Jonathan Safran Foer spent much of his teenage and college years oscillating between omnivore and vegetarian. But on the brink of fatherhood-facing the prospect of having to make dietary choices on a child's behalf-his casual questioning took on an urgency His quest for answers ultimately required him to visit factory farms in the middle of the night, dissect the emotional ingredients of meals from his childhood, and probe some of his most primal instincts about right and wrong. Brilliantly synthesizing philosophy, literature, science, memoir and his own detective work, Eating Animals explores the many fictions we use to justify our eating habits-from folklore to pop culture to family traditions and national myth-and how such tales can lull us into a brutal forgetting. Marked by Foer's profound moral ferocity and unvarying generosity, as well as the vibrant style and creativity that made his previous books, Everything is Illuminated and Extremely Loud and Incredibly Close , widely loved, Eating Animals is a celebration and a reckoning, a story about the stories we've told-and the stories we now need to tell.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 13.03.2010Das wird dir die Augen öffnen und den Magen umdrehen
Der amerikanische Autor Jonathan Safran Foer holt mit seinem Bestseller „Eating Animals” den Vegetarismus ins Zentrum der Gesellschaft
Es geht doch. Nahrungsgewohnheiten, sogar solche, die den besonders heiklen Bereich der Proteinzufuhr betreffen, können geändert werden. Unter dem Einfluss der Missionare und anderer westlicher Mächte lernten die Völker der Südsee, in Polynesien, Melanesien, Neuguinea, auf den Genuss von Menschenfleisch zu verzichten. Der wurde gern ein bisschen kultisch verkleidet, so wie Debatten um erlaubte und unerlaubte Nahrungsmittel sich ja immer den Anschein höherer oder tieferer Gründe geben; aber im Wesentlichen war es eben doch ein Genuss. Noch aus dem zwanzigsten Jahrhundert wird berichtet, dass ein Maori aus Neuseeland auf seinem Sterbebett weinte, weil er sich des Geschmacks von Menschenfleisch entsann, das er seit seiner Jugend nicht mehr gegessen hatte. Leicht fiel diesen Kulturen der Verzicht nicht. Aber sie schafften ihn.
Mit dem Verzehr von Fleisch überhaupt scheint es ähnlich zu stehen wie mit diesem Spezialfall. Er ist so tief und zentral in die Zivilisation eingebettet und bedeutet zugleich eine solche Ungeheuerlichkeit, dass man, wahlweise, nicht begreift, wie jemand diese Angewohnheit eliminieren will – oder aber wie sie fortdauern kann. Zeigt uns eine einzige Kultur unter den Tausenden, die es auf diesem Planeten gibt und gegeben hat, rufen die Fleischesser, in der nicht Fleisch gegessen worden wäre!
Nicht von allen und jederzeit, aber doch regelmäßig von jenen, die es sich leisten konnten. Auf der Gegenseite steht das Entsetzen derjenigen, die es mit ansehen müssen, wie ein Wesen, das in allen entscheidenden Punkten, vor allem was Bewusstsein, Angst und Leidensfähigkeit betrifft, genauso funktioniert wie wir Menschen auch, sein Leben verliert für nicht mehr als die eine Mahlzeit, die wir ihm abgewinnen. Manchmal macht sich dieses Entsetzen als Ausbruch Luft; meist aber halten diejenigen, die es spüren, sich höflich zurück, vielleicht allzu höflich, denn es sind freundliche, feinfühlige Menschen, die den anderen nur ungern nahetreten; und für ein Drittes zwischen dem Furor und dem Schweigen ist offenbar wenig Raum.
Es ist ein alter Streit mit ungleicher Kräfteverteilung; immer waren es Einzelne, die sich gegen das Essen von Tieren ausgesprochen haben. Schon in den Metamorphosen des Ovid hält der Philosoph Pythagoras ein langes Plädoyer für die vegetarische Ernährung. Durchgedrungen ist er damit nicht. Lässt sich hier überhaupt noch etwas vorbringen, das eine durchschlagend neue Wirkung entfaltet? Genau dies gelingt gegenwärtig dem amerikanischen Autor Jonathan Safran Foer. Mit seinem Buch „Eating Animals”, das im August bei Kiepenheuer & Witsch unter dem Titel „Tiere essen” auch auf Deutsch erscheint, hat er nicht nur einen Überraschungs-Bestseller gelandet (für sein nächstes Buch soll er bereits einen Vorschuss von einer Million Dollar erhalten haben), sondern auch der Diskussion um den Verzehr von Nahrungsmitteln tierischer Herkunft einen Status des Aktuellen verliehen, den sie nie zuvor besessen hatte. Foer wird diskutiert, interviewt und zu Talkshows eingeladen, und plötzlich kann man dem einst ewig randständigen Thema nicht mehr entgehen.
Wenig wies darauf hin, dass ausgerechnet dieser Autor an diesem Punkt herauskommen würde. Foer, 1977 in Washington D.C. geboren, hatte bereits zwei sehr erfolgreiche Romane geschrieben, „Alles ist erleuchtet” (2002) und „Extrem laut und unglaublich nah” (2005), als sich für ihn (so erzählt er es selbst) mit der Geburt seines ersten Kindes die Frage aufdrängte, wie er ihm ein gutes Leben bereiten könnte; und da gehört die Ernährung sicherlich auch dazu. Er begann sich umzuschauen und fand Dinge heraus, die ihn mit wachsendem Unbehagen erfüllten. Das musste doch auch andere interessieren, welchen Weg das Protein vom Erzeuger auf den Teller nimmt! Denn jeder isst, und die meisten essen Fleisch. Nein, nicht Fleisch, denn die Ungenauigkeiten fangen mit dem Sprachgebrauch an; Tiere sind es, die wir essen.
