Amarna, die Hauptstadt des geheimnisumwitterten Pharaos Echnaton, gilt heute als ein Weltkulturerbe der besonderen Art: als Wiege der ersten monotheistischen Religion der Menschheit. Doch was ist wahr an dieser Geschichte und was ist Legende? Steht Echnaton zu Recht an der Spitze der großen Religionsstifter Moses, Christus und Mohammed? Franz Maciejewski präsentiert in seiner großen Studie anhand einer Fülle von Fakten und Indizien eine andere Lesart der Geschichte.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 01.12.2010Sachbücher des
Monats Dezember
Empfohlen werden nach einer monatlich erstellten Rangliste Bücher der Geistes-, Kultur- und Sozialwissenschaften sowie angrenzender Gebiete.
1. FRANZ MACIEJEWSKI: Echnaton oder die Erfindung des Monotheismus. Osburg Verlag, 335 Seiten, 24,90 Euro.
2. MARKUS KRAJEWSKI: Der Diener. Mediengeschichte einer Figur zwischen König und Klient. S. Fischer Verlag, 720 Seiten, 24,95 Euro.
3. DIETZ BERING: Die Epoche der Intellektuellen 1898-2001. Geburt – Begriff – Grabmal. Berlin University Press, 756 Seiten, 49,90 Euro.
4. PETER LONGERICH: Joseph Goebbels. Biographie. Siedler Verlag, 912 Seiten, 39,99 Euro.
5. ELKE STEIN-HÖLKESKAMP /KARL-JOACHIM HÖLKESKAMP (Hrsg.): Die griechische Welt. Erinnerungsorte der Antike. C. H. Beck Verlag, 683 Seiten, 38,00 Euro.
6. KATHARINA MOMMSEN: Kein Rettungsmittel als die Liebe. Schillers und Goethes Bündnis im Spiegel ihrer Dichtungen. Wallstein Verlag, 379 Seiten, 28,00 Euro.
7. JOHN RAWLS: Über Sünde, Glaube und Religion. Kommentiert von Joshua Cohen, Thomas Nagel, Robert Merrihew Adams. Übersetzt von Sebastian Schwark. Suhrkamp Verlag, 342 Seiten, 26,90 Euro.
8. JACQUES DERRIDA: Das Tier, das ich also bin. Herausgegeben von Peter Engelmann. Übersetzt von Markus Sedlaczek. Passagen Verlag, 275 Seiten, 38,00 Euro.
9. RAPHAEL GROSS: Anständig geblieben. Nationalsozialistische Moral. S. Fischer Verlag, 277 Seiten, 19,95 Euro.
10. JONATHAN SAFRAN FOER: Tiere essen. Übersetzt von Isabel Bogdan, Ingo Herzke und Brigitte Jakobeit. Verlag Kiepenheuer & Witsch, 399 Seiten, 19,95 Euro.
Besondere Empfehlung des Monats von Eike Gebhardt: JOSEPH ROTH: Juden auf Wanderschaft. Illustrierte Ausgabe. Christian Brandstätter Verlag, 143 Seiten, 29,90 Euro.
Die Jury: Rainer Blasius, Eike Gebhardt, Fritz Göttler, Wolfgang Hagen, Daniel Haufler, Otto Kallscheuer, Petra Kammann, Guido Kalberer, Elisabeth Kiderlen, Jörg-Dieter Kogel, Hans Martin Lohmann, Ludger Lütkehaus, Herfried Münkler, Wolfgang Ritschl, Florian Rötzer, Johannes Saltzwedel, Albert von Schirnding, Jacques Schuster, Norbert Seitz, Hilal Sezgin, Elisabeth von Thadden, Andreas Wang, Uwe Justus Wenzel.
Redaktion: Andreas Wang (NDR Kultur)
Die nächste SZ/NDR/BuchJournal-
Liste der Sachbücher des Monats erscheint am 3. Januar 2011.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de
Monats Dezember
Empfohlen werden nach einer monatlich erstellten Rangliste Bücher der Geistes-, Kultur- und Sozialwissenschaften sowie angrenzender Gebiete.
