Bissig, ätzend und mit blasphemischem Witz - in Echos Knochen treibt der junge Beckett sein anspielungsreiches, selbstreflexiv ironisches Erzählen auf die Spitze.
Als Samuel Beckett 1933 den Erzählzyklus More Pricks than Kicks (Mehr Prügel als Flügel) einreichte, fand der Lektor das Manuskript etwas schmal, er bat um einen weiteren Beitrag, und Beckett schrieb Echo's Bones. Dafür holte er Belacqua, den Helden der bisherigen Geschichten, der bei einer Operation gestorben war, zurück. Der Lektor las den Text, er war ihm zu wild, und Beckett »vergrub« ihn. Erst 2014 ist die Erzählung publiziert worden: Beckett versetzte Belacqua in eine Unterwelt der Mythen und Gespenster und konfrontierte ihn mit den Ausgeburten seiner maßlosen Belesenheit. Es war sein letzter und radikalster Versuch, die explodierende innere Welt zu bändigen, bevor er sich in eine Psychoanalyse begab und die Wende hin zur französischen Sprache und zu Strenge und Kargheit vollzog.
»Belacqua ist ein Mensch, der, gestorben und begraben, wiederhergestellt für den Dschungel, ja wirklich für den Dschungel, restlos erschöpft und im Vollgefühl seiner Schwächen tagein, tagaus von Herzrasen geplagt, zigarrerauchend und nasebohrend und ganz schrecklich unter seinem Ausgesetztsein leidend auf dem Zaun hockt ...«
Als Samuel Beckett 1933 den Erzählzyklus More Pricks than Kicks (Mehr Prügel als Flügel) einreichte, fand der Lektor das Manuskript etwas schmal, er bat um einen weiteren Beitrag, und Beckett schrieb Echo's Bones. Dafür holte er Belacqua, den Helden der bisherigen Geschichten, der bei einer Operation gestorben war, zurück. Der Lektor las den Text, er war ihm zu wild, und Beckett »vergrub« ihn. Erst 2014 ist die Erzählung publiziert worden: Beckett versetzte Belacqua in eine Unterwelt der Mythen und Gespenster und konfrontierte ihn mit den Ausgeburten seiner maßlosen Belesenheit. Es war sein letzter und radikalster Versuch, die explodierende innere Welt zu bändigen, bevor er sich in eine Psychoanalyse begab und die Wende hin zur französischen Sprache und zu Strenge und Kargheit vollzog.
»Belacqua ist ein Mensch, der, gestorben und begraben, wiederhergestellt für den Dschungel, ja wirklich für den Dschungel, restlos erschöpft und im Vollgefühl seiner Schwächen tagein, tagaus von Herzrasen geplagt, zigarrerauchend und nasebohrend und ganz schrecklich unter seinem Ausgesetztsein leidend auf dem Zaun hockt ...«
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 19.12.2019Skelettchoreographie der virtuosen Art
Mit "Echos Knochen" erscheint eine frühe Erzählung von Samuel Beckett, die ihrer Zeit zu weit voraus war
Das Buch ist brandneu, erst am vergangenen Montag erschienen, und inhaltlich bietet es auch etwas bislang Unbekanntes, aber der Buchtitel "Echos Knochen" ist Lesern von Samuel Beckett vertraut. "Echo's Bones" hieß nämlich auch ein 1935 erschienener Gedichtband des irischen Schriftstellers, der damals in London lebte, bevor er zwei Jahre später endgültig nach Frankreich übersiedelte. Die Jahre zwischen seinem ersten Paris-Aufenthalt 1928 bis 1930, als der 1906 geborene Beckett sich im Kreis des dort lebenden James Joyce bewegte, und der Rückkehr in die französische Hauptstadt 1937 sind die Zeit einer dramatischen literarischen Entscheidung: der Lösung aus dem schweren Schatten von Joyce und aus der akademischen Karriere am Trinity College in Dublin zugunsten einer freien Existenz als Schriftsteller, der fortan vor allem in Kafka sein Vorbild sah. Und unter diesem Einfluss hatte Beckett im Herbst 1933 eine Erzählung geschrieben, die auch schon den Titel "Echo's Bones" trug, aber von seinem damaligen Verlag abgelehnt worden war und zu Lebzeiten des Autors unpubliziert blieb. Deren deutsche Übersetzung ist der Inhalt des jetzt erschienenen Buchs. Ein neuer Beckett, auch wenn der Text schon 86 Jahre alt ist.
Typoskripte zur Erzählung haben sich in zwei amerikanischen Universitätsbibliotheken erhalten, so dass 2014 die englische Erstveröffentlichung erfolgen konnte, damals herausgegeben von Mark Nixon. Seine Einführung und Kommentare sind auch in die deutsche Ausgabe eingeflossen - die Einführung ganz, die Kommentare zumindest teilweise, denn sie waren Ausgangsbasis für die Erläuterungen, die der deutsche Übersetzer Chris Hirte nebst einem Nachwort dem Buch beigegeben hat, das auf diese Weise bei einer reinen Erzählungslänge von sechzig Seiten auf den doppelten Umfang kommt.
