Ava Grünebach war schon immer ein bisschen anders. Sie hat einen verrückten Vornamen, nur fast normale Eltern, und sie hat Danilo, der sich schon mit zwölf in sie verliebt und mit sechzehn bei ihr einzieht - Danilo, der Avas Leben zu etwas Besonderem macht, weil er eine Art Prinz ist, obwohl er eigentlich bloß aus Kroatien stammt. Die beiden heiraten, still und für sich, aber bald werden sie der grausamsten aller Liebesproben unterzogen: dem Alltag. Danilo studiert, Ava arbeitet viel, als Krankenschwester wie als Mutter. Die Gespräche werden karger, die Freunde unterschiedlicher, doch Ava will mehr vom Leben: Sie findet es bei einem hübschen Fernfahrer, auf fremden Partys, bei ihrer ausgeflippten Freundin Merve, die immer stärker als «das Miese» sein will. Und langsam, im Lauf der Jahre, wird Ava unsicher, ob Danilo wirklich das Beste ist, was ihr passieren konnte ...
In «Eheroman» greift Katrin Seddig mitten hinein ins Leben und holt das Schönste, Traurigste und Großartigste heraus. Ein Roman über die Sehnsucht, den Zweifel und alles dazwischen, drastisch, sinnlich und voller tragikomischem Humor.
"Erschöpft, angetan, ratlos, aufgewühlt, genervt, verzaubert ist der Leser im Laufe der Lektüre, der Illusion und der Romantik beraubt - und beides findet er doch wieder. Und das ohne Kitsch, ohne Pathos. Die Normalität ist der größte Schock." (taz)
In «Eheroman» greift Katrin Seddig mitten hinein ins Leben und holt das Schönste, Traurigste und Großartigste heraus. Ein Roman über die Sehnsucht, den Zweifel und alles dazwischen, drastisch, sinnlich und voller tragikomischem Humor.
"Erschöpft, angetan, ratlos, aufgewühlt, genervt, verzaubert ist der Leser im Laufe der Lektüre, der Illusion und der Romantik beraubt - und beides findet er doch wieder. Und das ohne Kitsch, ohne Pathos. Die Normalität ist der größte Schock." (taz)
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Ganz hin und weg ist Kirsten Voigt von Katrin Seddigs "Eheroman". Der Roman, der sich einem ganz alltäglichen Thema widmet - den Abnutzungserscheinungen der Ehe - ist für sie einer der besten zeitgenössischen Alltagsromane. Im Unterschied zu vielen Büchern aus diesem Genre findet sie bei Seddig keine Klischees, keine Typisierungen, kein systematisches Beackern aller Problemfelder, sondern mehrdimensionale, facettenreiche Figuren, deren Geschichten überzeugend miteinander verwoben sind, und deren emotionale Welt differenziert, aber ohne Gefühlsduselei gezeigt wird. Voigt bescheinigt der Autorin, mit ihren Figuren sensibel umzugehen und deren Geschichte einfach "großartig" zu erzählen. Seddigs "Eheroman" ist für sie ein "packendes, lebenskluges und unsentimentales Reflexionsmedium wachsender Ratlosigkeit".
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.05.2012Wer das Feuer in der Osternacht entfacht
Katrin Seddigs "Eheroman" taugt nicht als Ratgeber für Trostbedürftige. Er handelt zwar von den Defiziten der Ehe, ist aber trotz der Alltäglichkeit des Sujets ganz außergewöhnlich.
Wer in Katrin Seddigs neuestem, großartig erzähltem Roman in der Öffentlichkeit liest, erntet unter Umständen von einem freundlichen Gegenüber einen verständnisinnig mitfühlenden Blick. Der beruht allerdings auf einem Missverständnis. Mit dem wagemutigen Titel "Eheroman" assoziiert man neben "Eheglück" vor allem Freudloses. Anbahnung, Beratung, Bruch, Krise, Streit, Tragödie, Vertrag und Ehescheidung gehören zu den unangenehmen Verwandten in der Wortfamilie. Der Titel bestimmt damit kühl die Distanz zu einem anders temperierten Genre, dem Liebesroman. Was das Gegenüber nicht ahnt: Katrin Seddigs "Eheroman", der als Ratgeber für Trostbedürftige völlig untauglich wäre, handelt zwar ungeschönt von den Defiziten und Abnutzungserscheinungen der Institution Ehe, lässt sich aber durch die Alltäglichkeit seines Sujets nicht davon abhalten, ein ganz außergewöhnliches Buch zu werden. Es beeindruckt als packendes, lebenskluges und unsentimentales Reflexionsmedium wachsender Ratlosigkeit.