1. FRANZ MACIEJEWSKI: Echnaton oder die Erfindung des Monotheismus. Osburg Verlag, 335 Seiten, 24,90 Euro.
2. MARKUS KRAJEWSKI: Der Diener. Mediengeschichte einer Figur zwischen König und Klient. S. Fischer Verlag, 720 Seiten, 24,95 Euro.
3. DIETZ BERING: Die Epoche der Intellektuellen 1898-2001. Geburt – Begriff – Grabmal. Berlin University Press, 756 Seiten, 49,90 Euro.
4. PETER LONGERICH: Joseph Goebbels. Biographie. Siedler Verlag, 912 Seiten, 39,99 Euro.
5. ELKE STEIN-HÖLKESKAMP /KARL-JOACHIM HÖLKESKAMP (Hrsg.): Die griechische Welt. Erinnerungsorte der Antike. C. H. Beck Verlag, 683 Seiten, 38,00 Euro.
6. KATHARINA MOMMSEN: Kein Rettungsmittel als die Liebe. Schillers und Goethes Bündnis im Spiegel ihrer Dichtungen. Wallstein Verlag, 379 Seiten, 28,00 Euro.
7. JOHN RAWLS: Über Sünde, Glaube und Religion. Kommentiert von Joshua Cohen, Thomas Nagel, Robert Merrihew Adams. Übersetzt von Sebastian Schwark. Suhrkamp Verlag, 342 Seiten, 26,90 Euro.
8. JACQUES DERRIDA: Das Tier, das ich also bin. Herausgegeben von Peter Engelmann. Übersetzt von Markus Sedlaczek. Passagen Verlag, 275 Seiten, 38,00 Euro.
9. RAPHAEL GROSS: Anständig geblieben. Nationalsozialistische Moral. S. Fischer Verlag, 277 Seiten, 19,95 Euro.
10. JONATHAN SAFRAN FOER: Tiere essen. Übersetzt von Isabel Bogdan, Ingo Herzke und Brigitte Jakobeit. Verlag Kiepenheuer & Witsch, 399 Seiten, 19,95 Euro.
Besondere Empfehlung des Monats von Eike Gebhardt: JOSEPH ROTH: Juden auf Wanderschaft. Illustrierte Ausgabe. Christian Brandstätter Verlag, 143 Seiten, 29,90 Euro.
Die Jury: Rainer Blasius, Eike Gebhardt, Fritz Göttler, Wolfgang Hagen, Daniel Haufler, Otto Kallscheuer, Petra Kammann, Guido Kalberer, Elisabeth Kiderlen, Jörg-Dieter Kogel, Hans Martin Lohmann, Ludger Lütkehaus, Herfried Münkler, Wolfgang Ritschl, Florian Rötzer, Johannes Saltzwedel, Albert von Schirnding, Jacques Schuster, Norbert Seitz, Hilal Sezgin, Elisabeth von Thadden, Andreas Wang, Uwe Justus Wenzel.
Redaktion: Andreas Wang (NDR Kultur)
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.03.2011Von Freud über Moses zum ödipalen Echnaton
Sein Aton-Kult machte den Pharao Echnaton zum Religionsstifter, sein Porträt zum körperlich Kranken. Jetzt entdeckt ihn die Psychoanalyse als seelisch Missgebildeten und Opfer machtgieriger Parvenüs.
Im vergangenen Jahr drohte Echnaton, auch vielen Nicht-Ägyptologen bekannt als der "Ketzerpharao", zeitweise seiner weltberühmten Gattin Nofretete und seinem Nachfolger Tutanchamun, dem noch einige Grade populäreren "Kind auf dem Pharaonenthron", ihren Rang streitig zu machen. Schlagzeilen wie "Inzest am Königshof" oder "Geschwisterliebe der Pharaonen" schrien nicht nur von den Titelseiten der Regenbogenpresse, sondern auch von denen seriöser archäologischer Magazine. Anlass waren DNA-Untersuchungen an Mumien der 18. Dynastie, den Vor- und Nachfahren Echnatons also, die engste Verwandtschaften bestätigten.
