Die Einfühlung ist dem Autor hervorragend gelungen. „Durst” ist ein rundherum gutes, ein lobenswertes Buch.
Kapitel um Kapitel (also Tag um Tag) stellt der Autor uns die Täterin Conny wieder als „eine Frau” vor, rückt sie uns in die Ferne, distanziert sich von ihr. Wie eine Schlafwandlerin taumelt sie durch eine verwüstete Landschaft. Eine Welt, in der völliges Desinteresse am Anderen so normal ist wie das plötzliche Umschlagen in offene Grausamkeit. Eine Welt, in der man einem kleinen Mädchen auf dem Spielplatz lebensklug empfiehlt: „Dein Vater ist viel zu allein, er hat keine Frau, deshalb musst du nett zu ihm sein, ich kann’s dir nur raten. Weißt du, was ich meine?” Es ist eine Welt, in der man sich nicht wundert, wenn man unter den Sachen des Liebhabers selbst gedrehte Kinderpornos findet, in der man nicht aufsteht und geht, weil man nicht weiß wohin, und weil man nicht glaubt, seine Schritte wirklich selbst bestimmen zu können. Es ist ein Alltag aus sex and crime. Geschlecht und Verbrechen.
„Entfremdung”. Plötzlich und unerwartet kommt uns Kumpfmüller wieder mit dem vergessen geglaubten Wort von 1975. Verwüstung. Das Einkaufszentrum als letztes Paradies. Das geklaute oder gekaufte Kuscheltier als letzter Halt. Entscheidungen sind in so einer Welt fast unmöglich: „Er fragte: Kommst du mit? Was willst du. Sag, was du willst. Sie kam mit, wusste aber nicht, was sie wollte.” – In dieser Verfassung entscheidet sich das misshandelte Kind C., das es ins Mutterglück verschlagen hat, auch nicht, die Kinder umzubringen, mit dem Messer oder mit der Hand. Nur, sie verhungern und verdursten zu lassen.
„Ich liege wie ein Tier in dieser Steppe”, lässt der Autor seine Mörderin aus verlorener Ehre einmal denken. Sehr graziös schenkt er ihr manchmal eine Sprache, die ihr im wirklichen Leben kaum zur Verfügung stünde. Sehr elegant interpretiert er gelegentlich ihr Verhalten, zurückhaltend, ganz zart, als würde er Vorschläge machen. Und auch wenn er zu Anfang zu einer literarischen Recherche aufgebrochen sein mag, die eigene journalistische Vergangenheit im Gepäck, ist am Ende doch ein Buch mit einer ganz anderen Grundhaltung daraus geworden: Erbarmen. Da gibt es kein Vertun: Michael Kumpfmüller hat der deutschen Literatur Schönes hinzugefügt.
Aus ein paar motivischen Überschneidungen lässt sich übrigens ablesen, worüber dieser Autor gern schreibt: Über den Verrat. Das Verlassen. Hampel wie Conny üben sich darin. Und über das sich nicht entscheiden können. Früh in „Hampels Fluchten” entschuldigt sich Kumpfmüllers erster Held für sein ganzes Leben: „Ich bin da hineingeschlittert, einfach so hineingeschlittert, und später war mir manches recht und manches weniger, aber wirklich entschieden habe ich mich nie.” Beide Romane erzählen von den tödlichen Folgen dieser Passivität – einmal in folkloristischer Breite, einmal knapp, wie eingedampft.
Die „Durst”-Rezension im Spiegel war ein Ausdruck der Schwierigkeiten im Umgang mit Kumpfmüller. Die Rezensentin näherte sich dem Roman als eine Illustriertenjournalistin, die darin ihren Illustriertenstoff wiederfinden wollte. Dass er auch poetische Sätze enthält, dass er überhaupt Literatur sein will, verdutzte sie, das fand sie nicht gut – obwohl die Figur der Kindsmörderin in der deutschen Literaturgeschichte und ihren Sex-and-Crime-Balladen viel stärker verankert ist als in den Illustrierten: Goethe! Bürger! Schiller! Für die Spiegel-Redakteurin wäre der beste Kumpfmüller-Roman einer gewesen, den sie auch selbst hätte schreiben können. Soll sie doch. Der Spiegel wird sie nicht feuern. Kumpfmüller wird nicht darben. Literatur ist alles, was der Fall ist.
ROBIN DETJE
MICHAEL KUMPFMÜLLER: Durst. Roman. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2003. 208 Seiten, 16,90 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
Ein gutes Buch, ein komplizierter Fall: Michael Kumpfmüllers Roman-Zweitling „Durst”
Wer darf sich ein deutscher Dichter nennen? Wer, unter welchen Bedingungen, der deutschen Literatur Großes hinzufügen? Das sind so Fragen. Zählt nur das Ergebnis? Ist Literatur, was sich gut liest und uns auf hohem Qualitätsniveau erschüttert?
