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Produktdetails
  • Verlag: Stekovics
  • Seitenzahl: 80
  • Abmessung: 245mm
  • Gewicht: 395g
  • ISBN-13: 9783932863172
  • Artikelnr.: 28984381
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 28.12.1999

Ein Marx-Brief für Stalin
Die Bodenreform im Osten als Raubritterzug

Eigentum des Volkes. Schloss Wernigerode Depot für enteignetes Kunst- und Kulturgut. Herausgegeben von der Stiftung Schlösser, Burgen und Gärten des Landes Sachsen-Anhalt und Boje Schmuhl in Verbindung mit Konrad Breitenborn. Verlag Janos Stekovics, Halle an der Saale. 80 Seiten, 24,80 Mark.

Rüdiger Fikentscher, Boje Schmuhl, Konrad Breitenborn: Die Bodenreform in Sachsen-Anhalt. Verlag Janos Stekovics, 256 Seiten, 38,- Mark.

Mitte der sechziger Jahre kaufte Fürst Wolff-Heinrich zu Stolberg-Stolberg von einer belgischen Kunstgalerie ein Gemälde, das eine seiner Vorfahren aus dem 18. Jahrhundert zeigte. Der Fürst fand auf der Rückseite des Bildes mehrere Stempelaufdrucke, die etwas über den bisherigen Verbleib des Bildes aussagten. Zwei Stempelaufdrucke, notdürftig übermalt, waren besonders interessant. "Volkseigentum. Landesregierung Sachsen-Anhalt. Minister für Volksbildung, Kunst und Wissenschaft. Kulturgut" stand darauf. Immerhin blieb das Gemälde erhalten. Ein großformatiges Porträt der Fürstin Anna zu Stolberg-Wernigerode, gemalt von Friedrich Kaulbach, wurde hingegen 1965 zusammen mit anderen Bildern in Halle vernichtet. Die Porzellanservice und die silbernen Bestecke von Lothar Graf Asseburg-Rothkirch auf Burg Falkenstein konnten hingegen weder verkauft noch vernichtet werden. Sie lagen bis 1992 in einem Versteck, einem fensterlosen Zwischengeschoss auf der Burg im Harz. Wären die Service und Bestecke, die Tafelaufsätze, Kerzenhalter und sogar der Inhalt des Weinkellers gefunden worden, hätten die neuen Herren im Osten sich an den Schätzen bedient, ohne dass ihnen das Gewissen dabei im Wege gewesen wäre. Sie hätten wie in Hunderten anderen Fällen die Schätze Ferienheimen, Gästehäusern, Gaststätten oder Kulturhäusern gegeben. Sie hätten sie an Theater verschenkt oder für Filmaufnahmen verliehen oder auf anderen Wegen "die Objekte der Volksbildung als Volkseigentum in vollem Umfang" zugänglich gemacht. Oder sie hätten die Sachen an den Westen verkauft. Ganze Lastkraftwagenladungen fuhren damals in Richtung Bundesrepublik. Bei einem dieser Transporte muss auch das Bild der Stolberger Gräfin Henriette Catharina gewesen sein, das Wolff-Heinrich zu Stolberg-Stolberg schließlich erwarb.

So wurde in der DDR mit dem Kunstgut umgegangen, das bei der Bodenreform ein wertvolles Nebenprodukt der Enteignungen war. Die Gutsbesitzer waren entweder geflohen, oder sie wurden vertrieben. Was als erster Schritt in Richtung neuer Produktionsverhältnisse auf dem Lande gefeiert wurde und heute sogar durch den Einigungsvertrag rechtlich sanktioniert ist, war auch ein Raubzug. Das auf diese Weise zusammengebrachte Kulturgut wurde etwa in Sachsen-Anhalt auf das Schloss Wernigerode gebracht. Dort blieb ein Teil, um ein Feudalmuseum aufzubauen, das der größte Teil der DDR-Bevölkerung bei dieser oder jener Gelegenheit später besucht haben dürfte. Konrad Breitenborn, der Leiter der Abteilung Wissenschaft der Stiftung Schlösser, Burgen und Gärten des Landes Sachsen-Anhalt, erzählt diese Geschichte: Die Landesregierung Sachsen-Anhalt schenkte Stalin zu seinem 70. Geburtstag das Original eines Briefes von Karl Marx an den Publizisten Julius Fröbel aus dem Jahr 1843. Gefunden worden war dieser Brief im Schloss Beichlingen. Wieder andere Stücke blieben von den Behörden unentdeckt, weil die Neubauern, vor allem natürlich die Vertriebenen, Geschirr und Möbel gut brauchen konnten. In dieser Zeit mochte es vorkommen, dass Kinder mit Tassen aus Meißener Porzellan im Sand spielten. Ein Bauer, der in das Schloss der Familie von Krosigk eingezogen war, nutzte eine wertvolle Vase, um darin Gurken einzulegen. Vieles ging dabei natürlich verloren. So sollen etwa 50 000 Bücher aus der Bibliothek des Schlosses von Wernigerode von der sowjetischen Siegermacht abtransportiert worden sein. Der Reichtum anderer Bibliotheken wurde so verteilt, dass das Auffinden heute zum Teil unmöglich ist. Am Ende war auch nicht mehr zu unterscheiden, was wirklich Kunstgut aus der Bodenreform war und was gar nicht dazu gehörte. Nicht dazu gehörten etwa Gemälde, Möbel und historische Tapeten, welche die Stadt Emden kurz vor Ende des Kriegs aus ihrem Rathaus vorsichtshalber ausgelagert und auf das Gut Bösewig bei Wittenberg gebracht hatte. Die Kunstgegenstände wurden nach Kriegsende nicht zurückgegeben, sondern kamen in das Feudalmuseum Wernigerode. Fast 45 Jahre lang hing ein für die Geschichte der Stadt wichtiges Bild des Emdener Malers Martinus Faber im Treppenhaus des Schlosses von Wernigerode. Erst 1994 kehrte die Sammlung aus Emden zurück in das wieder aufgebaute Rathaus, heute Ostfriesisches Landesmuseum.

Im Dezember 1997 wurde in Sachsen-Anhalt auch das erste Bodenreform-Kunstgut an die Besitzer zurückgegeben. Es handelt sich dabei um zwanzig Ahnenbilder der Familie von Gutstedt, die 1945 im Gutshaus in Deersheim sichergestellt worden waren und Jahrzehnte im Depot lagen. Auch die Stücke aus dem 1948 aufgelösten Bismarck-Museum in Schönhausen, dem Geburtsort des Reichsgründers, sind zurückgegeben: Aus Anlass von Bismarcks 100. Todestag 1998 wurde das Museum wieder eröffnet. Hinzu kamen Leihgaben der Stiftung Schlösser, Burgen und Gärten des Landes Sachsen-Anhalt, etwa eine Nachbildung der Berliner Siegessäule, die ein Geschenk Kaiser Wilhelms an Bismarck war.

Das Land Sachsen-Anhalt hat diese Geschichten mit einer Ausstellung erzählt und dazu einen kleinen Bildband herausgegeben. Die Sorgfalt, mit der das Buch gemacht wurde, zeigt, wie wichtig dem Land das Thema ist. Den Bildband ergänzt ein ebenfalls vorbildlich edierter Tagungsband zur Bodenreform in Sachsen-Anhalt. Ein Kapitel von Breitenborn darin widmet sich unter der Überschrift "Eigentum des Volkes" dem geraubten Kulturgut.

FRANK PERGANDE

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