Was einige Wissenschaftler bisher nur als Möglichkeit angedeutet und Schriftsteller zweifelhafter historischer Romane bis in schlüpfrig aufbereitete Details ausgemalt hatten, scheint nun bestätigt: Echnaton ist aller Wahrscheinlichkeit der Vater des Tutanchamun. Dessen Mutter aber ist nicht, wie bisher angenommen, die Nebenfrau Kija, sondern eine vorläufig noch nicht namentlich identifizierte Schwester Echnatons. Teje wiederum, die dank ihrer hinreißenden Altersporträt-Büste im Berliner Ägyptischen Museum weit über Archäologenkreise hinaus bekannte "Große Gemahlin" Amenophis III., ist tatsächlich Echnatons Mutter, so wie ihr Mann sich als dessen leiblicher Vater erwiesen hat und beide nun als Großeltern Tutanchamuns feststehen.
Wer aber ist Semechkare, der schattenhafte direkte Nachfolger Echnatons, der nach allenfalls zwei Regierungsjahren den Thron für den neunjährigen Tutanchamun räumte? Ein älterer Sohn Echnatons, den er mit seiner oder einer weiteren seiner Schwestern zeugte, behaupten einige wenige Wissenschaftler und viele (mehr oder weniger) gelehrte Laien, die der DNA-Bericht animiert hat, Vielleicht aber auch, so spekulieren andere, war er ein schwächlicher letzter Sohn der gealterten Teje und womöglich gleichfalls Ehemann einer eigenen Schwester.
Die Gerüchteküche brodelt mehr denn je. Ein idealer Zeitpunkt für ein Buch wie das des Soziologen und Psychoanalytikers Franz Maciejewski, der gleich zu Beginn seiner "Korrektur eines Mythos" ankündigt, er werde zeigen, "dass die charismatische Prophetie des Echnaton nur vor dem Hintergrund eines sich über mehrere Generationen erstreckenden inzestuösen Familienzusammenhanges verstanden werden kann, der die dynastisch erlaubten Gleise einer Bruder/Schwester-Verbindung verlassen hat". Und er verspricht nicht zu viel: Einige Seiten weiter verblüfft, ja schockiert seine These, Maketaton, eine der sechs Töchter von Nofretete und Echnaton, sei mit elf Jahren bei der Geburt eines Kindes gestorben, das ihr eigener Vater mit ihr gezeugt habe.
Doch vor diesem Paukenschlag, der beileibe nicht der einzige bleiben wird, stellt der Autor den Titelhelden seiner Analysen vor. Dabei erweist er sich als gründlicher, sachverständiger und glänzend formulierender Rechercheur, Vermittler und Interpret. Echnaton, vor seiner selbstgewählten Umbenennung zum " des Aton" tituliert als Amenophis IV., wird, der modernen Wissenschafts- und Kulturgeschichte Rechnung tragend, eingeführt als erster monotheistischer Religionsstifter, Vorläufer von Moses, Jesus und Mohammed. Diese folgenreiche Charakterisierung, die bis heute unsere Wahrnehmung jenes Herrschers bestimmt, begann mit dem amerikanischen Archäologen James Henry Breasted, der 1895 den mutmaßlich von Echnaton gedichteten "Großen Sonnenhymnus" auf Aton, die "allein verehrte Sonnenscheibe" als Werk eines "gottberauschten Schöpfers" verklärte und damit Echnaton als eine Art Messias inthronisierte. Die Forschungen und Schwärmereien, so Maciejewski richtig, der folgenden Generationen erhärteten diese Sichtweise derart, dass wir Echnaton als "fast unseren Zeitgenossen" und den von ihm propagierten Aton als "Gott, beinahe so wie wir ihn auffassen", zu kennen glauben.
