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Adolf Eichmann - ein ganz normaler Deutscher? Die "Memoiren" von Adolf Eichmann haben immer wieder die Weltpresse beschäftigt. Der ehemalige SS-Obersturmbannführer gilt als der Hauptverantwortliche für die Durchführung der "Endlösung", der die Deportationen Hunderttausender Menschen in die nationalsozialistischen Vernichtungslager organisiert und vorangetrieben hat. "Memoiren" hat er jedoch nie geschrieben. Die 1961 im Gefängnis in Israel verfassten Aufzeichnungen - seit kurzem im israelischen Staatsarchiv zugänglich - sind unter dem Galgen geschriebene Rechtfertigungsschriften: 1200 Seiten in…mehr

Produktbeschreibung
Adolf Eichmann - ein ganz normaler Deutscher?
Die "Memoiren" von Adolf Eichmann haben immer wieder die Weltpresse beschäftigt. Der ehemalige SS-Obersturmbannführer gilt als der Hauptverantwortliche für die Durchführung der "Endlösung", der die Deportationen Hunderttausender Menschen in die nationalsozialistischen Vernichtungslager organisiert und vorangetrieben hat. "Memoiren" hat er jedoch nie geschrieben. Die 1961 im Gefängnis in Israel verfassten Aufzeichnungen - seit kurzem im israelischen Staatsarchiv zugänglich - sind unter dem Galgen geschriebene Rechtfertigungsschriften: 1200 Seiten in Vorbereitung seines Kreuzverhörs vor dem israelischen Gerichtshof. Hinzu kommt noch ein vergessenes, 67 Tonbänder umfassendes Interview, das Eichmann 1956 bis 1959 in seinem argentinischen Versteck dem niederländischen Journalisten und ehemaligen SS-Offizier Willem Sassen gab. Mit Rückgriff auf entscheidende Stationen seiner NS-Karriere analysiert Irmtrud Wojak die Rechtfertig ungsstrategien Eichmanns und den fortschreitenden Prozess der Verdrängung dieser "Erscheinungsform Mensch" (wie er sich nannte) beim Versuch, die unermessliche Schuld von sich abzuweisen. Eichmanns Sichtweise fand zum Teil Eingang in die Holocaust-Forschung. Dies wird hier aufgedeckt und revidiert.
Autorenporträt
Irmtrud Wojak, Dr. phil., ist stellvertretende Leiterin des Fritz Bauer Instituts, Studien- und Dokumentationszentrum zur Geschichte und Wirkung des Holocaust in Frankfurt/Main. Zuletzt gab sie bei Campus gemeinsam mit Peter Hayes für das Fritz Bauer Institut "Arisierung" im Nationalsozialismus. Volksgemeinschaft, Raub und Gedächtnis" (2000) heraus.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.05.2002

Bürokrat und Glaubenskrieger
Eichmann stilisierte sich erst in Jerusalem zum servilen Werkzeug

Irmtrud Wojak: Eichmanns Memoiren. Ein kritischer Essay. Campus Verlag, Frankfurt am Main/New York 2001. 279 Seiten, 25,50 Euro.

Hannah Arendts populäres Wort von der "Banalität des Bösen" wird manchmal wie ein Generalschlüssel zur Decodierung aller möglicher Untaten benutzt. Das plakative Diktum, das die Vielschichtigkeit politischer Massenverbrechen und die Motivlage der Täter aber nicht erschließen kann, entstand 1961, als die Totalitarismus-Theoretikerin in Jerusalem den Prozeß gegen Eichmann beobachtete. In dem Organisator der Judendeportationen glaubte sie einen überzeugungslosen Technokraten vor sich zu haben, der rein aus obrigkeitsfixiertem Pflichtbewußtsein und Karrierestreben an dem "Verwaltungsmassenmord" mitarbeitete: banale Beamtenroutine statt weltanschaulicher Einsatz.

Diese Erkenntnis war damals ein Fortschritt gegenüber einer ins Unbegreifliche ausweichenden Dämonisierung der Mörder und einer entlastenden Einschränkung der Täterschaft auf Himmler und ein paar Spießgesellen. Daß die Selbsttrivialisierung des Angeklagten bloß die halbe Wahrheit gewesen ist, trat erst allmählich zutage. In Irmtrud Wojaks Buch gewinnt der Verbrecher jetzt Konturen.