Wenn am Beginn dieser Geschichte eine Gruppe von Menschen mühselig versucht, ein Feuer zu entfachen, dann ist das auch ein Bild dafür, dass sich hier alles eher schwer entzündet. Das Osterfeuer am Deich gerade so wie die Leidenschaft der zunächst sechzehnjährigen Hauptfigur Ava Grünebach, die schon begriffen hat, wie unerbittlich schnell das Leben verrinnt, und die der Roman begleitet, bis sie vierzig ist. In den Flammen des Feuers kommt fiepend ein kleines Tier um, und auf der Flucht vor dem grauenerregenden Geräusch, und das heißt dem Tod, stolpert Ava geradewegs in die Beziehung zu dem skurrilen, vaterlosen zwölfjährigen Danilo hinein. Er weiß entschieden früh, was er will. Die ersten Zärtlichkeiten tauschen sie in einem Schuppen aus, in dem die furchterregende, lebensgroße Puppe seines Erzeugers in der Dunkelheit hockt. Danilo, bekifft, traurig, fremd und auf seine kantige Art schön, bleibt dran, und Ava erliegt schließlich seinem Charme.
Avas freundliche Eltern scheinen einander immer noch zu lieben, eigentümlich unverbrüchlich, obschon beide von außen betrachtet durchaus unattraktiv wirken. Mummi ist ein fröhlicher Berg von Frau, eine ansteckend genüssliche Esserin, die sich in Zeltartiges hüllt. Vater gilt im Dorf als Spinner, liebt Gedichte, Filme, vor allem mit Ava Gardner, und gibt an der Volkshochschule Englischkurse.
Ava wird Krankenschwester. Danilo zieht zu ihr, noch als Schüler, später als Student. Er pflegt sein intellektuelles Leben, sie Krebspatienten im Krankenhaus und später alte Menschen in deren heimischer Umgebung und sieht sich täglich konfrontiert mit den ernüchternden Tatsachen eines Seins zum Tode. Als sie mit achtundzwanzig ihr erstes von zwei Kindern bekommt, versinkt sie in mütterlichen Mühen und Müdigkeit, vom eigenen Körper und seinen ästhetischen Einbußen enttäuscht, mit klassisch abgewetztem Selbstbewusstsein, während Danilo sich den Rücken frei hält für seine Studien und Treffen mit Freunden, die nicht die ihren werden. Er ist ihr überlegen, sie ihm voraus. Entfremdung setzt ein. Die Gespräche werden dürrer, Liebesbekundungen und Zärtlichkeiten rar. Das alles geschieht unausweichlich, als Prozess der Abkühlung und Verhärtung, offenbar naturgesetzlich.
Ava sucht in einer Laienspieltruppe Ablenkung, auch um aus ihrem Leben vielleicht doch noch das Besondere, Freiere zu machen, von dem sie träumte. Auch ihre mitunter groteske Flucht in die eine oder andere Affäre stiftet keinen Sinn. Als Danilo von einer Reise zurückkehrt und ihr weinend beichtet, er habe etwas Schlimmes getan, verabscheut sie ihn ob seiner Schwäche und "Heiligkeit" und sich wegen ihrer Härte und Bosheit.
Der Leser hegt dennoch keinen Groll gegen irgendeine der Figuren. Nicht nur das gehört zu Katrin Seddigs sympathischer und bedeutender Kunst. Die 1969 in Strausberg geborene Autorin hat ein immenses Talent, die Geschichten einer Vielzahl differenziert gezeichneter Menschen organisch ineinander zu verweben, feinste Regungen ohne Gefühligkeit verständlich zu machen. Neben einer Alten, die über Ava wohnt und sechs Katzen durchfüttert, zählen der Fernfahrer Stulle, ihre Freundin Merve, die fast ihr Kind weggibt, oder der manisch-depressive Fadil zu den Charakteren, die dem Leser schnell eng vertraut scheinen. Die Beziehung von Ava und Danilo, eines intellektuell ungleichen, aber einst rührend verliebten Paares, scheitert an ebendieser initialen und wachsenden Fehlstellung.