Erstes Aufsehen aber, so betont Maciejewski, erregte Echnaton durch etwas gänzlich anderes, nämlich sein befremdliches Aussehen: Champollion, der 1828 in den Ruinen von Achetaton, Echnatons einstiger neu gegründeter Hauptstadt, ein Relief des Pharaos sah, beschrieb ihn als verfettet, von femininen Formen, morbid, abstoßend. Bis heute befördern expressionistisch übertreibende Darstellungen Echnatons Urteile, die ihn rundweg als Eunuchen oder Transvestiten, in weniger ressentimentgeladener Form als unter entstellenden Krankheiten leidenden, degenerierten Spross einer sozusagen blutleeren überalterten Dynastie ansehen.
Maciejewski, der unvoreingenommen genug ist, um auch andere, teilweise bildschöne, zumindest aber feinnervige Darstellungen zur Kenntnis zu nehmen, die den Pharao als sanftmütigen oder vielleicht erschöpften Herrscher zeigen, zitiert Thomas Manns emphatische Beschreibung, in der es von Echnatons Gesicht heißt, es gleiche dem eines "jungen vornehmen Engländers von etwas ausgeblühtem Geschlecht; langgezogen, hochmütig und müde und von einer nicht etwa aufgeschminkten, sondern von Natur krankhaft blühenden Röte der sehr vollen Lippen".
Als Unterfutter psychoanalytischer Deutungen spielt in den folgenden Kapiteln diese einfühlsame, im Heute fußende Beschreibung als verführerisches Doppel aus Sinn und Sinnlichkeit eine immer größere Rolle. Überspitzt formuliert ist Thomas Manns Beschreibung für Maciejewski die faszinierende Maske, hinter der er als Analytiker ein Muttersöhnchen hervorholt, dessen Monotheismus und Politik aus einem nicht im Unterbewusstsein, sondern in der Realität abgelaufenen Ödipus-Schicksal resultieren. Schon die Gründung der Dynastie, als deren Spätling Echnaton lebte, erfolgte, so Maciejewski, durch eine symbolische, wenn nicht reale Mutter-Sohn-Verbindung. Im Nachvollzug altorientalischer und altägyptischer Mythen vom göttlichen Beischlaf nicht nur zwischen Geschwistern, sondern auch Mutter und Sohn, habe die Dynastie der Thutmosiden ihre Macht erlangt und gesichert. Auf dieses Muster zurückgreifend, habe Teje, die Gemahlin und Mitregentin Amenophis III., die während des langen Siechtums ihres Mannes allein herrschte, ihren Sohn, den späteren Echnaton, gegängelt, dann geehelicht und schließlich mit ihrer eigenen Tochter sowie auch mit ihrer Nichte Nofretete verheiratet.
In einer atemberaubenden Mischung und Übersteigerung von Freuds Analysen und Mythendeutungen sucht Maciejewski dem Leser plausibel zu machen, dass Echnaton, der übermächtigen Mutter ausweichend, nach dem Beispiel seines Vaters eigene Töchter - drei zählt Maciejewski - zur Gemahlin genommen und seine neue Hauptstadt auch zum Zeichen der Unabhängigkeit von seiner herrschsüchtigen Mutter gegründet habe. Seine Porträts, seien sie bigeschlechtlich oder geschlechtslos, empfindsam oder karikierend, wären, ebenso wie sein quasi sich selbst zeugender Sonnengott Aton, die Gestalt gewordenen Rache- und Allmachtphantasien eines vom Ödipuskomplex Gejagten.
Führt hierbei der Psychoanalytiker die Regie, scheint bei der zweiten Hauptthese der Soziologe Maciejewski maßgebend: Die inzestuösen Geschehnisse, so sagt er, seien die auffallendste, aber nicht einzige Waffe im Kampf eines Clans gewesen, der seit den Zeiten Amenophis III. mit allen Mitteln an die Macht strebte: "Das bewegende Geschichtsmoment ist ein vom Hause Juja betriebener Dynastiewechsel und nicht die Erfindung des Monotheismus:"
Juja, Oberhaupt einer bürgerlichen Familie, gelang es, seine Tochter Teje an Amenophis III. zu verheiraten und seinen Sohn Eje als Berater am Hof zu etablieren, wo er später zum Mentor und dank seiner Tochter Nofretete zum Schwiegervater Echnatons sowie zuletzt zum "Gottvater" des Kindpharaos Tutanchamun aufstieg, dessen Nachfolger er dann wurde.
