Klaus Lüderssen zeichnet den beruflichen Werdegang des »letzten Ritters der Romantik«, wie man ihn genannt hat, nach und zeigt den überzeugten Katholiken Eichendorff als Regierungsbeamten im protestantischen Preußen. Zugleich bietet Lüderssen eine weitreichende Deutung von Eichendorffs Rechtsbegriff: In der Ablehnung von Aufklärung und Restauration gleichermaßen schlägt Eichendorff einen Weg ein, der Ansätze eines im heutigen Sinne modernen Rechtsverständnisses aufweist.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 03.04.2008Der Jurist im Poeten
Klaus Lüderssen über „Eichendorff und das Recht”
„Leser mit juristischer Bildung könnten sich von einem Überblick über die deutsche Literatur zu der Auffassung veranlasst sehen, die Meisterwerke des romantischen Zeitalters seien in der Absicht verfasst, exemplarische Fälle für Lehrbücher des Rechts zusammenzustellen.” Theodore Ziolkowksi widmete sich daher in seinem Buch „Das Amt des Poeten” (1992) ausführlich den Dichterjuristen. Er erklärt die Dominanz juristisch geschulter Autoren, wie Goethe, Wilhelm von Humboldt, Tieck, Wackenroder, Novalis, Görres, Arnim, Wilhelm Grimm, Jacob Grimm, Eichendorff, Uhland, Zacharias Werner aus dem Bildungssystem jener Epoche.
Im Gefolge der Aufklärung hatte die Theologie an Ansehen verloren, die Medizin jedoch noch nicht das gebührende Ansehen errungen; die Jurisprudenz aber war zur vornehmsten Fakultät avanciert, zumal das Recht auf seine Prämissen befragt wurde und also fast eine Teildisziplin der Philosophie geworden war. Die akademische Ausbildung des Juristen ging in Deutschland, im Unterschied zu den angelsächsischen Ländern, nicht vom praktischen Recht aus, sondern von seiner theoretischen Legitimation. Das Jurastudium war quasi ein philosophisches Studium.
In der historischen Schule
Ganz anders als Ziolkowski, der den Einfluss der Institutionen des Rechts auf Bildung und Werk der Schriftsteller um 1800 verfolgt, geht Klaus Lüderssen, emeritierter Professor für Strafrecht und Rechtsphilosophie, in seinem Essay „Eichendorff und das Recht” vor. Er will die Einstellung des romantischen Dichters zu verschiedenen Rechtsschulen in seinen Werken, vor allem aber in seinen amtlichen Schriften ausmachen. Die späte Erzählung „Das Schloß Dürande” (1836), eine Revolutionserzählung, deren Rechtsfall undeutlich ist, ist dabei weniger ergiebig als Eichendorffs politische Schriften – etwa sein Aufsatz „Preußen und die Konstitutionen”.
Der Kirchen- und Schulrat in Danzig, der Oberpräsidialrat in Königsberg und preußische Beamte, der schließlich den Titel eines Geheimen Regierungsrats erhielt, ist Lüderssen wichtiger als der Dichter. Er interessiert sich für den Juristen Eichendorff, der 1806 in Halle, 1807/08 in Heidelberg – „Halle und Heidelberg” nennt er seinen Rückblick auf diese Zeit – und 1809/10 in Berlin Jura studierte, und der vor allem Traum vom Dichterruhm zunächst eine juristische Laufbahn anstrebte.
Lüderssen möchte erkunden, wieweit Eichendorff der Historischen Rechtsschule zuzurechnen sei, die Karl von Savigny (1771-1861) – selbst mit romantischen Dichtern befreundet und verschwägert – begründet hat. Zwar schildert Lüderssen Eichendorff als einen „Fürsprecher der Historischen Rechtsschule”, doch sei er nicht weniger als von dieser auch von aktuellen politischen Diskussionen geprägt worden: „Die politische Basis (von Eichendorffs Rechtsdenken) war die Ablehnung sowohl der monarchischen ,Willkür des Einzelnen’ wie des ,Despotismus der Demokratie’, des ,heißblütigen reißenden Terrorism’ der Revolutionäre wie der ,kalten langweiligen politischen Inquisition’ der Restaurateure. Das sind Formulierungen von Görres, die Eichendorff stark beeinflussten.” Bedenkt man, dass Lüderssen neben diesen komplizierten Denkansätzen bei Eichendorff auch noch Savignys Theorie von „einerseits den Restbeständen kantisch geprägten Naturrechts, andererseits den infolge der Aufklärung sich endlich frei und kreativ fühlenden Rechtssetzungsinitiativen” abgrenzen will, so leuchtet ein, dass von der Poesie des Dichters Eichendorff wenig die Rede sein kann.