Sechzig Seiten Beckett sind kein Pappenstiel, zumal nicht die von "Echos Knochen". Dass die Übertragung ins Deutsche fünf Jahre dauerte, lag allerdings vor allem daran, dass Hirte in derselben Zeit auch die Übersetzung der vierbändigen vieltausendseitigen Beckett-Briefausgabe des Suhrkamp Verlags besorgte und darüber nach Elmar Tophoven zur zweiten "deutschen Stimme" des Schriftstellers geworden ist. Gut, dass man ihm nun auch das Prosastück überlassen hat, und in seinem Nachwort kann man von Hirtes wachsender Begeisterung für "Echos Knochen" erfahren, die sich der langen Beschäftigung mit dem Text verdankt. Als Becketts Lektor und Freund Charles Prentice die Erzählung am 13. November 1933 ablehnte, hatte der gerade einmal ein Wochenende mit der Lektüre zugebracht und war ratlos: "Sie ist ein Albtraum . . . Es tut mir wirklich leid, und es ärgert mich, dass ich so begriffsstutzig bin, aber ich hoffe, ich bin nicht ganz und gar vernagelt. ,Echo's Bones' hat mich wahrlich getroffen wie ein Schlag auf den Kopf."
Was Prentice derart kalt erwischt hatte, war die Stimme einer künftigen Literatur. Einmal der von Beckett selbst, denn in "Echos Knochen" zeigen sich schon Strategien, Motive und Figurenkonstellationen, die nach dem Zweiten Weltkrieg seine epochemachenden Dramen und den Jahrhundertroman "Molloy" prägen würden. Es ist vor allem die an Kafka geschulte beckettsche Traumatmosphäre (Prentice wählte mit seiner Albtraum-Metapher also genau die richtige Kategorie) dieser Texte, die in der Erzählung von 1933 um anderthalb Jahrzehnte vorweggenommen wurde. Aber darin wird auch geradezu postmodern erzählt, indem sich Lektüreschicht auf Lektüreschicht häuft, als wären da schon Italo Calvino oder Thomas Pynchon am Werk - allerdings auf der Basis eines literarischen Kanons, der seine Wurzeln in theologischen und schwarzromantischen Schriften hat. Und - wie es sich für einen englischsprachigen Schriftsteller gehört - in Shakespeare.
Erzählt wird Folgendes: Belacqua Shuah, Alter Ego des Autors und Hauptfigur einer von Beckett mit seinem Verlag fest verabredeten Sammlung von Erzählungen, die schon im Sommer 1933 abgeliefert worden war, ist nach seinem Tod, der in einer dieser Erzählungen stattfand, bestattet worden, findet sich zu Beginn von "Echos Knochen" jedoch außerhalb des Grabs und wird nacheinander in Gespräche mit drei lebenden Protagonisten verwickelt: der Prostituierten Zaborovna Privet, dem unfruchtbaren Landadeligen Lord Gall of Wormwood und dem Leichenschänder Mick Doyle. Das Ganze findet dialogreich in äußerst kargen Szenerien statt, die die Regieanweisungen zu "Warten auf Godot" schon ahnen lassen, und natürlich ist die Unterhaltung Belacquas mit Mick die deutlichste - aber nicht einzige! - Reminiszenz an Shakespeare.
"Echos Knochen" ist ein Fest für Literaturliebhaber, weil Augustinus zitiert wird, Goethe und besonders intensiv Dante, dessen "Commedia" sich auch der Name von Belacqua verdankt. Im vierten Gesang findet er sich unter den Verdammten, und da man da noch ganz am Anfang des Abstiegs in die Hölle ist, ist die Sünde Belacquas nicht gravierend: Passivität. Darin erkannte sich der Beckett jener Jahre wieder, dessen erster Roman "Traum von mehr bis minder schönen Frauen" 1932 abgelehnt worden war, was den Schriftsteller in existentielle Zweifel stürzte, welchen Weg er beschreiten solle. Er hatte Prosa geschrieben, übersetzt, gedichtet, Philologie betrieben und war gereist, unter anderem 1932 auch nach Deutschland. Beckett plünderte den Roman für seinen Erzählungsband, kam sich also wenig kreativ vor - eine Lethargie, aus der ihn erst die Anfrage von Prentice, ob er nicht aus verkaufstaktischen Gründen noch eine längere Erzählung nachreichen könnte, riss. Mit "Echo's Bones" (der Titel ist eine Ovid-Anspielung) versuchte er etwas Neues, und als es auf Unverständnis stieß, spielte er zwar Prentice gegenüber den davon Unberührten, doch in anderen Briefen jener Wochen kommt die tiefe Enttäuschung über die Ablehnung zum Ausdruck.
Leicht zu lesen ist es nicht, was Beckett in der Erzählung treibt; mehrfache Lektüre sei empfohlen, viel Zeit kostet sie ja nicht. Dafür wird nicht nur die Dichte des Textes durchschaubarer, sondern auch die Fülle an Anspielungen immer größer, denn Beckett brachte auch Alltagseindrücke mit ins Geschehen, vor allem aus der Welt des Kinos. Nur ein Beispiel dafür: Auch wenn er Walt Disney in "Echos Knochen" als "Mark Disney" erwähnt, ist dessen Name im Kontext einer Friedhofsszene ganz am Platze, hatte der amerikanische Produzent doch 1929 mit seinem Kurztrickfilm "Skeleton Dance" weltweit Furore gemacht. Die überschäumende Phantasie dieser Knochenchoreographie ist wie eine Blaupause für den Stil von "Echos Knochen" - bis dahin, dass auch die Filmmusik bei Disney ein einziges Zitatgewitter ist.