Diese Ursprungsgeschichte muss man unbedingt kennen, wenn man wissen will, wie es Foer gelingen konnte, sein Thema vom Rand ins Zentrum zu holen. Indem er von einer Haltung des unbefangenen Sich-Umtuns ausging, brachte er die Synthese der drei großen Argumente zustande, die im Kampf gegen den Fleischverzehr sonst immer separat bemüht worden sind und, wo sie doch zusammen auftraten, einander behinderten und teilweise auslöschten: die Versündigung an den Rechten der Tiere, die leiden und sterben müssen; die Gesundheitsschädlichkeit des vielen Fleischs minderer Qualität für den Menschen; und die Umweltbelastung, wenn der Dung aus der Massentierhaltung ins Grundwasser gelangt, für Rinderfarmen der Regenwald abgeholzt wird und das Methan aus den Mägen der Wiederkäuer den Klimawandel beschleunigt. Konnte, wer den getöteten Bruder beklagt, gleichzeitig darauf hinweisen, dass sein Fleisch auch gar nicht gut für den menschlichen Cholesterinspiegel sei? Das hätte wie eine frivole Fußnote ausgesehen.
Und wer narzisstisch seine Diät im Blick hatte, der ließ sich für Fragen des größeren Ganzen meist nur schwer mobilisieren. Foer aber dreht diese drei Stränge zu einem sehr viel stärkeren Tau zusammen. Von seinem privaten Bereich ausgehend, erschließt er, neugierig und beunruhigt, einen immer weiteren kosmopolitischen Horizont, innerhalb dessen alles mit allem zusammenhängt. Wenn eine Kritikerin ihm wütend vorwirft, angesichts verhungernder Kinder in Haiti oder der Massaker im Kongo sei es sentimental, wenn nicht Schlimmeres, auf die Missstände eines Hühnerstalls hinzuweisen, erwidert er, weit versöhnlicheren Tons: Das sei doch kein Nullsummenspiel; wer einmal angefangen habe, den Muskel seiner Aufmerksamkeit und seines Gewissens zu trainieren (denn so, als etwas Trainierbares, müsse man sich diese beiden Dinge durchaus vorstellen), der schaue eher auch andernorts genauer hin, wo auf der Welt etwas im Argen liege. Womit er zweifellos recht hat.
Der Verlauf dieser Auseinandersetzung deutet an, dass sich bei Foer mit der Kraft zur Synthese noch eine zweite Qualität verbindet: ein überaus langer Atem. Zwar sind die Blogs, die sich um sein Buch herum gebildet haben, inzwischen voll von Erlebnisberichten begeisterter Leser, denen die Lektüre zur grundstürzenden Wende wurde. Hier lebt zum Teil noch der alte sektiererische Geist der Vegetarier und speziell der Veganer fort, der Vegetarier von der strengen Observanz, die auch auf Eier, Honig und Milchprodukte verzichten. Aber eine Religion, die allgemeine Geltung anstrebt (und alles, was mit Fleischgenuss zu tun hat, trägt immer eine deutliche religiöse Note), muss Normen nicht nur für Nonnen und Mönche, sondern hauptsächlich für die Masse der Laien entwickeln – Normen, die, ohne Wesentliches preiszugeben, doch milde genug geraten, dass jeder sich dran halten kann. Erschütterungskonversionen bleiben den Einzelnen vorbehalten.
Foer legt Wert darauf, dass ihm selbst jedenfalls eine solche plötzliche Konversion nicht zuteil wurde, sondern sein Umdenken allmählich einsetzte. Auf diese Allmählichkeit kommt es an. Foer vermeidet es, auf abrupte Entscheidungen hinzudrängen, weil er weiß, dass die Weltgesellschaft ihren Kurs wie ein großes Tankschiff nur mit einem riesigen Wendekreis korrigieren wird.
Auf die Frage einer deutschen Interviewerin, was sie denn nun tun solle, antwortet Foer: Kommt drauf an; wenn Ihnen das Leiden der Tiere besonders am Herzen liegt, essen Sie keine Eier mehr; denken sie mehr ans Klima, verzichten Sie auf Rindfleisch; und für die Zukunft des Planeten generell wäre es am besten, den Verzehr von Seefisch einzuschränken. Sie darf es sich heraussuchen. Und es muss nicht alles auf einmal passieren. Wenn jeder in Amerika pro Woche nur einmal weniger Fleisch äße, erläutert Foer, so wäre das für die Umwelt ebenso segensreich, wie wenn man von den Straßen dieses Landes fünf Millionen Autos auf einmal wegnähme; einmal pro Tag käme dann schon einem Verschwinden von 35 Millionen Autos gleich – wer bestritte, dass das eine ganze Menge ist! Und, Hand aufs Herz, schmeckt euch denn dieses fettige Zeug überhaupt?
Man kann überall anfangen, man kann sich steigern. Besagter Interviewerin gesteht Foer, dass seine Frau auf dem Münchner Viktualienmarkt ein Paar Weißwürste gekauft habe, die hätten ihr so wunderbar geschmeckt, dass sie ihn auch abbeißen ließ, und in der Tat, es war äußerst lecker! Diese Geschichte könnte man ohne weiteres auch als Sündenfall erzählen: Und das Weib gab Adam von der verbotenen Frucht, dass auch er koste . . . Das tut Foer indessen nicht, sondern erzählt die Geschichte zwinkernd als Anekdote, von der eine allgemeine Tendenz akzentuiert, aber nicht gebrochen wird. Es ist eine kleine Verbeugung vor den Deutschen, die er als ein Volk von Wurstessern wahrnimmt, und dient ihrer Aufmunterung, es doch auch mal anders zu versuchen.
Die Stärke von Foers Ansatz liegt also in seinem synthetischen Gradualismus. Schon sieht er die Ernährung ohne tote Tiere (und ohne fortgesetzte Qual für die lebendigen) in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Bedenken Sie, sagt er, dass 18 Prozent aller amerikanischen College-Studenten bereits jetzt Vegetarier sind! Aus ihnen aber würden sich ohne Zweifel die politischen, ökonomischen und intellektuellen Eliten der Zukunft rekrutieren. Und man solle sich erinnern, wie sich in kurzer Zeit die Haltung zum Rauchen verändert habe. Er bietet einen Ausweg aus der individuellen Überforderung, die jeder bislang zu spüren bekam, der es mit der Sache des Vegetarismus ernst meinte.