Lüderssen beschäftigt sich ohnehin mehr mit Savigny als mit Eichendorff. Ihm gilt der größte Teil seines Essays, der auch in der Diktion eher für Juristen als für literarisch interessierte Leser geschrieben ist. Die Analyse von Savignys Verhältnis zu Hegel etwa führt Lüderssen, da er schließlich doch meint, beiläufig auch etwas über Eichendorff sagen zu müssen, zu dem wenig ergiebigen Schluss: „Auch für Eichendorff kann man danach sagen, dass er nicht auf der Linie der Hegelschen Geschichtsphilosophie liegt.” Immer wieder betont Lüderssen die notwendige Prüfung der Rechtspositionen von Savigny und Eichendorff im Rahmen des aktuellen „Law and Literary Movement” in den Vereinigten Staaten, ohne dem fachunkundigen Leser, mit dem doch ein Buch des Insel-Verlags rechnen muss, den Charakter dieser Bewegung genauer zu erläutern.
Man hat deshalb den Eindruck, dass Savigny das ursprüngliche und eigentliche Thema Lüderssens gewesen war und der Dichter Eichendorff nur des Gedenkjahres wegen – sein Todestag jährte sich im November 2007 zum 150. Mal – auf das Titelblatt berufen wurde. Der Leser, der sich in diesem eher wissenschaftlichen Essay über das Rechtsdenken Eichendorffs informieren will, muss deshalb ebenso viel Sachlichkeit und Ernst aufbringen, wie sie sein Verfasser an den Tag legt.HANNELORE SCHLAFFER
KLAUS LÜDERSSEN: Eichendorff und das Recht. Insel Verlag, Frankfurt am Main 2007. 102 Seiten, 14,80 Euro.
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Klaus Lüderssen über „Eichendorff und das Recht”
„Leser mit juristischer Bildung könnten sich von einem Überblick über die deutsche Literatur zu der Auffassung veranlasst sehen, die Meisterwerke des romantischen Zeitalters seien in der Absicht verfasst, exemplarische Fälle für Lehrbücher des Rechts zusammenzustellen.” Theodore Ziolkowksi widmete sich daher in seinem Buch „Das Amt des Poeten” (1992) ausführlich den Dichterjuristen. Er erklärt die Dominanz juristisch geschulter Autoren, wie Goethe, Wilhelm von Humboldt, Tieck, Wackenroder, Novalis, Görres, Arnim, Wilhelm Grimm, Jacob Grimm, Eichendorff, Uhland, Zacharias Werner aus dem Bildungssystem jener Epoche.
Im Gefolge der Aufklärung hatte die Theologie an Ansehen verloren, die Medizin jedoch noch nicht das gebührende Ansehen errungen; die Jurisprudenz aber war zur vornehmsten Fakultät avanciert, zumal das Recht auf seine Prämissen befragt wurde und also fast eine Teildisziplin der Philosophie geworden war. Die akademische Ausbildung des Juristen ging in Deutschland, im Unterschied zu den angelsächsischen Ländern, nicht vom praktischen Recht aus, sondern von seiner theoretischen Legitimation. Das Jurastudium war quasi ein philosophisches Studium.
In der historischen Schule
Ganz anders als Ziolkowski, der den Einfluss der Institutionen des Rechts auf Bildung und Werk der Schriftsteller um 1800 verfolgt, geht Klaus Lüderssen, emeritierter Professor für Strafrecht und Rechtsphilosophie, in seinem Essay „Eichendorff und das Recht” vor. Er will die Einstellung des romantischen Dichters zu verschiedenen Rechtsschulen in seinen Werken, vor allem aber in seinen amtlichen Schriften ausmachen. Die späte Erzählung „Das Schloß Dürande” (1836), eine Revolutionserzählung, deren Rechtsfall undeutlich ist, ist dabei weniger ergiebig als Eichendorffs politische Schriften – etwa sein Aufsatz „Preußen und die Konstitutionen”.