So ist diese Beckett-Publikation kein Lückenfüller, sondern ein Eckstein der ästhetischen Entwicklung des späteren Literaturnobelpreisträgers. Aus dem persönlichen Tief der dreißiger Jahre befreiten ihn dann unfreiwillig erst der Krieg und die Zeit in der Résistance. Wenigstens den Titel "Echo's Bones" hatte er aber in ein Gedicht gerettet. Und wenn Beckett Hamm im "Endspiel" sagen lässt: "Das Ende ist am Anfang, und doch macht man weiter", klingt das wie ein später Reflex auf die Desillusionierungen als junger Schriftsteller.
ANDREAS PLATTHAUS
Samuel Beckett: "Echos Knochen".
Hrsg. und mit Einführung von Mark Nixon. Aus dem Englischen und Nachwort von Chris Hirte. Suhrkamp Verlag, Berlin 2019. 123 S., geb., 24,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Mit "Echos Knochen" erscheint eine frühe Erzählung von Samuel Beckett, die ihrer Zeit zu weit voraus war
Das Buch ist brandneu, erst am vergangenen Montag erschienen, und inhaltlich bietet es auch etwas bislang Unbekanntes, aber der Buchtitel "Echos Knochen" ist Lesern von Samuel Beckett vertraut. "Echo's Bones" hieß nämlich auch ein 1935 erschienener Gedichtband des irischen Schriftstellers, der damals in London lebte, bevor er zwei Jahre später endgültig nach Frankreich übersiedelte. Die Jahre zwischen seinem ersten Paris-Aufenthalt 1928 bis 1930, als der 1906 geborene Beckett sich im Kreis des dort lebenden James Joyce bewegte, und der Rückkehr in die französische Hauptstadt 1937 sind die Zeit einer dramatischen literarischen Entscheidung: der Lösung aus dem schweren Schatten von Joyce und aus der akademischen Karriere am Trinity College in Dublin zugunsten einer freien Existenz als Schriftsteller, der fortan vor allem in Kafka sein Vorbild sah. Und unter diesem Einfluss hatte Beckett im Herbst 1933 eine Erzählung geschrieben, die auch schon den Titel "Echo's Bones" trug, aber von seinem damaligen Verlag abgelehnt worden war und zu Lebzeiten des Autors unpubliziert blieb. Deren deutsche Übersetzung ist der Inhalt des jetzt erschienenen Buchs. Ein neuer Beckett, auch wenn der Text schon 86 Jahre alt ist.
Typoskripte zur Erzählung haben sich in zwei amerikanischen Universitätsbibliotheken erhalten, so dass 2014 die englische Erstveröffentlichung erfolgen konnte, damals herausgegeben von Mark Nixon. Seine Einführung und Kommentare sind auch in die deutsche Ausgabe eingeflossen - die Einführung ganz, die Kommentare zumindest teilweise, denn sie waren Ausgangsbasis für die Erläuterungen, die der deutsche Übersetzer Chris Hirte nebst einem Nachwort dem Buch beigegeben hat, das auf diese Weise bei einer reinen Erzählungslänge von sechzig Seiten auf den doppelten Umfang kommt.
Sechzig Seiten Beckett sind kein Pappenstiel, zumal nicht die von "Echos Knochen". Dass die Übertragung ins Deutsche fünf Jahre dauerte, lag allerdings vor allem daran, dass Hirte in derselben Zeit auch die Übersetzung der vierbändigen vieltausendseitigen Beckett-Briefausgabe des Suhrkamp Verlags besorgte und darüber nach Elmar Tophoven zur zweiten "deutschen Stimme" des Schriftstellers geworden ist. Gut, dass man ihm nun auch das Prosastück überlassen hat, und in seinem Nachwort kann man von Hirtes wachsender Begeisterung für "Echos Knochen" erfahren, die sich der langen Beschäftigung mit dem Text verdankt. Als Becketts Lektor und Freund Charles Prentice die Erzählung am 13. November 1933 ablehnte, hatte der gerade einmal ein Wochenende mit der Lektüre zugebracht und war ratlos: "Sie ist ein Albtraum . . . Es tut mir wirklich leid, und es ärgert mich, dass ich so begriffsstutzig bin, aber ich hoffe, ich bin nicht ganz und gar vernagelt. ,Echo's Bones' hat mich wahrlich getroffen wie ein Schlag auf den Kopf."