Vor gar nicht langer Zeit noch hatte der Nobelpreisträger J. M. Coetzee in „Das Leben der Tiere” von Elizabeth Costello erzählt, der Tierrechts-Aktivistin, die auf der Welt herumzieht und ihre Sache verficht, ohne doch eine Kämpferin zu sein. Sie ist alt, und sie ist verzweifelt. Wie können ganz normale Menschen so etwas tun? Als sie sich von ihrem erwachsenen Sohn und dessen Familie verabschiedet, bricht es aus ihr heraus: „Es ist, als würde ich Freunde besuchen und eine höfliche Bemerkung über die Lampe in ihrem Wohnzimmer machen, und sie würden sagen: ,Ja, sie ist nett, nicht wahr? Sie ist aus polnisch-jüdischer Haut gefertigt, die ist die beste Qualität, die Haut von polnisch-jüdischen Jungfrauen.‘ . . . Doch ich träume nicht. Ich schaue in deine Augen, in Normas Augen, in die Augen der Kinder, und ich sehe nur Freundlichkeit, menschliche Freundlichkeit. Beruhige dich, sage ich mir, du machst aus einer Mücke einen Elefanten. So ist das Leben. Alle anderen finden sich damit ab, warum kannst du es nicht? Warum kannst du es nicht?”
Aus dieser Ecke holt Foer den Vegetarismus heraus. Er setzt an bei der normalen menschlichen Freundlichkeit. Wer würde, wenn er über die Details Bescheid wüsste, die Zustände in einem industriellen Schlachthaus wirklich billigen? Wohl niemand. Also kommt es darauf an, geduldig aufzuklären. „Das wird dir die Augen öffnen und den Magen umdrehen”, wie ein Blogger es ausdrückt. Polemik bekehrt niemanden, Verzweiflung hilft keinem. Menschen wahrhaft bösen Willens existieren eigentlich nicht. „Wir haben zwei Kategorien von Leuten geschaffen”, sagt Foer, „Vegetarier und solche, denen es egal ist. Aber in Wirklichkeit ist es den meisten Leuten nicht egal. Bloß haben wir im Gespräch keinen Platz für jemand gelassen, der Anteil nimmt, ohne radikal Anteil zu nehmen. Ich habe viel Sympathie für Leute, denen die Veränderung schwer fällt. Ich habe 25 Jahre gebraucht, um Vegetarier zu werden.”
Das ist eine Einladung, die jeder annehmen kann. Ein Zitat zieht sich wie ein Mantra durch die Blogs um Foers Buch. Es lautet: Eine wissenschaftliche Wahrheit triumphiert nicht, indem sie ihre Gegner überzeugt und ihnen den Weg zum Licht weist, sondern weil diese Gegner allmählich aussterben und eine neue Generation heranwächst, der sie schon vertraut ist. Das stammt von Max Planck. Man könnte sich daneben leicht ein zweites vorstellen (das meines Wissens auf Voltaire zurückgeht): Nichts ist so unwiderstehlich wie eine Idee, deren Zeit gekommen ist. BURKHARD MÜLLER
Für Jonathan Safran Foer hat alles mit der Geburt seines ersten Kindes angefangen
Für die Zukunft des Planeten wäre es am besten, den Verzehr von Seefisch einzuschränken
Bedenken Sie, sagt er, dass 18 Prozent aller College-Studenten jetzt schon Vegetarier sind!
Der spanische Barockmaler Fray Juan Sánchez Cotán ist berühmt für seine realistische Malkunst: Hier sein fleischfreies Stilleben mit Quitte, Kohl, Melone und Gurke (entstanden um 1602) © The Yorck Project
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de
Der amerikanische Autor Jonathan Safran Foer holt mit seinem Bestseller „Eating Animals” den Vegetarismus ins Zentrum der Gesellschaft
Es geht doch. Nahrungsgewohnheiten, sogar solche, die den besonders heiklen Bereich der Proteinzufuhr betreffen, können geändert werden. Unter dem Einfluss der Missionare und anderer westlicher Mächte lernten die Völker der Südsee, in Polynesien, Melanesien, Neuguinea, auf den Genuss von Menschenfleisch zu verzichten. Der wurde gern ein bisschen kultisch verkleidet, so wie Debatten um erlaubte und unerlaubte Nahrungsmittel sich ja immer den Anschein höherer oder tieferer Gründe geben; aber im Wesentlichen war es eben doch ein Genuss. Noch aus dem zwanzigsten Jahrhundert wird berichtet, dass ein Maori aus Neuseeland auf seinem Sterbebett weinte, weil er sich des Geschmacks von Menschenfleisch entsann, das er seit seiner Jugend nicht mehr gegessen hatte. Leicht fiel diesen Kulturen der Verzicht nicht. Aber sie schafften ihn.
Mit dem Verzehr von Fleisch überhaupt scheint es ähnlich zu stehen wie mit diesem Spezialfall. Er ist so tief und zentral in die Zivilisation eingebettet und bedeutet zugleich eine solche Ungeheuerlichkeit, dass man, wahlweise, nicht begreift, wie jemand diese Angewohnheit eliminieren will – oder aber wie sie fortdauern kann. Zeigt uns eine einzige Kultur unter den Tausenden, die es auf diesem Planeten gibt und gegeben hat, rufen die Fleischesser, in der nicht Fleisch gegessen worden wäre!
