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Wenn es um eine geschichtsbewusste Neubestimmung von "Kulturgeschichte" geht, wird stets auf die Schriften Eberhard Gotheins verwiesen. Gleichermaßen präsent ist sein Name in der Wirtschaftsgeschichte und der Landesgeschichte. Seine Studien zu Reformation und Gegenreformation sowie zu Ignatius von Loyola sind dagegen kaum noch bekannt. Und der Soziologe Gothein erscheint heute erdrückt von der überragenden Gestalt Max Webers. Nichts charakterisiert ihn jedoch mehr als sein unermüdliches Forschertum, das nicht antiquarisch blieb, sondern den Zusammenhang mit den aktuellsten Strömungen seiner…mehr

Produktbeschreibung
Wenn es um eine geschichtsbewusste Neubestimmung von "Kulturgeschichte" geht, wird stets auf die Schriften Eberhard Gotheins verwiesen. Gleichermaßen präsent ist sein Name in der Wirtschaftsgeschichte und der Landesgeschichte. Seine Studien zu Reformation und Gegenreformation sowie zu Ignatius von Loyola sind dagegen kaum noch bekannt. Und der Soziologe Gothein erscheint heute erdrückt von der überragenden Gestalt Max Webers. Nichts charakterisiert ihn jedoch mehr als sein unermüdliches Forschertum, das nicht antiquarisch blieb, sondern den Zusammenhang mit den aktuellsten Strömungen seiner Zeit suchte. Sein Motto lautete: "Wenn ein Historiker auf die Zeit wirken will, muss er auch der Zeit angehören". Dabei war er nicht nur ein Bewunderer Jacob Burckhardts, sondern auch ein bewusster Bürger des Massenzeitalters und der Industrialisierung, der ein markantes Streben um eine gerechte Sozialpolitik mit unermüdlichen Anstrengungen für Volksbildung vereinigte und nach dem Ersten Weltkrieg als aktiver Politiker die Demokratie der Weimarer Republik aufzubauen half. Erstmals werden hier Leben und Werk dieser interessanten und regen Persönlichkeit umfassend beleuchtet.
Autorenporträt
Michael Maurer ist Professor für Kulturgeschichte an der Universität Jena.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 31.12.2007

Die Rückkehr der Geschichte
Die Wirtschaftsbücher des Jahres 2007

Ein an neuer Wirtschaftsliteratur reiches Jahr neigt sich seinem Ende zu. 2007 bewies wiederum, dass das Wirtschaftsbuch auch im Zeitalter digitaler Medien keine veraltete Produktgattung darstellt. Das Jahr 2007 bescherte eine große Zahl sehr lesenswerter (und wie üblich eine weitaus größere Zahl nicht lesenswerter) Werke. Ein Trend war unverkennbar: Die Wirtschaftsgeschichte gewinnt vor allem in der englischsprachigen Welt an Popularität weit über die engen Fachgrenzen hinaus - und das völlig zu Recht.

Das womöglich interessanteste, ambitiöseste, kontroverseste und gleichzeitig inspirierendste Wirtschaftsbuch des Jahres 2007 ist ein Versuch des Wirtschaftshistorikers Gregory Clark, die Geschichte der Menschheit kurzerhand umzuschreiben. Clark möchte sein Buch eingereiht sehen bei Werken wie Adam Smiths "Wohlstand der Nationen" und Karl Marx' "Das Kapital", und damit ist der hohe Anspruch des Autors, der an der University of California in Davis lehrt, ausreichend beschrieben.

Clarks Grundthese lautet: Die Geschichte der Menschheit lässt sich in zwei Phasen unterteilen, für deren Trennung die industrielle Revolution um das Jahr 1800 in Großbritannien sorgt. In der Zeit vor 1800 lebten die Menschen, von wenigen Ausnahmen abgesehen, beständig an der Armutsgrenze, und eine von Clarks provozierenden Thesen lautet, dass es den Menschen wirtschaftlich im 18. Jahrhundert nicht besser ging als ihren Vorfahren vor 10000 Jahren. Als Ursache nennt der Autor die "Malthusianische Falle" (benannt nach dem britischen Pfarrer und Ökonomen Thomas Malthus): Ein Produktionswachstum in dieser Zeit führte nicht zu höheren Pro-Kopf-Einkommen, sondern wurde durch einen Zuwachs der Bevölkerung absorbiert. So wurden die Menschen zahlreicher, sie blieben aber bitterarm.