Was Prentice derart kalt erwischt hatte, war die Stimme einer künftigen Literatur. Einmal der von Beckett selbst, denn in "Echos Knochen" zeigen sich schon Strategien, Motive und Figurenkonstellationen, die nach dem Zweiten Weltkrieg seine epochemachenden Dramen und den Jahrhundertroman "Molloy" prägen würden. Es ist vor allem die an Kafka geschulte beckettsche Traumatmosphäre (Prentice wählte mit seiner Albtraum-Metapher also genau die richtige Kategorie) dieser Texte, die in der Erzählung von 1933 um anderthalb Jahrzehnte vorweggenommen wurde. Aber darin wird auch geradezu postmodern erzählt, indem sich Lektüreschicht auf Lektüreschicht häuft, als wären da schon Italo Calvino oder Thomas Pynchon am Werk - allerdings auf der Basis eines literarischen Kanons, der seine Wurzeln in theologischen und schwarzromantischen Schriften hat. Und - wie es sich für einen englischsprachigen Schriftsteller gehört - in Shakespeare.
Erzählt wird Folgendes: Belacqua Shuah, Alter Ego des Autors und Hauptfigur einer von Beckett mit seinem Verlag fest verabredeten Sammlung von Erzählungen, die schon im Sommer 1933 abgeliefert worden war, ist nach seinem Tod, der in einer dieser Erzählungen stattfand, bestattet worden, findet sich zu Beginn von "Echos Knochen" jedoch außerhalb des Grabs und wird nacheinander in Gespräche mit drei lebenden Protagonisten verwickelt: der Prostituierten Zaborovna Privet, dem unfruchtbaren Landadeligen Lord Gall of Wormwood und dem Leichenschänder Mick Doyle. Das Ganze findet dialogreich in äußerst kargen Szenerien statt, die die Regieanweisungen zu "Warten auf Godot" schon ahnen lassen, und natürlich ist die Unterhaltung Belacquas mit Mick die deutlichste - aber nicht einzige! - Reminiszenz an Shakespeare.
"Echos Knochen" ist ein Fest für Literaturliebhaber, weil Augustinus zitiert wird, Goethe und besonders intensiv Dante, dessen "Commedia" sich auch der Name von Belacqua verdankt. Im vierten Gesang findet er sich unter den Verdammten, und da man da noch ganz am Anfang des Abstiegs in die Hölle ist, ist die Sünde Belacquas nicht gravierend: Passivität. Darin erkannte sich der Beckett jener Jahre wieder, dessen erster Roman "Traum von mehr bis minder schönen Frauen" 1932 abgelehnt worden war, was den Schriftsteller in existentielle Zweifel stürzte, welchen Weg er beschreiten solle. Er hatte Prosa geschrieben, übersetzt, gedichtet, Philologie betrieben und war gereist, unter anderem 1932 auch nach Deutschland. Beckett plünderte den Roman für seinen Erzählungsband, kam sich also wenig kreativ vor - eine Lethargie, aus der ihn erst die Anfrage von Prentice, ob er nicht aus verkaufstaktischen Gründen noch eine längere Erzählung nachreichen könnte, riss. Mit "Echo's Bones" (der Titel ist eine Ovid-Anspielung) versuchte er etwas Neues, und als es auf Unverständnis stieß, spielte er zwar Prentice gegenüber den davon Unberührten, doch in anderen Briefen jener Wochen kommt die tiefe Enttäuschung über die Ablehnung zum Ausdruck.
Leicht zu lesen ist es nicht, was Beckett in der Erzählung treibt; mehrfache Lektüre sei empfohlen, viel Zeit kostet sie ja nicht. Dafür wird nicht nur die Dichte des Textes durchschaubarer, sondern auch die Fülle an Anspielungen immer größer, denn Beckett brachte auch Alltagseindrücke mit ins Geschehen, vor allem aus der Welt des Kinos. Nur ein Beispiel dafür: Auch wenn er Walt Disney in "Echos Knochen" als "Mark Disney" erwähnt, ist dessen Name im Kontext einer Friedhofsszene ganz am Platze, hatte der amerikanische Produzent doch 1929 mit seinem Kurztrickfilm "Skeleton Dance" weltweit Furore gemacht. Die überschäumende Phantasie dieser Knochenchoreographie ist wie eine Blaupause für den Stil von "Echos Knochen" - bis dahin, dass auch die Filmmusik bei Disney ein einziges Zitatgewitter ist.
So ist diese Beckett-Publikation kein Lückenfüller, sondern ein Eckstein der ästhetischen Entwicklung des späteren Literaturnobelpreisträgers. Aus dem persönlichen Tief der dreißiger Jahre befreiten ihn dann unfreiwillig erst der Krieg und die Zeit in der Résistance. Wenigstens den Titel "Echo's Bones" hatte er aber in ein Gedicht gerettet. Und wenn Beckett Hamm im "Endspiel" sagen lässt: "Das Ende ist am Anfang, und doch macht man weiter", klingt das wie ein später Reflex auf die Desillusionierungen als junger Schriftsteller.
ANDREAS PLATTHAUS
Samuel Beckett: "Echos Knochen".