Nicht von allen und jederzeit, aber doch regelmäßig von jenen, die es sich leisten konnten. Auf der Gegenseite steht das Entsetzen derjenigen, die es mit ansehen müssen, wie ein Wesen, das in allen entscheidenden Punkten, vor allem was Bewusstsein, Angst und Leidensfähigkeit betrifft, genauso funktioniert wie wir Menschen auch, sein Leben verliert für nicht mehr als die eine Mahlzeit, die wir ihm abgewinnen. Manchmal macht sich dieses Entsetzen als Ausbruch Luft; meist aber halten diejenigen, die es spüren, sich höflich zurück, vielleicht allzu höflich, denn es sind freundliche, feinfühlige Menschen, die den anderen nur ungern nahetreten; und für ein Drittes zwischen dem Furor und dem Schweigen ist offenbar wenig Raum.
Es ist ein alter Streit mit ungleicher Kräfteverteilung; immer waren es Einzelne, die sich gegen das Essen von Tieren ausgesprochen haben. Schon in den Metamorphosen des Ovid hält der Philosoph Pythagoras ein langes Plädoyer für die vegetarische Ernährung. Durchgedrungen ist er damit nicht. Lässt sich hier überhaupt noch etwas vorbringen, das eine durchschlagend neue Wirkung entfaltet? Genau dies gelingt gegenwärtig dem amerikanischen Autor Jonathan Safran Foer. Mit seinem Buch „Eating Animals”, das im August bei Kiepenheuer & Witsch unter dem Titel „Tiere essen” auch auf Deutsch erscheint, hat er nicht nur einen Überraschungs-Bestseller gelandet (für sein nächstes Buch soll er bereits einen Vorschuss von einer Million Dollar erhalten haben), sondern auch der Diskussion um den Verzehr von Nahrungsmitteln tierischer Herkunft einen Status des Aktuellen verliehen, den sie nie zuvor besessen hatte. Foer wird diskutiert, interviewt und zu Talkshows eingeladen, und plötzlich kann man dem einst ewig randständigen Thema nicht mehr entgehen.
Wenig wies darauf hin, dass ausgerechnet dieser Autor an diesem Punkt herauskommen würde. Foer, 1977 in Washington D.C. geboren, hatte bereits zwei sehr erfolgreiche Romane geschrieben, „Alles ist erleuchtet” (2002) und „Extrem laut und unglaublich nah” (2005), als sich für ihn (so erzählt er es selbst) mit der Geburt seines ersten Kindes die Frage aufdrängte, wie er ihm ein gutes Leben bereiten könnte; und da gehört die Ernährung sicherlich auch dazu. Er begann sich umzuschauen und fand Dinge heraus, die ihn mit wachsendem Unbehagen erfüllten. Das musste doch auch andere interessieren, welchen Weg das Protein vom Erzeuger auf den Teller nimmt! Denn jeder isst, und die meisten essen Fleisch. Nein, nicht Fleisch, denn die Ungenauigkeiten fangen mit dem Sprachgebrauch an; Tiere sind es, die wir essen.
Diese Ursprungsgeschichte muss man unbedingt kennen, wenn man wissen will, wie es Foer gelingen konnte, sein Thema vom Rand ins Zentrum zu holen. Indem er von einer Haltung des unbefangenen Sich-Umtuns ausging, brachte er die Synthese der drei großen Argumente zustande, die im Kampf gegen den Fleischverzehr sonst immer separat bemüht worden sind und, wo sie doch zusammen auftraten, einander behinderten und teilweise auslöschten: die Versündigung an den Rechten der Tiere, die leiden und sterben müssen; die Gesundheitsschädlichkeit des vielen Fleischs minderer Qualität für den Menschen; und die Umweltbelastung, wenn der Dung aus der Massentierhaltung ins Grundwasser gelangt, für Rinderfarmen der Regenwald abgeholzt wird und das Methan aus den Mägen der Wiederkäuer den Klimawandel beschleunigt. Konnte, wer den getöteten Bruder beklagt, gleichzeitig darauf hinweisen, dass sein Fleisch auch gar nicht gut für den menschlichen Cholesterinspiegel sei? Das hätte wie eine frivole Fußnote ausgesehen.
Und wer narzisstisch seine Diät im Blick hatte, der ließ sich für Fragen des größeren Ganzen meist nur schwer mobilisieren. Foer aber dreht diese drei Stränge zu einem sehr viel stärkeren Tau zusammen. Von seinem privaten Bereich ausgehend, erschließt er, neugierig und beunruhigt, einen immer weiteren kosmopolitischen Horizont, innerhalb dessen alles mit allem zusammenhängt. Wenn eine Kritikerin ihm wütend vorwirft, angesichts verhungernder Kinder in Haiti oder der Massaker im Kongo sei es sentimental, wenn nicht Schlimmeres, auf die Missstände eines Hühnerstalls hinzuweisen, erwidert er, weit versöhnlicheren Tons: Das sei doch kein Nullsummenspiel; wer einmal angefangen habe, den Muskel seiner Aufmerksamkeit und seines Gewissens zu trainieren (denn so, als etwas Trainierbares, müsse man sich diese beiden Dinge durchaus vorstellen), der schaue eher auch andernorts genauer hin, wo auf der Welt etwas im Argen liege. Womit er zweifellos recht hat.
Der Verlauf dieser Auseinandersetzung deutet an, dass sich bei Foer mit der Kraft zur Synthese noch eine zweite Qualität verbindet: ein überaus langer Atem. Zwar sind die Blogs, die sich um sein Buch herum gebildet haben, inzwischen voll von Erlebnisberichten begeisterter Leser, denen die Lektüre zur grundstürzenden Wende wurde. Hier lebt zum Teil noch der alte sektiererische Geist der Vegetarier und speziell der Veganer fort, der Vegetarier von der strengen Observanz, die auch auf Eier, Honig und Milchprodukte verzichten. Aber eine Religion, die allgemeine Geltung anstrebt (und alles, was mit Fleischgenuss zu tun hat, trägt immer eine deutliche religiöse Note), muss Normen nicht nur für Nonnen und Mönche, sondern hauptsächlich für die Masse der Laien entwickeln – Normen, die, ohne Wesentliches preiszugeben, doch milde genug geraten, dass jeder sich dran halten kann. Erschütterungskonversionen bleiben den Einzelnen vorbehalten.
