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Zum 150. Todestag von Edgar Allan Poe, dem Vater der modernen Literatur, legt Dietrich Kerlen diese Biografie vor. "In seiner schnörkellosen und auf das Wesentliche konzentrierten Biografie führt uns Kerlen mit sicherem Gespür durch die seelischen Abgründe Edgar Allan Poes und durch die Skurrilitäten seines Werks."

Produktbeschreibung
Zum 150. Todestag von Edgar Allan Poe, dem Vater der modernen Literatur, legt Dietrich Kerlen diese Biografie vor. "In seiner schnörkellosen und auf das Wesentliche konzentrierten Biografie führt uns Kerlen mit sicherem Gespür durch die seelischen Abgründe Edgar Allan Poes und durch die Skurrilitäten seines Werks."
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 01.12.1999

Duftwässerchen der Melancholie
Dieter Kerlens zweiter Anlauf zu einer Poe-Biographie

Der Vater, ein schlechter Schmierenkomödiant, floh das Elend. Die Mutter, Schauspielerin auch sie, sedierte auf ihren Touren den kleinen Eddy mit Ginbrot und ließ, von der Schwindsucht zum Engel gemacht, den Dreijährigen mit einem schweren Trauma und einer schwachen Konstitution zurück. Der Pflegevater und Tabakmogul Allan hatte kein Geld und noch weniger Liebe für sein Mündel übrig, und das war nicht allein seiner Krämerseele geschuldet. Edgar Allan Poe war schon als Kuckuckskind schwierig: sensibel und begabt gewiss, aber auch hochfahrend und exzentrisch bis zur Bizarrerie. Sein Studium in Charlottesville brach er ab, weil er beim Spielen, Saufen, Schuldenmachen nicht mit den Sprösslingen der Südstaaten-Aristokratie mithalten konnte; dann musste "Private Perry", Enkel eines hochdekorierten Kriegshelden, unehrenhaft Abschied von West Point nehmen.

Das "elende Leben in literarischer Sklavenarbeit" - 1839 schrieb der Zeitschriftenherausgeber neben dem "Untergang des Hauses Usher" und anderen Erzählungen binnen fünf Monaten sechzig lange Rezensionen - konnte den Ehrgeiz des arroganten Waisenknaben auch nicht befriedigen. Poe verprellte mit höhnischen Satiren Verleger, Kritiker, Leser und sogar seine treuesten Verehrerinnen in den Salons. Selbst seinen wenigen Freunden galt er bald als Schnorrer und Querulant: Er warf die Leitern um, auf denen er sich seinen Platz an der Sonne erobern wollte. Mit seinen periodischen Exzessen schien er alle Gerüchte um seine "perverse" Phantasie mutwillig bestätigen zu wollen: Zur Audienz beim Präsidenten erschien er, der immer ein "Southern Gentleman" sein wollte, abgerissen und betrunken. "Richmond und die Vereinigten Staaten waren eine zu enge Sphäre für mich", schrieb Poe schon als unbekannter Lyriker, "die Welt soll meine Bühne sein". Am Ende hatte sich der stets schwarz gekleidete Unglücks-"Rabe" hoffnungslos in Affären, Intrigen und Prozessen verstrickt. Als seine elfenhafte Cousine Virginia, die er als Dreizehnjährige geheiratet und abgöttisch geliebt hatte, 1845 der Schwindsucht erlag, war er ein gebrochener Mann von zweifelhaftem Ruf und Ruhm. Vier Jahre später, eben als sein Schicksal sich endlich zum Besseren zu wenden schien, starb er auf einer Vortragsreise unter mysteriösen Umständen in Baltimore.

War Poe, der noch auf seine letzten Tage dem Temperenzlerbund beitrat, rückfällig geworden? Erlag er einem Diabetes-Koma oder gar der Tollwut? Fiel er in die Hände von Straßen- oder Stimmenräubern - "cooping" gehörte damals zum politischen Alltag -, oder war sein Tod in der Gosse, wie Baudelaire vermutete, das Ende eines heroischen Selbstmords, ein Menschenopfer der Yankees auf dem Altar des "Götzen Juggernaut"? In jedem Falle starb Poe als Märtyrer seiner Kunst, und zumindest in Frankreich, wo Baudelaires Nachfolger sein "parfum noir" gierig aufgesogen und seine Schlagworte von der "Häresie des Didaktischen" und der "Emanzipation des Kalküls" als Morgenröte des L'art pour l'art begrüßt hatten, machte der erste poète maudit die Welt tatsächlich zu seiner Bühne.

