Produktdetails
- Verlag: Frankfurt/Main, Büchergilde Gutenberg 2001
- ISBN-13: 9783763252176
- ISBN-10: 3763252177
- Artikelnr.: 25288347
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 10.04.2001Der plurale Kibbuz
Amos Oz erzählt noch einmal vom stimmigen Gemeinschaftsleben
Ein Gefühl der Wehmut befällt einen nach der Lektüre dieses Buches, des Romans von Amos Oz mit dem etwas blassen Titel „Ein anderer Ort”. Gern liest man diese Geschichten vom Kibbuz „Mezudat Ram”, Oz liebt seine Figuren, und man kann gut nachvollziehen, warum er sie mag. Dennoch lässt sich das Gefühl nicht unterdrücken, als würde man bei einer Abschiedsvorstellung zuschauen, als läge ein nostalgischer Firnis über dem Roman –was wohl damit zu tun hat, dass dieses Buch Anfang der sechziger Jahre geschrieben wurde und erst jetzt ins Deutsche übersetzt worden ist.
Amos Oz legt es allerdings auch selbst darauf an, dass eine sehnsuchtsvolle Stimmung aufkommt. Im Ton eines verschmitzten Märchen- und Geschichtenerzählers vermag er selbst von so rauhen Dingen wie der geopolitischen Lage des Kibbuz – er liegt am Fuß eines Berges im Nordosten Israels und ist leicht zu erobern – oder von etwas bitter Schönem zu erzählen. Er benennt zwar die tatsächlichen Gefahren, denen der Kibbuz ausgesetzt ist, über diesem kleinen sozialen Verband scheint aber eine große schützende Hand zu liegen. Niemand dort, so hat es den Anschein, muss sich wirklich Sorgen machen.
Natürlich leben keine Heiligen in „Mezudat Ram”. Dem Lehrer ist die Frau weggelaufen, jetzt besucht er jeden Abend Bronka Berger, die Frau des Lastwagenfahrers. Mit der Kibbuz-Moral steht das zwar nicht im Einklang, größere Gefahren für das gemeinsame Leben jedoch gehen von Entwicklungen aus, von denen Oz viel zurückhaltender spricht. Rami Rimon möchte gerne seinen Militärdienst bei den Fallschirmjägern absolvieren, ein Entschluss, der nur auf den ersten Blick so patriotisch ist, wie es die älteren Männer waren, als sie nach Israel kamen und ihr Land verteidigten. Rami setzt sich nicht nur über die Sorgen seiner Mutter hinweg, die schon den Tod ihres ältesten Sohnes beklagen musste – er ist auf eine ganz unsinnige Weise aggressiv, möchte es der Mutter, der Freundin und den Arabern zeigen.
Ein Bruch zwischen der älteren und der nachwachsenden Generation deutet sich in dem Roman von Oz an. Die Gründer des Kibbuz hatten nach biblischen Grundsätzen gehandelt: „Wir kamen mit Pflugscharen, doch sie empfingen uns mit Schwertern, die sich umkehrten und ihnen aufs Haupt schlugen. ” Rami gibt nicht nur nichts mehr auf die Bibel, er hat Freude an der Gewalt und am Zerstören – er glaubt, er würde erst dann in seiner wahren Größe wahrgenommen werden, wenn er andere in den Staub tritt.
Auf diese Aggressivität stößt Ruven auch außerhalb des Kibbuz. Am Rand des Tel Aviver Markts sieht er einen Jungen erbärmlich weinen, er möchte ihn trösten, wird aber von dessen Vater als Kinderschänder beschimpft und halb lahm geprügelt. Dass er überhaupt für fähig gehalten wird, einem weinenden Jungen etwas anzutun, erschreckt Ruven zutiefst. Er sieht die einfachsten Regeln der Mitmenschlichkeit außer Kraft gesetzt, und damit die Grundlage des jüdischen Lebens in Israel insgesamt in Gefahr.
Wohl fühlt sich Ruven an Esras Seite, obwohl Esra allen Grund hätte, ihn wegen der Besuche abends bei seiner Frau zu verprügeln – von Gemeinschaften wie diesen erzählt Oz am liebsten. Die beiden Männer leben im einem gemeinsamen Schatz von Geschichten, zu denen die Flucht aus Deutschland oder aus einer polnischen Stadt ebenso gehört, wie jene Pioniergeschichten von den ersten Jahren in Israel, als sie Zelte auf trockenem israelischen Boden aufstellten und das Land aufzubauen begannen.
