Daria hat ihren Mann umgebracht. Sie sitzt im Gefängnis und grübelt darüber nach, wann ihr Leben aus der Bahn gelaufen ist und wie es dazu kam, daß sie mit dem Mann, den sie liebt, nicht glücklich werden und keine normale Ehe führen konnte."Unsere Beziehung zerbrach nicht deshalb, weil mein Mann mit einer anderen Frau zusammenlebte. Der Grund war eher seine plötzliche Gleichgültigkeit meinem Leben und meinen Problemen gegenüber. Bis dahin waren wir in für uns schwierigen Situationen immer zusammen gewesen. Er hatte sich bei mir Rat geholt und nicht bei ihr."
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 18.09.1995Leidenschaft eines Waschlappens
Beziehungsreich: Maria Nurowskas Gefängnisroman "Ehespiele"
Eine Frau erschießt ihren Mann, weil er sie betrügt. Kein ganz seltener Fall. Ein bißchen rarer freilich, wenn man erfährt, daß sie selbst ihn zu den Ehebrüchen angehalten hat. Und schon etwas ausgefallen, wenn man liest, daß es sich bei den Protagonisten um eine erfolgreiche Schriftstellerin und einen berühmten Kritiker handelt, die ihr ausgefallenes Treiben auf dem Hintergrund eines Skandalromans des achtzehnten Jahrhunderts, den "Gefährlichen Liebschaften" von Choderlos de Laclos, inszenieren.
Die polnische Autorin Maria Nurowska erzählt ihren Roman - es ist der vierte, der auf deutsch vorliegt - in der von ihr bevorzugten Erzählform der ersten Person und des Rückblicks in die Vergangenheit. Das literarische Arrangement ist nicht besonders originell. Die Mörderin sitzt im Gefängnis, wo sie versucht, über ihre Tat, ihre Ehe, sich selbst Klarheit zu gewinnen. Dabei kommt sie zu manchen widersprüchlichen Einsichten, was die Erzählerin indessen nicht zum Thema macht. Hätte es nicht genügt, so fragt sie sich, um die Liebe zu ihrem Mann zu retten, die Tat nur zu denken? Andrerseits kann diese Daria, die immer eine andere Person sein wollte, sich erst nach dem Mord als Frau akzeptieren.
Der häufige Verweis auf Choderlos de Laclos führt in die Irre. Denn nichts geht diesen polnischen Intellektuellen der achtziger und neunziger Jahre mehr ab als aristokratisches Dandytum, dämonische Neigungen, Gewissenlosigkeit. Daria, die ihr wesentlich älterer Mann, Chefredakteur einer Literaturzeitschrift, zum Schreiben gebracht hat, ist ein schlichtes, doch empfindsam zerbrechliches Wesen, dessen Haupteigenschaft eine krankhafte Berührungsangst, eine pathologische Abneigung gegen die Sexualität ist. Die von ihr eingerichteten "Ehespiele", mit denen sie ihren Mann von sich abzulenken versucht, in der Hoffnung, er würde ihr dann "kein allzugroßes Leid mehr zufügen", sind spießige, kleine Seitensprünge eines alternden Literaten. Allerdings haben sie nicht die von der Frau erhoffte Wirkung, machen sie doch, wenigstens am Anfang, die sich verweigernde Daria in den Augen Edwards - so heißt der Gatte - noch attraktiver.
Freilich: Nurowska macht aus diesem psychischen Effekt nicht viel, wie sie auch dem Mann einiges schuldig bleibt. Er ist, so heißt es, intelligent, aber ein Waschlappen, ein Mensch, der unter den Kommunisten sein Gewissen zugunsten der Karriere verraten hat. Daria tötet ihn, nachdem aus den Spielen Ernst wurde, nachdem er mit einer anderen Frau zusammengezogen ist. Ein gewöhnliches Beziehungsdelikt also, das Daria freilich umdeutet. Edward habe, so behauptet sie, ihre Seele getötet. Aber ist diese Frau, der "ein fremdes Leben, eine fremde Liebe" als Gegenstand ihres Schreibens genügt, zu einer derartigen Feststellung überhaupt fähig? "Wozu liebt man sich überhaupt?" fragt sie und antwortet: "Nur um zu weinen."
