Ava Grünebach war schon immer ein bisschen anders. Sie hat einen verrückten Vornamen, nur fast normale Eltern, und sie hat Danilo, der sich schon mit zwölf in sie verliebt und mit sechzehn bei ihr einzieht - Danilo, der Avas Leben zu etwas Besonderem macht, weil er eine Art Prinz ist, obwohl er eigentlich bloß aus Kroatien stammt. Die beiden heiraten, still und für sich, aber bald werden sie der grausamsten aller Liebesproben unterzogen: dem Alltag. Danilo studiert, Ava arbeitet viel, als Krankenschwester wie als Mutter. Die Gespräche werden karger, die Freunde unterschiedlicher, doch Ava will mehr vom Leben: Sie findet es bei einem hübschen Fernfahrer, auf fremden Partys, bei ihrer ausgeflippten Freundin Merve, die immer stärker als «das Miese» sein will. Und langsam, im Lauf der Jahre, wird Ava unsicher, ob Danilo wirklich das Beste ist, was ihr passieren konnte ...
In «Eheroman» greift Katrin Seddig mitten hinein ins Leben und holt das Schönste, Traurigste und Großartigste heraus. Ein Roman über die Sehnsucht, den Zweifel und alles dazwischen, drastisch, sinnlich und voller tragikomischem Humor.
"Erschöpft, angetan, ratlos, aufgewühlt, genervt, verzaubert ist der Leser im Laufe der Lektüre, der Illusion und der Romantik beraubt - und beides findet er doch wieder. Und das ohne Kitsch, ohne Pathos. Die Normalität ist der größte Schock." (taz)
In «Eheroman» greift Katrin Seddig mitten hinein ins Leben und holt das Schönste, Traurigste und Großartigste heraus. Ein Roman über die Sehnsucht, den Zweifel und alles dazwischen, drastisch, sinnlich und voller tragikomischem Humor.
"Erschöpft, angetan, ratlos, aufgewühlt, genervt, verzaubert ist der Leser im Laufe der Lektüre, der Illusion und der Romantik beraubt - und beides findet er doch wieder. Und das ohne Kitsch, ohne Pathos. Die Normalität ist der größte Schock." (taz)
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Ganz hin und weg ist Kirsten Voigt von Katrin Seddigs "Eheroman". Der Roman, der sich einem ganz alltäglichen Thema widmet - den Abnutzungserscheinungen der Ehe - ist für sie einer der besten zeitgenössischen Alltagsromane. Im Unterschied zu vielen Büchern aus diesem Genre findet sie bei Seddig keine Klischees, keine Typisierungen, kein systematisches Beackern aller Problemfelder, sondern mehrdimensionale, facettenreiche Figuren, deren Geschichten überzeugend miteinander verwoben sind, und deren emotionale Welt differenziert, aber ohne Gefühlsduselei gezeigt wird. Voigt bescheinigt der Autorin, mit ihren Figuren sensibel umzugehen und deren Geschichte einfach "großartig" zu erzählen. Seddigs "Eheroman" ist für sie ein "packendes, lebenskluges und unsentimentales Reflexionsmedium wachsender Ratlosigkeit".
© Perlentaucher Medien GmbH
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 02.05.2012Besondere Kennzeichen: keine
In Kathrin Seddigs „Eheroman“ ist ausgerechnet die Heldin die langweiligste Figur – über eine Dauer von 400 Seiten und 24 Jahren kann das nicht gutgehen
Man kann die Elbe riechen, in jenem kleinen Dorf irgendwo in der Nähe von Buxtehude, in dem die Heldin dieses Romans aufgewachsen ist. Sie rieche anders als andere Flüsse, hat ihr Vater einmal behauptet, und auf die überraschte Nachfrage der Mutter, woher er das wissen wolle, er sei doch niemals weg gewesen, elegant gekontert: „Aber ich weiß es, alles riecht für sich anders, die Elbe riecht ein bisschen bitter frisch, so wie Elefantenkot.“ Und er hatte dazu auch gleich eine Geschichte parat. Eines Tages sei auf einem Transportschiff ein echter Elefant vorbeigefahren, ganz flach sei es gewesen, und weil es dunstig war, sah es aus, als ob der Elefant schwebe. Der Wind sei günstig gestanden. So habe er das riechen können.
