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»Dan Diner öffnet einem die Augen« NZZ Geschichte
Dieses in der Presse gefeierte Buch erzählt die Anatomie des Zweiten Weltkrieges aus einer ungewohnten Perspektive: Im Zentrum des Geschehens steht das jüdische Palästina, gelegen am Schnittpunkt der europäisch-kontinentalen und außereuropäisch-kolonialen Wahrnehmung. Die Kernzeit dieser raumgeschichtlich angelegten Erzählung liegt zwischen dem Abessinien-Krieg 1935 und den Schlachten von El Alamein und Stalingrad 1942. Die Verschränkung zweier, für sich jeweils anderer Kriege - dem Zweiten Weltkrieg und dem Kampf um Palästina - konstruiert…mehr

Produktbeschreibung
»Dan Diner öffnet einem die Augen« NZZ Geschichte

Dieses in der Presse gefeierte Buch erzählt die Anatomie des Zweiten Weltkrieges aus einer ungewohnten Perspektive: Im Zentrum des Geschehens steht das jüdische Palästina, gelegen am Schnittpunkt der europäisch-kontinentalen und außereuropäisch-kolonialen Wahrnehmung. Die Kernzeit dieser raumgeschichtlich angelegten Erzählung liegt zwischen dem Abessinien-Krieg 1935 und den Schlachten von El Alamein und Stalingrad 1942. Die Verschränkung zweier, für sich jeweils anderer Kriege - dem Zweiten Weltkrieg und dem Kampf um Palästina - konstruiert das eigentliche Drama der Erzählung und durchzieht als roter Faden das Buch.
Autorenporträt
Dan Diner, geboren 1946, lehrt Moderne Geschichte an der Hebräischen Universität zu Jerusalem. Der international renommierte Historiker war von 1999 bis 2014 Direktor des Simon-Dubnow-Instituts für jüdische Geschichte und Kultur an der Universität Leipzig und ist Mitglied der Sächsischen Akademie der Wissenschaften. Dan Diner steht der Alfred Landecker Stiftung vor. Zu seinen Hauptwerken gehört 'Zeitenschwelle. Gegenwartsfragen an die Geschichte' (2010); 'Das Jahrhundert verstehen. 1917-1989' (2015) und 'Rituelle Distanz. Israels deutsche Frage' (2015).
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Sehr interessiert bespricht Rezensent René Schlott dieses Buch, das ihn vor allem durch seine ungewöhnliche geografische und zeitliche Perspektive einnimmt. Das britische Mandatsgebiet zwischen "Mittelmeer und Jordan" als Zentrum des Geschehens anzulegen und dazu den italienischen Angriff auf Äthiopien als End- und die Schlacht von El Alamein als Endpunkt zu setzen, findet der interessierte Kritiker einen sehr klugen "Zugriff" - und ausführlich erklärt er der Leserschaft die Zusammenhänge, wie Diener sie darstellt. Dann aber hat ihn gestört, dass der Blick des Autors auf den Krieg gänzlich ohne gender-, kultur- oder alltagsgeschichtliche Anreicherung auskommt, und dass es nur zwei Landkarten gibt, in denen man zudem die militärischen Zusammenhänge kaum verdeutlicht bekommt. Trotz dieser Mängel findet der Kritiker das Buch eine "lohnende Lektüre."

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.03.2021

Zum Raum der Militärs wird hier die Zeit
Mit geostrategischem Blick: Dan Diner folgt Verknüpfungen zwischen dem Weltkriegsgeschehen und den Kämpfen um Palästina

Im Februar 1942 sank die mit achthundert jüdischen Flüchtlingen überladene "Struma" vierzehn Seemeilen nordnordöstlich des Bosporus. Fast alle Passagiere starben. Ein sowjetischer Torpedo hatte das Schiff getroffen. Es war schon zuvor wegen Motorproblemen fahruntüchtig gewesen und aufs offene Meer geschleppt worden, nachdem die türkischen Behörden einen Landgang der Passagiere untersagt hatten. Diesem inhumanen Vorgehen waren gescheiterte Verhandlungen mit der Jewish Agency und Großbritannien vorausgegangen - erstere wollte die Weiterreise nach Palästina ermöglichen, die Briten genau eine solche verhindern. Dass die "Struma" von einem sowjetischen U-Boot versenkt wurde, lag daran, dass sie von Constanta aus gestartet war. Rumänien aber war mit Deutschland verbündet und transportierte Öl über das Schwarze Meer und den Bosporus - Öl auch für Generalfeldmarschall Rommel gewissermaßen, Befehlshaber des Deutschen Afrikakorps, der gerade mit seiner Panzerarmee in Nordafrika immer weiter ostwärts in Richtung Palästina vorstieß.

In der Tragödie der "Struma" berühren sich der große Weltkrieg, der im Jahr 1942 in seine entscheidende Phase trat, und der schwelende kleine Krieg um Palästina, den der Yishuv und die zionistischen Organisationen gegen die britische Mandatsmacht und die gleichfalls aufständischen arabischen Palästinenser führten - "ein anderer Krieg" inmitten des globalen, wie Dan Diners Buch über das jüdische Palästina und den Zweiten Weltkrieg heißt. Das "Unglück" am Bosporus ging ins jüdische Gedächtnis als Sinnbild des jüdischen Schicksals und der Feindseligkeit oder Gleichgültigkeit der Welt ein. Fünf Monate später allerdings gewann die 8. Armee des Britischen Heeres, unter ihnen auch palästinensische Soldaten, Araber wie Juden, glücklich die Schlacht bei El-Alamein gegen die Truppe des "Wüstenfuchses" Rommel. Die existentielle Gefährdung der levantinischen Juden war damit gebannt. Nun konnte sich der Yishuv wieder auf das Projekt Israel konzentrieren. Ein halbes Jahr später wurden die Deutschen bei Stalingrad geschlagen, was zwar die Ermordung der europäischen Juden nicht verhinderte, aber den Krieg endgültig wendete.

