Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Laura Weissmüller hatte offensichtlich eine gute Zeit mit Banana Yoshimotos sechs neuen Kurzgeschichten, die als "Eidechse" soeben erschienen sind. Märchenhafte, surreale Geschichten hat sie gelesen, die, ohne der "grauen Asphalttristesse" aus dem Weg zu gehen, das Märchenhafte des Lebens auch ganz alltäglicher Gestalten zum Vorschein bringen. Zudem sind, wie die Rezensentin charmiert feststellt, in den Erzählungen immer auch "kleine Lebensweisheiten verpackt"; doch ist die Autorin zu geschickt, um dabei Kitsch zu produzieren. Ihre Geschichten baut sie "unprätentiös, knapp und abgeklärt", ihre Sätze sind "schlicht", aber jederzeit zur Entfaltung einer "zauberhaften Phantasie" fähig. Mit einem "hoffnungsvollen" Gefühl klappte Weissmüller das Buch nach der Lektüre zu, beseelt von der Erkenntnis: "Das Leben ist ein Märchen und alles scheint möglich."
© Perlentaucher Medien GmbH
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 04.08.2005Die Prismen funkeln
Viel wertvoller als tagsüber: Banana Yoshimotos „Eidechse”
Märchen beginnen gewöhnlich mit „Es war einmal” und meistens entlassen sie ihr frisch verliebtes Prinzenpaar in eine wolkenlose Zukunft. Banana Yoshimotos Kurzgeschichten fehlt beides: der klassische Anfang und das beruhigende Happy End, trotzdem ist die 41-jährige Japanerin eine Märchenerzählerin. Ihre Protagonisten besitzen Zauberkräfte, machen ständig wundersame Begegnungen oder erleben derart viele sonderbare Zufälle, dass das Durchschnittsleben der Ich-Erzähler plötzlich an Bodenhaftung verliert.
In einer Mischung aus bunter Traumwelt und grauer Asphalttristesse skizziert Banana Yoshimoto in herrlich unpathetischen Sätzen das Leben ihrer Figuren. Es sind weder strahlende Helden noch absolute Verlierer, sondern alltägliches Mittelmaß: gelangweilte Ehemänner, verwöhnte Geliebte oder verkaterte Journalisten. Allesamt Kinder der einsammachenden Großstadt und mit einer Gemeinsamkeit ausgestattet: Sie sind wach gegenüber dem Sonderbaren in ihrem manchmal allzu banalen Leben.
Jede der sechs Kurzgeschichten berichtet von Schlüsselstellen im Dasein der Hauptfiguren, von dem Zeitpunkt, an dem ihr Leben in einem unbeachteten Moment einen Haken schlägt, die geordneten Bahnen verlässt und endlich zu sich findet. Nach der Lektüre von „Eidechse” könnte der Leser deshalb der Meinung sein, aufwändige Therapien und Selbsthilfekurse seien lange nicht so effektiv wie verpasste S-Bahnstationen, zufällige Begegnungen im Einkaufszentrum oder ein dahingesagter Satz.
Die Geschichten wirken streckenweise surreal. Wie ihre Protagonisten sucht auch die Autorin nach dem Phantastischen im öden Alltag, nach dem sichtbaren Augenblick des Glücks, der sich noch auf jedem dreckigen Bordsteinzentimeter des Großstadtlebens zu finden scheint. Nicht umsonst spielen viele Handlungen in der nächtlichen Dunkelheit: Alles wirkt geheimnisvoll, mehrdeutig oder, wie Banana Yoshimoto über die Inneneinrichtung eines Cafes formuliert: „Jedes der ineinander gestellten Gläser, die wie Prismen funkelten, erschien jetzt viel wertvoller als bei Tag.”
Die anonyme Metropole
Das Beschriebene überzieht sie mit einem Weichzeichner: Die Charaktere bleiben vage, die Schauplätze tauchen nur schemenhaft auf, sodass der Leser fast schon über Ausdrücke von japanischen Gerichten oder Restaurants stolpert. Nirgends sonst zeigt sich so offensichtlich Yoshimotos Heimat, in der sie nicht erst seit ihrem Roman „Kitchen” als Kultautorin gehandelt wird. Gerade aber in der gewählten Unschärfe liegt die Möglichkeit, das Wesentliche aufzudecken. Denn in den märchenhaften Erzählungen sind kleine Lebensweisheiten verpackt, aber so unaufdringlich und zart, dass sie dem Kitsch dabei glücklich entgehen.
Die anonyme Metropole ohne Gesicht wirkt sich nicht nur auf ihre Bewohner aus, sondern auch auf den Stil der Schriftstellerin: Unprätentiös, knapp und abgeklärt baut sie ihre Geschichten auf. Doch im nächsten Moment entfalten die schlichten Sätze eine zauberhafte Poesie, leuchten in ihrer Einfachheit wie der Fluss, den die Autorin in der letzten Erzählung benutzt, um das Seelenleben ihrer Protagonisten darin zu spiegeln. So sind in „Eidechse” die Tempelruinen im Mondlicht, das schäbige Motel für eine Nacht oder das Fehlen der Wolken am Himmel stets mehr als Kulisse für die Handlung: Sie sind gezeichnete Sinnbilder für die Welt Banana Yoshimotos, und obwohl diese nie ein glückliches Ende für ihre Figuren zu bieten hat, wirkt diese Welt doch hoffnungsvoll: Das Leben ist ein Märchen und alles scheint möglich.