Wer an einem Fluss wohnt, braucht den Ort nicht zu verlassen, damit die Welt zu ihm kommt, so könnte die Moral dieser kleinen Episode lauten, und auch, dass sich zwei Menschen, die sich gut kennen und ihre Eigenarten respektieren, über allerlei Dinge streiten können, ohne dass es zum Bruch kommt. In der Familie Grünebach geht es munter, aber freundlich zu, obwohl die Eltern unterschiedlicher nicht sein könnten. Sie ist eine dicke und patente Frau, er ein zartes Männlein, das Hunderte von Gedichten auswendig kann und an Feiertagen gern Theodor Storm zitiert. Die Mutter durfte den Namen für die erste Tochter aussuchen. Sie heißt Petra und ist damit eben so zufrieden wie mit ihrem Leben: zwei Kinder, ein Reihenhaus am Heimatort und einen Mann, der Maurer ist und sich bei den Dorffesten als DJ betätigt. Bei der zweiten Tochter war dann der Vater dran. Da er Ava Gardner verehrt, heißt die Heldin des Romans Ava Grünebach. Ein Name, der Auszeichnung und Last zugleich ist. Denn wer so besonders heißt, muss auch etwas Besonderes werden. Wie aber soll man das anstellen, wenn man eigentlich keine großen Träume und Pläne hat?
Also zieht Ava erst einmal nach Lüneburg und lässt sich zur Krankenschwester ausbilden. Sie mag ihre Arbeit, widmet sich den Patienten mit Hingabe und zieht bald mit dem Arzt zusammen, der sie entjungfert hat. Er nennt sie „Mausel“, der Sex ist „einfach nett und der Orgasmus wie ein schöner kleiner Schluckauf“. Als sie ihn zu einem Dorffest mit nach Hause nimmt, begegnet ihr Danilo wieder. Schon als Zwölfjähriger hat er die vier Jahre ältere verehrt. Nun macht er ihr erneut Avancen. Betrunken und bekifft lässt sie sich das Versprechen abnötigen, an seinem sechzehnten Geburtstag mit ihm Essen zu gehen. Als er in Lüneburg auftaucht, sieht er mit seinem „Kroaten-Afro“ und dem eigens dafür angeschafften Anzug wie Ricardo Tubbs aus Miami Vice aus. So hofft er zumindest.
Dass sie sich auf Danilo einließ, dessen aus Kroatien stammende Mutter eine lebensgroße Puppe bastelte, um dem Sohn den abwesenden Vater zu ersetzen, war das einzige echte Abenteuer ihres Lebens, denkt sich Ava später. Da hat sie schon zwei Kinder mit ihm, kennt immer noch das Entzücken über seinen knabenhaften Körper, und ist doch mehrmals fremdgegangen, mit einem LKW-Fahrer, einer Party-Bekanntschaft, seinem besten Freund und schließlich sogar mit einem alten Mann, einem Anwalt, der in Hamburg, wo sie dann wohnen, eine junge Frau über den Haufen gefahren hat. Um dessen Seelenheil sollte sie sich im Auftrag seiner Tochter kümmern. Im Sorgen und Kümmern ist Ava gut, ob es ihre Patienten sind, die alte Nachbarsfrau oder ihre Freundinnen mit unglücklichen Beziehungen. Aber was sie mit ihrem eigenen Leben anfangen soll, weiß sie nicht. Während Danilo zur Schule geht, Philosophie studiert, mit Freunden diskutiert, um die Häuser zieht und schließlich eine Uni-Karriere beginnt, hängt sie im Arbeitstrott und in der Mutterschaft fest. Sie wird immer nörgeliger und neidischer, bis ihr Danilo auf den Kopf zusagt, sie solle endlich erwachsen werden, statt weiter davon zu träumen, Papas Prinzessin zu sein.
Ava ist sechzehn, wenn der Roman beginnt, und vierzig, wenn er endet. Doch sie macht keinerlei innere Entwicklung durch. Das mag es im Leben häufig geben, in der Literatur aber gelten andere Gesetze. Wie sollen wir uns vierhundert Seiten lang für die Heldin interessieren, wenn sie die langweiligste Figur des Romans ist? Selbst die Vater-Puppe, die schließlich in Danilos und Avas Haushalt übersiedelt, ist origineller als sie. Und auch die Nebenfiguren: Danilos Freund Fadil, der einer türkischen Wissenschaftlerfamilie entstammt, ein Feinkostgeschäft eröffnet und sich in eine unscheinbare Angestellte verliebt, oder der frühere Kollege Hartwig, der irgendwann entdeckt, dass eine zehn Jahre ältere Ärztin mit Kind erstaunlicherweise genau zu ihm passt, und einen Pflegedienst gründet, oder die Freundin Merve, die sich nach einer postnatalen Depression berappelt, ihr Leben in die Hand nimmt und einfach anerkennt, dass der „Assi“, der ihr ein Kind gemacht hat, eben doch ihre große Liebe ist.