Hrsg. und mit Einführung von Mark Nixon. Aus dem Englischen und Nachwort von Chris Hirte. Suhrkamp Verlag, Berlin 2019. 123 S., geb., 24,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 02.01.2020Die Toten
sterben unsanft
Erstmals auf Deutsch: Samuel Becketts
unpublizierte Erzählung „Echos Knochen“
VON LOTHAR MÜLLER
Anfang Januar 1938 riefen die Zeitungsjungen in Dublin die Nachricht aus: „Ire in Paris niedergestochen“. Um wen es sich handelte, konnte man in der gedruckten Ausgabe des Evening Herald erfahren. In der Nacht zum Dreikönigstag hatte ein Zuhälter Samuel Beckett und seine Begleiter, Alan und Belinda Duncan, die von einem Restaurantbesuch kamen, belästigt und dann Beckett einen Messerstich versetzt, der Herz und Lunge nur knapp verfehlte. Aus dem Krankenhaus konnte er Ende Januar entlassen werden, die Schmerzen beim Atmen aber hielten länger an, und eine Narbe blieb.
James Joyce, der in Paris lebte, bezahlte die Kosten für das Einzelzimmer und brachte ihm eine Leselampe ins Krankenhaus, seine Frau Nora Vanillepudding, Beckett erhielt manchen Besuch aus der Literatur- und Kunstszene, aber die Zeitungsjungen hatten nicht gerufen „Irischer Schriftsteller in Paris niedergestochen“. Mehr als ein Geheimtipp war der junge Beckett nicht. Daran änderte auch sein Roman „Murphy“ wenig, dessen Fahnen ihm ins Krankenhaus gebracht wurden und der wenig später erschien. Und später, als der große Ruhm kam, nach dem Zweiten Weltkrieg, nach „Warten auf Godot“, wurde aus dem jungen Beckett eine fragmentarisch überlieferte Vorläuferfigur.
Aus dem Schatten des alten Beckett, des Mannes mit den Habichtsaugen und dem schluchtenförmigen Stirnfaltenrelief auf den ikonischen Fotografien, trat er erst nach dessen Tod am 22. Dezember 1989 heraus, in der großen Beckett-Biografie von James Knowlson, mit der Publikation seines Erstlingsroman „Traum von mehr bis minder schönen Frauen“, in den Erinnerungen seiner Freunde und in der großen Briefausgabe, deren letzter Band auf Deutsch erst 2018 herauskam.
Immer neue Facetten gewann in diesen postumen Publikationen der junge Mann mit großen Anlagen zum Nerd und ebenso großen zum Bohémien, dessen Blick durch runde Brillengläser auf eine Welt fiel, die ihm nicht behagte, dem kein noch so entlegenes Buchregal im Trinity College entging, der mit seiner Mutter strindberghafte Kämpfe ausfocht und von panikartigen Attacken heimgesucht wurde, die ihn Zuflucht bei dem Psychoanalytiker Wilfreds Ruprecht Bion in London suchen ließen.
Mitten hinein in diese Welt des jungen Nerd, in dem der Furor der Formzertrümmerung auf ein hochgespanntes Formbewusstsein traf und der damals gerade Anlauf für „Murphy“ nahm, führt die zu Lebzeiten nie veröffentlichte Erzählung „Echos Knochen“, die der Suhrkamp Verlag zum dreißigsten Todestag Becketts nun auf Deutsch herausgebracht hat.
Den Text hat Beckett im Spätherbst 1933 auf Verlangen des Lektors Charles Prentice geschrieben, der im Verlag Chatto & Windus Becketts Erzählungsband „More Pricks than Kicks“ (1934 dt. „Mehr Prügel als Flügel“) herausbrachte und hoffte, durch einen größeren Umfang einen besseren Verkaufserfolg erzielen zu können. Als er dann aber Anfang November die – mit 13 500 Wörtern überraschend lange – Erzählung in Händen hielt, teilte er dem Autor mit, sie sei unpublizierbar: „Sie ist ein Albtraum. Einfach fürchterlich persuasiv. Sie macht mich ganz kribbelig. Die gleichen schrecklichen und plötzlichen Perspektivwechsel, die gleiche wilde unauslotbare Energie der Gestalten. Es gibt Passagen, mit denen ich nichts anfangen kann. Ich bedaure sehr, das so zu empfinden... ,Echos Knochen’ hat mich wahrlich getroffen wie ein Schlag auf den Kopf“. Erst 2014 wurde die auf Englisch geschriebene Erzählung veröffentlicht.
Charles Prentice war Altphilologe und ein guter Leser, Berührungsängste vor der eigenwilligen Intellektualität Becketts hatte er nicht, er hatte Becketts Essay über Proust auf den Weg gebracht und den Erzählungsband angenommen. Beckett wiederum hatte, während er an „Echo’s Bones“ saß, an seinen Freund Thomas McGreevy geschrieben, er habe in die Erzählung „alles gesteckt, was ich wusste, und – besser noch – vieles, was mir vorschwebte“, und war nach der Ablehnung entsprechend entmutigt. Der junge Beckett wusste sehr, sehr viel, und dass er so viel davon in seine Erzählung hineinsteckte, dürfte dazu beigetragen haben, dass sie für seinen Lektor zum Albtraum wurde.