Mit der Geschichte der "Struma" zeigt Dan Diner in für ihn typischer Weise, wie sich komplizierte, ungleichzeitige oder gegenläufige historische Konfliktlinien in einem Ereignis verdichten. Diner erzählt nicht einfach diachrone Geschichten mit Anfang und Ende, sondern interessiert sich für Kriegsanatomien, für Schnitt- und Angelpunkte verschiedener Perspektiven, für disparate Erfahrungsschichten historischer Gedächtnisse, für Konstellationen. Seine intellektuell überaus dichte Erzählung folgt nicht der Zeit, sondern dem Raum und in diesem Fall der militärischen Logik.

Von Orten und Ereignissen wie der zionistischen Biltmore-Konferenz im Mai 1942 oder dem Streik und der arabischen Revolte im Hafen von Haifa 1935 unternimmt Diner Zeitreisen mit geostrategischem Blick. Daraus ergeben sich Streifzüge durch das britische Empire, teilweise zurück bis ins neunzehnte Jahrhundert. Wir lernen etwa, dass die britischen Polizisten in Palästina durch die Imperial Policy in Indien geschult waren, die wiederum auf die Erfahrungen in Irland aufbaute. Bei den vielen Besichtigungen verliert man manchmal die Argumentation aus den Augen. Die Ordnung der Erzählung ist nicht leicht nachzuvollziehen. Aber die historische Wirklichkeit ist es ja auch nicht.

Diner geht es um die Schärfung von Aufmerksamkeit: In welcher Verbindung steht beispielsweise der anglo-irakische Krieg im Frühjahr 1941, nachdem in Bagdad ein Obristenregime geputscht hatte, mit dem Vichy-Regime und dem Kampf des Irgun? Wie verband die Invasion Irans 1941 die getrennten Kriegsschauplätze in Kontinentaleuropa, im Mittelmeer und im asiatischen Pazifik miteinander? Solche Fragen interessieren den Historiker, der seit seiner Emeritierung als Direktor des Leipziger Simon Dubnow-Instituts für jüdische Geschichte und Kultur ein Forschungsprojekt über den "Zweiten Weltkrieg im Zeitalter der Globalisierung" leitet: Er möchte den altbekannten Krieg - Hitler unterwirft Europa, scheitert in Stalingrad, wird wieder zurückgedrängt und muss am Ende kapitulieren - mit anderen Perspektiven konfrontieren, hier kolonialen und antikolonialen, insbesondere mit dem Zentrum Palästina.

Gleichwohl kann, so Diner, die "Jüdische-Palästina-Perspektive" auf den Weltkrieg nicht autonom existieren, sondern sie ist mit der Expansion des Krieges vom Epizentrum Deutschland aus über den ganzen europäischen Kontinent verbunden. In der britischen Empire-Perspektive wiederum liegt Palästina am nordwestlichen Rand des asiatischen Teils mit Indien als Zentrum und dem Indischen Ozean als Binnenmeer. Und in der jüdischen Perspektive geht es zwischen Mai und November 1942 um Tage der Existenzgefährdung, was später im israelischen Nachkriegsgedächtnis, wie Diner zeigt, verdrängt wurde, weil nicht Eretz Israel, sondern Zufall, Glück und die Briten die nahöstlichen Juden gerettet hatten. Analog könnte man nun noch weitere Kriegssichten ausleuchten.

Dieses Buch folgt einer Logik, die aus der Historiker-Biographie des Autors selbst hervorgeht. Dan Diner analysierte in seiner 1980 veröffentlichten Habilitationsschrift die zionistische Landnahme in Palästina und die militärische Vorgehensweise Israels bis 1951. Trotz aller Kritik am Zionismus war er der Überzeugung, dass der historische Zionismus als Ideologie gegenüber seinen Kritikern angesichts der Judenvernichtung recht behalten habe. Für ebendiese prägte er 1988 den Begriff des "Zivilisationsbruchs", der "Auschwitz" als historische Zäsur markierte.

Früher und gründlicher als andere rückte Diner die Gegenläufigkeit historischer Gedächtnisse in den Fokus, etwa am Beispiel des 8. Mai 1945, der aus osteuropäischer oder westeuropäischer oder antikolonialer Perspektive immer etwas anderes bedeutet. Der Streit zwischen dem postkolonialen Theoretiker Achille Mbembe und dem Antisemitismusbeauftragen der Bundesregierung Felix Klein entsprang der Konkurrenz zwischen postkolonialem Gedächtnis und einer auf Auschwitz ausgerichteten Erinnerung. In diesem Buch über den Weltkrieg in Palästina findet das alles nun zusammen - erweitert durch die britisch-imperiale Perspektive. Diner dezentriert einerseits den globalen Krieg und zeigt anderseits Zusammenhänge auf, die mittels der temporalen und topographischen Peripherisierung überhaupt erst sichtbar werden.

JÖRG SPÄTER

Dan Diner: "Ein anderer Krieg". Das jüdische Palästina und der Zweite Weltkrieg 1935-1942.

Deutsche Verlags-Anstalt, München 2021. 352 S., geb., 34,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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»Dan Diners Buch ist nicht nur ein Plädoyer für den Multiperspektivismus, sondern hierfür ein glänzend gelungenes Beispiel.« Herfried Münkler, Die Zeit