Dieses Leben, Liebeswirrnisse inbegriffen, möchte Oz in „Der andere Ort” feiern. Dazu schafft er sich einen Erzähler, der in einem seltsamen Plural auftritt – der führt den Leser von Person zu Person, er belauscht intimste Vorgänge, kommentiert, beschwichtigt, gibt dem Leser Tipps für das Verständnis von Figuren und mag es gerne beschaulich: „Jetzt verlassen wir den Speisesaal, um uns gemütlich auf eine grüne Bank am Rasenrand zu setzen und in Ruhe den Sonnenuntergang zu beobachten.”
Auch das sich anbahnende Verhältnis zwischen dem alten Esra und der jungen Tochter des Lehrers taucht diese Erzähler in ein mildes Licht. Esras Küsse sind angeblich so harmlos wie die eines Vaters, der seine Tochter im Arm hält, und genauso versöhnlich schildert er die tatsächlich gravierenden Veränderungen im Leben des Kibbuz. Jedem seiner Sätze ist anzumerken, dass er das Kibbuz vor Schlimmem bewahren möchte.
Daher rührt auch die Wehmut, die die Lektüre dieses Buchs auslöst. Oz beschwört den Reiz des Kibbuzlebens zu einer Zeit, als die Kibbuzbewegung schon als gescheitert gelten musste – und mit diesem Roman hat er Anfang der sechziger Jahre ganz offensichtlich einen letzten Versuch unternommen, sich gegen diese Entwicklung zu stemmen. Von heute aus betrachtet, hat seine noble aber vergebliche Beredsamkeit etwas Anrührendes, und noch mehr zu Herzen geht der Versuch von Oz, den Kibbuz als eine Chance „unentfremdeten” Zusammenlebens anzupreisen. Verwundert reibt man sich die Augen vor so viel unangestrengtem Bekennermut. Selbst diejenigen, die den Sozialismus für eine ranzig gewordene Angelegenheit halten, werden bei der Lektüre des Romans leise seufzen: Wenn man da nur mitmachen könnte!
KLAUS SIBLEWSKI
AMOS OZ: Ein anderer Ort. Roman. Aus dem Hebräischen von Ruth Achlama. Suhrkamp Verlag, Frankfurt 2001. 447 Seiten, 49,80 Mark.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
Amos Oz erzählt noch einmal vom stimmigen Gemeinschaftsleben
Ein Gefühl der Wehmut befällt einen nach der Lektüre dieses Buches, des Romans von Amos Oz mit dem etwas blassen Titel „Ein anderer Ort”. Gern liest man diese Geschichten vom Kibbuz „Mezudat Ram”, Oz liebt seine Figuren, und man kann gut nachvollziehen, warum er sie mag. Dennoch lässt sich das Gefühl nicht unterdrücken, als würde man bei einer Abschiedsvorstellung zuschauen, als läge ein nostalgischer Firnis über dem Roman –was wohl damit zu tun hat, dass dieses Buch Anfang der sechziger Jahre geschrieben wurde und erst jetzt ins Deutsche übersetzt worden ist.
Amos Oz legt es allerdings auch selbst darauf an, dass eine sehnsuchtsvolle Stimmung aufkommt. Im Ton eines verschmitzten Märchen- und Geschichtenerzählers vermag er selbst von so rauhen Dingen wie der geopolitischen Lage des Kibbuz – er liegt am Fuß eines Berges im Nordosten Israels und ist leicht zu erobern – oder von etwas bitter Schönem zu erzählen. Er benennt zwar die tatsächlichen Gefahren, denen der Kibbuz ausgesetzt ist, über diesem kleinen sozialen Verband scheint aber eine große schützende Hand zu liegen. Niemand dort, so hat es den Anschein, muss sich wirklich Sorgen machen.
Natürlich leben keine Heiligen in „Mezudat Ram”. Dem Lehrer ist die Frau weggelaufen, jetzt besucht er jeden Abend Bronka Berger, die Frau des Lastwagenfahrers. Mit der Kibbuz-Moral steht das zwar nicht im Einklang, größere Gefahren für das gemeinsame Leben jedoch gehen von Entwicklungen aus, von denen Oz viel zurückhaltender spricht. Rami Rimon möchte gerne seinen Militärdienst bei den Fallschirmjägern absolvieren, ein Entschluss, der nur auf den ersten Blick so patriotisch ist, wie es die älteren Männer waren, als sie nach Israel kamen und ihr Land verteidigten. Rami setzt sich nicht nur über die Sorgen seiner Mutter hinweg, die schon den Tod ihres ältesten Sohnes beklagen musste – er ist auf eine ganz unsinnige Weise aggressiv, möchte es der Mutter, der Freundin und den Arabern zeigen.