Die industrielle Revolution änderte bekanntlich alles. Originell ist Clarks Begründung für die Entstehung der industriellen Revolution ausgerechnet in Großbritannien. Dort hatten damals die (oft gebildeten) Reichen deutlich mehr Kinder als die (meist ungebildeten) Armen. Auf diese Weise sei eine überdurchschnittlich gebildete und fähige Bevölkerung entstanden, wobei aus den Abkömmlingen der Reichen allmählich die Mittelschicht entstand, lautet das Argument. Damit erklärt Clark nebenher, warum die industrielle Revolution nicht in China oder Indien ausbrach - denn dort hatten die Reichen damals nicht mehr Kinder als die Armen.

Clarks Ablehnung der konventionellen Wirtschaftstheorie zur Erklärung der modernen Welt und sein Rückgriff auf die Evolutionsbiologie - Darwin lässt grüßen - werden in der Fachwelt kontrovers diskutiert. Noch kontroverser sind freilich die aus seiner Analyse folgenden wirtschaftspolitischen Konsequenzen. Denn wenn Clark recht hat, ist finanzielle Entwicklungshilfe sinnlos. Eine deutsche Ausgabe des Buches wäre aller Ehren wert.

Aus der Fülle der Literatur über den Kapitalismus ragt Jeffrey Friedens umfangreiche Studie über die Zeit seit 1870 heraus. Der Harvard-Professor beschreibt ebenso detailliert wie flüssig die "erste Globalisierung" gegen Ende des 19. Jahrhunderts und ihr Scheitern, das Zeitalter der Staatseingriffe vom Ersten Weltkrieg an bis zu den sozialistischen Planwirtschaften und schließlich die Wiederkehr der Marktwirtschaft bis zur "zweiten Globalisierung" unserer Tage. Frieden gelangt zu dem Schluss, dass Liberalismus und Globalisierung der Menschheit mehr Vorteile als Nachteile einbringen. Die Erfahrungen mit der ersten Globalisierung zeigten allerdings, dass der Liberalismus scheitern könne, wenn die Früchte des Wohlstands zu ungleich verteilt würden.

Für Aufsehen sorgte auch der britische Historiker Adam Tooze, dessen materialreiches Werk über die deutsche Wirtschaft während Hitlers Herrschaft nun auch in einer deutschen Ausgabe vorliegt (Ökonomie der Zerstörung. Die Geschichte der Wirtschaft im Nationalsozialismus. Siedler Verlag. Berlin 2007. 926 Seiten. 44 Euro). Das große Verdienst des Buches besteht in der Zusammenfassung der wichtigsten Forschungsergebnisse aus den vergangenen zwei Jahrzehnten. Eine der wichtigsten Erkenntnisse ist, dass Deutschland damals sehr viel ärmer und schwächer war als früher beschrieben und Hitlers Autarkiepolitik von Beginn an zum Scheitern verurteilt war.

2007 war auch das Jahr herausragender Biographien. Jörg Guido Hülsmanns rund 1100 Seiten umfassendes, in englischer Sprache verfasstes Monumentalwerk über Ludwig von Mises arbeitet das Leben und das Werk dieses ebenso bedeutenden wie umstrittenen liberalen Ökonomen präzise und detailreich auf, ohne die große Linie zu verlieren und den Leser zu ermüden.

Hülsmann, der als Professor in Angers (Frankreich) lehrt, fängt die Fin-de-Siècle-Stimmung im Wien des Jahres 1900 ebenso einfühlsam ein wie die innere Vereinsamung, die Mises' Begleiter während seiner letzten Jahre in New York war. In Europa ist Mises nahezu vergessen, doch hat sich in den Vereinigten Staaten eine Schule gebildet, die den Österreicher als Ahnherrn versteht und ihr Zentrum im Mises-Institut in Auburn/Alabama besitzt.