Neben den telefonbuchdicken Rechtfertigungslitaneien, die der SS-Obersturmbannführer in israelischer Haft verfaßte, wertet die Autorin erstmals die 67 Tonbänder (und 798 eng beschriebenen Transkriptseiten) eines sehr freimütigen Interviews aus, das Eichmann vor seiner Entführung aus Argentinien über vier Jahre hinweg dem Journalisten und früheren SS-Offizier Willem Sassen gewährt hatte. Das Dokument ist eine fulminante Selbstentlarvung. Der einstige Referatsleiter im Reichssicherheitshauptamt zeigt sich darin durchaus als perfektionistischer, mitunter in unsäglicher Banalität versinkender Bürokrat. Vor allem aber entpuppt Eichmann sich als ein Judenhasser mit ungezügelter Vernichtungsenergie, der bei seinem Tun viel eigene Gestaltungsphantasie und Entscheidungsfreude entfaltete.

In Adolf Eichmann paaren sich ideologische Gläubigkeit und technokratische Kompetenz also genau so, wie es die rührige Täterforschung in letzter Zeit für das jüngere SS-Personal herausgearbeitet hat. Dazu steuert Eichmann selbst das Schlüsselzitat bei: "Zu diesem vorsichtigen Bürokraten gesellte sich ein fanatischer Kämpfer für die Freiheit meines Blutes, dem ich entstamme." Als "Idealist" verficht er die von seinen "Göttern" an der Staatsspitze definierten Interessen "des Volkes" bedingungslos. Unrechtsbewußtsein und Schuldempfinden sind ihm fremd.

Im Gegenteil, statt der rechtsradikalen Internationale nun Verharmlosungsargumente zu liefern, wie Sassen hoffte, überhäuft Eichmann sich mit Selbstanklagen, weil die Ausrottung der europäischen Juden nicht in toto gelungen war. Nur dann wäre er befriedigt gewesen "und würde sagen, gut, wir haben einen Feind vernichtet". Leider habe auch er selbst Schwächen gezeigt, "wo ich in Wahrheit mehr hätte machen können und mehr hätte machen müssen"; vielleicht würden die Nachgeborenen ihn und seine Kameraden deswegen noch verfluchen. Bis zu seiner Hinrichtung hält Eichmann an seinem geschlossenen Weltbild mit dem gesetzmäßigen Rassenkampf im Mittelpunkt fest. Im Prozeßverlauf stilisierte er sich freilich immer mehr zu einem Werkzeug seiner Vorgesetzten und verwandelte seine Taten so in ein ihm fremdes und nicht zurechenbares Geschehen. Selbstmitleid bleibt seine stärkste menschliche Regung.

Neben Eichmanns Handlungsantrieb legt das Buch seine unmittelbare Mitwirkung an der Radikalisierung der "Endlösung" und der unermüdlichen Beschickung der von ihm tatsächlich so genannten "Lebensauslöschungsfelder" dar. Dabei wird wieder einmal deutlich, wie sehr das Vernichtungsgeschehen von der Lage am Ort, vom Einfallsreichtum der Beteiligten und vom Widerstreit der Initiativen an der Peripherie und in der Zentrale der nationalsozialistischen Herrschaft abhing.

Je tiefer die Forschung in dieses entsetzliche Geschehen eindringt, desto vielgestaltiger treten die Abläufe, die Täter und die Opfer hervor. Das müßte eigentlich Folgen haben: Die Banalität, das Böse in Gestalt der deutschen Ausrottungspolitik auf Patentformeln zu verkürzen oder es schlicht jenseits menschlichen Verstehens anzusiedeln, könnte sich allmählich ganz aus dem öffentlichen Erinnern verflüchtigen.