Foer legt Wert darauf, dass ihm selbst jedenfalls eine solche plötzliche Konversion nicht zuteil wurde, sondern sein Umdenken allmählich einsetzte. Auf diese Allmählichkeit kommt es an. Foer vermeidet es, auf abrupte Entscheidungen hinzudrängen, weil er weiß, dass die Weltgesellschaft ihren Kurs wie ein großes Tankschiff nur mit einem riesigen Wendekreis korrigieren wird.
Auf die Frage einer deutschen Interviewerin, was sie denn nun tun solle, antwortet Foer: Kommt drauf an; wenn Ihnen das Leiden der Tiere besonders am Herzen liegt, essen Sie keine Eier mehr; denken sie mehr ans Klima, verzichten Sie auf Rindfleisch; und für die Zukunft des Planeten generell wäre es am besten, den Verzehr von Seefisch einzuschränken. Sie darf es sich heraussuchen. Und es muss nicht alles auf einmal passieren. Wenn jeder in Amerika pro Woche nur einmal weniger Fleisch äße, erläutert Foer, so wäre das für die Umwelt ebenso segensreich, wie wenn man von den Straßen dieses Landes fünf Millionen Autos auf einmal wegnähme; einmal pro Tag käme dann schon einem Verschwinden von 35 Millionen Autos gleich – wer bestritte, dass das eine ganze Menge ist! Und, Hand aufs Herz, schmeckt euch denn dieses fettige Zeug überhaupt?
Man kann überall anfangen, man kann sich steigern. Besagter Interviewerin gesteht Foer, dass seine Frau auf dem Münchner Viktualienmarkt ein Paar Weißwürste gekauft habe, die hätten ihr so wunderbar geschmeckt, dass sie ihn auch abbeißen ließ, und in der Tat, es war äußerst lecker! Diese Geschichte könnte man ohne weiteres auch als Sündenfall erzählen: Und das Weib gab Adam von der verbotenen Frucht, dass auch er koste . . . Das tut Foer indessen nicht, sondern erzählt die Geschichte zwinkernd als Anekdote, von der eine allgemeine Tendenz akzentuiert, aber nicht gebrochen wird. Es ist eine kleine Verbeugung vor den Deutschen, die er als ein Volk von Wurstessern wahrnimmt, und dient ihrer Aufmunterung, es doch auch mal anders zu versuchen.
Die Stärke von Foers Ansatz liegt also in seinem synthetischen Gradualismus. Schon sieht er die Ernährung ohne tote Tiere (und ohne fortgesetzte Qual für die lebendigen) in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Bedenken Sie, sagt er, dass 18 Prozent aller amerikanischen College-Studenten bereits jetzt Vegetarier sind! Aus ihnen aber würden sich ohne Zweifel die politischen, ökonomischen und intellektuellen Eliten der Zukunft rekrutieren. Und man solle sich erinnern, wie sich in kurzer Zeit die Haltung zum Rauchen verändert habe. Er bietet einen Ausweg aus der individuellen Überforderung, die jeder bislang zu spüren bekam, der es mit der Sache des Vegetarismus ernst meinte.
Vor gar nicht langer Zeit noch hatte der Nobelpreisträger J. M. Coetzee in „Das Leben der Tiere” von Elizabeth Costello erzählt, der Tierrechts-Aktivistin, die auf der Welt herumzieht und ihre Sache verficht, ohne doch eine Kämpferin zu sein. Sie ist alt, und sie ist verzweifelt. Wie können ganz normale Menschen so etwas tun? Als sie sich von ihrem erwachsenen Sohn und dessen Familie verabschiedet, bricht es aus ihr heraus: „Es ist, als würde ich Freunde besuchen und eine höfliche Bemerkung über die Lampe in ihrem Wohnzimmer machen, und sie würden sagen: ,Ja, sie ist nett, nicht wahr? Sie ist aus polnisch-jüdischer Haut gefertigt, die ist die beste Qualität, die Haut von polnisch-jüdischen Jungfrauen.‘ . . . Doch ich träume nicht. Ich schaue in deine Augen, in Normas Augen, in die Augen der Kinder, und ich sehe nur Freundlichkeit, menschliche Freundlichkeit. Beruhige dich, sage ich mir, du machst aus einer Mücke einen Elefanten. So ist das Leben. Alle anderen finden sich damit ab, warum kannst du es nicht? Warum kannst du es nicht?”
Aus dieser Ecke holt Foer den Vegetarismus heraus. Er setzt an bei der normalen menschlichen Freundlichkeit. Wer würde, wenn er über die Details Bescheid wüsste, die Zustände in einem industriellen Schlachthaus wirklich billigen? Wohl niemand. Also kommt es darauf an, geduldig aufzuklären. „Das wird dir die Augen öffnen und den Magen umdrehen”, wie ein Blogger es ausdrückt. Polemik bekehrt niemanden, Verzweiflung hilft keinem. Menschen wahrhaft bösen Willens existieren eigentlich nicht. „Wir haben zwei Kategorien von Leuten geschaffen”, sagt Foer, „Vegetarier und solche, denen es egal ist. Aber in Wirklichkeit ist es den meisten Leuten nicht egal. Bloß haben wir im Gespräch keinen Platz für jemand gelassen, der Anteil nimmt, ohne radikal Anteil zu nehmen. Ich habe viel Sympathie für Leute, denen die Veränderung schwer fällt. Ich habe 25 Jahre gebraucht, um Vegetarier zu werden.”
Das ist eine Einladung, die jeder annehmen kann. Ein Zitat zieht sich wie ein Mantra durch die Blogs um Foers Buch. Es lautet: Eine wissenschaftliche Wahrheit triumphiert nicht, indem sie ihre Gegner überzeugt und ihnen den Weg zum Licht weist, sondern weil diese Gegner allmählich aussterben und eine neue Generation heranwächst, der sie schon vertraut ist. Das stammt von Max Planck. Man könnte sich daneben leicht ein zweites vorstellen (das meines Wissens auf Voltaire zurückgeht): Nichts ist so unwiderstehlich wie eine Idee, deren Zeit gekommen ist. BURKHARD MÜLLER
Für Jonathan Safran Foer hat alles mit der Geburt seines ersten Kindes angefangen
Für die Zukunft des Planeten wäre es am besten, den Verzehr von Seefisch einzuschränken
Bedenken Sie, sagt er, dass 18 Prozent aller College-Studenten jetzt schon Vegetarier sind!