Ein Triumph ohnegleichen: Vieles an diesem Bild vom unerhörten Aufstieg einer bürgerlichen Familie ins Pharaonentum gründet auf Tatsachen. Ebenso viel aber, wie zum Beispiel, dass Nofretete die Tochter des Eje gewesen sei, beruht auf gewagten, teilweise halsbrecherischen Kombinationen, die sich im Lauf der Argumentation von Vermutungen zu Gewissheiten wandeln.
So wird denn aus Nofretete, von der wir noch immer nicht mehr wissen, als dass sie rätselhafterweise plötzlich aus den Urkunden und Darstellungen der Echnaton-Welt verschwindet, bei Maciejewski eine machtbesessene Frau, die nach dem Tod ihres Mannes regierte und sich zu Tode intrigierte, als sie zwei Briefe (deren Autorenschaft bis heute ungeklärt ist) an den König von Mitanni schickte, worin sie ihm anbot, einen seiner Söhne zum Mann zu nehmen und damit zum Pharao zu machen.
Urkundlich belegte außenpolitische Fehlschläge Ägyptens zur Zeit Echnatons und seiner Nachfolger, Revolten der Vasallenstaaten und Tributverweigerung werden bei Maciejewski zu Folgen einer Politik, wie sie nur von größenwahnsinnige Parvenues - sprich: dem Hause Juja - habe praktizier werden können. Abgesehen davon, dass dies eine recht schlichte Deutung historischer Vorgänge ist, von denen wir obendrein nur äußerst vage Überlieferungen haben, bezeugt dies Urteil die grundsätzliche Schwäche der Analyse: Von soziologischen Vorstellungen untermauert, überträgt Maciejewski sublim, aber dennoch naiv psychoanalytische Erkenntnisse und Methoden auf eine Epoche, über deren Seelenleben wir im Grunde nichts wissen. Alles, was die Mythen, aber auch die pharaonischen Archive und die Kunstwerke Altägyptens überliefern, deutet auf Sublimierungen hin, hinter deren komplizierten und oft genug hinreißend schönen Formen archaische Ängste und Begierden sich verbergen.
Maciejewski aber gebraucht die Mythen und die Urkunden, als seien sie ungebrochen reflektierende Spiegel unserer Zeit und ihres verwirrenden Hin und Her zwischen Sexus und Macht. Er mag nach der "Kraft des Unbewussten in der Geschichte" gesucht haben - gefunden hat er nur unsere.
DIETER BARTETZKO
Franz Maciejewski: "Echnaton oder Die Erfindung des Monotheismus".
Osburg Verlag, Berlin 2010. 336 S., Abb., geb., 24,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Sein Aton-Kult machte den Pharao Echnaton zum Religionsstifter, sein Porträt zum körperlich Kranken. Jetzt entdeckt ihn die Psychoanalyse als seelisch Missgebildeten und Opfer machtgieriger Parvenüs.
Im vergangenen Jahr drohte Echnaton, auch vielen Nicht-Ägyptologen bekannt als der "Ketzerpharao", zeitweise seiner weltberühmten Gattin Nofretete und seinem Nachfolger Tutanchamun, dem noch einige Grade populäreren "Kind auf dem Pharaonenthron", ihren Rang streitig zu machen. Schlagzeilen wie "Inzest am Königshof" oder "Geschwisterliebe der Pharaonen" schrien nicht nur von den Titelseiten der Regenbogenpresse, sondern auch von denen seriöser archäologischer Magazine. Anlass waren DNA-Untersuchungen an Mumien der 18. Dynastie, den Vor- und Nachfahren Echnatons also, die engste Verwandtschaften bestätigten.