Die Stärke des Romans sind seine prägnanten, oft skurrilen Details. Doch sein schnoddriger Ton taugt nicht für das Problem, das er darstellen will: wie zwei Menschen sich auseinanderleben, weil sich der eine entwickelt, während der andere im Sumpf seines Selbstmitleids auf Tauchstation geht. Dass sich das Besondere nur offenbart, wenn man ihm nicht mit vorgefertigten Begriffen zu Leibe rückt, ist nicht nur das Credo von Avas Vater, sondern auch das der 1969 in Strausberg geborenen und in Hamburg lebenden Autorin.
Warum aber hat sie das Paar nicht in einen Clinch geschickt, in dem der eine mit Begriffen operiert, wie es einem Philosophen gut zu Gesicht stünde, und die andere das praktische Leben verteidigt? Stattdessen lässt sie die beiden aneinander vorbei leben. Von intellektueller Auseinandersetzung gibt es in diesem Roman keine Spur. Das wäre noch verzeihlich. Nicht aber, dass er vollmundig ein Genre im Titel führt, dessen große Vorbilder von Flaubert über Tolstoi bis Fontane die Autorin so wenig zu kennen scheint wie deren Nachfolger von John Updike bis Arno Geiger. Mehr als von einer Ehe erzählt ihr nach „Runterkommen“ (2010) zweiter Roman von einer Beziehungslosigkeit. Sie mündet erst spät und nur formal in eine Ehe. Danilo beschließt eines Tages, er wisse nun, wer er sei und wohin er gehöre, und er könne nicht immer noch „meine Freundin“ zu der Mutter seiner Kinder sagen. Also heiratet man, ohne Gäste, ohne Feier. Doch vom Zusammenspiel der Partner erfahren wir weniger als vom fein austarierten Gleichgewicht zwischen Avas Eltern. Das könnte symptomatisch sein.
Wenn Katrin Seddig nicht nur Episode an Episode gereiht hätte, sondern ihren „Eheroman“, wie es dem Genre entspricht, als Gesellschaftsroman konzipiert hätte, wäre ihm womöglich diagnostische Kraft zugewachsen. So aber kommt man sich manchmal vor, als hätte man versehentlich in „Inas Nacht“ reingezappt. Oder man fühlt sich von ferne an die Filme von Andreas Dresen erinnert. Doch was einen Sommer lang funktionieren mag, trägt nicht über vierundzwanzig Jahre.
MEIKE FESSMANN
KATRIN SEDDIG: Eheroman. Verlag Rowohlt Berlin, Berlin 2012. 447 Seiten, 19,95 Euro.
Ava ist gut im Kümmern,
aber was sie mit ihrem Leben
anfangen soll, weiß sie nicht
Fühllos leben Ava und Danilo aneinander vorbei Foto: Regina Schmeken
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
In Kathrin Seddigs „Eheroman“ ist ausgerechnet die Heldin die langweiligste Figur – über eine Dauer von 400 Seiten und 24 Jahren kann das nicht gutgehen
Man kann die Elbe riechen, in jenem kleinen Dorf irgendwo in der Nähe von Buxtehude, in dem die Heldin dieses Romans aufgewachsen ist. Sie rieche anders als andere Flüsse, hat ihr Vater einmal behauptet, und auf die überraschte Nachfrage der Mutter, woher er das wissen wolle, er sei doch niemals weg gewesen, elegant gekontert: „Aber ich weiß es, alles riecht für sich anders, die Elbe riecht ein bisschen bitter frisch, so wie Elefantenkot.“ Und er hatte dazu auch gleich eine Geschichte parat. Eines Tages sei auf einem Transportschiff ein echter Elefant vorbeigefahren, ganz flach sei es gewesen, und weil es dunstig war, sah es aus, als ob der Elefant schwebe. Der Wind sei günstig gestanden. So habe er das riechen können.