Der spanische Barockmaler Fray Juan Sánchez Cotán ist berühmt für seine realistische Malkunst: Hier sein fleischfreies Stilleben mit Quitte, Kohl, Melone und Gurke (entstanden um 1602) © The Yorck Project
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de
PRAISE FOR EATING ANIMALS :
"For a hot young writer to train his sights on a subject as unpalatable as meat production and consumption takes raw nerve. What makes Eating Animals so unusual is vegetarian Foer's empathy for human meat eaters, his willingness to let both factory farmers and food reform activists speak for themselves, and his talent for using humor to sweeten a sour argument."- O , The Oprah Magazine
"For a hot young writer to train his sights on a subject as unpalatable as meat production and consumption takes raw nerve. What makes Eating Animals so unusual is vegetarian Foer's empathy for human meat eaters, his willingness to let both factory farmers and food reform activists speak for themselves, and his talent for using humor to sweeten a sour argument."- O , The Oprah Magazine
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 13.08.2010Etwas stimmt nicht mit der Welt
Ein Günter Wallraff der Mastbetriebe und ein Philosoph, der den Ton trifft: Der Schriftsteller Jonathan Safran Foer beschreibt die Massentierhaltung. Viele Leser sind Vegetarier geworden. In der nächsten Woche erscheint das Buch auf Deutsch.
Wenn ein Buch die Kraft hat, die Welt zum Fleischverzicht zu bekehren, dann ist es Jonathan Safran Foers neues Werk "Tiere essen", das nächste Woche in den Buchhandel kommt. Gerade weil es keine Bekehrungsschrift ist, kein rigoristisches Pamphlet, sondern ein skrupulöser literarischer Bericht, der seine Argumente nur tastend und zögernd entfaltet - gerade deshalb ist "Eating animals" in Amerika ein vieldiskutierter Bestseller geworden. Viele Leser erklärten, nach der Foer-Lektüre zum Vegetarier geworden zu sein. Doch für wie lange? Für eine Woche? Einen Monat? Ein Jahr? Foer setzt weniger auf den Schock-Effekt, die die Berichte aus den Ställen der Massentierhaltung auslösen, sondern auf die allmähliche Verfertigung einer anderen Perspektive, eines anderen Vokabulars, in dem es nicht länger "Fleisch essen", sondern "Tiere essen" heißt. Eine Perspektive und ein Vokabular, in dem die Verbindung zwischen der Kreatur im Mastbetrieb und dem Stück Steak auf dem Teller sinnfällig wird, statt sich in der Abstraktion einer globalen Verwertungskette zu verlieren.
"Ich bin der Typ, der mitten in der Nacht in eine Farm einsteigt": Vielleicht sollte man diesen Bericht eines anonymen Tierrechtlers, den Foer in seinem Buch dokumentiert, als Einführung lesen. In diesem Bericht eines ehemaligen "Nachschneiders" - "das heißt, ich musste den Tieren, die den Halsschnittautomaten überlebt hatten, die Kehle durchschneiden" - wird das Geschäftsmodell der Massentierhaltung auf zwei lapidare Sätze gebracht: "Massentierbetriebe berechnen genau, wie dicht am Tode sie die Tiere halten können, ohne sie umzubringen. Wie rasant man ihr Wachstum beschleunigen, wie eng man sie packen kann, wie viel oder wenig sie fressen, wie krank sie sein können, ohne zu sterben."
Am schwierigsten an seinem neuen Buch sei nicht die Recherche gewesen, sagt der Romancier Foer, sondern den richtigen Ton zu treffen. Tatsächlich ist es dem Autor gelungen, das Thema Vegetarismus aus der rigoristischen Ecke zu holen und ihm die manichäische Spitze zu nehmen, den sektiererischen Ungeist. Foer hat so viel Vertrauen zu seinem Gegenstand, dem Skandal der Massentierhaltung, dass er bei aller Drastik der Darstellung sich einen entgegenkommenden, ja versöhnlichen Ton erlaubt. Er enthält sich rigoristischer Forderungen - ein bisschen Fleischverzicht, donnerstags zum Beispiel, sei fürs Erste schon genug - und, was noch mehr einnimmt: Foer verzichtet auf jede ethische Selbstgewissheit, die bei diesem Thema doch so leicht zu haben wäre. Die Plausibilität ist demnach zunächst auf Seiten der Fleischesser, die es sich schmecken lassen wollen, egal, woher die Truthahnbrüstchen kommen. Das ist die strategische Grundannahme des Buches, von der Foer ausgeht, um sie mit seinen Reportagen aus der klinischen Mastwelt zu erschüttern.
Das Buch geht den Vegetarismus nicht als Prinzipienfrage an, das ist seine Pointe. Es gibt in dieser Hinsicht einen Schlüsselsatz: "Dass die Geflügelindustrie so riesig ist, bedeutet: Wenn mit dem System etwas nicht stimmt, dann stimmt mit der Welt etwas nicht." Eine schuldlose Schuld, so liest man diesen Satz, steht hinter der Degradierung des Tieres zur Sache. Foer ist moralphilosophisch ein Konsequentialist. Sein Buch liest sich auch als Test auf dieses Verfahren, das Verbotene von den Folgen des Erlaubten her zu bestimmen.