Die Furien und Dämonen, die in „Echos Knochen“ ihr Unwesen treiben, entstammen der alteuropäischen Liaison von Literatur und Gelehrsamkeit, auf die im frühen zwanzigsten Jahrhundert die literarische Avantgarde so gern zurückgriff. Der Held der Erzählung, Belacqua, ist eine Figur aus dem „Purgatorio“ von Dante, eine Verkörperung der Trägheit, in der sich Beckett spiegelte, wie ironisch gebrochen auch immer. Er war in einer der Erzählungen des Bandes „Mehr Prügel als Flügel“ während einer Operation gestorben, die Grundidee von „Echos Knochen“ war, ihn wieder zum Leben zu erwecken. Ein Zitat wird zum Gespenst und Hirngespinst: „Belacqua ist ein Mensch, der, gestorben und begraben, zurückversetzt in den Dschungel, ja wirklich in den Dschungel, restlos erschöpft und im Vollgefühl seiner Schwächen tagein, tagaus, vom Herzrasen geplagt, zigarrerauchend und nasebohrend und ganz schrecklich unter seinem Ausgesetztsein leidend, auf dem Zaun hockt.“
T.S. Eliot hatte in sein bei der akademischen Jugend sehr erfolgreiches Langgedicht „The Waste Land“ (1922) halbparodistische Fußnoten eingefügt, der Großmeister der gelehrten Anspielungsgewitter aber war seit dem „Ulysses“ James Joyce, der Meister des jungen Beckett, bei dem sich ein Proust- und ein Joyce-Essay gegenüberstehen. „The dead die hard“, so beginnt „Echos Knochen“, von Chris Hirte mit „Die Toten sterben unsanft“ übersetzt, was naturgemäß nur eine der Facetten des Originals hervorhebt.
„The Dead“ hieß die letzte, lange Erzählung in Joyce’ „Dubliners“, und Beckett hatte den Ehrgeiz, eine Erzählung in Form eines Triptychons an das Ende seines Bandes zu setzen. Der linke Flügel zeigt Belacquas Auferstehung und Begegnung mit der Prostituierten Zaborovna Privet, im Mittelteil verhilft Belacqua dem zeugungsunfähigen Lord Gall of Wormwood zu einem Nachkommen, – es wird aber ein Mädchen anstatt des erhofften männlichen Erben. Im Schlussteil sitzt Belacqua auf seinem eigenen Grabstein und schaut dem Totengräber Doyle zu, wie er sein Grab aufgräbt. Es ist aber darin natürlich nichts zu finden – statt Knochen nur ein paar Steine.
Man kann sich gegen diese wüste Prosa, in der die Markennamen von Zigarren mit den letzten Dingen Unzucht treiben, mit allerlei Tricks wappnen. Wer sich in den Anspielungsgewittern nicht verlieren will, kann mit Hilfe der – gegenüber der englischen Originalausgabe ausgedünnten – Fußnoten die Handbibliothek Becketts von Alfieri und Augustinus über Ovid, Ruskin und Schopenhauer bis zu Teresa von Avila besichtigen und im scheinbar Sinnlosen eine Obszönität entdecken.
Oder er kann, wie der Übersetzer Chris Hirte vorschlägt, aus dem wuchernden Fleisch der Erzählung die Knochen der zwischen Kalauer und Tiefsinn changierenden Dialoge herauslösen und in ihnen Vorübungen für den Beckett von „Warten auf Godot“ und „Endspiel“ erkennen. Es hilft aber nichts, den Meister der „Verarmung“, der Verknappung und des Entzugs der Worte gibt es hier noch nicht, hier ist noch Joyce, der Meister des Immer-noch-Mehr, der immer neuen Hinzufügungen, der Wettergott, für den Beckett seine Anspielungsgewitter entfesselt.
Es ist aber nicht ratsam, bei der Totengräberszene dauernd an „Hamlet“ zu denken. Sie ist auch so ziemlich gut: „Glaub bloß nicht“, sagt Doyle, während er die Spitzhacke hebt, „dass du, ein veritables Hirngespinst, mir bange machen kannst. Mich hat der Alkohol gestählt.“ Und: „Nieder sauste die Hacke auf den geheiligten Moder wie der Rammbär im Märchen, ein Schlag wie selten einer, der Grabstein wankte, von Belacquas letzter Ruhestätte spritzte eine Sandfontäne hoch – ihm ins Auge.“ Die Klarstellung Belacquas gegenüber seinem Totengräber klärt nichts: „Der Tote bin ich.“ Jetzt lebt er auch auf Deutsch. Ein Märchensatz, den Brüdern Grimm abgelauscht, steht am Ende: „So it goes in the world.“ „So geht es in der Welt.“
„Ein Albtraum (...) Ein Schlag auf
den Kopf“: Becketts Lektor hielt
die Erzählung für unpublizierbar
Hier ist noch Joyce der Wettergott,
für den Beckett all seine
Anspielungsgewitter entfesselt
Samuel Beckett: Echos Knochen. Herausgegeben von Mark Nixon. Aus dem Englischen und mit einem Nachwort von Chris Hirte. Suhrkamp Verlag, Berlin 2019. 126 Seiten, 24 Euro.
Den Meister der fortwährenden „Verarmung“, der Verknappung und des Entzugs der Worte gibt es in „Echos Knochen“ noch nicht.