Wer an einem Fluss wohnt, braucht den Ort nicht zu verlassen, damit die Welt zu ihm kommt, so könnte die Moral dieser kleinen Episode lauten, und auch, dass sich zwei Menschen, die sich gut kennen und ihre Eigenarten respektieren, über allerlei Dinge streiten können, ohne dass es zum Bruch kommt. In der Familie Grünebach geht es munter, aber freundlich zu, obwohl die Eltern unterschiedlicher nicht sein könnten. Sie ist eine dicke und patente Frau, er ein zartes Männlein, das Hunderte von Gedichten auswendig kann und an Feiertagen gern Theodor Storm zitiert. Die Mutter durfte den Namen für die erste Tochter aussuchen. Sie heißt Petra und ist damit eben so zufrieden wie mit ihrem Leben: zwei Kinder, ein Reihenhaus am Heimatort und einen Mann, der Maurer ist und sich bei den Dorffesten als DJ betätigt. Bei der zweiten Tochter war dann der Vater dran. Da er Ava Gardner verehrt, heißt die Heldin des Romans Ava Grünebach. Ein Name, der Auszeichnung und Last zugleich ist. Denn wer so besonders heißt, muss auch etwas Besonderes werden. Wie aber soll man das anstellen, wenn man eigentlich keine großen Träume und Pläne hat?
Also zieht Ava erst einmal nach Lüneburg und lässt sich zur Krankenschwester ausbilden. Sie mag ihre Arbeit, widmet sich den Patienten mit Hingabe und zieht bald mit dem Arzt zusammen, der sie entjungfert hat. Er nennt sie „Mausel“, der Sex ist „einfach nett und der Orgasmus wie ein schöner kleiner Schluckauf“. Als sie ihn zu einem Dorffest mit nach Hause nimmt, begegnet ihr Danilo wieder. Schon als Zwölfjähriger hat er die vier Jahre ältere verehrt. Nun macht er ihr erneut Avancen. Betrunken und bekifft lässt sie sich das Versprechen abnötigen, an seinem sechzehnten Geburtstag mit ihm Essen zu gehen. Als er in Lüneburg auftaucht, sieht er mit seinem „Kroaten-Afro“ und dem eigens dafür angeschafften Anzug wie Ricardo Tubbs aus Miami Vice aus. So hofft er zumindest.
Dass sie sich auf Danilo einließ, dessen aus Kroatien stammende Mutter eine lebensgroße Puppe bastelte, um dem Sohn den abwesenden Vater zu ersetzen, war das einzige echte Abenteuer ihres Lebens, denkt sich Ava später. Da hat sie schon zwei Kinder mit ihm, kennt immer noch das Entzücken über seinen knabenhaften Körper, und ist doch mehrmals fremdgegangen, mit einem LKW-Fahrer, einer Party-Bekanntschaft, seinem besten Freund und schließlich sogar mit einem alten Mann, einem Anwalt, der in Hamburg, wo sie dann wohnen, eine junge Frau über den Haufen gefahren hat. Um dessen Seelenheil sollte sie sich im Auftrag seiner Tochter kümmern. Im Sorgen und Kümmern ist Ava gut, ob es ihre Patienten sind, die alte Nachbarsfrau oder ihre Freundinnen mit unglücklichen Beziehungen. Aber was sie mit ihrem eigenen Leben anfangen soll, weiß sie nicht. Während Danilo zur Schule geht, Philosophie studiert, mit Freunden diskutiert, um die Häuser zieht und schließlich eine Uni-Karriere beginnt, hängt sie im Arbeitstrott und in der Mutterschaft fest. Sie wird immer nörgeliger und neidischer, bis ihr Danilo auf den Kopf zusagt, sie solle endlich erwachsen werden, statt weiter davon zu träumen, Papas Prinzessin zu sein.
Ava ist sechzehn, wenn der Roman beginnt, und vierzig, wenn er endet. Doch sie macht keinerlei innere Entwicklung durch. Das mag es im Leben häufig geben, in der Literatur aber gelten andere Gesetze. Wie sollen wir uns vierhundert Seiten lang für die Heldin interessieren, wenn sie die langweiligste Figur des Romans ist? Selbst die Vater-Puppe, die schließlich in Danilos und Avas Haushalt übersiedelt, ist origineller als sie. Und auch die Nebenfiguren: Danilos Freund Fadil, der einer türkischen Wissenschaftlerfamilie entstammt, ein Feinkostgeschäft eröffnet und sich in eine unscheinbare Angestellte verliebt, oder der frühere Kollege Hartwig, der irgendwann entdeckt, dass eine zehn Jahre ältere Ärztin mit Kind erstaunlicherweise genau zu ihm passt, und einen Pflegedienst gründet, oder die Freundin Merve, die sich nach einer postnatalen Depression berappelt, ihr Leben in die Hand nimmt und einfach anerkennt, dass der „Assi“, der ihr ein Kind gemacht hat, eben doch ihre große Liebe ist.