Der Autor verfasst "Tiere essen" als ein Günter Wallraff der Mastbetriebe, leistet harten investigativen Journalismus, er schreibt hier aber auch als Philosoph über die beste aller Welten. Er bildet sich nicht ein, das System der Massentierhaltung aus den Angeln heben zu können, nur weil es nach seinem Buch mehr Vegetarier geben wird als zuvor. Denn aus diesem System spricht eine Schlechtigkeit, die sich kulturell mildern, aber nicht ausrotten lässt. Mit anderen, mit Foers Worten: Etwas stimmt nicht mit der Welt, wird immer nicht mit ihr stimmen. Mit den Worten des deutschen Vegetarierbundes, der das Buch mit den hiesigen Daten ergänzt hat: Allein in Deutschland werden jährlich etwa 40 Millionen für die Eierproduktion unbrauchbare Hahnenküken vergast oder bei lebendigem Leib geschreddert.
Die beklemmendste Vignette des Buches trägt den Titel "Die Erlösung" und berichtet vom Besuch einer mit Futterautomaten, Ventilatoren und Wärmelampen ausgestatteten Truthahnmast, deren Personal ein zitterndes, verkrustetes, starr die Beine streckendes Küken mit einem Schnitt durch die Kehle "erlöst". Es ist das durch und durch klinische Setting dieser mit Sägemehl ausgelegten Intensivstation, das den Autor in seinen Bann zieht: "Außer den Tieren selbst gibt es nichts, was auch nur ansatzweise natürlich wäre - kein Fleckchen Erde, kein Fenster, durch das Mondlicht hereinfiele. Ich bin überrascht, wie einfach es ist, das anonyme Leben rundherum auszublenden und die Harmonie der Technik zu bewundern, die diese kleine, in sich geschlossene Welt so präzise reguliert, die Effizienz und Perfektion der Maschine zu sehen und die Vögel als Erweiterung oder Zahnrad dieser Maschine zu begreifen - nicht als Lebewesen, sondern als Teile. Sie anders zu sehen fällt schwer." Sie anders zu sehen ist indessen das Ziel des Buches.
Tierschutz und Vegetarismus sind nicht zum kleinsten Teil ästhetische Themen. Wenn es gelingt, die perverse Ästhetik der Massenställe und ihrer gentechnisch manipulierten Insassen greifbar zu machen, dann hat jene Verhaltensänderung eine Chance, die der moralische Appell nicht zuwege bringt. Foer verteidigt nicht Konsequenz und Heiligkeit, denn Scheinheiligkeit und Inkonsequenz "gehören zum Menschlichen". Stattdessen beschreibt er die aseptischen Bilder des Mastgrauens, deckt die Steigerungslogik der Branche auf, indem er aus den Erfolgsstatistiken zitiert: "Zwischen 1935 und 1995 stieg das Durchschnittsgewicht eines Masthuhns um 65 Prozent, während seine Lebensdauer bis zur Schlachtung um 60 Prozent verkürzt und der Futterbedarf um 57 Prozent gesenkt wurde." Was hinter den beständig optimierten Zahlenkaskaden steht, ist Qual und Verenden des einzelnen Tieres. Foer lässt nicht zu, dass wir die Augen vom Gehäuse der Truthahnmast abwenden: "Weil es so viele Tiere sind, brauche ich mehrere Minuten, bis ich merke, wie viele von ihnen tot sind. Manche sind blutverkrustet, manche voller entzündeter Stellen. Nach manchen wurde offenbar gehackt, andere sind ganz ausgetrocknet und liegen wie kleine Laubhäufchen beieinander. Manche sind deformiert. Die Toten sind die Ausnahmen, aber wohin man auch schaut, man sieht fast immer eins."
Papa, woher kommt das Fleisch auf meinem Teller? Von den Tieren, mein Kind, von den Tieren. Foer wusste, als er Vater wurde, dass diese Antwort seinem Sohn später einmal nicht genügen würde. Deshalb recherchierte und schrieb er "Tiere essen".
CHRISTIAN GEYER
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Ein Günter Wallraff der Mastbetriebe und ein Philosoph, der den Ton trifft: Der Schriftsteller Jonathan Safran Foer beschreibt die Massentierhaltung. Viele Leser sind Vegetarier geworden. In der nächsten Woche erscheint das Buch auf Deutsch.
Wenn ein Buch die Kraft hat, die Welt zum Fleischverzicht zu bekehren, dann ist es Jonathan Safran Foers neues Werk "Tiere essen", das nächste Woche in den Buchhandel kommt. Gerade weil es keine Bekehrungsschrift ist, kein rigoristisches Pamphlet, sondern ein skrupulöser literarischer Bericht, der seine Argumente nur tastend und zögernd entfaltet - gerade deshalb ist "Eating animals" in Amerika ein vieldiskutierter Bestseller geworden. Viele Leser erklärten, nach der Foer-Lektüre zum Vegetarier geworden zu sein. Doch für wie lange? Für eine Woche? Einen Monat? Ein Jahr? Foer setzt weniger auf den Schock-Effekt, die die Berichte aus den Ställen der Massentierhaltung auslösen, sondern auf die allmähliche Verfertigung einer anderen Perspektive, eines anderen Vokabulars, in dem es nicht länger "Fleisch essen", sondern "Tiere essen" heißt. Eine Perspektive und ein Vokabular, in dem die Verbindung zwischen der Kreatur im Mastbetrieb und dem Stück Steak auf dem Teller sinnfällig wird, statt sich in der Abstraktion einer globalen Verwertungskette zu verlieren.
"Ich bin der Typ, der mitten in der Nacht in eine Farm einsteigt": Vielleicht sollte man diesen Bericht eines anonymen Tierrechtlers, den Foer in seinem Buch dokumentiert, als Einführung lesen. In diesem Bericht eines ehemaligen "Nachschneiders" - "das heißt, ich musste den Tieren, die den Halsschnittautomaten überlebt hatten, die Kehle durchschneiden" - wird das Geschäftsmodell der Massentierhaltung auf zwei lapidare Sätze gebracht: "Massentierbetriebe berechnen genau, wie dicht am Tode sie die Tiere halten können, ohne sie umzubringen. Wie rasant man ihr Wachstum beschleunigen, wie eng man sie packen kann, wie viel oder wenig sie fressen, wie krank sie sein können, ohne zu sterben."