In der bildenden Kunst ist die Preisfestsetzung zum Beispiel ganz und gar auragebunden: Ein Jackson-Pollock-Gemälde, das Jackson Pollock selbst schöpferisch erlitten hat, ist Kunst, die Kopie aus dem Kindergarten dagegen wird nur im Mutterherzen bepreist. Kindergärtnerinnen, die die Werke ihrer Schützlinge zu Geld machen möchten, mögen das doof finden. Bisher jedoch gehören Geniekult, Authentizität und Originalität zum korrekten Kunsterlebnis. Es darf vom Markt nichts wissen wollen. Wir denken uns das Originalgenie auch in der Literatur als ein Wesen, das sich seine Bedrängnis marktunabhängig für uns alle schön leidet – anders als im Angelsächsischen zum Beispiel, wo ein Buch sein So-Sein als Hergestelltes durchaus nicht verstecken muss. Ach, Adorno. Ein hundertjähriges Markthindernis.
Der Autor Michael Kumpfmüller ist gleich zu Beginn seiner Karriere ins Haifischbecken der berühmten Generation Abzocke gefallen. Sein Romanerstling „Hampels Fluchten” (2000) wurde von einem Literaturagenten überhaupt erst angeregt, der Vorschuss auf das Manuskript erreichte bisher unerreichte, oft kolportierte Höhen, und der Vorabdruck in einer großen Tageszeitung ergab sich unter allerzwielichtigsten Eine-Haifischflosse-wäscht-die-andere-Umständen. Das Buch, ein deutsch-deutscher Unterhaltungsroman, in dem der Autor oft als Stimmungskanone aufzutreten sich gedrängt fühlte, war deshalb nicht schlecht. Aber der Auraschaden am Unterboden blieb erkennbar. Wenn man Michael Kumpfmüllers zweiten Roman „Durst” aufschlägt, kann man nicht so tun, als wüsste man das alles nicht, und der Autor kann nicht so tun, als sei er dafür nicht verantwortlich.
Kumpfmüller reduziert das Personal in „Durst” auf das Äußerste und nimmt Zuflucht im Kopf einer einzigen Frau, deren Bezugsrahmen deutlich enger ist als jener des rasenden, erotomanen Bettenverkäufers Hampel: Cornelia, genannt Conny, in der Stadt F.. Dem epischen Großangriff auf die gesamtdeutsche Geschichte folgt eine Miniatur: Dreizehn Tage im Juni schreitet er mit ihr ab, es ist heiß, und Conny schließt ihre beiden kleinen Söhne in der Wohnung ein und lässt sie dort sterben. Es ist unmöglich, von diesem Schauerstoff nicht gefesselt zu sein. Es ist wenig überraschend, dass Kumpfmüller um Verständnis für seine Antiheldin bittet, und es ist natürlich auch richtig.
Das Buch zeichnet den Fall der 23jährigen Kindsmörderin Daniela J. aus Frankfurt an der Oder nach, der sich im Juni 1999 ereignet hat, im so genannten wirklichen Leben. Die Horrorstory wurde zum Inbild der Auswirkungen sozialer Kälte im Osten, viel ist darüber geschrieben worden. Im Januar 2000 hat zum Beispiel der Tagesspiegel einen Bericht von Harald Martenstein veröffentlicht, der alle Beteiligten vorführt, ihre Komplizenschaft darstellt und an stiller Schaurigkeit nicht hinter Kumpfmüllers literarischer Verarbeitung zurückbleibt. Kurz ist man irritiert: Genügt die Reportage nicht? Muss der Roman auch noch sein? Das ist natürlich keine zulässige Frage. Brecht, der Be- und Verarbeitungs-Großindustrielle und Klaudieb, hätte nur kurz gelacht.
Was Kumpfmüllers Position im Literaturbetrieb angeht und ihre Auswirkungen auf sein Verhältnis zu seiner Figur Conny, so ist er natürlich einer, der in einer verspiegelten Don-DeLillo-Stretch-Limousine in der Plattenbausiedlung vorfährt und sich einfühlt, ohne auszusteigen. Das merkt man dem Produkt nicht an, was vielleicht seine größte Kunstleistung darstellt. Denn nun muss Schluss sein mit den Bedenken. Die Einfühlung ist dem Autor hervorragend gelungen. „Durst” ist ein rundherum gutes, ein lobenswertes Buch.
Kapitel um Kapitel (also Tag um Tag) stellt der Autor uns die Täterin Conny wieder als „eine Frau” vor, rückt sie uns in die Ferne, distanziert sich von ihr. Wie eine Schlafwandlerin taumelt sie durch eine verwüstete Landschaft. Eine Welt, in der völliges Desinteresse am Anderen so normal ist wie das plötzliche Umschlagen in offene Grausamkeit. Eine Welt, in der man einem kleinen Mädchen auf dem Spielplatz lebensklug empfiehlt: „Dein Vater ist viel zu allein, er hat keine Frau, deshalb musst du nett zu ihm sein, ich kann’s dir nur raten. Weißt du, was ich meine?” Es ist eine Welt, in der man sich nicht wundert, wenn man unter den Sachen des Liebhabers selbst gedrehte Kinderpornos findet, in der man nicht aufsteht und geht, weil man nicht weiß wohin, und weil man nicht glaubt, seine Schritte wirklich selbst bestimmen zu können. Es ist ein Alltag aus sex and crime. Geschlecht und Verbrechen.