Die Unfähigkeit zur Liebe ist im Frauengefängnis, wo Gemeinheit und Brutalität, Schläge und Vergewaltigungen an der Tagesordnung sind, Darias Schutzschild. An diesem Ort, wo sie mit ihrer Abneigung gegen körperliche Nähe verloren ist, wächst ihr Lebenswille. Vom ersten Augenblick an ist sie fest entschlossen, in dieser Hölle "als Mensch zu überleben". Dabei hilft ihr die Gefängnisleiterin, in der Daria ein Traumbild erfüllter Weiblichkeit sieht und für die sie eine mehr ästhetische als erotische Zuneigung empfindet, bis es ihr am Ende gelingt, sich auch von diesem Bild zu befreien.
Nurowska, die als eine der wichtigsten polnischen Gegenwartsautorinnen gilt, erzählt süffig, routiniert, direkt. Völlig überzeugen weder Handlung noch Hauptfiguren oder Erzähltechnik. So stößt man sich zum Beispiel an der mechanischen Art, in der Vergangenheit und Gefängnisalltag einander abwechseln. Auch auf das "name dropping" könnte man verzichten, auf das Nurowskas frühere Methode, die polnische Geschichte dieses Jahrhunderts mit den Lebensläufen ihrer Protagonisten zu verbinden, nun reduziert ist. Nicht nur Jaruzelski und Walesa, Jelzin und Clinton werden genannt, sondern "Denver Clan" und Michael Jackson, Shirley MacLaine und der Papst sowie ein "Literaturpapst" in Deutschland, der mit einer Laune im Fernsehen "eine Schriftstellerkarriere fördern oder vernichten könne".
Das Beste an dem Buch dürften die Lebensskizzen von Frauen im Gefängnis sein, keine "Genrebilder", wie es in einer von Daria geträumten Kritik heißt, sondern packende, authentische Aussagen über das Leben in einem postkommunistischen Land. RENATE SCHOSTACK
Maria Nurowska: "Ehespiele". Roman. Aus dem Polnischen von Albrecht Lempp. Verlag S. Fischer, Frankfurt am Main 1995. 279 S., geb., 38,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Beziehungsreich: Maria Nurowskas Gefängnisroman "Ehespiele"
Eine Frau erschießt ihren Mann, weil er sie betrügt. Kein ganz seltener Fall. Ein bißchen rarer freilich, wenn man erfährt, daß sie selbst ihn zu den Ehebrüchen angehalten hat. Und schon etwas ausgefallen, wenn man liest, daß es sich bei den Protagonisten um eine erfolgreiche Schriftstellerin und einen berühmten Kritiker handelt, die ihr ausgefallenes Treiben auf dem Hintergrund eines Skandalromans des achtzehnten Jahrhunderts, den "Gefährlichen Liebschaften" von Choderlos de Laclos, inszenieren.
Die polnische Autorin Maria Nurowska erzählt ihren Roman - es ist der vierte, der auf deutsch vorliegt - in der von ihr bevorzugten Erzählform der ersten Person und des Rückblicks in die Vergangenheit. Das literarische Arrangement ist nicht besonders originell. Die Mörderin sitzt im Gefängnis, wo sie versucht, über ihre Tat, ihre Ehe, sich selbst Klarheit zu gewinnen. Dabei kommt sie zu manchen widersprüchlichen Einsichten, was die Erzählerin indessen nicht zum Thema macht. Hätte es nicht genügt, so fragt sie sich, um die Liebe zu ihrem Mann zu retten, die Tat nur zu denken? Andrerseits kann diese Daria, die immer eine andere Person sein wollte, sich erst nach dem Mord als Frau akzeptieren.