Die Stärke des Romans sind seine prägnanten, oft skurrilen Details. Doch sein schnoddriger Ton taugt nicht für das Problem, das er darstellen will: wie zwei Menschen sich auseinanderleben, weil sich der eine entwickelt, während der andere im Sumpf seines Selbstmitleids auf Tauchstation geht. Dass sich das Besondere nur offenbart, wenn man ihm nicht mit vorgefertigten Begriffen zu Leibe rückt, ist nicht nur das Credo von Avas Vater, sondern auch das der 1969 in Strausberg geborenen und in Hamburg lebenden Autorin.
Warum aber hat sie das Paar nicht in einen Clinch geschickt, in dem der eine mit Begriffen operiert, wie es einem Philosophen gut zu Gesicht stünde, und die andere das praktische Leben verteidigt? Stattdessen lässt sie die beiden aneinander vorbei leben. Von intellektueller Auseinandersetzung gibt es in diesem Roman keine Spur. Das wäre noch verzeihlich. Nicht aber, dass er vollmundig ein Genre im Titel führt, dessen große Vorbilder von Flaubert über Tolstoi bis Fontane die Autorin so wenig zu kennen scheint wie deren Nachfolger von John Updike bis Arno Geiger. Mehr als von einer Ehe erzählt ihr nach „Runterkommen“ (2010) zweiter Roman von einer Beziehungslosigkeit. Sie mündet erst spät und nur formal in eine Ehe. Danilo beschließt eines Tages, er wisse nun, wer er sei und wohin er gehöre, und er könne nicht immer noch „meine Freundin“ zu der Mutter seiner Kinder sagen. Also heiratet man, ohne Gäste, ohne Feier. Doch vom Zusammenspiel der Partner erfahren wir weniger als vom fein austarierten Gleichgewicht zwischen Avas Eltern. Das könnte symptomatisch sein.
Wenn Katrin Seddig nicht nur Episode an Episode gereiht hätte, sondern ihren „Eheroman“, wie es dem Genre entspricht, als Gesellschaftsroman konzipiert hätte, wäre ihm womöglich diagnostische Kraft zugewachsen. So aber kommt man sich manchmal vor, als hätte man versehentlich in „Inas Nacht“ reingezappt. Oder man fühlt sich von ferne an die Filme von Andreas Dresen erinnert. Doch was einen Sommer lang funktionieren mag, trägt nicht über vierundzwanzig Jahre.
MEIKE FESSMANN
KATRIN SEDDIG: Eheroman. Verlag Rowohlt Berlin, Berlin 2012. 447 Seiten, 19,95 Euro.
Ava ist gut im Kümmern,
aber was sie mit ihrem Leben
anfangen soll, weiß sie nicht
Fühllos leben Ava und Danilo aneinander vorbei Foto: Regina Schmeken
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.05.2012Wer das Feuer in der Osternacht entfacht
Katrin Seddigs "Eheroman" taugt nicht als Ratgeber für Trostbedürftige. Er handelt zwar von den Defiziten der Ehe, ist aber trotz der Alltäglichkeit des Sujets ganz außergewöhnlich.
Wer in Katrin Seddigs neuestem, großartig erzähltem Roman in der Öffentlichkeit liest, erntet unter Umständen von einem freundlichen Gegenüber einen verständnisinnig mitfühlenden Blick. Der beruht allerdings auf einem Missverständnis. Mit dem wagemutigen Titel "Eheroman" assoziiert man neben "Eheglück" vor allem Freudloses. Anbahnung, Beratung, Bruch, Krise, Streit, Tragödie, Vertrag und Ehescheidung gehören zu den unangenehmen Verwandten in der Wortfamilie. Der Titel bestimmt damit kühl die Distanz zu einem anders temperierten Genre, dem Liebesroman. Was das Gegenüber nicht ahnt: Katrin Seddigs "Eheroman", der als Ratgeber für Trostbedürftige völlig untauglich wäre, handelt zwar ungeschönt von den Defiziten und Abnutzungserscheinungen der Institution Ehe, lässt sich aber durch die Alltäglichkeit seines Sujets nicht davon abhalten, ein ganz außergewöhnliches Buch zu werden. Es beeindruckt als packendes, lebenskluges und unsentimentales Reflexionsmedium wachsender Ratlosigkeit.
