Ana sieht keinen Grund, sich zwischen ihrem zuverlässigen, zugegebenermaßen etwas eintönigen Ehemann und ihrem phantasievollen Liebhaber zu entscheiden; Natalia beschleicht mit einem Mal das Gefühl, ihr Körper werde alt und ihr Herz dagegen immer jünger; Señora Fez hat ihre Pflicht an dem Tag erfüllt, an dem sie ihren Mann zu Grabe trägt - in den kurzweiligen, amüsanten, manchmal nachdenklichen und bewegenden Geschichten von Angeles Mastretta geht es um Frauen jeden Alters, die Enttäuschungen, Trennungen, aber auch das kleine Glück des Alltags und solche Ehemänner erlebt haben, die einen auch nach Jahren noch überraschen, in jeglichem Sinne ...
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 23.09.2009Sex, Lügen und Bolero
Zu dritt in der Ehe ist es doch ein wenig überfüllt: Die mexikanische Autorin Angeles Mastretta erzählt Geschichten von der Liebe in exotischer Kulisse.
Ana verguckt sich in Juan, und schon geht es los. Werben, verstellen, erobern, Happy End: der übliche Paartanz. Und wenn die Geschichte damit nicht schon endet, dann folgen auf Leidenschaft Gewöhnung, Eifersucht, Trennung oder Versöhnung. Ist Letzteres der Fall, so muss ein Hauch Romantik den grauen Alltag verschönern, um der Sache noch etwas abzugewinnen. Angeles Mastrettas Erzählungen mit dem vielsagenden Ausruf "¡Ehemänner!" folgen diesen Erzählmustern. Schon im Titel erinnern sie an John Updikes "Ehepaare" (1968), nehmen aber vor allem eine Hälfte des Paares kritisch in den Blick: den Mann.
Mastretta geht es um das Wechselspiel von Leidenschaft und Alltag, Liebe und Vernunft, Enttäuschung und Verklärungsbereitschaft. Wie Updike zählt Mastretta zu den Schriftstellern, denen ein bloßes Happy End nicht genügt. Märchenprinzen und -prinzessinnen gehören nicht zum Personal von Mastrettas Geschichten, sondern sie schreibt realistische Beziehungsskizzen, die sie ihrem Umfeld abschaut. Mastretta gilt als eine der erfolgreichsten Autorinnen Südamerikas. Ihre Erzählungen vermitteln beides, mexikanischen Lokalkolorit und Universalien der Beziehungskunst.
Dabei lassen sich klassische Beziehungsmuster erkennen: Ana und Juan beispielsweise gerät die Liebe zur verpassten Gelegenheit. Die spöttische Ana verletzt den leidenschaftlichen und selbstverliebten Juan, und dann passiert die Sache mit der Rothaarigen. Beide heiraten andere Partner - und beginnen später eine Affäre miteinander, die an den alten Schwierigkeiten scheitert. Mastretta entpuppt sich als Expertin für Desillusionierungsgeschichten wie diese: "Wer weiß schon, warum das Leben ausgerechnet solchen Menschen ein Bein stellt, die von außen gesehen gar nicht anders können, als für den Rest ihres Lebens ein Paar zu werden, aber manchmal geschieht es, wie gesagt, und dann trauern nicht nur die beiden, sondern die ganze Welt wird merklich einen Hauch trauriger."
Eine andere traurige Geschichte dieser Art entwickelt sich zur ungewollten Ménage à trois. Es ist die Dreiecksgeschichte von Carmen, Guillermo und Guillermos namenloser Ehefrau. Carmen und Guillermo lieben sich, aber Carmen erscheint der Familie Guillermos nicht als passende Partie. Die Ehefrau, apart und aus dekadentem französischen Adel, heiratet Guillermo bloß seines Geldes wegen. Schon während der Hochzeitsnacht muss sie erkennen, dass eine dritte Person im Spiel ist. Die Ehefrau teilt das Schicksal der kürzlich durch die Verfilmung mit Keira Knightley berühmt gewordener Herzogin von Devonshire und ihrer Verwandten Lady Di: "Es gab drei von uns in dieser Ehe, und so war es ein bisschen überfüllt", sagte diese einmal über ihre privaten Verwicklungen. Wie Diana und Charles lassen sich die Eheleute scheiden, und wie Charles und Camilla finden Guillermo und Carmen erst in vorgerücktem Alter zusammen.