Der Kirchen- und Schulrat in Danzig, der Oberpräsidialrat in Königsberg und preußische Beamte, der schließlich den Titel eines Geheimen Regierungsrats erhielt, ist Lüderssen wichtiger als der Dichter. Er interessiert sich für den Juristen Eichendorff, der 1806 in Halle, 1807/08 in Heidelberg – „Halle und Heidelberg” nennt er seinen Rückblick auf diese Zeit – und 1809/10 in Berlin Jura studierte, und der vor allem Traum vom Dichterruhm zunächst eine juristische Laufbahn anstrebte.
Lüderssen möchte erkunden, wieweit Eichendorff der Historischen Rechtsschule zuzurechnen sei, die Karl von Savigny (1771-1861) – selbst mit romantischen Dichtern befreundet und verschwägert – begründet hat. Zwar schildert Lüderssen Eichendorff als einen „Fürsprecher der Historischen Rechtsschule”, doch sei er nicht weniger als von dieser auch von aktuellen politischen Diskussionen geprägt worden: „Die politische Basis (von Eichendorffs Rechtsdenken) war die Ablehnung sowohl der monarchischen ,Willkür des Einzelnen’ wie des ,Despotismus der Demokratie’, des ,heißblütigen reißenden Terrorism’ der Revolutionäre wie der ,kalten langweiligen politischen Inquisition’ der Restaurateure. Das sind Formulierungen von Görres, die Eichendorff stark beeinflussten.” Bedenkt man, dass Lüderssen neben diesen komplizierten Denkansätzen bei Eichendorff auch noch Savignys Theorie von „einerseits den Restbeständen kantisch geprägten Naturrechts, andererseits den infolge der Aufklärung sich endlich frei und kreativ fühlenden Rechtssetzungsinitiativen” abgrenzen will, so leuchtet ein, dass von der Poesie des Dichters Eichendorff wenig die Rede sein kann.
Lüderssen beschäftigt sich ohnehin mehr mit Savigny als mit Eichendorff. Ihm gilt der größte Teil seines Essays, der auch in der Diktion eher für Juristen als für literarisch interessierte Leser geschrieben ist. Die Analyse von Savignys Verhältnis zu Hegel etwa führt Lüderssen, da er schließlich doch meint, beiläufig auch etwas über Eichendorff sagen zu müssen, zu dem wenig ergiebigen Schluss: „Auch für Eichendorff kann man danach sagen, dass er nicht auf der Linie der Hegelschen Geschichtsphilosophie liegt.” Immer wieder betont Lüderssen die notwendige Prüfung der Rechtspositionen von Savigny und Eichendorff im Rahmen des aktuellen „Law and Literary Movement” in den Vereinigten Staaten, ohne dem fachunkundigen Leser, mit dem doch ein Buch des Insel-Verlags rechnen muss, den Charakter dieser Bewegung genauer zu erläutern.
Man hat deshalb den Eindruck, dass Savigny das ursprüngliche und eigentliche Thema Lüderssens gewesen war und der Dichter Eichendorff nur des Gedenkjahres wegen – sein Todestag jährte sich im November 2007 zum 150. Mal – auf das Titelblatt berufen wurde. Der Leser, der sich in diesem eher wissenschaftlichen Essay über das Rechtsdenken Eichendorffs informieren will, muss deshalb ebenso viel Sachlichkeit und Ernst aufbringen, wie sie sein Verfasser an den Tag legt.HANNELORE SCHLAFFER
KLAUS LÜDERSSEN: Eichendorff und das Recht. Insel Verlag, Frankfurt am Main 2007. 102 Seiten, 14,80 Euro.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 29.11.2007Jura à la Eichendorff
Nicht erst Franz Kafka ist ein prominentes Beispiel für eine Doppelbegabung auf dem Feld der Literatur und der Rechtswissenschaften. Es gab sie schon früher. Joseph von Eichendorff, der vor einhundertfünfzig Jahren starb, ist neben E.T.A. Hoffmann der zweite prominente Dichterjurist der Romantik. Anders als bei diesem bleibt die Frage nach der Verbindung von Recht und Literatur aber auf den ersten Blick unergiebig, wie der Jurist Klaus Lüderssen zeigt. Einzig in der Erzählung "Schloss Dürande" sind einige Verbindungslinien auszumachen, die aber kaum ins Zentrum des Werks führen. In Eichendorffs politischen Schriften hingegen