Deutsche Soldaten haben im Zweiten Weltkrieg "bis zum bitteren Ende" durchgehalten. Das zeugt von der Rigidität des durch den Nationalsozialismus erzeugten Einstellungsgefüges. Neben Schule, Elternhaus und genuin nationalsozialistischen Organisationen als Sozialisationsinstanzen trug nicht zuletzt auch der bürgerliche Vereinssport zur "Gleichschaltung" der Gesellschaft bei. Dort wurde ein ideologischer Rahmen transportiert, in dem sich die Rollenideale des "echten Sportlers" und des "guten Soldaten" unlösbar miteinander verknüpften. Das Fallbeispiel eines kleinstädtischen Turnvereins dokumentiert sein hohes sozialisatorisches Potential für den lokalen Raum. Er erweist sich als Wegbereiter des Nationalsozialismus und erliegt später dem Gleichschaltungsgebot. Entsprechend zeugen Mitteilungen aus Feldpostbriefen der dort sozialisierten Sportler davon, dass es offenbar gelungen war, den semantischen Horizont des Sports in einem spezifisch nationalsozialistischen S inne zu rekonstruieren womit sich eben gerade Sportler in besonderer Weise zur Übernahme der Soldatenrolle verpflichtet fühlten. Zwar mag es dabei letztlich auch dem Nationalsozialismus nie vollständig gelungen sein, den Sport seiner privatistischen und genuin sportlichen Aspekte zu entkleiden - einen Gebrauch hiervon, der den Zirkel des "gleichgeschalteten" Bewusstseins hätte durchbrechen können, haben die Autoren der untersuchten Feldpostbriefe jedoch nicht gemacht.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.12.2000Sport als Büchsenspanner des Krieges
Georg P. Blaschke, Geschäftsführer des Deutschen Fußball-Bundes, frohlockte. Im "Kriegsjahrbuch" des DFB von 1914/15 konnte er dem Kronprinzen stolz verkünden, daß 85 Prozent aller DFB-Mitglieder, also etwa 170 000 Mann, an der Front stünden. Für den Kieler Sportpionier schien diese Verbindung von Fußball und Krieg kein Widerspruch. Schließlich stand die vaterländische (mithin auch militärische) Bedeutung des Sports in Deutschland bereits vor dem "Großen Krieg" nicht in Frage. 1914 bis 1918 war dann zwangsläufig, wie die Sporthistorikerin Christiane Eisenberg einmal treffend formulierte, "nicht nur der sportliche Geist in das Militär, sondern auch der militärische Geist in den Sport eingezogen". Den Sinn des Sports für die Zeit der Weimarer Republik und des "Dritten Reiches" allein auf soldatische Werte zu reduzieren, darüber sind sich alle Sporthistoriker einig, wäre allerdings eine unzulässige Simplifizierung. Dennoch wirkte diese Verbindung in einigen Bereichen fort.
Nach 1933 konnten die Nationalsozialisten, getragen übrigens von vielen Sportfunktionären aus der Weimarer Zeit, auf dem Fundament des wehrhaften Sports aufbauen. Noch 1939, wenige Monate nach dem Überfall auf Polen, bezeichnete Carl Diem den Sport "als Büchsenspanner", auf den der Soldat angewiesen sei, schließlich müsse er im modernen Krieg selbständig handeln und denken, und dazu diene ihm der Sport.
Nun ist diese heute anachronistisch wirkende Allianz nichts Neues, und sie ist in der Sportgeschichte häufig thematisiert worden. Die meisten Darstellungen beschränken sich dabei auf die Perspektive "von oben": Sie konzentrieren sich auf staatliche Akten, maßgebliche Sportfunktionäre und so weiter. Es ist daher um so begrüßenswerter, wenn jetzt mit "Echte Sportler - Gute Soldaten" eine empirische Studie vorliegt, die "von unten" ansetzt, die also darauf schaut, ob und wie "von oben" dirigierte Sportwerte bei den Sportlern überhaupt angenommen wurden und dies möglicherweise zur Ausbildung von nationalsozialistischen Überzeugungen beigetragen hat.
Will man diese Perspektive für die NS-Zeit verfolgen, ergibt sich normalerweise ein Quellenproblem. Hier half ein Zufall: Auf einem Flohmarkt gelangten die Autoren in den Besitz von 294 Feldpostbriefen aus dem Zweiten Weltkrieg, die nahezu alle an einen Adressaten, einen ehemaligen Schülerturnwart in der schwäbischen Kleinstadt Metzingen, gerichtet waren. "Diese ersichtliche Homogenität der jungen Soldaten bezüglich Herkunft und Sozialmilieu machte die Briefe zu einer relativ einmaligen Quelle historischer Sozialisationsforschung", sagen die Autoren. Sie machten den Fund zur Basis für die Beantwortung einer grundsätzlichen Frage: "Empfanden die Sportler den Krieg gar als besondere Form des Wettkampfes?"
Nach ausführlichen methodischen Erwägungen, die den Leser - wie so oft in der wissenschaftlichen Literatur - sehr ermüden, und nach einer eingehenden Betrachtung Metzingens als Sozialisationsheimat der Feldpostautoren kommt die Studie endlich zu den Briefen, die einen tiefen und beeindruckenden Einblick geben in die Mentalität der sportlich sozialisierten Frontsoldaten. Aus ihnen gehe hervor, so die Autoren, daß zu den "Leistungen eines Sportvereins zu rechnen ist, daß junge Sportler hier zur Übernahme nationalistischer und militaristischer, aber auch explizit nationalsozialistischer Dispositionen bewogen und auf ihre Rolle im Krieg vorbereitet wurden". Inwieweit diese "Leistungen" allerdings auf die spezifische Form des Sportvereins zurückzuführen seien, das bleibe aufgrund mangelnder Vergleichsmöglichkeiten nach wie vor eine Aufgabe der Forschung. So kann dieses Buch nur ein weiterer, löblicher Baustein sein, die Verzahnung des Sports mit dem Militär zu ergründen.
