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Der neue Roman Umberto Ecos! Die Erinnerungen eines 60-jährigen Antiquars, eine Mischung aus bildungsreichen Exkursen und pragmatischen Abenteuern.

Produktbeschreibung
Der neue Roman Umberto Ecos! Die Erinnerungen eines 60-jährigen Antiquars, eine Mischung aus bildungsreichen Exkursen und pragmatischen Abenteuern.
Autorenporträt
Umberto Eco, geboren 1932 in Alessandria, lebte zuletzt in Mailand. Er studierte Pädagogik und Philosophie und promovierte 1954 an der Universität Turin. Anschließend arbeitete er beim Italienischen Fernsehen und war als freier Dozent für Ästhetik und visuelle Kommunikation in Turin, Mailand und Florenz tätig. Seit 1971 unterrichtet eer Semiotik in Bologna. Eco erhielt neben zahlreichen Auszeichnungen den "Premio Strega" (1981) und wurde u. a.1988 zum Ehrendoktor der Pariser Sorbonne ernannt.
Er verfasste zahlreiche Schriften zur Theorie und Praxis der Zeichen, der Literatur, der Kunst und nicht zuletzt der Ästhetik des Mittelalters. Seine Romane "Der Name der Rose" und "Das Foucaultsche Pendel" sind Welterfolge geworden.
2011 wurde Umberto Eco mit dem "Premio Pavese" ausgezeichnet und 2014 erhielt er den "Gutenberg-Preis" der Landeshauptstadt Mainz und der Internationalen Gutenberg-Gesellschaft. Er verstarb 2016.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.10.2004

Der Geist in der Nebelmaschine
"Arf arf bang crack blam": Umberto Ecos Enzyklopädie des Trivialen / Von Hannes Hintermeier

Was genau den "Unfall" verursacht hat, bleibt unklar. Womöglich ein Schlaganfall. Die Erinnerungen an sein früheres Leben jedenfalls sind verschwunden, und so macht sich Giambattista Bodoni, Namensvetter des berühmten Typographen, auf den Weg in die Rekonstruktionsabteilung. Der Antiquar hat immerhin eine Frau, zwei Töchter, drei Enkel und einen hilfreichen Freund, die ihm alle nun geduldig auseinandersetzen, wer er ist und wer er war. Man müßte gleich sagen: was er alles gelesen hat. Denn wenn ein Schriftsteller wie Umberto Eco seine Hauptfigur den Satz sagen läßt "Ich habe ein Zitat gelebt", dann ist das für die Figur möglicherweise eine bittere Einsicht, dem Leser macht sie unmißverständlich klar, daß die Lektüre auf der direttissima in die Bibliothek des Weltbestsellerautors führt. Willkommen in Ecoland.

Ist's ein Traum, liegt er im Koma? Bodoni, den alle Welt nur Yambo nennt, prüft sein Hirn. Es ist in Teilen durchaus intakt, denn Zitate fallen ihm reichlich ein; er pfeffert die Anspielungen dem Doktor Gratarolo nur so entgegen. Der resigniert: In solchen Fällen habe die Literatur uns mehr zu sagen als die Neurologie. Und so wird Yambo in die Arme seiner ihm unbekannten Paola entlassen, die ihn heimführt in die stattliche Wohnung. Dort erfährt er, daß seine Eltern bei einem Autounfall ums Leben gekommen sind, daß er eine jüngere Schwester hat, die auf den Nabokov-Namen Ada hört, daß er ein gutgehendes Antiquariat nebst charmanter Assistentin Sibilla sein eigen nennt, von der ihm nur leider nicht klar ist, ob er eine Affäre mit ihr hatte. Freund Gianni kann die Frage auch nicht beantworten. Immerhin rückt Yambos Nebel-Dossier - eine Zitatensammlung zum Thema fumifugium - wieder ins Bewußtsein. Aber um die "Höhle des Gedächtnisses" zu erkunden, hilft nur der Umweg über die Kindheit.

Diese verbrachte der Ende 1931 geborene Yambo auf einem riesigen Anwesen in Piemont. Dorthin, nach Solara, kehrt er nun zurück. Das Haus ist ein Museum der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts. Denn Yambos Großvater hat alles gesammelt, was Zeitgeist konstituiert, Zeitungen, Zeitschriften, Groschenhefte, Bücher, Platten, Bilder. Auf der Suche nach der verlorenen Zeit steigt Yambo auf den Dachboden, später in eine geheime Kapelle; er tut dies auf Seite 93, und er bleibt dort zweihundertfünfzig Seiten, ziemlich genau die Hälfte dieser als Roman getarnten Bibliotheksbegehung, die den merkwürdigen Titel "Die geheimnisvolle Flamme der Königin Loana" trägt. Unter diesem nämlich ist 1928 in italienischen Topolino-Heften (der italienischen Micky Maus) eine Comicfassung des gleichnamigen Romans von Henry G. Haggard erschienen - die böse Königin als Verkörperung der ewigen Jugend.

Du liest als kleiner Junge eine beliebige Geschichte, dann läßt du sie im Gedächtnis wachsen und reifen, transformierst sie, überhöhst sie, steigerst sie ins Erhabene, und so kommt es vor, daß du dir eine völlig sinnlose Geschichte zum Mythos erwählst." Der Gedächtnissucher findet wieder all die Herrlichkeiten seiner Kindheit. Wörterbücher, Enzyklopädien, Romane wie "Der Graf von Monte Christo", "Die Schatzinsel", Metalldosen und Zigarettenschachteln, Mineralwasserpulver, ein Grammophon, die Schlagersammlung. Dem Detektiv in eigener Sache hat der Großvater alle Spuren feinsäuberlich ausgelegt, in dem er bewahrte, was in normalen Familien auf der Müllhalde der Geschichte landet.