Bekannter als Mises ist dessen Landsmann und Altersgenosse Joseph Schumpeter geblieben. Die Beschäftigung mit der Geschichte und dem Wesen des Kapitalismus hat in den vergangenen Jahren das Interesse an Schumpeter geweckt und unter anderem eine rund 700 Seiten umfassende, ebenfalls beeindruckende Biographie aus der Feder des amerikanischen Wirtschaftshistorikers Thomas K. McCraw inspiriert. Der Amerikaner zeichnet nicht nur den unruhigen Lebenslauf Schumpeters nach, der den Österreicher von Mähren über Graz und Wien nach Bonn und schließlich an die Harvard University führte. Er zeigt auch die innere Einsamkeit eines Mannes, hinter dessen selbstbewusster, gelegentlich als arrogant bezeichneter Fassade sich schwere persönliche Tragödien wie der frühe Tod seiner zweiten Frau und des noch ungeborenen Kindes verbargen, über die Schumpeter zeitlebens nicht hinwegkam.

McCraws Buch ist nicht die erste, aber auch nicht die letzte Lebensbeschreibung Schumpeters. Aus der Feder der Journalistin Annette Schäfer erscheint in wenigen Wochen eine mit 280 Seiten im Umfang schmalere Biographie in deutscher Sprache (Die Kraft der schöpferischen Zerstörung. Joseph A. Schumpeter. Die Biografie. Campus Verlag. Frankfurt am Main. 24,90 Euro).

Mit Milton Friedman starb Ende 2006 einer der wichtigsten Ökonomen des 20. Jahrhunderts. Die kompakt geschriebene Biographie des Amerikaners Larry Ebenstein beschreibt eine ( im Vergleich zu Mises und Schumpeter) deutlich unkompliziertere Lebensbahn. Obgleich Friedman ein nahezu biblisches Alter erreichte, fehlen seiner Biographie die durch Krieg und Verfolgung bedingten Brüche, die für viele aus Europa nach Amerika emigrierten Ökonomen typisch waren. Uninteressant verlief Friedmans Leben gleichwohl nicht, denn seine wortgewaltige Erweckung des Liberalismus und sein Kampf gegen den starken Staat stießen lange Zeit auf heftigen Widerstand des Establishments.

Etwas für Liebhaber nicht alltäglicher Themen ist eine von dem in Jena lehrenden Professor für Kulturgeschichte Michael Maurer stammende Biographie des Ökonomen und Historikers Eberhard Gothein (Leben und Werk zwischen Kulturgeschichte und Nationalökonomie. Böhlau. Köln 2007. 402 Seiten. 49,90 Euro). Gothein (1853 bis 1923) wurde der Historischen Schule der Nationalökonomie zugerechnet und zeichnete sich durch ein heute fremdes interdisziplinäres Denken aus.