Was einige Wissenschaftler bisher nur als Möglichkeit angedeutet und Schriftsteller zweifelhafter historischer Romane bis in schlüpfrig aufbereitete Details ausgemalt hatten, scheint nun bestätigt: Echnaton ist aller Wahrscheinlichkeit der Vater des Tutanchamun. Dessen Mutter aber ist nicht, wie bisher angenommen, die Nebenfrau Kija, sondern eine vorläufig noch nicht namentlich identifizierte Schwester Echnatons. Teje wiederum, die dank ihrer hinreißenden Altersporträt-Büste im Berliner Ägyptischen Museum weit über Archäologenkreise hinaus bekannte "Große Gemahlin" Amenophis III., ist tatsächlich Echnatons Mutter, so wie ihr Mann sich als dessen leiblicher Vater erwiesen hat und beide nun als Großeltern Tutanchamuns feststehen.
Wer aber ist Semechkare, der schattenhafte direkte Nachfolger Echnatons, der nach allenfalls zwei Regierungsjahren den Thron für den neunjährigen Tutanchamun räumte? Ein älterer Sohn Echnatons, den er mit seiner oder einer weiteren seiner Schwestern zeugte, behaupten einige wenige Wissenschaftler und viele (mehr oder weniger) gelehrte Laien, die der DNA-Bericht animiert hat, Vielleicht aber auch, so spekulieren andere, war er ein schwächlicher letzter Sohn der gealterten Teje und womöglich gleichfalls Ehemann einer eigenen Schwester.
Die Gerüchteküche brodelt mehr denn je. Ein idealer Zeitpunkt für ein Buch wie das des Soziologen und Psychoanalytikers Franz Maciejewski, der gleich zu Beginn seiner "Korrektur eines Mythos" ankündigt, er werde zeigen, "dass die charismatische Prophetie des Echnaton nur vor dem Hintergrund eines sich über mehrere Generationen erstreckenden inzestuösen Familienzusammenhanges verstanden werden kann, der die dynastisch erlaubten Gleise einer Bruder/Schwester-Verbindung verlassen hat". Und er verspricht nicht zu viel: Einige Seiten weiter verblüfft, ja schockiert seine These, Maketaton, eine der sechs Töchter von Nofretete und Echnaton, sei mit elf Jahren bei der Geburt eines Kindes gestorben, das ihr eigener Vater mit ihr gezeugt habe.
Doch vor diesem Paukenschlag, der beileibe nicht der einzige bleiben wird, stellt der Autor den Titelhelden seiner Analysen vor. Dabei erweist er sich als gründlicher, sachverständiger und glänzend formulierender Rechercheur, Vermittler und Interpret. Echnaton, vor seiner selbstgewählten Umbenennung zum " des Aton" tituliert als Amenophis IV., wird, der modernen Wissenschafts- und Kulturgeschichte Rechnung tragend, eingeführt als erster monotheistischer Religionsstifter, Vorläufer von Moses, Jesus und Mohammed. Diese folgenreiche Charakterisierung, die bis heute unsere Wahrnehmung jenes Herrschers bestimmt, begann mit dem amerikanischen Archäologen James Henry Breasted, der 1895 den mutmaßlich von Echnaton gedichteten "Großen Sonnenhymnus" auf Aton, die "allein verehrte Sonnenscheibe" als Werk eines "gottberauschten Schöpfers" verklärte und damit Echnaton als eine Art Messias inthronisierte. Die Forschungen und Schwärmereien, so Maciejewski richtig, der folgenden Generationen erhärteten diese Sichtweise derart, dass wir Echnaton als "fast unseren Zeitgenossen" und den von ihm propagierten Aton als "Gott, beinahe so wie wir ihn auffassen", zu kennen glauben.