Doch weiß Mastretta auch glückliche oder wider Erwarten glückende Beziehungen zu erzählen. Meistens folgen sie den Mustern von Emanzipations- oder Abenteuergeschichten. Da wäre zum Beispiel Camilla aus Puebla, die als Jugendliche ihr Heimatdorf flieht, um einer vom Vater arrangierten Ehe zu entkommen. Sie kehrt als Juristin zurück - mit einem Mann ihrer Wahl. Isabel und Luis hingegen versuchen es auf unkonventionelle Weise: Isabel fühlt sich von ihrem Mann und Luis von seinem Freund hintergangen. Sie ziehen zusammen und genießen die Zweisamkeit über die Grenzen von Hetero- und Homosexualität hinweg. Prompt reagieren die ursprünglichen Partner mit Eifersucht, und ihre Lieben beginnen von vorn. Claudia ergeht es ähnlich: Die erfahrene und selbständige Frau, Mutter mehrerer Kinder, einmal geschieden, beobachtet ihren Mann bei eigenartigen Verzückungen, die mit Kneipengängen, Bolero und einer jüngeren Frau zu tun haben. Sie revanchiert sich, indem sie sich auf eine Affäre einlässt - und gewinnt ihren Mann wie im Handumdrehen zurück.
Hier wie in anderen Fällen geht es in Mastrettas Erzählungen zu glatt: Die Ehefrauen halten grundsätzlich alle Fäden in der Hand. Ihre Sprache und Analysefähigkeit sind klar und scharf. Sie wissen ihre leicht verlockbaren Männer mit Liebesentzug zu kontrollieren. Durch diesen eindeutigen Verlaufsplan aber fühlt sich die Leserin unweigerlich in die fünfziger und sechziger Jahre mit ihren klaren Geschlechterrollen versetzt, die Updike schon zu ebendieser Zeit karikierte.
Möglicherweise liegt es am mexikanischen Umfeld, in dem die Geschichten spielen, denn gegenwärtige Probleme der Single-Gesellschaft mit ihrer Bindungslosigkeit und Bindungsunwilligkeit, mit ihren Pendelbeziehungen und Patchwork-Familien scheinen dort unbekannt zu sein. Ana und Juan jedenfalls wäre es nicht in den Sinn gekommen, keine Beziehung einzugehen, keine Kinder zu zeugen, keine halsbrecherischen Versuche zur Rettung ihrer Leidenschaft zu unternehmen oder sich auf komplizierte moderne Lebensformen ohne Trauschein einzulassen. Wäre der Sommer nicht schon vorbei, ließen sich Angeles Mastrettas Erzählungen als unterhaltsame Urlaubslektüren empfehlen, die es erlauben, in den Leidenschaften einer exotischen Welt von unserem Liebesalltag Abstand zu nehmen.
SANDRA RICHTER
Angeles Mastretta: "Ehemänner!" Erzählungen. Aus dem Spanischen von Petra Strien. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2009. 201 S., br., 11,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Zu dritt in der Ehe ist es doch ein wenig überfüllt: Die mexikanische Autorin Angeles Mastretta erzählt Geschichten von der Liebe in exotischer Kulisse.
Ana verguckt sich in Juan, und schon geht es los. Werben, verstellen, erobern, Happy End: der übliche Paartanz. Und wenn die Geschichte damit nicht schon endet, dann folgen auf Leidenschaft Gewöhnung, Eifersucht, Trennung oder Versöhnung. Ist Letzteres der Fall, so muss ein Hauch Romantik den grauen Alltag verschönern, um der Sache noch etwas abzugewinnen. Angeles Mastrettas Erzählungen mit dem vielsagenden Ausruf "¡Ehemänner!" folgen diesen Erzählmustern. Schon im Titel erinnern sie an John Updikes "Ehepaare" (1968), nehmen aber vor allem eine Hälfte des Paares kritisch in den Blick: den Mann.
Mastretta geht es um das Wechselspiel von Leidenschaft und Alltag, Liebe und Vernunft, Enttäuschung und Verklärungsbereitschaft. Wie Updike zählt Mastretta zu den Schriftstellern, denen ein bloßes Happy End nicht genügt. Märchenprinzen und -prinzessinnen gehören nicht zum Personal von Mastrettas Geschichten, sondern sie schreibt realistische Beziehungsskizzen, die sie ihrem Umfeld abschaut. Mastretta gilt als eine der erfolgreichsten Autorinnen Südamerikas. Ihre Erzählungen vermitteln beides, mexikanischen Lokalkolorit und Universalien der Beziehungskunst.
Dabei lassen sich klassische Beziehungsmuster erkennen: Ana und Juan beispielsweise gerät die Liebe zur verpassten Gelegenheit. Die spöttische Ana verletzt den leidenschaftlichen und selbstverliebten Juan, und dann passiert die Sache mit der Rothaarigen. Beide heiraten andere Partner - und beginnen später eine Affäre miteinander, die an den alten Schwierigkeiten scheitert. Mastretta entpuppt sich als Expertin für Desillusionierungsgeschichten wie diese: "Wer weiß schon, warum das Leben ausgerechnet solchen Menschen ein Bein stellt, die von außen gesehen gar nicht anders können, als für den Rest ihres Lebens ein Paar zu werden, aber manchmal geschieht es, wie gesagt, und dann trauern nicht nur die beiden, sondern die ganze Welt wird merklich einen Hauch trauriger."