Zeitgenössische Alltagsromane tendieren mitunter zum Typisieren und Stereotypisieren, ackern Problemfelder systematisch durch. In Katrin Seddigs "Eheroman" lässt sich der Text seinen unaufdringlichen Reichtum an Phänomenen und Entwicklungen - vom Mysterium des Liebens, übers Begehren und Betrügen, Erobern und Besitzen, Sehnen, Glücklichsein, Schuldig-, Erwachsen-, Alt- und Bitterwerden bis hin zum Umgang mit dem Tod - vom Leben zuspielen. An Schauplätzen, die Katrin Seddig nicht als Kulissen, sondern als Lebensräume sinnlich imaginiert, in perfekter sprachlicher Ökonomie, wechselnden Ton- und Stimmungslagen, wachsam, energisch, salopp und sensibel. Und diese Sprache wächst außerdem behutsam mit der Heldin mit, vom juvenilen Jargon voll pubertärer Melancholie zu einer nüchternen Drastik etwa in der Schilderung von Alterungsprozessen, Krankheit oder Sex bis hin zu einer abwartend sachlichen Gelassenheit, die sich gegen Ende einstellt. Wieder versammelt man sich ums Osterfeuer, das kleiner geworden ist. Alles hat sich verändert - so rasant, wie einst die Wolken zogen, so konsequent und realistisch, wie sich dieser geglückte Roman entfaltet.
KIRSTEN VOIGT.
Katrin Seddig: "Eheroman". Roman.
Rowohlt Berlin Verlag, Berlin 2012. 447 S., geb., 19,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Katrin Seddigs "Eheroman" taugt nicht als Ratgeber für Trostbedürftige. Er handelt zwar von den Defiziten der Ehe, ist aber trotz der Alltäglichkeit des Sujets ganz außergewöhnlich.
Wer in Katrin Seddigs neuestem, großartig erzähltem Roman in der Öffentlichkeit liest, erntet unter Umständen von einem freundlichen Gegenüber einen verständnisinnig mitfühlenden Blick. Der beruht allerdings auf einem Missverständnis. Mit dem wagemutigen Titel "Eheroman" assoziiert man neben "Eheglück" vor allem Freudloses. Anbahnung, Beratung, Bruch, Krise, Streit, Tragödie, Vertrag und Ehescheidung gehören zu den unangenehmen Verwandten in der Wortfamilie. Der Titel bestimmt damit kühl die Distanz zu einem anders temperierten Genre, dem Liebesroman. Was das Gegenüber nicht ahnt: Katrin Seddigs "Eheroman", der als Ratgeber für Trostbedürftige völlig untauglich wäre, handelt zwar ungeschönt von den Defiziten und Abnutzungserscheinungen der Institution Ehe, lässt sich aber durch die Alltäglichkeit seines Sujets nicht davon abhalten, ein ganz außergewöhnliches Buch zu werden. Es beeindruckt als packendes, lebenskluges und unsentimentales Reflexionsmedium wachsender Ratlosigkeit.
Wenn am Beginn dieser Geschichte eine Gruppe von Menschen mühselig versucht, ein Feuer zu entfachen, dann ist das auch ein Bild dafür, dass sich hier alles eher schwer entzündet. Das Osterfeuer am Deich gerade so wie die Leidenschaft der zunächst sechzehnjährigen Hauptfigur Ava Grünebach, die schon begriffen hat, wie unerbittlich schnell das Leben verrinnt, und die der Roman begleitet, bis sie vierzig ist. In den Flammen des Feuers kommt fiepend ein kleines Tier um, und auf der Flucht vor dem grauenerregenden Geräusch, und das heißt dem Tod, stolpert Ava geradewegs in die Beziehung zu dem skurrilen, vaterlosen zwölfjährigen Danilo hinein. Er weiß entschieden früh, was er will. Die ersten Zärtlichkeiten tauschen sie in einem Schuppen aus, in dem die furchterregende, lebensgroße Puppe seines Erzeugers in der Dunkelheit hockt. Danilo, bekifft, traurig, fremd und auf seine kantige Art schön, bleibt dran, und Ava erliegt schließlich seinem Charme.
Avas freundliche Eltern scheinen einander immer noch zu lieben, eigentümlich unverbrüchlich, obschon beide von außen betrachtet durchaus unattraktiv wirken. Mummi ist ein fröhlicher Berg von Frau, eine ansteckend genüssliche Esserin, die sich in Zeltartiges hüllt. Vater gilt im Dorf als Spinner, liebt Gedichte, Filme, vor allem mit Ava Gardner, und gibt an der Volkshochschule Englischkurse.