Foto: Getty images
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sterben unsanft
Erstmals auf Deutsch: Samuel Becketts
unpublizierte Erzählung „Echos Knochen“
VON LOTHAR MÜLLER
Anfang Januar 1938 riefen die Zeitungsjungen in Dublin die Nachricht aus: „Ire in Paris niedergestochen“. Um wen es sich handelte, konnte man in der gedruckten Ausgabe des Evening Herald erfahren. In der Nacht zum Dreikönigstag hatte ein Zuhälter Samuel Beckett und seine Begleiter, Alan und Belinda Duncan, die von einem Restaurantbesuch kamen, belästigt und dann Beckett einen Messerstich versetzt, der Herz und Lunge nur knapp verfehlte. Aus dem Krankenhaus konnte er Ende Januar entlassen werden, die Schmerzen beim Atmen aber hielten länger an, und eine Narbe blieb.
James Joyce, der in Paris lebte, bezahlte die Kosten für das Einzelzimmer und brachte ihm eine Leselampe ins Krankenhaus, seine Frau Nora Vanillepudding, Beckett erhielt manchen Besuch aus der Literatur- und Kunstszene, aber die Zeitungsjungen hatten nicht gerufen „Irischer Schriftsteller in Paris niedergestochen“. Mehr als ein Geheimtipp war der junge Beckett nicht. Daran änderte auch sein Roman „Murphy“ wenig, dessen Fahnen ihm ins Krankenhaus gebracht wurden und der wenig später erschien. Und später, als der große Ruhm kam, nach dem Zweiten Weltkrieg, nach „Warten auf Godot“, wurde aus dem jungen Beckett eine fragmentarisch überlieferte Vorläuferfigur.
Aus dem Schatten des alten Beckett, des Mannes mit den Habichtsaugen und dem schluchtenförmigen Stirnfaltenrelief auf den ikonischen Fotografien, trat er erst nach dessen Tod am 22. Dezember 1989 heraus, in der großen Beckett-Biografie von James Knowlson, mit der Publikation seines Erstlingsroman „Traum von mehr bis minder schönen Frauen“, in den Erinnerungen seiner Freunde und in der großen Briefausgabe, deren letzter Band auf Deutsch erst 2018 herauskam.
Immer neue Facetten gewann in diesen postumen Publikationen der junge Mann mit großen Anlagen zum Nerd und ebenso großen zum Bohémien, dessen Blick durch runde Brillengläser auf eine Welt fiel, die ihm nicht behagte, dem kein noch so entlegenes Buchregal im Trinity College entging, der mit seiner Mutter strindberghafte Kämpfe ausfocht und von panikartigen Attacken heimgesucht wurde, die ihn Zuflucht bei dem Psychoanalytiker Wilfreds Ruprecht Bion in London suchen ließen.
Mitten hinein in diese Welt des jungen Nerd, in dem der Furor der Formzertrümmerung auf ein hochgespanntes Formbewusstsein traf und der damals gerade Anlauf für „Murphy“ nahm, führt die zu Lebzeiten nie veröffentlichte Erzählung „Echos Knochen“, die der Suhrkamp Verlag zum dreißigsten Todestag Becketts nun auf Deutsch herausgebracht hat.
Den Text hat Beckett im Spätherbst 1933 auf Verlangen des Lektors Charles Prentice geschrieben, der im Verlag Chatto & Windus Becketts Erzählungsband „More Pricks than Kicks“ (1934 dt. „Mehr Prügel als Flügel“) herausbrachte und hoffte, durch einen größeren Umfang einen besseren Verkaufserfolg erzielen zu können. Als er dann aber Anfang November die – mit 13 500 Wörtern überraschend lange – Erzählung in Händen hielt, teilte er dem Autor mit, sie sei unpublizierbar: „Sie ist ein Albtraum. Einfach fürchterlich persuasiv. Sie macht mich ganz kribbelig. Die gleichen schrecklichen und plötzlichen Perspektivwechsel, die gleiche wilde unauslotbare Energie der Gestalten. Es gibt Passagen, mit denen ich nichts anfangen kann. Ich bedaure sehr, das so zu empfinden... ,Echos Knochen’ hat mich wahrlich getroffen wie ein Schlag auf den Kopf“. Erst 2014 wurde die auf Englisch geschriebene Erzählung veröffentlicht.
Charles Prentice war Altphilologe und ein guter Leser, Berührungsängste vor der eigenwilligen Intellektualität Becketts hatte er nicht, er hatte Becketts Essay über Proust auf den Weg gebracht und den Erzählungsband angenommen. Beckett wiederum hatte, während er an „Echo’s Bones“ saß, an seinen Freund Thomas McGreevy geschrieben, er habe in die Erzählung „alles gesteckt, was ich wusste, und – besser noch – vieles, was mir vorschwebte“, und war nach der Ablehnung entsprechend entmutigt. Der junge Beckett wusste sehr, sehr viel, und dass er so viel davon in seine Erzählung hineinsteckte, dürfte dazu beigetragen haben, dass sie für seinen Lektor zum Albtraum wurde.