Wenn am Beginn dieser Geschichte eine Gruppe von Menschen mühselig versucht, ein Feuer zu entfachen, dann ist das auch ein Bild dafür, dass sich hier alles eher schwer entzündet. Das Osterfeuer am Deich gerade so wie die Leidenschaft der zunächst sechzehnjährigen Hauptfigur Ava Grünebach, die schon begriffen hat, wie unerbittlich schnell das Leben verrinnt, und die der Roman begleitet, bis sie vierzig ist. In den Flammen des Feuers kommt fiepend ein kleines Tier um, und auf der Flucht vor dem grauenerregenden Geräusch, und das heißt dem Tod, stolpert Ava geradewegs in die Beziehung zu dem skurrilen, vaterlosen zwölfjährigen Danilo hinein. Er weiß entschieden früh, was er will. Die ersten Zärtlichkeiten tauschen sie in einem Schuppen aus, in dem die furchterregende, lebensgroße Puppe seines Erzeugers in der Dunkelheit hockt. Danilo, bekifft, traurig, fremd und auf seine kantige Art schön, bleibt dran, und Ava erliegt schließlich seinem Charme.
Avas freundliche Eltern scheinen einander immer noch zu lieben, eigentümlich unverbrüchlich, obschon beide von außen betrachtet durchaus unattraktiv wirken. Mummi ist ein fröhlicher Berg von Frau, eine ansteckend genüssliche Esserin, die sich in Zeltartiges hüllt. Vater gilt im Dorf als Spinner, liebt Gedichte, Filme, vor allem mit Ava Gardner, und gibt an der Volkshochschule Englischkurse.
Ava wird Krankenschwester. Danilo zieht zu ihr, noch als Schüler, später als Student. Er pflegt sein intellektuelles Leben, sie Krebspatienten im Krankenhaus und später alte Menschen in deren heimischer Umgebung und sieht sich täglich konfrontiert mit den ernüchternden Tatsachen eines Seins zum Tode. Als sie mit achtundzwanzig ihr erstes von zwei Kindern bekommt, versinkt sie in mütterlichen Mühen und Müdigkeit, vom eigenen Körper und seinen ästhetischen Einbußen enttäuscht, mit klassisch abgewetztem Selbstbewusstsein, während Danilo sich den Rücken frei hält für seine Studien und Treffen mit Freunden, die nicht die ihren werden. Er ist ihr überlegen, sie ihm voraus. Entfremdung setzt ein. Die Gespräche werden dürrer, Liebesbekundungen und Zärtlichkeiten rar. Das alles geschieht unausweichlich, als Prozess der Abkühlung und Verhärtung, offenbar naturgesetzlich.
Ava sucht in einer Laienspieltruppe Ablenkung, auch um aus ihrem Leben vielleicht doch noch das Besondere, Freiere zu machen, von dem sie träumte. Auch ihre mitunter groteske Flucht in die eine oder andere Affäre stiftet keinen Sinn. Als Danilo von einer Reise zurückkehrt und ihr weinend beichtet, er habe etwas Schlimmes getan, verabscheut sie ihn ob seiner Schwäche und "Heiligkeit" und sich wegen ihrer Härte und Bosheit.
Der Leser hegt dennoch keinen Groll gegen irgendeine der Figuren. Nicht nur das gehört zu Katrin Seddigs sympathischer und bedeutender Kunst. Die 1969 in Strausberg geborene Autorin hat ein immenses Talent, die Geschichten einer Vielzahl differenziert gezeichneter Menschen organisch ineinander zu verweben, feinste Regungen ohne Gefühligkeit verständlich zu machen. Neben einer Alten, die über Ava wohnt und sechs Katzen durchfüttert, zählen der Fernfahrer Stulle, ihre Freundin Merve, die fast ihr Kind weggibt, oder der manisch-depressive Fadil zu den Charakteren, die dem Leser schnell eng vertraut scheinen. Die Beziehung von Ava und Danilo, eines intellektuell ungleichen, aber einst rührend verliebten Paares, scheitert an ebendieser initialen und wachsenden Fehlstellung.