Der häufige Verweis auf Choderlos de Laclos führt in die Irre. Denn nichts geht diesen polnischen Intellektuellen der achtziger und neunziger Jahre mehr ab als aristokratisches Dandytum, dämonische Neigungen, Gewissenlosigkeit. Daria, die ihr wesentlich älterer Mann, Chefredakteur einer Literaturzeitschrift, zum Schreiben gebracht hat, ist ein schlichtes, doch empfindsam zerbrechliches Wesen, dessen Haupteigenschaft eine krankhafte Berührungsangst, eine pathologische Abneigung gegen die Sexualität ist. Die von ihr eingerichteten "Ehespiele", mit denen sie ihren Mann von sich abzulenken versucht, in der Hoffnung, er würde ihr dann "kein allzugroßes Leid mehr zufügen", sind spießige, kleine Seitensprünge eines alternden Literaten. Allerdings haben sie nicht die von der Frau erhoffte Wirkung, machen sie doch, wenigstens am Anfang, die sich verweigernde Daria in den Augen Edwards - so heißt der Gatte - noch attraktiver.
Freilich: Nurowska macht aus diesem psychischen Effekt nicht viel, wie sie auch dem Mann einiges schuldig bleibt. Er ist, so heißt es, intelligent, aber ein Waschlappen, ein Mensch, der unter den Kommunisten sein Gewissen zugunsten der Karriere verraten hat. Daria tötet ihn, nachdem aus den Spielen Ernst wurde, nachdem er mit einer anderen Frau zusammengezogen ist. Ein gewöhnliches Beziehungsdelikt also, das Daria freilich umdeutet. Edward habe, so behauptet sie, ihre Seele getötet. Aber ist diese Frau, der "ein fremdes Leben, eine fremde Liebe" als Gegenstand ihres Schreibens genügt, zu einer derartigen Feststellung überhaupt fähig? "Wozu liebt man sich überhaupt?" fragt sie und antwortet: "Nur um zu weinen."
Die Unfähigkeit zur Liebe ist im Frauengefängnis, wo Gemeinheit und Brutalität, Schläge und Vergewaltigungen an der Tagesordnung sind, Darias Schutzschild. An diesem Ort, wo sie mit ihrer Abneigung gegen körperliche Nähe verloren ist, wächst ihr Lebenswille. Vom ersten Augenblick an ist sie fest entschlossen, in dieser Hölle "als Mensch zu überleben". Dabei hilft ihr die Gefängnisleiterin, in der Daria ein Traumbild erfüllter Weiblichkeit sieht und für die sie eine mehr ästhetische als erotische Zuneigung empfindet, bis es ihr am Ende gelingt, sich auch von diesem Bild zu befreien.
Nurowska, die als eine der wichtigsten polnischen Gegenwartsautorinnen gilt, erzählt süffig, routiniert, direkt. Völlig überzeugen weder Handlung noch Hauptfiguren oder Erzähltechnik. So stößt man sich zum Beispiel an der mechanischen Art, in der Vergangenheit und Gefängnisalltag einander abwechseln. Auch auf das "name dropping" könnte man verzichten, auf das Nurowskas frühere Methode, die polnische Geschichte dieses Jahrhunderts mit den Lebensläufen ihrer Protagonisten zu verbinden, nun reduziert ist. Nicht nur Jaruzelski und Walesa, Jelzin und Clinton werden genannt, sondern "Denver Clan" und Michael Jackson, Shirley MacLaine und der Papst sowie ein "Literaturpapst" in Deutschland, der mit einer Laune im Fernsehen "eine Schriftstellerkarriere fördern oder vernichten könne".
Das Beste an dem Buch dürften die Lebensskizzen von Frauen im Gefängnis sein, keine "Genrebilder", wie es in einer von Daria geträumten Kritik heißt, sondern packende, authentische Aussagen über das Leben in einem postkommunistischen Land. RENATE SCHOSTACK
Maria Nurowska: "Ehespiele". Roman. Aus dem Polnischen von Albrecht Lempp. Verlag S. Fischer, Frankfurt am Main 1995. 279 S., geb., 38,- DM.
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