GERALD BRAUNBERGER

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 06.12.2007

So ein Goethe-Leben
Das war reif: Eine Biographie über Eberhard Gothein
Es gibt Kulturhistoriker, für die zählt Wirtschaft zu den niederen Wissenschaften. Und Wirtschaftshistoriker, für die bieten die Kulturwissenschaften nur einen Strauß Belangloses. Dabei gab es eine goldene Zeit der Symbiose. Um 1900, in der Gründungsphase der modernen Sozial- und Kulturwissenschaften, konnte beides zusammenfallen. Eberhard Gothein ist ein exemplarischer Fall.
Gothein (1853-1923) entstammte der Denkschule Wilhelm Diltheys, wählte sich aber Jacob Burckhardt zum Meister. Er durchwanderte mit Burckhardts kulturhistorischem Blick den italienischen Süden. Ob Religion eine universalhistorische Potenz sein kann, testete er an Luther, mehr noch an Ignatius von Loyola. Die europäischen Eruptionen von der italienischen Renaissance über die deutsche Reformation bis zur spanischen Gegenreformation werden ihn nie mehr loslassen. In Straßburg, seiner ersten wissenschaftlichen Station, verband Gothein seine kulturhistorischen Ambitionen mit der Nationalökonomie, wie sie dort von Lujo Brentano fesselnd vertreten wurde. Fortan wurde er auf nationalökonomische Professuren berufen.
Erste Station war Karlsruhe, dort entstanden die methodisch wegweisende „Wirtschaftsgeschichte des Schwarzwaldes” und die Streitschrift über die „Aufgaben der Kulturgeschichte”. Dann kam ein Ruf nach Bonn, hier bemühte Gothein sich mit „Ignatius von Loyola und die Gegenreformation” um einen Standort überkonfessioneller historischer Aufklärung. Es wurde sein meistgelesenes, wenn auch von den Orthodoxen beider Konfessionen verachtetes Buch. Schließlich wurde er Nachfolger Max Webers 1904 in Heidelberg. In Heidelberg wurden mit Leidenschaft alle Wissenschaften vom Menschen in eine neuartige soziologische Perspektive gerückt.
Gothein ließ sich rasch davon mitreißen. In einem Handbuchartikel über „Gesellschaft und Gesellschaftswissenschaften” erklärte er Georg Simmel zum Leitstern, dessen Lehren von den sozialen Wechselwirkungen zu grundlegend neuen Einsichten in allen Kulturwissenschaften geführt hätten. Gothein war ein nie ermüdender akademischer Lehrer, seine Kritiker hielten ihm vor, Doktorarbeiten nur so am Fließband zu vergeben. Herausgefordert durch den Ersten Weltkrieg, ließ er sich auf seine alten Tage in die Politik ziehen, als Mitglied der Badischen Verfassunggebenden Versammlung und als Abgeordneter für die Deutsche Demokratische Partei.
Es ist ein reichhaltiges, lernbegieriges akademisches Leben, das der Gothein-Biograph Michael Maurer jetzt ausbreitet. Mit Recht wundert er sich, warum diese Synthese aus Kulturgeschichte, Ökonomie und Soziologie bislang so wenig Beachtung gefunden hat – und das in einer Zeit, die in rascher Folge immer neue kulturwissenschaftliche Kombinationen austestet. Maurer selbst liebt keine biographischen Experimente. Er schreibt keine Sozialbiographie, wie sie zu Werner Sombart vorliegt, erst recht keine Körpergeschichte, wie sie kürzlich zu Max Weber erschien, keine biographische Zeitgeschichte wie zu Helmuth Plessner, auch keine Netzwerkgeschichte, wie jüngst zu Stefan George und seiner Gefolgschaft. Maurer wählt einen erprobt gediegenen Weg. Der Schlusssatz seines Buches ist ihm methodisches Programm: „Will man Gothein gerecht werden, kann dies nur in individualisierendem Eingehen auf sein Werk und seine Persönlichkeit geschehen.” Das bedeutet, zu allen Themen ausführlichst die Briefe zwischen Eberhard und Marie Luise Gothein sprechen zu lassen, die Maurer kürzlich in einer lesenswerten Edition bereits veröffentlicht hat.
Porträtiert wird in Maurers Lebensbild der letzte Goetheaner. Fachwissen und Goethebildung verschmelzen in schönster Harmonie. „Reif” ist des Biographen Lieblingswort: der gereifte Mensch, der reife Kulturhistoriker, der reife Nationalökonom. „So ein Goethe-Leben”, hieß es zuweilen im Hause Gothein.
Stimulierend bis heute ist die Maxime, die Gothein antrieb, sein innerstes Bedürfnis nach Kulturgeschichte so offensiv mit Volkswirtschaft und Soziologie zu verknüpfen. Man könne keine geistigen Phänomene begreifen, wenn man nicht gleichzeitig alle Lebensbedingungen auch der Kleinbürger, Arbeiter und Bauern aufs Gründlichste studiere. Darin liegt ein Sinn für die Praxis. Gothein war beteiligt an der Gründung von Handelshochschulen in Köln und Mannheim. In Exkursionen vor Ort machte er die Studenten mit Bergbau, Schifffahrt und Elektrizität vertraut.