ERIK EGGERS
Besprochenes Buch: Klaus Cachay/Steffen Bahlke/Helmut Mehl: "Echte Sportler - Gute Soldaten. Die Sportsozialisation des Nationalsozialismus im Spiegel von Feldpostbriefen", Juventa-Verlag, Weinheim, 383 Seiten, 78 Mark.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Georg P. Blaschke, Geschäftsführer des Deutschen Fußball-Bundes, frohlockte. Im "Kriegsjahrbuch" des DFB von 1914/15 konnte er dem Kronprinzen stolz verkünden, daß 85 Prozent aller DFB-Mitglieder, also etwa 170 000 Mann, an der Front stünden. Für den Kieler Sportpionier schien diese Verbindung von Fußball und Krieg kein Widerspruch. Schließlich stand die vaterländische (mithin auch militärische) Bedeutung des Sports in Deutschland bereits vor dem "Großen Krieg" nicht in Frage. 1914 bis 1918 war dann zwangsläufig, wie die Sporthistorikerin Christiane Eisenberg einmal treffend formulierte, "nicht nur der sportliche Geist in das Militär, sondern auch der militärische Geist in den Sport eingezogen". Den Sinn des Sports für die Zeit der Weimarer Republik und des "Dritten Reiches" allein auf soldatische Werte zu reduzieren, darüber sind sich alle Sporthistoriker einig, wäre allerdings eine unzulässige Simplifizierung. Dennoch wirkte diese Verbindung in einigen Bereichen fort.
Nach 1933 konnten die Nationalsozialisten, getragen übrigens von vielen Sportfunktionären aus der Weimarer Zeit, auf dem Fundament des wehrhaften Sports aufbauen. Noch 1939, wenige Monate nach dem Überfall auf Polen, bezeichnete Carl Diem den Sport "als Büchsenspanner", auf den der Soldat angewiesen sei, schließlich müsse er im modernen Krieg selbständig handeln und denken, und dazu diene ihm der Sport.
Nun ist diese heute anachronistisch wirkende Allianz nichts Neues, und sie ist in der Sportgeschichte häufig thematisiert worden. Die meisten Darstellungen beschränken sich dabei auf die Perspektive "von oben": Sie konzentrieren sich auf staatliche Akten, maßgebliche Sportfunktionäre und so weiter. Es ist daher um so begrüßenswerter, wenn jetzt mit "Echte Sportler - Gute Soldaten" eine empirische Studie vorliegt, die "von unten" ansetzt, die also darauf schaut, ob und wie "von oben" dirigierte Sportwerte bei den Sportlern überhaupt angenommen wurden und dies möglicherweise zur Ausbildung von nationalsozialistischen Überzeugungen beigetragen hat.
Will man diese Perspektive für die NS-Zeit verfolgen, ergibt sich normalerweise ein Quellenproblem. Hier half ein Zufall: Auf einem Flohmarkt gelangten die Autoren in den Besitz von 294 Feldpostbriefen aus dem Zweiten Weltkrieg, die nahezu alle an einen Adressaten, einen ehemaligen Schülerturnwart in der schwäbischen Kleinstadt Metzingen, gerichtet waren. "Diese ersichtliche Homogenität der jungen Soldaten bezüglich Herkunft und Sozialmilieu machte die Briefe zu einer relativ einmaligen Quelle historischer Sozialisationsforschung", sagen die Autoren. Sie machten den Fund zur Basis für die Beantwortung einer grundsätzlichen Frage: "Empfanden die Sportler den Krieg gar als besondere Form des Wettkampfes?"
Nach ausführlichen methodischen Erwägungen, die den Leser - wie so oft in der wissenschaftlichen Literatur - sehr ermüden, und nach einer eingehenden Betrachtung Metzingens als Sozialisationsheimat der Feldpostautoren kommt die Studie endlich zu den Briefen, die einen tiefen und beeindruckenden Einblick geben in die Mentalität der sportlich sozialisierten Frontsoldaten. Aus ihnen gehe hervor, so die Autoren, daß zu den "Leistungen eines Sportvereins zu rechnen ist, daß junge Sportler hier zur Übernahme nationalistischer und militaristischer, aber auch explizit nationalsozialistischer Dispositionen bewogen und auf ihre Rolle im Krieg vorbereitet wurden". Inwieweit diese "Leistungen" allerdings auf die spezifische Form des Sportvereins zurückzuführen seien, das bleibe aufgrund mangelnder Vergleichsmöglichkeiten nach wie vor eine Aufgabe der Forschung. So kann dieses Buch nur ein weiterer, löblicher Baustein sein, die Verzahnung des Sports mit dem Militär zu ergründen.
ERIK EGGERS
Besprochenes Buch: Klaus Cachay/Steffen Bahlke/Helmut Mehl: "Echte Sportler - Gute Soldaten. Die Sportsozialisation des Nationalsozialismus im Spiegel von Feldpostbriefen", Juventa-Verlag, Weinheim, 383 Seiten, 78 Mark.
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