KLAUS-DIETMAR HENKE

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 28.06.2002

„Gut, wir haben einen Feind vernichtet”
Irmtrud Wojak liest Adolf Eichmanns Erinnerungen und revidiert das Porträt, das Hannah Arendt entwarf
Am 16. April 1961, kurz bevor in Jerusalem der Prozess gegen Adolf Eichmann begann, veröffentlichte die Regierung Adenauer ein Bulletin: Das deutsche Volk habe „selbst dem Henker seinen Blutzoll entrichten müssen”, stand darin, es vermöge „sich selbst sehr gut in die Lage der Opfer Eichmanns zu versetzen”. So war es gut fünfzehn Jahre nach dem Krieg um das bundesdeutsche Verhältnis zur eigenen Vergangenheit bestellt. Eichmanns Existenz war peinlich für die Bundesrepublik, die sich nicht gern mit deutschen Taten, sondern lieber mit deutschem Leid beschäftigte und – dies allerdings mit guten Gründen – gar nicht erst versuchte, Eichmanns Auslieferung zu erwirken.
Dabei bestand eine merkwürdige Übereinstimmung zwischen diesem offiziellen Bulletin und dem Bild, das Adolf Eichmann von sich selbst hatte: Denn auch er, der Mann, der die „Endlösung” organisierte, hielt sich für ein Opfer. Sein Idealismus, so fand er, sei missbraucht worden, für seine Treue zur Sache müsse er nun tragisch büßen.
Irmtrud Wojaks Studie über Eichmanns sogenannte Memoiren kam durch einen Zufall zu Stande. Der historisierende Publizist David Irving verklagte die Historikerin Deborah Lipstadt, weil sie ihn gefährlich genannt hatte, da er zu denen zählt, die das Ausmaß des Holocaust leugnen. In dem Verleumdungsprozess, den Irving dann anstrengte, bestritt er nicht, was er geschrieben, sondern wie die Geschichte sich zugetragen hatte. Anlässlich dieses Prozesses war es, dass die israelische Regierung beschloss, ein Manuskript aus ihren Archiven freizugeben, das Adolf Eichmann während des Prozesses geschrieben hatte: „Götzen” sind die biographischen Einlassungen betitelt, mit denen er seine Vergangenheit zu rechtfertigen und sich selbst in gutes Licht zu setzen suchte.
„Götzen” ist noch verlogener als das Manuskript, das Eichmann unmittelbar nach seiner Entführung abfasste und „Meine Memoiren” nannte. Dieser Text wiederum ist noch unehrlicher als das von 1956 an in vier Jahren aufgezeichnete umfassende Interview, das Eichmann – noch im sicheren argentinischen Exil – dem holländischen Journalisten und ehemaligen SS- Offizier Wilhelm Sassen gab. Die amtliche Freigabe der „Götzen” hat zwar den Anstoß für Irmtrud Wojaks Buch gegeben, doch kann ein Manuskript nicht im Zentrum der Geschichte stehen, von dem die Autorin schreibt: „Schon der Titel war eine Lüge.” Da die Auswertung des „Götzen”-Manuskriptes historisch wenig ergiebig ist, musste Irmtrud Wojak das Zentrum ihrer Darstellung andernorts einrichten. Ihr Buch kreist um zwei Punkte: Eichmanns Antisemitismus und die Eskalation der Verfolgung bis zur „Endlösung”.
Das Interview mit Wilhelm Sassen hat Irmtrud Wojak sehr genau gelesen. Es ist eine Quelle, die Hannah Arendt für ihre berühmte Gerichtsreportage nicht benutzte. Hätte sie es getan, ihre These von der „Banalität des Bösen” hätte sich einigermaßen erübrigt. Am SassenInterview kann Irmtrud Wojak zeigen, wie sehr Eichmann durch und durch Nationalsozialist war. Wenn mehr als sechs Millionen Juden umgekommen wären, wenn die Nazis alle europäischen Juden getötet hätten, dann, so sagte Eichmann, „dann wäre ich befriedigt und würde sagen, gut, wir haben einen Feind vernichtet”. Natürlich war er nicht bloß gedankenloser Erfüllungsgehilfe: „Ich war kein normaler Befehlsempfänger”, ließ er Sassen wissen, „dann wäre ich ein Trottel gewesen, sondern ich habe mitgedacht, ich war ein Idealist gewesen.”
Hannah Arendt hat sich geirrt. „Eichmann in Jerusalem” mag Aufschlüsse über ihr Kant-Verständnis geben. Was den Fall Eichmann angeht, der ist tatsächlich banaler, als die Philosophin sich das vorgestellt hat: Eichmann war Nazi und Judenfeind und auf seine Karriere bedacht. Also hat er im Rahmen seiner beruflichen Tätigkeit dafür gesorgt, dass möglichst viele Juden starben.
Die zweite Thematik, der Irmtrud Wojak sich ausgiebig widmet, ist die Entwicklung, die zur „Endlösung” führte. Diese Geschichte erzählt die Autorin im Wesentlichen aus der Sekunddärliteratur und stets im Hinblick auf die Rolle, die Eichmann darin spielte.
Es war ja die fabrikmäßige Vernichtung der Menschenleben nicht von Anbeginn geplant. Vielmehr bot sie sich 1941 zunehmend als praktikabel an: Die Nazi-Größen in Frankreich wollten die jüdische Bevölkerung loswerden. Hitler befahl, deutsche und tschechische Juden nach Osten abzuschieben. Aber wohin? Die Ghettos waren sogar nach dem Ermessen der Nazis voll. Je mehr Transporte aus dem Westen eintrafen, desto dringlicher wirkten die Befehlshaber im Osten darauf ein, dass möglichst viele Juden, egal wie, zu Tode kamen. Der SS- und Polizeiführer Odilo Globocnik verfolgte ohnedies eine Strategie, die den Plänen der Umsiedler entgegenstand. Globocnik richtete Zwangsarbeitslager für Juden ein. Was sollte aber mit den übrigen geschehen, die nicht arbeiten konnten, die überzählig waren?
Da der Ostfeldzug ins Stocken geriet, gab es keine Aussicht, die Juden weiter nach Osten zu befördern. Eichmann hatte sich dafür stark gemacht, eine Art Reservat in Madagaskar einzurichten, später gab er sogar vor, er selbst sei auf diese „politische” Lösung verfallen. Der Madagaskar-Plan ließ sich indes schon deshalb nicht verwirklichen, weil ein Sieg über Großbritannien nicht zu erwarten stand und das Empire die Herrschaft über die Ozeane hielt. 1941 war in den Besprechungen der Nazi-Größen immer öfter die Rede davon, dass es praktischer wäre, die Juden einfach „zu erledigen”, „zu erschießen”. Auch Eichmann, der Transportspezialist im Reichssicherheitshauptamt, hat sich so geäußert.
All diese Umstände schildert Irmtrud Wojak. Doch damit nicht genug, meint sie, dazu noch das Datum einkreisen zu können, an dem die „Endlösung im Sinn der physischen Vernichtung” beschlossene Sache war. Dieser Teil ihrer Darstellung – es läuft auf den November 1941 hinaus – ist nicht ganz überzeugend. Im Gespräch mit Sassen sagte Eichmann, die „physische Vernichtung” der Juden sei „Ende ’41” befohlen worden. Das mag so sein, es muss nicht so sein. Die Indizien, die Irmtrud Wojak anführt, lassen Raum für Zweifel und Glauben. Die Bedeutung ihrer Studie liegt vornehmlich darin, dass sie Hannah Arendts Eichmann-Exegese empirisch geläutert hat. Adolf Eichmann war noch banaler, als die philosophische Gedankenfigur von der „Banalität des Bösen” es vorsieht: Er handelte seinem Denken gemäß und im Interesse seiner beruflichen Karriere.
FRANZISKAAUGSTEIN
IRMTRUD WOJAK: Eichmanns Memoiren. Ein Kritischer Essay. Campus, Frankfurt a. M. 2001. 279 Seiten, 25,50 Euro.
„Wenige Tage, nachdem Mogilew genommen wurde”, stellte ein Beamter 1941 fest, „merkt man in der Stadt bereits das Wirken der deutschen Organisation.” Die ansässigen Juden wurden zur Zwangsarbeit verschickt.
Foto: Bundesarchiv
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