Zeitgenössische Alltagsromane tendieren mitunter zum Typisieren und Stereotypisieren, ackern Problemfelder systematisch durch. In Katrin Seddigs "Eheroman" lässt sich der Text seinen unaufdringlichen Reichtum an Phänomenen und Entwicklungen - vom Mysterium des Liebens, übers Begehren und Betrügen, Erobern und Besitzen, Sehnen, Glücklichsein, Schuldig-, Erwachsen-, Alt- und Bitterwerden bis hin zum Umgang mit dem Tod - vom Leben zuspielen. An Schauplätzen, die Katrin Seddig nicht als Kulissen, sondern als Lebensräume sinnlich imaginiert, in perfekter sprachlicher Ökonomie, wechselnden Ton- und Stimmungslagen, wachsam, energisch, salopp und sensibel. Und diese Sprache wächst außerdem behutsam mit der Heldin mit, vom juvenilen Jargon voll pubertärer Melancholie zu einer nüchternen Drastik etwa in der Schilderung von Alterungsprozessen, Krankheit oder Sex bis hin zu einer abwartend sachlichen Gelassenheit, die sich gegen Ende einstellt. Wieder versammelt man sich ums Osterfeuer, das kleiner geworden ist. Alles hat sich verändert - so rasant, wie einst die Wolken zogen, so konsequent und realistisch, wie sich dieser geglückte Roman entfaltet.
KIRSTEN VOIGT.
Katrin Seddig: "Eheroman". Roman.
Rowohlt Berlin Verlag, Berlin 2012. 447 S., geb., 19,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Katrin Seddigs "Eheroman" taugt nicht als Ratgeber für Trostbedürftige. Er handelt zwar von den Defiziten der Ehe, ist aber trotz der Alltäglichkeit des Sujets ganz außergewöhnlich.
Wer in Katrin Seddigs neuestem, großartig erzähltem Roman in der Öffentlichkeit liest, erntet unter Umständen von einem freundlichen Gegenüber einen verständnisinnig mitfühlenden Blick. Der beruht allerdings auf einem Missverständnis. Mit dem wagemutigen Titel "Eheroman" assoziiert man neben "Eheglück" vor allem Freudloses. Anbahnung, Beratung, Bruch, Krise, Streit, Tragödie, Vertrag und Ehescheidung gehören zu den unangenehmen Verwandten in der Wortfamilie. Der Titel bestimmt damit kühl die Distanz zu einem anders temperierten Genre, dem Liebesroman. Was das Gegenüber nicht ahnt: Katrin Seddigs "Eheroman", der als Ratgeber für Trostbedürftige völlig untauglich wäre, handelt zwar ungeschönt von den Defiziten und Abnutzungserscheinungen der Institution Ehe, lässt sich aber durch die Alltäglichkeit seines Sujets nicht davon abhalten, ein ganz außergewöhnliches Buch zu werden. Es beeindruckt als packendes, lebenskluges und unsentimentales Reflexionsmedium wachsender Ratlosigkeit.
Wenn am Beginn dieser Geschichte eine Gruppe von Menschen mühselig versucht, ein Feuer zu entfachen, dann ist das auch ein Bild dafür, dass sich hier alles eher schwer entzündet. Das Osterfeuer am Deich gerade so wie die Leidenschaft der zunächst sechzehnjährigen Hauptfigur Ava Grünebach, die schon begriffen hat, wie unerbittlich schnell das Leben verrinnt, und die der Roman begleitet, bis sie vierzig ist. In den Flammen des Feuers kommt fiepend ein kleines Tier um, und auf der Flucht vor dem grauenerregenden Geräusch, und das heißt dem Tod, stolpert Ava geradewegs in die Beziehung zu dem skurrilen, vaterlosen zwölfjährigen Danilo hinein. Er weiß entschieden früh, was er will. Die ersten Zärtlichkeiten tauschen sie in einem Schuppen aus, in dem die furchterregende, lebensgroße Puppe seines Erzeugers in der Dunkelheit hockt. Danilo, bekifft, traurig, fremd und auf seine kantige Art schön, bleibt dran, und Ava erliegt schließlich seinem Charme.
Avas freundliche Eltern scheinen einander immer noch zu lieben, eigentümlich unverbrüchlich, obschon beide von außen betrachtet durchaus unattraktiv wirken. Mummi ist ein fröhlicher Berg von Frau, eine ansteckend genüssliche Esserin, die sich in Zeltartiges hüllt. Vater gilt im Dorf als Spinner, liebt Gedichte, Filme, vor allem mit Ava Gardner, und gibt an der Volkshochschule Englischkurse.