Am schwierigsten an seinem neuen Buch sei nicht die Recherche gewesen, sagt der Romancier Foer, sondern den richtigen Ton zu treffen. Tatsächlich ist es dem Autor gelungen, das Thema Vegetarismus aus der rigoristischen Ecke zu holen und ihm die manichäische Spitze zu nehmen, den sektiererischen Ungeist. Foer hat so viel Vertrauen zu seinem Gegenstand, dem Skandal der Massentierhaltung, dass er bei aller Drastik der Darstellung sich einen entgegenkommenden, ja versöhnlichen Ton erlaubt. Er enthält sich rigoristischer Forderungen - ein bisschen Fleischverzicht, donnerstags zum Beispiel, sei fürs Erste schon genug - und, was noch mehr einnimmt: Foer verzichtet auf jede ethische Selbstgewissheit, die bei diesem Thema doch so leicht zu haben wäre. Die Plausibilität ist demnach zunächst auf Seiten der Fleischesser, die es sich schmecken lassen wollen, egal, woher die Truthahnbrüstchen kommen. Das ist die strategische Grundannahme des Buches, von der Foer ausgeht, um sie mit seinen Reportagen aus der klinischen Mastwelt zu erschüttern.
Das Buch geht den Vegetarismus nicht als Prinzipienfrage an, das ist seine Pointe. Es gibt in dieser Hinsicht einen Schlüsselsatz: "Dass die Geflügelindustrie so riesig ist, bedeutet: Wenn mit dem System etwas nicht stimmt, dann stimmt mit der Welt etwas nicht." Eine schuldlose Schuld, so liest man diesen Satz, steht hinter der Degradierung des Tieres zur Sache. Foer ist moralphilosophisch ein Konsequentialist. Sein Buch liest sich auch als Test auf dieses Verfahren, das Verbotene von den Folgen des Erlaubten her zu bestimmen.
Der Autor verfasst "Tiere essen" als ein Günter Wallraff der Mastbetriebe, leistet harten investigativen Journalismus, er schreibt hier aber auch als Philosoph über die beste aller Welten. Er bildet sich nicht ein, das System der Massentierhaltung aus den Angeln heben zu können, nur weil es nach seinem Buch mehr Vegetarier geben wird als zuvor. Denn aus diesem System spricht eine Schlechtigkeit, die sich kulturell mildern, aber nicht ausrotten lässt. Mit anderen, mit Foers Worten: Etwas stimmt nicht mit der Welt, wird immer nicht mit ihr stimmen. Mit den Worten des deutschen Vegetarierbundes, der das Buch mit den hiesigen Daten ergänzt hat: Allein in Deutschland werden jährlich etwa 40 Millionen für die Eierproduktion unbrauchbare Hahnenküken vergast oder bei lebendigem Leib geschreddert.
Die beklemmendste Vignette des Buches trägt den Titel "Die Erlösung" und berichtet vom Besuch einer mit Futterautomaten, Ventilatoren und Wärmelampen ausgestatteten Truthahnmast, deren Personal ein zitterndes, verkrustetes, starr die Beine streckendes Küken mit einem Schnitt durch die Kehle "erlöst". Es ist das durch und durch klinische Setting dieser mit Sägemehl ausgelegten Intensivstation, das den Autor in seinen Bann zieht: "Außer den Tieren selbst gibt es nichts, was auch nur ansatzweise natürlich wäre - kein Fleckchen Erde, kein Fenster, durch das Mondlicht hereinfiele. Ich bin überrascht, wie einfach es ist, das anonyme Leben rundherum auszublenden und die Harmonie der Technik zu bewundern, die diese kleine, in sich geschlossene Welt so präzise reguliert, die Effizienz und Perfektion der Maschine zu sehen und die Vögel als Erweiterung oder Zahnrad dieser Maschine zu begreifen - nicht als Lebewesen, sondern als Teile. Sie anders zu sehen fällt schwer." Sie anders zu sehen ist indessen das Ziel des Buches.
Tierschutz und Vegetarismus sind nicht zum kleinsten Teil ästhetische Themen. Wenn es gelingt, die perverse Ästhetik der Massenställe und ihrer gentechnisch manipulierten Insassen greifbar zu machen, dann hat jene Verhaltensänderung eine Chance, die der moralische Appell nicht zuwege bringt. Foer verteidigt nicht Konsequenz und Heiligkeit, denn Scheinheiligkeit und Inkonsequenz "gehören zum Menschlichen". Stattdessen beschreibt er die aseptischen Bilder des Mastgrauens, deckt die Steigerungslogik der Branche auf, indem er aus den Erfolgsstatistiken zitiert: "Zwischen 1935 und 1995 stieg das Durchschnittsgewicht eines Masthuhns um 65 Prozent, während seine Lebensdauer bis zur Schlachtung um 60 Prozent verkürzt und der Futterbedarf um 57 Prozent gesenkt wurde." Was hinter den beständig optimierten Zahlenkaskaden steht, ist Qual und Verenden des einzelnen Tieres. Foer lässt nicht zu, dass wir die Augen vom Gehäuse der Truthahnmast abwenden: "Weil es so viele Tiere sind, brauche ich mehrere Minuten, bis ich merke, wie viele von ihnen tot sind. Manche sind blutverkrustet, manche voller entzündeter Stellen. Nach manchen wurde offenbar gehackt, andere sind ganz ausgetrocknet und liegen wie kleine Laubhäufchen beieinander. Manche sind deformiert. Die Toten sind die Ausnahmen, aber wohin man auch schaut, man sieht fast immer eins."
Papa, woher kommt das Fleisch auf meinem Teller? Von den Tieren, mein Kind, von den Tieren. Foer wusste, als er Vater wurde, dass diese Antwort seinem Sohn später einmal nicht genügen würde. Deshalb recherchierte und schrieb er "Tiere essen".
CHRISTIAN GEYER
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