Dietrich Kerlens Biographie beginnt und endet mit einer romanhaften Skizze von Poes letzten Tagen. Aber das ist auch schon das einzige Zugeständnis, das der ehemalige Lektor und jetzige Professor für Buchwissenschaft dem "schwarzen Duft der Schwermut" macht. Seine nüchterne Bestandsaufnahme von Leben und Werk Poes ist schon sprachlich weit entfernt von poetischer Beweihräucherung oder mythischer Verklärung. Dass Kerlen nicht über das Feuer eines Baudelaire verfügt, war zu erwarten, muss aber weiter kein Nachteil sein: Auch die dunkelsten Leidenschaften und Laster des Analytikers Poe entsprangen ja "stets nur dem Kopf". Aber Kerlen schreibt so spröde und heutig wie nur je ein Buchwissenschaftler: Poe, der "Kulturinnovator", sei leider nie "positiv motiviert" worden und konnte so auch nie jenes "funktionierende Mediennetzwerk" aufbauen, das für Ansprache von "Zielgruppen und Märkten im Printmedien-Business" unabdingbar ist. Kurz, Kerlens "miserable man" ist ein naiver, um nicht zu sagen infantiler Tagträumer, ein bissiger und geprügelter armer Hund, der in seinem Land und seiner Zeit "pas de chance" (Baudelaire) hatte.

Kerlen hat außer Biographien über Erasmus, Luther und Tolstoi 1988 schon einmal eine Monographie über Poe publiziert. Damals ging sein schmales Piper-Bändchen neben Frank T. Zumbachs Ziegelstein, einem in jeder Hinsicht gewichtigeren und erschöpfenderen Siebenhundertseiten-Werk, fast unter. Jetzt hat er, pünktlich zu Poes 150. Todestag am 7. Oktober, qualitativ und quantitativ nachgelegt: "Der schwarze Duft der Schwermut" ist umfangreicher als "Die Elixiere der Moderne", aber immer noch um einiges gestraffter als Zumbachs Opus magnum, das Kerlen übrigens ausgiebig zitiert. Er verzichtet auf bibliographischen Ballast und entwickelt nur selten literarischen Ehrgeiz. Dafür variiert und differenziert er seine alte, auf T. S. Eliots Verdikt zurückgehende These, wonach Poe ein Leben lang ein Gefangener pubertärer Ängste und Größenphantasien und eines "juventilen Ressentiments gegen die bourgeoise Welt der Erwachsenen" geblieben sei.

An einer Stelle macht Kerlen sogar das feuchtheiße Klima des Südens für die morbiden Grotesken und Arabesken Poes verantwortlich. Immerhin begibt er sich nicht auf das brüchige Eis psychoanalytischer Deutungen, wie sie, im Anschluss an Marie Bonaparte, von seinem Übersetzer und Herold Arno Schmidt in "Zettels Traum" durchgespielt wurden. Kerlen stellt Poe in den Kontext eines Amerika, das geprägt ist von Puritanismus, provinzieller Borniertheit und einem nüchternen Pragmatismus, der allenfalls vom vornehmen Klassizismus seines Erzfeinds Emerson "transzendiert" wurde; er beschreibt eindringlich das "puffing", jene literarische Cliquenwirtschaft, die Poe so unerbittlich bekämpfte, ohne gegen ihre Versuchungen gefeit zu sein. Er räumt mit einigen Legenden auf und arbeitet knapp, aber überzeugend Schlüsselszenen und Leitmotive in Poes Biografie heraus. "Der Tod einer schönen Frau ist also fraglos der poetischste Gegenstand auf Erden", schrieb der todessüchtige Spaziergänger etwa 1846, und Verlaine sollte ihm Recht darin geben: "La décadence, c'est l'art de mourir en beauté". Tatsächlich lässt sich die ewige Wiederkehr jener Frauen, die nur als lebendig begrabene Leichen anmutig und begehrenswert erscheinen, auch als Wiederauferstehung persönlicher Erfahrungen im Werk begreifen: Mutter und Pflegemutter, Jugendliebe und Ehefrau - alle geliebten Frauen starben, Fluch einer inzestuösen Erotik, wie Morella, Ligeia und Lenore in der Blüte iher Jahre. Dass Poe die europäische Romantik früh rezipiert (und hin und wieder auch plagiiert) hat, kommt dabei freilich zu kurz - wie überhaupt eine kritische Befragung von Poes manchmal fast tragikomischen Selbstinszenierungen. Dennoch: Wer Zumbachs Buch zu ausufernd oder zu salopp findet, mag sich mit einigem Gewinn an Kerlens ebenso sachliche wie schnörkellose Biographie halten.

MARTIN HALTER

Dieter Kerlen: "Edgar Allan Poe. Der schwarze Duft der Schwermut". Biographie. Propyläen Verlag, Berlin 1999. 320 S., geb. 44,- Mark.

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