Ava wird Krankenschwester. Danilo zieht zu ihr, noch als Schüler, später als Student. Er pflegt sein intellektuelles Leben, sie Krebspatienten im Krankenhaus und später alte Menschen in deren heimischer Umgebung und sieht sich täglich konfrontiert mit den ernüchternden Tatsachen eines Seins zum Tode. Als sie mit achtundzwanzig ihr erstes von zwei Kindern bekommt, versinkt sie in mütterlichen Mühen und Müdigkeit, vom eigenen Körper und seinen ästhetischen Einbußen enttäuscht, mit klassisch abgewetztem Selbstbewusstsein, während Danilo sich den Rücken frei hält für seine Studien und Treffen mit Freunden, die nicht die ihren werden. Er ist ihr überlegen, sie ihm voraus. Entfremdung setzt ein. Die Gespräche werden dürrer, Liebesbekundungen und Zärtlichkeiten rar. Das alles geschieht unausweichlich, als Prozess der Abkühlung und Verhärtung, offenbar naturgesetzlich.
Ava sucht in einer Laienspieltruppe Ablenkung, auch um aus ihrem Leben vielleicht doch noch das Besondere, Freiere zu machen, von dem sie träumte. Auch ihre mitunter groteske Flucht in die eine oder andere Affäre stiftet keinen Sinn. Als Danilo von einer Reise zurückkehrt und ihr weinend beichtet, er habe etwas Schlimmes getan, verabscheut sie ihn ob seiner Schwäche und "Heiligkeit" und sich wegen ihrer Härte und Bosheit.
Der Leser hegt dennoch keinen Groll gegen irgendeine der Figuren. Nicht nur das gehört zu Katrin Seddigs sympathischer und bedeutender Kunst. Die 1969 in Strausberg geborene Autorin hat ein immenses Talent, die Geschichten einer Vielzahl differenziert gezeichneter Menschen organisch ineinander zu verweben, feinste Regungen ohne Gefühligkeit verständlich zu machen. Neben einer Alten, die über Ava wohnt und sechs Katzen durchfüttert, zählen der Fernfahrer Stulle, ihre Freundin Merve, die fast ihr Kind weggibt, oder der manisch-depressive Fadil zu den Charakteren, die dem Leser schnell eng vertraut scheinen. Die Beziehung von Ava und Danilo, eines intellektuell ungleichen, aber einst rührend verliebten Paares, scheitert an ebendieser initialen und wachsenden Fehlstellung.
Zeitgenössische Alltagsromane tendieren mitunter zum Typisieren und Stereotypisieren, ackern Problemfelder systematisch durch. In Katrin Seddigs "Eheroman" lässt sich der Text seinen unaufdringlichen Reichtum an Phänomenen und Entwicklungen - vom Mysterium des Liebens, übers Begehren und Betrügen, Erobern und Besitzen, Sehnen, Glücklichsein, Schuldig-, Erwachsen-, Alt- und Bitterwerden bis hin zum Umgang mit dem Tod - vom Leben zuspielen. An Schauplätzen, die Katrin Seddig nicht als Kulissen, sondern als Lebensräume sinnlich imaginiert, in perfekter sprachlicher Ökonomie, wechselnden Ton- und Stimmungslagen, wachsam, energisch, salopp und sensibel. Und diese Sprache wächst außerdem behutsam mit der Heldin mit, vom juvenilen Jargon voll pubertärer Melancholie zu einer nüchternen Drastik etwa in der Schilderung von Alterungsprozessen, Krankheit oder Sex bis hin zu einer abwartend sachlichen Gelassenheit, die sich gegen Ende einstellt. Wieder versammelt man sich ums Osterfeuer, das kleiner geworden ist. Alles hat sich verändert - so rasant, wie einst die Wolken zogen, so konsequent und realistisch, wie sich dieser geglückte Roman entfaltet.
KIRSTEN VOIGT.
Katrin Seddig: "Eheroman". Roman.
Rowohlt Berlin Verlag, Berlin 2012. 447 S., geb., 19,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Man ist immer wieder aufs Schönste verwundert darüber, wie Katrin Seddig mit Schnoddrigkeit zum Wesentlichen vordringt. dradio.de