Eine andere traurige Geschichte dieser Art entwickelt sich zur ungewollten Ménage à trois. Es ist die Dreiecksgeschichte von Carmen, Guillermo und Guillermos namenloser Ehefrau. Carmen und Guillermo lieben sich, aber Carmen erscheint der Familie Guillermos nicht als passende Partie. Die Ehefrau, apart und aus dekadentem französischen Adel, heiratet Guillermo bloß seines Geldes wegen. Schon während der Hochzeitsnacht muss sie erkennen, dass eine dritte Person im Spiel ist. Die Ehefrau teilt das Schicksal der kürzlich durch die Verfilmung mit Keira Knightley berühmt gewordener Herzogin von Devonshire und ihrer Verwandten Lady Di: "Es gab drei von uns in dieser Ehe, und so war es ein bisschen überfüllt", sagte diese einmal über ihre privaten Verwicklungen. Wie Diana und Charles lassen sich die Eheleute scheiden, und wie Charles und Camilla finden Guillermo und Carmen erst in vorgerücktem Alter zusammen.
Doch weiß Mastretta auch glückliche oder wider Erwarten glückende Beziehungen zu erzählen. Meistens folgen sie den Mustern von Emanzipations- oder Abenteuergeschichten. Da wäre zum Beispiel Camilla aus Puebla, die als Jugendliche ihr Heimatdorf flieht, um einer vom Vater arrangierten Ehe zu entkommen. Sie kehrt als Juristin zurück - mit einem Mann ihrer Wahl. Isabel und Luis hingegen versuchen es auf unkonventionelle Weise: Isabel fühlt sich von ihrem Mann und Luis von seinem Freund hintergangen. Sie ziehen zusammen und genießen die Zweisamkeit über die Grenzen von Hetero- und Homosexualität hinweg. Prompt reagieren die ursprünglichen Partner mit Eifersucht, und ihre Lieben beginnen von vorn. Claudia ergeht es ähnlich: Die erfahrene und selbständige Frau, Mutter mehrerer Kinder, einmal geschieden, beobachtet ihren Mann bei eigenartigen Verzückungen, die mit Kneipengängen, Bolero und einer jüngeren Frau zu tun haben. Sie revanchiert sich, indem sie sich auf eine Affäre einlässt - und gewinnt ihren Mann wie im Handumdrehen zurück.
Hier wie in anderen Fällen geht es in Mastrettas Erzählungen zu glatt: Die Ehefrauen halten grundsätzlich alle Fäden in der Hand. Ihre Sprache und Analysefähigkeit sind klar und scharf. Sie wissen ihre leicht verlockbaren Männer mit Liebesentzug zu kontrollieren. Durch diesen eindeutigen Verlaufsplan aber fühlt sich die Leserin unweigerlich in die fünfziger und sechziger Jahre mit ihren klaren Geschlechterrollen versetzt, die Updike schon zu ebendieser Zeit karikierte.
Möglicherweise liegt es am mexikanischen Umfeld, in dem die Geschichten spielen, denn gegenwärtige Probleme der Single-Gesellschaft mit ihrer Bindungslosigkeit und Bindungsunwilligkeit, mit ihren Pendelbeziehungen und Patchwork-Familien scheinen dort unbekannt zu sein. Ana und Juan jedenfalls wäre es nicht in den Sinn gekommen, keine Beziehung einzugehen, keine Kinder zu zeugen, keine halsbrecherischen Versuche zur Rettung ihrer Leidenschaft zu unternehmen oder sich auf komplizierte moderne Lebensformen ohne Trauschein einzulassen. Wäre der Sommer nicht schon vorbei, ließen sich Angeles Mastrettas Erzählungen als unterhaltsame Urlaubslektüren empfehlen, die es erlauben, in den Leidenschaften einer exotischen Welt von unserem Liebesalltag Abstand zu nehmen.
SANDRA RICHTER
Angeles Mastretta: "Ehemänner!" Erzählungen. Aus dem Spanischen von Petra Strien. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2009. 201 S., br., 11,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Sandra Richter hat die Ehegeschichten von Angela Mastretta ganz gern gelesen, Begeisterungsstürme entlocken sie ihr allerdings nicht. Die mexikanische Erfolgsautorin erzählt mit viel "Lokalkolorit" von den Spielarten der Ehe, mal zu zweit, mal zu dritt, hier glücklich, dort öde, wobei sie eher "klassische Beziehungsmuster" vorführt, wie die Rezensentin bemerkt. Fest steht aber, dass der Ehemann stets die kritischeren Blicke der Autorin abkriegt, so Richter weiter. Viele dieser Erzählungen endeten illusionslos, erzählten vom Scheitern oder, schlimmer noch, von verpassten Liebesgeschichten. Wenn die Ehegeschichten allerdings gut ausgehen, dann geht es der Rezensentin oftmals allzu "glatt", und irgendwie fühlt sie sich darin häufig in die fünfziger und sechziger Jahre zurückversetzt, als die Geschlechterbeziehungen noch ordentlicher geregelt waren. Und so empfiehlt Richter den Band auch vor allem als kurzweiliges Ferienprogramm für unseren hiesigen "Liebesalltag".
© Perlentaucher Medien GmbH
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