In ihrer Studie über Eichmanns Memoiren revidiert Irmtrud Wojak das Eichmann-Porträt Hannah Arendts, berichtet Rezensentin Franziska Augstein. Wie Augstein hervorhebt, stützt sich Wojak insbesondere auf ein umfassendes Interview, das Eichmann dem holländischen Journalisten und ehemaligen SS-Offizier Wilhelm Sassen zwischen 1956 und 1960 gab, eine Quelle, die Hannah Arendt für ihre berühmte Gerichtsreportage nicht verwendet hatte. Auf dieser Grundlage kann Wojak nach Ansicht Augsteins zeigen, dass der Fall Eichmann tatsächlich noch banaler war, als es Arendts philosophische Gedankenfigur von der "Banalität des Bösen" vorsah: "Eichmann war Nazi und Judenfeind und auf seine Karriere bedacht", fasst Augstein zusammen, "also hat er im Rahmen seiner beruflichen Tätigkeit dafür gesorgt, dass möglichst viele Juden starben." Neben dem Antisemitismus Eichmanns, hält die Rezensentin fest, untersucht Wojak die Entwicklung, die zur "Endlösung" führte, insbesondere im Blick auf die Rolle, die Eichmann dabei spielte. Ihre Rekonstruktion des Zeitpunktes, zu dem die "Endlösung" beschlossene Sache war, findet Augstein indes nicht ganz überzeugend. Die Bedeutung von Wojaks Essay sieht Augstein vornehmlich darin, "dass sie Hannah Arendts Eichmann-Exegese empirisch geläutert hat".

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