Bei seiner Rekonstruktion einer Enzyklopädie des Trivialen fühlt er sich wie Sherlock Holmes - "ohne sich vom Fleck zu rühren und weltabgeschieden, reine Zeichen entziffernd". Zum Beispiel auch solche: "Arf arf bang crack blam buzz boing spot peng zisch clamp splash crackle crackle crunch deleng gosh grunt honk honk meow ..." Diese Laute gehören untrennbar zu jenem Universum der Populärkultur, dessen Helden und Heldinnen allesamt Bewohner von Ecoland sind. Es tauchen auf Buffalo Bill, Flash Gordon, Mandrake, Dick Tracy, Lili Marleen, Josephine Baker, Cyrano de Bergerac, die Musketiere und immer so fort. Daß Yambo nicht nur Ähnlichkeiten mit seinem Großvater aufweist, sondern auch mit seinem Anfang 1932 im piemontesischen Alessandria geborenen Erfinder, wird nicht weiter camoufliert. Mit dem stabilen Magen des Allesverwerters ausgestattet, montiert Eco die Bilderfrüchte seiner Sammelleidenschaft in den Text. Der "illustrierte Roman" schließt damit nicht nur an historische Vorbilder an, er wird zugleich zum Familienalbum einer Generation.

Natürlich werden dem italienischen Leser viel mehr Aha-Bedürfnisse beschert als dem deutschen. Es gab Stimmen, die an der Übersetzbarkeit des Buches zweifelten. Das ist Unsinn, denn soviel kulturelle Transferleistung darf man schon erwarten: Die Exotik von Zigarettenmarken ist in Italien heute genauso verloren wie hierzulande. Burkhart Kroeber erledigt seine Übersetzeraufgabe mit der gewohnten Souveränität; daß viele italienische Ausdrücke unübersetzt bleiben müssen, wenn man sie nicht in einem falschen Tonfall wiedergeben möchte, tut der Sache keinen Abbruch. Die wenigen Stellen, wo Kroeber mit Dialektfärbung aus Nord und Süd arbeitet - "aufditschen" versus "naa, ned des aa no!" zeigen warum.

Yambo stößt auf eine Lücke in seiner Biographie, einen Charakterbruch. Auch seine Schulaufsätze geben keine Auskunft. Sie zeigen einen Heranwachsenden in den Vorkriegs- und Kriegsjahren, der sich nur mühsam aus den Klauen der faschistischen Rhetorik befreien kann. Die Zeitschrift "Balilla", das Wochenblatt für die Jungen der Gioventù Italiana del Littorio, dem Pendant zur deutschen Hitlerjugend, schürt die Feindbilder und verdreht die Fakten zugunsten einer propagandistisch verzerrten Berichterstattung. In der Schule diktiert der Lehrer die Rede des Duce anläßlich der italienischen Kriegserklärung am 10. Juni 1940. Die religiöse Erziehung des verklemmten Knaben oszilliert zwischen düsterem Beichtstuhlkatholizismus und einem wirren Lebenslehrer namens Gragnola, der ihm erklärt, Gott sei ein Faschist und das Böse schlechthin.

Im Krieg widerfährt Yambo dann jenes Erlebnis, das Eco mittels einer Novelle dem Roman aufpfropft - die Geschichte der Befreiung von acht Kosaken-Überläufern aus den Fängen der SS, an der Yambo in tiefnebliger Nacht als Bergführer beteiligt ist. Im Verlauf dieser Aktion stößt Gragnola zwei Deutsche in eine Schlucht und begeht, als er von den Banden des Duce aufgegriffen wird, Selbstmord. Dieser Teil der Geschichte ist beklemmend, auf den Punkt geschrieben und zeigt Eco auf der Höhe seines Könnens. Was für weite Teile des Buches leider nicht gilt: Die Nacherzählung von Comics ist langweilig und macht noch keinen Roman. Die papierene Konstruktion verträgt sich nicht mit dem hohen Druck, unter dem Ecos Erzählkochtopf steht. Ständig kocht etwas über, und am liebsten liefert er die Interpretation gleich mit. Redundanz und Selbstzitat als Stilmittel in allen Ehren, aber allein die Nebelmetaphorik wird dermaßen zu Tode geritten, daß der Gaul am Ende um Erlösung bittet.

Die verweigert der Erzähler. Die unerhörte Jugendliebe, Lila Saba, das schönste Mädchen der Klasse, sucht Yambo seit jener Zeit in jeder Frau. Vergeblich. Lila ist Vanna ist Sibilla ist Roxane ist Lila ist Loana. Die wirkliche Lila ist lange tot. Ihren fiktiven Abziehbildern widmet der Träumer ein Schlußtableau, das in einem varietéartigen Pandämonium noch einmal die wichtigsten Personen des Buches auftreten läßt. Aber die geheimnisvolle Loana lüftet den Schleier und damit ihr Geheimnis nicht. Umberto Eco weiß, daß er seinen Lesern alles zumuten kann, nur keine simple Produktenttäuschung.

Umberto Eco: "Die geheimnisvolle Flamme der Königin Loana". Illustrierter Roman. Aus dem Italienischen übersetzt von Burkhart Kroeber. Carl Hanser Verlag, München 2004. 499 S., geb., 25,90 [Euro].

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