LAURA WEISSMÜLLER
BANANA YOSHIMOTO: Eidechse. Erzählungen. Aus dem Japanischen von Anita Brockmann und Annelie Ortmanns. Diogenes Verlag, Zürich 2005. 200 Seiten, 18,90 Euro.
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Viel wertvoller als tagsüber: Banana Yoshimotos „Eidechse”
Märchen beginnen gewöhnlich mit „Es war einmal” und meistens entlassen sie ihr frisch verliebtes Prinzenpaar in eine wolkenlose Zukunft. Banana Yoshimotos Kurzgeschichten fehlt beides: der klassische Anfang und das beruhigende Happy End, trotzdem ist die 41-jährige Japanerin eine Märchenerzählerin. Ihre Protagonisten besitzen Zauberkräfte, machen ständig wundersame Begegnungen oder erleben derart viele sonderbare Zufälle, dass das Durchschnittsleben der Ich-Erzähler plötzlich an Bodenhaftung verliert.
In einer Mischung aus bunter Traumwelt und grauer Asphalttristesse skizziert Banana Yoshimoto in herrlich unpathetischen Sätzen das Leben ihrer Figuren. Es sind weder strahlende Helden noch absolute Verlierer, sondern alltägliches Mittelmaß: gelangweilte Ehemänner, verwöhnte Geliebte oder verkaterte Journalisten. Allesamt Kinder der einsammachenden Großstadt und mit einer Gemeinsamkeit ausgestattet: Sie sind wach gegenüber dem Sonderbaren in ihrem manchmal allzu banalen Leben.
Jede der sechs Kurzgeschichten berichtet von Schlüsselstellen im Dasein der Hauptfiguren, von dem Zeitpunkt, an dem ihr Leben in einem unbeachteten Moment einen Haken schlägt, die geordneten Bahnen verlässt und endlich zu sich findet. Nach der Lektüre von „Eidechse” könnte der Leser deshalb der Meinung sein, aufwändige Therapien und Selbsthilfekurse seien lange nicht so effektiv wie verpasste S-Bahnstationen, zufällige Begegnungen im Einkaufszentrum oder ein dahingesagter Satz.
Die Geschichten wirken streckenweise surreal. Wie ihre Protagonisten sucht auch die Autorin nach dem Phantastischen im öden Alltag, nach dem sichtbaren Augenblick des Glücks, der sich noch auf jedem dreckigen Bordsteinzentimeter des Großstadtlebens zu finden scheint. Nicht umsonst spielen viele Handlungen in der nächtlichen Dunkelheit: Alles wirkt geheimnisvoll, mehrdeutig oder, wie Banana Yoshimoto über die Inneneinrichtung eines Cafes formuliert: „Jedes der ineinander gestellten Gläser, die wie Prismen funkelten, erschien jetzt viel wertvoller als bei Tag.”
Die anonyme Metropole
Das Beschriebene überzieht sie mit einem Weichzeichner: Die Charaktere bleiben vage, die Schauplätze tauchen nur schemenhaft auf, sodass der Leser fast schon über Ausdrücke von japanischen Gerichten oder Restaurants stolpert. Nirgends sonst zeigt sich so offensichtlich Yoshimotos Heimat, in der sie nicht erst seit ihrem Roman „Kitchen” als Kultautorin gehandelt wird. Gerade aber in der gewählten Unschärfe liegt die Möglichkeit, das Wesentliche aufzudecken. Denn in den märchenhaften Erzählungen sind kleine Lebensweisheiten verpackt, aber so unaufdringlich und zart, dass sie dem Kitsch dabei glücklich entgehen.
Die anonyme Metropole ohne Gesicht wirkt sich nicht nur auf ihre Bewohner aus, sondern auch auf den Stil der Schriftstellerin: Unprätentiös, knapp und abgeklärt baut sie ihre Geschichten auf. Doch im nächsten Moment entfalten die schlichten Sätze eine zauberhafte Poesie, leuchten in ihrer Einfachheit wie der Fluss, den die Autorin in der letzten Erzählung benutzt, um das Seelenleben ihrer Protagonisten darin zu spiegeln. So sind in „Eidechse” die Tempelruinen im Mondlicht, das schäbige Motel für eine Nacht oder das Fehlen der Wolken am Himmel stets mehr als Kulisse für die Handlung: Sie sind gezeichnete Sinnbilder für die Welt Banana Yoshimotos, und obwohl diese nie ein glückliches Ende für ihre Figuren zu bieten hat, wirkt diese Welt doch hoffnungsvoll: Das Leben ist ein Märchen und alles scheint möglich.
LAURA WEISSMÜLLER
BANANA YOSHIMOTO: Eidechse. Erzählungen. Aus dem Japanischen von Anita Brockmann und Annelie Ortmanns. Diogenes Verlag, Zürich 2005. 200 Seiten, 18,90 Euro.
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