Ava wird Krankenschwester. Danilo zieht zu ihr, noch als Schüler, später als Student. Er pflegt sein intellektuelles Leben, sie Krebspatienten im Krankenhaus und später alte Menschen in deren heimischer Umgebung und sieht sich täglich konfrontiert mit den ernüchternden Tatsachen eines Seins zum Tode. Als sie mit achtundzwanzig ihr erstes von zwei Kindern bekommt, versinkt sie in mütterlichen Mühen und Müdigkeit, vom eigenen Körper und seinen ästhetischen Einbußen enttäuscht, mit klassisch abgewetztem Selbstbewusstsein, während Danilo sich den Rücken frei hält für seine Studien und Treffen mit Freunden, die nicht die ihren werden. Er ist ihr überlegen, sie ihm voraus. Entfremdung setzt ein. Die Gespräche werden dürrer, Liebesbekundungen und Zärtlichkeiten rar. Das alles geschieht unausweichlich, als Prozess der Abkühlung und Verhärtung, offenbar naturgesetzlich.
Ava sucht in einer Laienspieltruppe Ablenkung, auch um aus ihrem Leben vielleicht doch noch das Besondere, Freiere zu machen, von dem sie träumte. Auch ihre mitunter groteske Flucht in die eine oder andere Affäre stiftet keinen Sinn. Als Danilo von einer Reise zurückkehrt und ihr weinend beichtet, er habe etwas Schlimmes getan, verabscheut sie ihn ob seiner Schwäche und "Heiligkeit" und sich wegen ihrer Härte und Bosheit.
Der Leser hegt dennoch keinen Groll gegen irgendeine der Figuren. Nicht nur das gehört zu Katrin Seddigs sympathischer und bedeutender Kunst. Die 1969 in Strausberg geborene Autorin hat ein immenses Talent, die Geschichten einer Vielzahl differenziert gezeichneter Menschen organisch ineinander zu verweben, feinste Regungen ohne Gefühligkeit verständlich zu machen. Neben einer Alten, die über Ava wohnt und sechs Katzen durchfüttert, zählen der Fernfahrer Stulle, ihre Freundin Merve, die fast ihr Kind weggibt, oder der manisch-depressive Fadil zu den Charakteren, die dem Leser schnell eng vertraut scheinen. Die Beziehung von Ava und Danilo, eines intellektuell ungleichen, aber einst rührend verliebten Paares, scheitert an ebendieser initialen und wachsenden Fehlstellung.
Zeitgenössische Alltagsromane tendieren mitunter zum Typisieren und Stereotypisieren, ackern Problemfelder systematisch durch. In Katrin Seddigs "Eheroman" lässt sich der Text seinen unaufdringlichen Reichtum an Phänomenen und Entwicklungen - vom Mysterium des Liebens, übers Begehren und Betrügen, Erobern und Besitzen, Sehnen, Glücklichsein, Schuldig-, Erwachsen-, Alt- und Bitterwerden bis hin zum Umgang mit dem Tod - vom Leben zuspielen. An Schauplätzen, die Katrin Seddig nicht als Kulissen, sondern als Lebensräume sinnlich imaginiert, in perfekter sprachlicher Ökonomie, wechselnden Ton- und Stimmungslagen, wachsam, energisch, salopp und sensibel. Und diese Sprache wächst außerdem behutsam mit der Heldin mit, vom juvenilen Jargon voll pubertärer Melancholie zu einer nüchternen Drastik etwa in der Schilderung von Alterungsprozessen, Krankheit oder Sex bis hin zu einer abwartend sachlichen Gelassenheit, die sich gegen Ende einstellt. Wieder versammelt man sich ums Osterfeuer, das kleiner geworden ist. Alles hat sich verändert - so rasant, wie einst die Wolken zogen, so konsequent und realistisch, wie sich dieser geglückte Roman entfaltet.
KIRSTEN VOIGT.
Katrin Seddig: "Eheroman". Roman.
Rowohlt Berlin Verlag, Berlin 2012. 447 S., geb., 19,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Man ist immer wieder aufs Schönste verwundert darüber, wie Katrin Seddig mit Schnoddrigkeit zum Wesentlichen vordringt. dradio.de