wird Klaus Lüderssen eher fündig. Hier entdeckt er Denkweisen, die in ihrer Beharrung auf organisch gewachsenem statt gesetztem Recht und der Figur des Rechtsgefühls nicht nur ein Reflex auf die von Savigny begründete historische Rechtsschule sind, sondern auch durchaus moderne rechtssoziologische Positionen antizipieren. Dass Klaus Lüderssen dabei vornehmlich letztere herauszuarbeiten versucht, mag der rein literarisch an Eichendorff Interessierte bedauern, der gerne eine etwas breitere Auswertung seiner Schriften vorgefunden hätte; der juristisch versierte Leser wird dies indes wohl eher begrüßen. Die im Anhang des Buches abgedruckte polemische Stellungnahme Joseph von Eichendorffs von 1831 zu der Frage, ob in Preußen eine Verfassung eingeführt werden soll, belegt jedenfalls klar und eindrucksvoll, dass auch das politische Eichendorffsche Werk bleibende literarische Qualitäten besitzt. (Klaus Lüderssen: "Eichendorff und das Recht". Insel Verlag, Frankfurt am Main 2007. 103 S., br., 14,80 [Euro].) meiss
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Nicht erst Franz Kafka ist ein prominentes Beispiel für eine Doppelbegabung auf dem Feld der Literatur und der Rechtswissenschaften. Es gab sie schon früher. Joseph von Eichendorff, der vor einhundertfünfzig Jahren starb, ist neben E.T.A. Hoffmann der zweite prominente Dichterjurist der Romantik. Anders als bei diesem bleibt die Frage nach der Verbindung von Recht und Literatur aber auf den ersten Blick unergiebig, wie der Jurist Klaus Lüderssen zeigt. Einzig in der Erzählung "Schloss Dürande" sind einige Verbindungslinien auszumachen, die aber kaum ins Zentrum des Werks führen. In Eichendorffs politischen Schriften hingegen wird Klaus Lüderssen eher fündig. Hier entdeckt er Denkweisen, die in ihrer Beharrung auf organisch gewachsenem statt gesetztem Recht und der Figur des Rechtsgefühls nicht nur ein Reflex auf die von Savigny begründete historische Rechtsschule sind, sondern auch durchaus moderne rechtssoziologische Positionen antizipieren. Dass Klaus Lüderssen dabei vornehmlich letztere herauszuarbeiten versucht, mag der rein literarisch an Eichendorff Interessierte bedauern, der gerne eine etwas breitere Auswertung seiner Schriften vorgefunden hätte; der juristisch versierte Leser wird dies indes wohl eher begrüßen. Die im Anhang des Buches abgedruckte polemische Stellungnahme Joseph von Eichendorffs von 1831 zu der Frage, ob in Preußen eine Verfassung eingeführt werden soll, belegt jedenfalls klar und eindrucksvoll, dass auch das politische Eichendorffsche Werk bleibende literarische Qualitäten besitzt. (Klaus Lüderssen: "Eichendorff und das Recht". Insel Verlag, Frankfurt am Main 2007. 103 S., br., 14,80 [Euro].) meiss
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Der emeritierte Professor für Strafrecht und Rechtsphilosophie Klaus Lüderssen interessiert sich in seinem Buch nicht für den Schriftsteller, sondern für den Juristen Eichendorff und wendet sich damit auch an Leser vom Fach, stellt Hannelore Schlaffer etwas unglücklich fest. Der Autor will das Verhältnis des romantischen Dichters zu der von Karl von Savigny begründeten Historischen Rechtsschule untersuchen und hier drängt sich der Rezensentin der Verdacht auf, dass sich Lüderssens Fokus dabei zunehmend von Eichendorff auf die Rechtsauffassung Savignys verschiebt. Ob Eichendorff gar nur wegen seines 150. Todestages im November 2007 aufs Titelblatt gelangt ist, fragt sich die Rezensentin, die sich außerdem gewünscht hätte, der Autor hätte in seinen Ausführungen, beispielsweise zum wiederholt angesprochenen "Law and Literary Movement" in den USA, auch auf die Nichtjuristen unter seinen Lesern Rücksicht genommen.
© Perlentaucher Medien GmbH
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