Erstes Aufsehen aber, so betont Maciejewski, erregte Echnaton durch etwas gänzlich anderes, nämlich sein befremdliches Aussehen: Champollion, der 1828 in den Ruinen von Achetaton, Echnatons einstiger neu gegründeter Hauptstadt, ein Relief des Pharaos sah, beschrieb ihn als verfettet, von femininen Formen, morbid, abstoßend. Bis heute befördern expressionistisch übertreibende Darstellungen Echnatons Urteile, die ihn rundweg als Eunuchen oder Transvestiten, in weniger ressentimentgeladener Form als unter entstellenden Krankheiten leidenden, degenerierten Spross einer sozusagen blutleeren überalterten Dynastie ansehen.
Maciejewski, der unvoreingenommen genug ist, um auch andere, teilweise bildschöne, zumindest aber feinnervige Darstellungen zur Kenntnis zu nehmen, die den Pharao als sanftmütigen oder vielleicht erschöpften Herrscher zeigen, zitiert Thomas Manns emphatische Beschreibung, in der es von Echnatons Gesicht heißt, es gleiche dem eines "jungen vornehmen Engländers von etwas ausgeblühtem Geschlecht; langgezogen, hochmütig und müde und von einer nicht etwa aufgeschminkten, sondern von Natur krankhaft blühenden Röte der sehr vollen Lippen".
Als Unterfutter psychoanalytischer Deutungen spielt in den folgenden Kapiteln diese einfühlsame, im Heute fußende Beschreibung als verführerisches Doppel aus Sinn und Sinnlichkeit eine immer größere Rolle. Überspitzt formuliert ist Thomas Manns Beschreibung für Maciejewski die faszinierende Maske, hinter der er als Analytiker ein Muttersöhnchen hervorholt, dessen Monotheismus und Politik aus einem nicht im Unterbewusstsein, sondern in der Realität abgelaufenen Ödipus-Schicksal resultieren. Schon die Gründung der Dynastie, als deren Spätling Echnaton lebte, erfolgte, so Maciejewski, durch eine symbolische, wenn nicht reale Mutter-Sohn-Verbindung. Im Nachvollzug altorientalischer und altägyptischer Mythen vom göttlichen Beischlaf nicht nur zwischen Geschwistern, sondern auch Mutter und Sohn, habe die Dynastie der Thutmosiden ihre Macht erlangt und gesichert. Auf dieses Muster zurückgreifend, habe Teje, die Gemahlin und Mitregentin Amenophis III., die während des langen Siechtums ihres Mannes allein herrschte, ihren Sohn, den späteren Echnaton, gegängelt, dann geehelicht und schließlich mit ihrer eigenen Tochter sowie auch mit ihrer Nichte Nofretete verheiratet.
In einer atemberaubenden Mischung und Übersteigerung von Freuds Analysen und Mythendeutungen sucht Maciejewski dem Leser plausibel zu machen, dass Echnaton, der übermächtigen Mutter ausweichend, nach dem Beispiel seines Vaters eigene Töchter - drei zählt Maciejewski - zur Gemahlin genommen und seine neue Hauptstadt auch zum Zeichen der Unabhängigkeit von seiner herrschsüchtigen Mutter gegründet habe. Seine Porträts, seien sie bigeschlechtlich oder geschlechtslos, empfindsam oder karikierend, wären, ebenso wie sein quasi sich selbst zeugender Sonnengott Aton, die Gestalt gewordenen Rache- und Allmachtphantasien eines vom Ödipuskomplex Gejagten.
Führt hierbei der Psychoanalytiker die Regie, scheint bei der zweiten Hauptthese der Soziologe Maciejewski maßgebend: Die inzestuösen Geschehnisse, so sagt er, seien die auffallendste, aber nicht einzige Waffe im Kampf eines Clans gewesen, der seit den Zeiten Amenophis III. mit allen Mitteln an die Macht strebte: "Das bewegende Geschichtsmoment ist ein vom Hause Juja betriebener Dynastiewechsel und nicht die Erfindung des Monotheismus:"
Juja, Oberhaupt einer bürgerlichen Familie, gelang es, seine Tochter Teje an Amenophis III. zu verheiraten und seinen Sohn Eje als Berater am Hof zu etablieren, wo er später zum Mentor und dank seiner Tochter Nofretete zum Schwiegervater Echnatons sowie zuletzt zum "Gottvater" des Kindpharaos Tutanchamun aufstieg, dessen Nachfolger er dann wurde.