„Entfremdung”. Plötzlich und unerwartet kommt uns Kumpfmüller wieder mit dem vergessen geglaubten Wort von 1975. Verwüstung. Das Einkaufszentrum als letztes Paradies. Das geklaute oder gekaufte Kuscheltier als letzter Halt. Entscheidungen sind in so einer Welt fast unmöglich: „Er fragte: Kommst du mit? Was willst du. Sag, was du willst. Sie kam mit, wusste aber nicht, was sie wollte.” – In dieser Verfassung entscheidet sich das misshandelte Kind C., das es ins Mutterglück verschlagen hat, auch nicht, die Kinder umzubringen, mit dem Messer oder mit der Hand. Nur, sie verhungern und verdursten zu lassen.
„Ich liege wie ein Tier in dieser Steppe”, lässt der Autor seine Mörderin aus verlorener Ehre einmal denken. Sehr graziös schenkt er ihr manchmal eine Sprache, die ihr im wirklichen Leben kaum zur Verfügung stünde. Sehr elegant interpretiert er gelegentlich ihr Verhalten, zurückhaltend, ganz zart, als würde er Vorschläge machen. Und auch wenn er zu Anfang zu einer literarischen Recherche aufgebrochen sein mag, die eigene journalistische Vergangenheit im Gepäck, ist am Ende doch ein Buch mit einer ganz anderen Grundhaltung daraus geworden: Erbarmen. Da gibt es kein Vertun: Michael Kumpfmüller hat der deutschen Literatur Schönes hinzugefügt.
Aus ein paar motivischen Überschneidungen lässt sich übrigens ablesen, worüber dieser Autor gern schreibt: Über den Verrat. Das Verlassen. Hampel wie Conny üben sich darin. Und über das sich nicht entscheiden können. Früh in „Hampels Fluchten” entschuldigt sich Kumpfmüllers erster Held für sein ganzes Leben: „Ich bin da hineingeschlittert, einfach so hineingeschlittert, und später war mir manches recht und manches weniger, aber wirklich entschieden habe ich mich nie.” Beide Romane erzählen von den tödlichen Folgen dieser Passivität – einmal in folkloristischer Breite, einmal knapp, wie eingedampft.
Die „Durst”-Rezension im Spiegel war ein Ausdruck der Schwierigkeiten im Umgang mit Kumpfmüller. Die Rezensentin näherte sich dem Roman als eine Illustriertenjournalistin, die darin ihren Illustriertenstoff wiederfinden wollte. Dass er auch poetische Sätze enthält, dass er überhaupt Literatur sein will, verdutzte sie, das fand sie nicht gut – obwohl die Figur der Kindsmörderin in der deutschen Literaturgeschichte und ihren Sex-and-Crime-Balladen viel stärker verankert ist als in den Illustrierten: Goethe! Bürger! Schiller! Für die Spiegel-Redakteurin wäre der beste Kumpfmüller-Roman einer gewesen, den sie auch selbst hätte schreiben können. Soll sie doch. Der Spiegel wird sie nicht feuern. Kumpfmüller wird nicht darben. Literatur ist alles, was der Fall ist.
ROBIN DETJE
MICHAEL KUMPFMÜLLER: Durst. Roman. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2003. 208 Seiten, 16,90 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
"Echte Literatur, bewegend und beklemmend", aber auch unterhaltend, jubelt Rezensent Hermann Kurzke über diese Novelle, deren Thema die wirkliche Geschichte einer jungen Mutter ist, die ihre beiden kleinen Söhne verdursten ließ. Zehn schreckliche Tage beschreibt Kumpfmüller "quälend genau", so der Rezensent, der den Schilderungen von der Frage getrieben folgt, ob denn jemand am Ende die Kinder retten wird. Um diesen tatsächlich geschehenen Einzelfall in eine Pathologie der Gesamtgesellschaft münden zu lassen, habe der Autor bewusst alle "Erklärungsauswege" verstopft und das Geschehen in eine fast mythische Unerreichbarkeit entrückt. Keine Zeit- oder Sozialkritik: die "egozentrischen Züge", die der Gerichtsgutachter später beim Prozess der Mörderin zuschreibe, seien "ubiquitär", jedenfalls wenn man sich dieser Prosa überlasse und ihrer "eigentümlich stilisierten" Sprache.
© Perlentaucher Medien GmbH
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"In Michael Kumpfmüller haben wir unseren Erzähler gefunden." Frank Schirrmacher in der FAZ über "Hampels Fluchten"
»Atemlose, empathische Prosa [...]. Ein zutiefst menschliches Buch.« Oliver Pfohlmann taz