Homo Heidelbergensis
Zwei Subtexte laufen beim Lesen stets mit. Gotheins Karriere wird mit der des im Deutschen Reich verschmähten, im Ausland gerühmten Karl Lamprecht verglichen, sei es im Zug zur Landesgeschichte oder in der Anforderung an die „neue Kulturgeschichte”, einen synthesefördernden Fluchtpunkt für Wirtschaft und Politik zu bieten. Mehr liegt Maurer daran, Gothein als überwältigende Persönlichkeit an die Seite von Max Weber und Ernst Troeltsch zu rücken. Hier entgeht ihm allerdings die Pointe. Im religionsemphatischen Heidelberg war Gothein bestrebt, sein Hauptwerk zu Renaissance und Gegenreformation mit Jacob Burckhardt gegen Ernst Troeltsch als Wortführer einer kulturprotestantischen Geschichtsphilosophie zu profilieren. Zu gern wüsste man, wie und warum sich Gothein als „Anti-Troeltsch” verstand. Aber zur einfühlenden Methode dieser Biographie gehört wohl der Verzicht darauf, Kontroversen zu strukturieren.
Max Weber hat in Gothein das Prachtexemplar eines „grundguten Menschen” gesehen, immer in Gefahr, in spießbürgerlichen Konventionen steckenzubleiben. War das das Schicksal eines Goethelebens? Maurer preist die allseitige Bildung und Gelehrsamkeit. Aber der homo Heidelbergensis, auf den Gothein als Nachfolger Webers stieß, war ein Typus besonderer Art. Gleich doppelt sprengte er die bildungsbürgerlichen Konventionen, an die Gothein als bekennender Idealist glaubte. Der sprichwörtliche Intellektualismus der Heidelberger Gelehrtenzirkel unterwarf jeden Glaubenssatz, jeden Lehrsatz, jedes literarische Kunstwerk einer messerscharfen Kritik. Nirgendwo konnte die junge Disziplin der Soziologie so gedeihen wie in diesem Klima.
Noch stärker provozierte die erotische Experimentierfreudigkeit die bürgerliche Tugend. Ein junger Germanist verführte gleichzeitig Frau Gothein und die Pianistin Mina Tobler. Postwendend wurde Ehebruch in Briefen und Debatten historisiert und durchsoziologisiert. Eberhard Gothein muss diesem geistig wie sinnlich vibrierenden Lebensgefühl in toleranter Hilflosigkeit gegenübergestanden haben. Nicht so die Familie. Marie Luise Gothein zog daraus Kraft für ihre schriftstellerische Tätigkeit. Sohn Percy wurde das Objekt der Begierde von keinem Geringeren als Stefan George. Diese Geschichte ist oft erzählt.
In Maurer hat Eberhard Gothein seinen ersten wissenschaftlich anspruchsvollen Biographen gefunden. Nur, muss ein Biograph sich so beschaulich in eine life-and-letters-Hermeneutik einfühlen und am Ende melancholisch nach Wirkung und Wirkungslosigkeit fragen? Warum muss die Sprache so grundgut goetheanisch, manchmal biedermeierlich sein wie die Briefe der Beschriebenen selbst? Dabei gibt es Grundstürzendes zu berichten. Gothein ist bis in die Nervenspitzen geprägt durch die doppelte Revolution der Jahrhundertwende. An seinem Lebensweg lässt sich die radikale Umordnung des Wissens vom Menschen und seiner Geschichte studieren. Ebenso der beschleunigte Wandel zu einer kapitalistischen Massengesellschaft. Von beiden Prozessen wurde Gothein mitgerissen, er spürte den inneren Zusammenhang. Das macht Werk und Person so aufregend für eine neue Wissenschaftsgeschichte in den großen Umbrüchen dieser Epoche. GANGOLF HÜBINGER
MICHAEL MAURER: Eberhard Gothein (1853-1923). Leben und Werk zwischen Kulturgeschichte und Nationalökonomie. Böhlau Verlag, Köln,Weimar, Wien 2007. 401 Seiten, 49,90 Euro.
Eberhard Gothein, laut Max Weber ein „grundguter Mensch” Foto: Verlag
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Gangolf Hübinger begrüßt diese Biografie über den Kultur- und Wirtschaftshistoriker Eberhard Gothein (1853-1923) von Michael Maurer. Etwas verwundert zeigt er sich darüber, dass Gothein bisher so wenig Beachtung gefunden hat. Dabei sieht er in ihm beispielhaft die Synthese von Kulturgeschichte, Ökonomie und Soziologie verkörpert. Ausführlich berichtet er über Gotheins reiches akademisches Leben. Mauerers Biografie, die sich dem Leben und Werk Gotheins widmet, viel aus den Briefen an seine Frau zitiert und auf Experimente verzichtet, scheint ihm rundum solide. In Maurer habe Gothein seinen "ersten wissenschaftlich anspruchsvollen Biografen" gefunden. Allerdings findet er das Buch mit seiner "life-and-letters-Hermeneutik" manchmal doch recht betulich und sprachlich ein wenig zu "biedermeierlich".

© Perlentaucher Medien GmbH