Ein Triumph ohnegleichen: Vieles an diesem Bild vom unerhörten Aufstieg einer bürgerlichen Familie ins Pharaonentum gründet auf Tatsachen. Ebenso viel aber, wie zum Beispiel, dass Nofretete die Tochter des Eje gewesen sei, beruht auf gewagten, teilweise halsbrecherischen Kombinationen, die sich im Lauf der Argumentation von Vermutungen zu Gewissheiten wandeln.
So wird denn aus Nofretete, von der wir noch immer nicht mehr wissen, als dass sie rätselhafterweise plötzlich aus den Urkunden und Darstellungen der Echnaton-Welt verschwindet, bei Maciejewski eine machtbesessene Frau, die nach dem Tod ihres Mannes regierte und sich zu Tode intrigierte, als sie zwei Briefe (deren Autorenschaft bis heute ungeklärt ist) an den König von Mitanni schickte, worin sie ihm anbot, einen seiner Söhne zum Mann zu nehmen und damit zum Pharao zu machen.
Urkundlich belegte außenpolitische Fehlschläge Ägyptens zur Zeit Echnatons und seiner Nachfolger, Revolten der Vasallenstaaten und Tributverweigerung werden bei Maciejewski zu Folgen einer Politik, wie sie nur von größenwahnsinnige Parvenues - sprich: dem Hause Juja - habe praktizier werden können. Abgesehen davon, dass dies eine recht schlichte Deutung historischer Vorgänge ist, von denen wir obendrein nur äußerst vage Überlieferungen haben, bezeugt dies Urteil die grundsätzliche Schwäche der Analyse: Von soziologischen Vorstellungen untermauert, überträgt Maciejewski sublim, aber dennoch naiv psychoanalytische Erkenntnisse und Methoden auf eine Epoche, über deren Seelenleben wir im Grunde nichts wissen. Alles, was die Mythen, aber auch die pharaonischen Archive und die Kunstwerke Altägyptens überliefern, deutet auf Sublimierungen hin, hinter deren komplizierten und oft genug hinreißend schönen Formen archaische Ängste und Begierden sich verbergen.
Maciejewski aber gebraucht die Mythen und die Urkunden, als seien sie ungebrochen reflektierende Spiegel unserer Zeit und ihres verwirrenden Hin und Her zwischen Sexus und Macht. Er mag nach der "Kraft des Unbewussten in der Geschichte" gesucht haben - gefunden hat er nur unsere.
DIETER BARTETZKO
Franz Maciejewski: "Echnaton oder Die Erfindung des Monotheismus".
Osburg Verlag, Berlin 2010. 336 S., Abb., geb., 24,90 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
Mit Gewinn hat Bernhard Lang dieses Buch des Kunsthistorikers Franz Maciejewski gelesen, der den im 14. Jahrhundert v. Chr. von Echnaton und Nofretete durchgesetzten Aton-Kult in Ägypten ganz neu deutet. Zum einen, referiert er Maciejewskis Ausführungen, sei es bei der Verehrung des Aton weniger um die Begründung einer monotheistischen Religion gegangen, als vielmehr um eine Erhöhung der Nofretete und ihrer "auf Prestige bedachten Familie". Zum anderen erkläre Maciejewski Echnatons Handeln psychoanalytisch. In Kurzform: Echnaton habe sich von seinem Vater Amenophis III. vernachlässigt gewühlt, deswegen den Aton-Kult eingeführt und sich zum Sohn des Sonnengottes erhoben. Rezensent Lang findet dies überzeugend, anregend und überdies glänzend geschrieben.
© Perlentaucher Medien GmbH
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