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An der Art, wie Menschen sich anreden, läßt sich manches über die zwischenmenschlichen Beziehungen in einer Gesellschaft erfahren. Das zeigt sich in vielen Lebensbereichen unserer Gegenwart (Hochschule, Schule, Lehrerkollegien, kirchliche Gemeinden, geistliche Orden, Betriebe, Bundeswehr, Altenheime etc.). Die Regelungen scheinen einfacher geworden zu sein, dennoch bleiben Unsicherheitszonen. So war es auch im Umbruch der 1968er Jahre in der alten Bundesrepublik und im sozialistischen Alltag der DDR. Aufschlußreich ist auch ein Rückblick auf mehr als 1000 Jahre deutscher Sprachgeschichte mit…mehr

Produktbeschreibung
An der Art, wie Menschen sich anreden, läßt sich manches über die zwischenmenschlichen Beziehungen in einer Gesellschaft erfahren. Das zeigt sich in vielen Lebensbereichen unserer Gegenwart (Hochschule, Schule, Lehrerkollegien, kirchliche Gemeinden, geistliche Orden, Betriebe, Bundeswehr, Altenheime etc.). Die Regelungen scheinen einfacher geworden zu sein, dennoch bleiben Unsicherheitszonen. So war es auch im Umbruch der 1968er Jahre in der alten Bundesrepublik und im sozialistischen Alltag der DDR. Aufschlußreich ist auch ein Rückblick auf mehr als 1000 Jahre deutscher Sprachgeschichte mit wechselnden Anrede-Fürwörtern (Du, Ihr, Er/Sie = 3. Singular und Sie = 3. Plural) und vielfältigen Titulaturen. Ein Vergleich mit den Gepflogenheiten in anderen Sprachen weitet den Blick auf uns ungewohnte Ausprägungen sozialer und personaler Beziehungen.Der Autor versteht es, die wechselnden Formen der Anrede im Deutschen auf kurzweilige Art darzustellen und zu erklären. Es geht ihm darum, zum Nach- und Weiterdenken anzuregen (nicht etwa um eine »Anleitung zum guten Ton«).
Autorenporträt
Werner Besch, geboren 1928 in Erdmannsweiler; Studium der Germanistik, Anglistik, Philosophie und Geographie an der Universität Freiburg im Breisgau und der Universität Tübingen; Promotion 1956, Habilitation 1965; Lehrstuhl für Deutsche Sprache und ältere Literatur 1965-1970 an der Universität Bochum, ab 1970 an der Universität Bonn; Gastprofessuren in den USA, Australien, Neuseeland und Ungarn; Mitglied in wissenschaftlichen Akademien; Emeritierung 1993; Hauptarbeitsgebiete: Sprachgeschichte, Dialektologie, Soziolinguistik; Autor und Herausgeber von zahlreichen sprachwissenschaftlichen Publikationen.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 31.12.1996

Hallo, Fräulein!
Keine Benimmregeln: Werner Besch beschreibt Anredeformen als Seismographen sozialer Wirklichkeit

Jeder kennt das Problem: Wie ruft man die Bedienung in der Gaststätte? Meist rettet man sich durch einen Fingerzeig oder weist, zum Zeichen der Zahlungsbereitschaft, auf die Geldbörse: Man umgeht die sprachliche Schwierigkeit durch Gesten. Aber das funktioniert nur in den seltensten Fällen, wenn es um das Problem der Anrede geht. Wie Menschen sich wann ansprechen, ist nicht einfach zu sagen. Der Sprachgebrauch ist komplizierter, als es sich Grammatiker träumen lassen. Das sprachliche Inventar für Anreden mag klein sein, der Anwendungsspielraum dagegen ist groß, vielgestaltig und irritierend. Der emeritierte Sprachwissenschaftler Werner Besch hat diesem Problemfeld eine erhellende Untersuchung gewidmet. Seismographisch hat er die Regeln aufzuspüren versucht, denen wir folgen, wenn wir uns ansprechen, titulieren und miteinander unterhalten.

Sein Büchlein ist nicht für Fachleute geschrieben, sondern für jeden, der den Sprachgebrauch als ein faszinierendes Beobachtungsfeld sieht und verstehen will, wie es da täglich zugeht. Besch zeigt die sprachliche Wirklichkeit so, wie sie ist, und versucht zu erklären, warum sie gerade so funktioniert. Im Mittelpunkt steht der Gebrauch der Anredeformen "du" und "Sie", für den keine normativen Benimmregeln vorgeschlagen werden. Vielmehr sucht Besch in seiner sprachsoziologisch ausgerichteten Untersuchung aus den Anredeformen gesellschaftliche Entwicklungen herauszulesen. Anreden sind "sozial markiert". Diesen Markierungen ist Besch auf der Spur, wenn er beschreibt, wie man sich vor 1968 ansprach, welche Rolle das neue Du als Signal des Aufbruchs spielte und was das "Genosse" in der DDR als Zeichen politischer Zuordnung bedeutete.

Du, Herrgott

Im Mittelpunkt stehen Alltagsstudien. Kann man noch "Fräulein" sagen? Wie spricht man sich in geistlichen Gemeinschaften an und in der Bundeswehr, wie an Universitäten und in Schulen, in Familien und Betrieben? Besch wertet und zensiert nicht. Er lenkt die Aufmerksamkeit auf das Phänomen, daß in jeder Anrede und Titulierung eine "Beziehungsdefinition" mitspielt, die sich heute, allen Annahmen zum Trotz, mit du und Sie schwieriger gestalte als vor 1968. Vieles, was einfach geworden zu sein scheint, hat seine Tücken. Das dokumentieren die zahlreichen Momentaufnahmen des alltäglichen Sprachgebrauchs, die Besch liefert, zum Beispiel die Geschichte von der streitbaren Nürnberger Marktfrau Gustl, die 1976 wegen hartnäckigen Duzens eines Polizeihauptkommissars zu 2250 Mark Geldstrafe verurteilt wurde und sich damit rechtfertigte, daß sie schließlich auch den lieben Herrgott duze, für den ja nun wirklich eine gesteigerte Respektform am Platz wäre. Solche Anekdoten führen dem Leser die Vielfalt der menschlichen Anredekultur vor Augen und zeigen, wie man es in jedem Einzelfall mit einem hochentwickelten "Kulturem" zu tun hat, "einem Seismographen gesellschaftlicher Wirklichkeit".

Ein Rückblick in andere Zeiten und andere Länder schließt diese informative und unterhaltsame Untersuchung ab, die sich nicht nur gut für den Deutschunterricht einsetzen läßt, sondern jeden anspricht, der sich für den lebendigen Sprachgebrauch in seiner sozialen und historischen Dimension interessiert. Vielleicht muß man als Professor für Sprachwissenschaft erst emeritiert sein, um so schreiben zu können, daß man von jedem verstanden werden kann. MANFRED GEIER

Werner Besch: "Duzen, Siezen, Titulieren". Zur Anrede im Deutschen heute und gestern. Verlag Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1996. 141 S., br., 16,80 DM.

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