Ein Bruch zwischen der älteren und der nachwachsenden Generation deutet sich in dem Roman von Oz an. Die Gründer des Kibbuz hatten nach biblischen Grundsätzen gehandelt: „Wir kamen mit Pflugscharen, doch sie empfingen uns mit Schwertern, die sich umkehrten und ihnen aufs Haupt schlugen. ” Rami gibt nicht nur nichts mehr auf die Bibel, er hat Freude an der Gewalt und am Zerstören – er glaubt, er würde erst dann in seiner wahren Größe wahrgenommen werden, wenn er andere in den Staub tritt.
Auf diese Aggressivität stößt Ruven auch außerhalb des Kibbuz. Am Rand des Tel Aviver Markts sieht er einen Jungen erbärmlich weinen, er möchte ihn trösten, wird aber von dessen Vater als Kinderschänder beschimpft und halb lahm geprügelt. Dass er überhaupt für fähig gehalten wird, einem weinenden Jungen etwas anzutun, erschreckt Ruven zutiefst. Er sieht die einfachsten Regeln der Mitmenschlichkeit außer Kraft gesetzt, und damit die Grundlage des jüdischen Lebens in Israel insgesamt in Gefahr.
Wohl fühlt sich Ruven an Esras Seite, obwohl Esra allen Grund hätte, ihn wegen der Besuche abends bei seiner Frau zu verprügeln – von Gemeinschaften wie diesen erzählt Oz am liebsten. Die beiden Männer leben im einem gemeinsamen Schatz von Geschichten, zu denen die Flucht aus Deutschland oder aus einer polnischen Stadt ebenso gehört, wie jene Pioniergeschichten von den ersten Jahren in Israel, als sie Zelte auf trockenem israelischen Boden aufstellten und das Land aufzubauen begannen.
Dieses Leben, Liebeswirrnisse inbegriffen, möchte Oz in „Der andere Ort” feiern. Dazu schafft er sich einen Erzähler, der in einem seltsamen Plural auftritt – der führt den Leser von Person zu Person, er belauscht intimste Vorgänge, kommentiert, beschwichtigt, gibt dem Leser Tipps für das Verständnis von Figuren und mag es gerne beschaulich: „Jetzt verlassen wir den Speisesaal, um uns gemütlich auf eine grüne Bank am Rasenrand zu setzen und in Ruhe den Sonnenuntergang zu beobachten.”
Auch das sich anbahnende Verhältnis zwischen dem alten Esra und der jungen Tochter des Lehrers taucht diese Erzähler in ein mildes Licht. Esras Küsse sind angeblich so harmlos wie die eines Vaters, der seine Tochter im Arm hält, und genauso versöhnlich schildert er die tatsächlich gravierenden Veränderungen im Leben des Kibbuz. Jedem seiner Sätze ist anzumerken, dass er das Kibbuz vor Schlimmem bewahren möchte.
Daher rührt auch die Wehmut, die die Lektüre dieses Buchs auslöst. Oz beschwört den Reiz des Kibbuzlebens zu einer Zeit, als die Kibbuzbewegung schon als gescheitert gelten musste – und mit diesem Roman hat er Anfang der sechziger Jahre ganz offensichtlich einen letzten Versuch unternommen, sich gegen diese Entwicklung zu stemmen. Von heute aus betrachtet, hat seine noble aber vergebliche Beredsamkeit etwas Anrührendes, und noch mehr zu Herzen geht der Versuch von Oz, den Kibbuz als eine Chance „unentfremdeten” Zusammenlebens anzupreisen. Verwundert reibt man sich die Augen vor so viel unangestrengtem Bekennermut. Selbst diejenigen, die den Sozialismus für eine ranzig gewordene Angelegenheit halten, werden bei der Lektüre des Romans leise seufzen: Wenn man da nur mitmachen könnte!
KLAUS SIBLEWSKI
AMOS OZ: Ein anderer Ort. Roman. Aus dem Hebräischen von Ruth Achlama. Suhrkamp Verlag, Frankfurt 2001. 447 Seiten, 49,80 Mark.
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