Wie geht die deutsche Strafjustiz mit Verbrechen aus verlorener Ehre um? Was geschieht vor deutschen Gerichten mit Tätern, die ihre Tat mit einem kulturell differenten, heimischen Ehrenkodex rechtfertigen? Das wird von der Autorin untersucht, die selbst lange Strafrichterin war, bevor sie ihre sozialwissenschaftlichen Studien (Ethnologie) aufnahm und das Thema aus dieser Sicht aufgriff. Forschungsfeld sind zehn Ehrenmordprozesse aus der Zeit zwischen 1979 bis 2009, in denen darüber verhandelt wurde, inwieweit Verhalten durch Kultur beeinflusst oder gar determiniert wird. Kann Kultur einen "Ehrenmord" begründen? Die Verfahrensbeteiligten stritten mit gegenläufigen Interessen darüber, welcher Stellenwert der Kultur und der kultureller Differenz in den Prozessen eingeräumt wird. Auf diese Diskurse richtet sich das Forschungsinteresse. Der Umgang mit kultureller Differenz in den untersuchten "Ehrenmord,prozessen" wirft ein Schlaglicht auf die Zusammenhänge zwischen Kultur und Recht und ist ein Lehrstück für die Relevanz des Kulturbegriffs in der deutschen Strafrechtspraxis. Kultur wurde als Prägung und festes Handlungsprogramm verstanden. Die Täter und die "Ehrenmordtaten" wurden als Ausdruck dieser Prägung angesehen. Tat und Täter wurden dadurch in problematischer Weise kulturalisiert. Die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Kulturbegriff in der Ethnologie wurde nicht berücksichtigt. Bemerkenswert ist insbesondere die unterschiedliche rechtliche Einordnung kultureller Differenz im Laufe des Untersuchungszeitraums. Sie wandelte sich in den Urteilen von der Berücksichtung anderer als deutscher Wert- und Normvorstellungen zu ihrer strikten Ablehnung. Es gibt Anhaltspunkte dafür, dass die Gerichtspraxis damit Haltungen folgt, die sich im Untersuchungszeitraum in öffentlichen politischen Diskursen parallel entwickelten und die in Medien und in Bereichen anderer Wissenschaften ebenfalls erkennbar sind.