Die Furien und Dämonen, die in „Echos Knochen“ ihr Unwesen treiben, entstammen der alteuropäischen Liaison von Literatur und Gelehrsamkeit, auf die im frühen zwanzigsten Jahrhundert die literarische Avantgarde so gern zurückgriff. Der Held der Erzählung, Belacqua, ist eine Figur aus dem „Purgatorio“ von Dante, eine Verkörperung der Trägheit, in der sich Beckett spiegelte, wie ironisch gebrochen auch immer. Er war in einer der Erzählungen des Bandes „Mehr Prügel als Flügel“ während einer Operation gestorben, die Grundidee von „Echos Knochen“ war, ihn wieder zum Leben zu erwecken. Ein Zitat wird zum Gespenst und Hirngespinst: „Belacqua ist ein Mensch, der, gestorben und begraben, zurückversetzt in den Dschungel, ja wirklich in den Dschungel, restlos erschöpft und im Vollgefühl seiner Schwächen tagein, tagaus, vom Herzrasen geplagt, zigarrerauchend und nasebohrend und ganz schrecklich unter seinem Ausgesetztsein leidend, auf dem Zaun hockt.“
T.S. Eliot hatte in sein bei der akademischen Jugend sehr erfolgreiches Langgedicht „The Waste Land“ (1922) halbparodistische Fußnoten eingefügt, der Großmeister der gelehrten Anspielungsgewitter aber war seit dem „Ulysses“ James Joyce, der Meister des jungen Beckett, bei dem sich ein Proust- und ein Joyce-Essay gegenüberstehen. „The dead die hard“, so beginnt „Echos Knochen“, von Chris Hirte mit „Die Toten sterben unsanft“ übersetzt, was naturgemäß nur eine der Facetten des Originals hervorhebt.
„The Dead“ hieß die letzte, lange Erzählung in Joyce’ „Dubliners“, und Beckett hatte den Ehrgeiz, eine Erzählung in Form eines Triptychons an das Ende seines Bandes zu setzen. Der linke Flügel zeigt Belacquas Auferstehung und Begegnung mit der Prostituierten Zaborovna Privet, im Mittelteil verhilft Belacqua dem zeugungsunfähigen Lord Gall of Wormwood zu einem Nachkommen, – es wird aber ein Mädchen anstatt des erhofften männlichen Erben. Im Schlussteil sitzt Belacqua auf seinem eigenen Grabstein und schaut dem Totengräber Doyle zu, wie er sein Grab aufgräbt. Es ist aber darin natürlich nichts zu finden – statt Knochen nur ein paar Steine.
Man kann sich gegen diese wüste Prosa, in der die Markennamen von Zigarren mit den letzten Dingen Unzucht treiben, mit allerlei Tricks wappnen. Wer sich in den Anspielungsgewittern nicht verlieren will, kann mit Hilfe der – gegenüber der englischen Originalausgabe ausgedünnten – Fußnoten die Handbibliothek Becketts von Alfieri und Augustinus über Ovid, Ruskin und Schopenhauer bis zu Teresa von Avila besichtigen und im scheinbar Sinnlosen eine Obszönität entdecken.
Oder er kann, wie der Übersetzer Chris Hirte vorschlägt, aus dem wuchernden Fleisch der Erzählung die Knochen der zwischen Kalauer und Tiefsinn changierenden Dialoge herauslösen und in ihnen Vorübungen für den Beckett von „Warten auf Godot“ und „Endspiel“ erkennen. Es hilft aber nichts, den Meister der „Verarmung“, der Verknappung und des Entzugs der Worte gibt es hier noch nicht, hier ist noch Joyce, der Meister des Immer-noch-Mehr, der immer neuen Hinzufügungen, der Wettergott, für den Beckett seine Anspielungsgewitter entfesselt.
Es ist aber nicht ratsam, bei der Totengräberszene dauernd an „Hamlet“ zu denken. Sie ist auch so ziemlich gut: „Glaub bloß nicht“, sagt Doyle, während er die Spitzhacke hebt, „dass du, ein veritables Hirngespinst, mir bange machen kannst. Mich hat der Alkohol gestählt.“ Und: „Nieder sauste die Hacke auf den geheiligten Moder wie der Rammbär im Märchen, ein Schlag wie selten einer, der Grabstein wankte, von Belacquas letzter Ruhestätte spritzte eine Sandfontäne hoch – ihm ins Auge.“ Die Klarstellung Belacquas gegenüber seinem Totengräber klärt nichts: „Der Tote bin ich.“ Jetzt lebt er auch auf Deutsch. Ein Märchensatz, den Brüdern Grimm abgelauscht, steht am Ende: „So it goes in the world.“ „So geht es in der Welt.“
„Ein Albtraum (...) Ein Schlag auf
den Kopf“: Becketts Lektor hielt
die Erzählung für unpublizierbar
Hier ist noch Joyce der Wettergott,
für den Beckett all seine
Anspielungsgewitter entfesselt
Samuel Beckett: Echos Knochen. Herausgegeben von Mark Nixon. Aus dem Englischen und mit einem Nachwort von Chris Hirte. Suhrkamp Verlag, Berlin 2019. 126 Seiten, 24 Euro.
Den Meister der fortwährenden „Verarmung“, der Verknappung und des Entzugs der Worte gibt es in „Echos Knochen“ noch nicht.
Foto: Getty images
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»Ein Juwel aus dem Nachlass des großen Samuel Beckett ... Der spätere Literatur-Nobelpreisträger findet in diesem frühen Geniestreich zu seinem einzigartigen Erzählstil - und beeindruckt mit seinem grimmigen Humor.« stern 20191223