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Zur Beerdigung ihres Vaters kehrt die junge Anthropologin August zurück nach New York, Stadt ihrer Kindheit. Hier, auf den Straßen Brooklyns, ist sie aufgewachsen. Hier hat sie Angela, Gigi und Sylvia getroffen, ihre drei Freundinnen, mit denen sie unzertrennlich über das glühende Pflaster Brooklyns der 70er-Jahre zog. Weiße verließen das Viertel, Drogendealer und traumatisierte Vietnamveteranen waren ihre Nachbarn, doch mit ihren Freundinnen fühlte sich August unverwundbar. Nichts schien unmöglich, wenn sie nur zusammenhielten. Doch haben sie dieser Welt etwas entgegenzusetzen? - "Ein anderes…mehr

Produktbeschreibung
Zur Beerdigung ihres Vaters kehrt die junge Anthropologin August zurück nach New York, Stadt ihrer Kindheit. Hier, auf den Straßen Brooklyns, ist sie aufgewachsen. Hier hat sie Angela, Gigi und Sylvia getroffen, ihre drei Freundinnen, mit denen sie unzertrennlich über das glühende Pflaster Brooklyns der 70er-Jahre zog. Weiße verließen das Viertel, Drogendealer und traumatisierte Vietnamveteranen waren ihre Nachbarn, doch mit ihren Freundinnen fühlte sich August unverwundbar. Nichts schien unmöglich, wenn sie nur zusammenhielten. Doch haben sie dieser Welt etwas entgegenzusetzen? - "Ein anderes Brooklyn", Finalist für den National Book Award, stand auf der New-York-Times-Bestsellerliste und wurde hymnisch besprochen. Eindringlich und poetisch erzählt es von Freundschaft, Erinnerung und Aufwachsen in einem Brooklyn, das es so nicht mehr gibt.
Autorenporträt
Woodson, Jacqueline
Jacqueline Woodson, geboren 1963, ist eine der bedeutendsten Jugendbuchautorinnen der USA. Sie hat mehr als zwanzig Jugendbücher geschrieben und zahlreiche Preise dafür bekommen, unter anderen zwei Mal den Coretta Scott King Award und vier Mal den Newbery Honor Award. 2014 wurde ihr der renommierte National Book Award für »Brown Girl Dreaming« zugesprochen. Ihre Bücher erscheinen regelmäßig auf der New-York-Times-Bestsellerliste. Wichtige Themen ihres Schreibens zieht sie aus der afroamerikanischen Geschichte, den Rassenverhältnissen und Geschlechterhierarchien. »Ein anderes Brooklyn« ist ihr erster Roman für Erwachsene seit über zwanzig Jahren. Auch er stand auf der New-York-Times-Bestsellerliste und war Finalist für den National Book Award. Jacqueline Woodson lebt mit ihrer Familie in Brooklyn, New York.

Jakobeit, Brigitte
Brigitte Jakobeit übersetzte u.a. literarische Werke von Lorrie Moore, William Trevor und Patti Smith sowie die Autobiografien von Miles Davis und Nina Simone. Sie wurde mehrfach mit dem deutschen Jugendliteraturpreis und dem Hamburger Förderpreis für literarische Übersetzungen ausgezeichnet, außerdem erhielt sie 2018 den Heinrich Maria Ledig-Rowohlt-Preis. Sie lebt in Hamburg.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 10.03.2018

Freundinnen müsste man sein

Nur das Nötigste wird mitgeteilt, so wirkt das Ganze wunderbar vertraut: Jacqueline Woodson erzählt aus einer Kindheit in Brooklyn vor vierzig Jahren.

Von Patrick Bahners

Eine Fahrt mit der New Yorker U-Bahn. Zwei Frauen sitzen sich gegenüber. Die eine liest Zeitung. Sie erkennen einander. Zwanzig Jahre haben sie sich nicht gesehen. In der Schulzeit waren sie die besten Freundinnen. Gemeinsam mit zwei anderen Mädchen bildeten sie einen unzertrennlichen Bund. Sie begrüßen sich. Jede nennt den Namen der anderen. Sylvia fragt August, seit wann sie denn wieder in Brooklyn sei. August steht auf und geht auf Sylvia zu, als wollte sie die Wiedergefundene umarmen. Doch dann geht sie weiter und steigt an der nächsten Station aus. Obwohl sie dort gar nicht hatte aussteigen wollen.

Diese am Ende des ersten Kapitels von Jacqueline Woodsons Roman "Ein anderes Brooklyn" geschilderte Begegnung setzt die Erinnerung der Erzählerin in Bewegung. August fährt in Gedanken sozusagen weiter, lässt die Stationen ihrer Kindheit Revue passieren. Freilich gehörte die U-Bahn damals, in der Mitte der siebziger Jahre, gar nicht zum Alltag der Schülerinnen in Bushwick, einem Stadtteil im Nordosten von Brooklyn. Der Times Square liegt auf der anderen Seite der Welt. Die U-Bahn wird nur genommen, wenn der Vater mit August und ihrem kleinen Bruder einen Ausflug nach Coney Island im äußersten Süden von Brooklyn macht. So reihen sich die bedeutenden Ereignisse im Leben von August, die mit Vater und Bruder im Alter von acht Jahren aus South Carolina nach New York kam, in ihrer Erzählung auch nicht wie Bahnhöfe aneinander. Was ihr in der U-Bahn widerfährt, setzt sich im Kopf fort: Unverhoffte Wiedersehensmomente holen Erinnerungsbilder zurück.

Die Szene des Zufallstreffens im Zug ist charakteristisch für den Stil von Jacqueline Woodson, einer preisgekrönten Jugendbuchautorin. Nur das Notwendige wird mitgeteilt. Diese Knappheit entspricht an dieser Stelle der Kürze des berichteten Geschehens: An der Atlantic Avenue weit vor Bushwick steigt August aus; hier folgen die Stationen noch dicht aufeinander. Aber die Erzählung behält den Duktus des Abrisses bei. Vom Schwelgen in den Erinnerungen, vom Ausmalen keine Spur. So kommt auch alles, was das Kind als dauerhaft erlebt oder sich inständig dauerhaft wünscht, von vornherein als Vorübergehendes zur Darstellung. Eingeschlossen der Hauptgegenstand des Buches: das Quartett der Freundinnen Sylvia, August, Gigi und Angela.

Die hohe Konzentration der Erzählweise bewirkt, dass einem Detail große Prägnanz zuwachsen kann. In der U-Bahn-Szene ist das die vermiedene Umarmung. Auch in einem gut besetzten New Yorker U-Bahn-Waggon wäre für einen "hug" genug Platz gewesen. Man möchte meinen, dass die Situation das wechselseitige In-den-Arm-Nehmen fast hätte erzwingen müssen. Ohne sich etwas zu vergeben, hätten die beiden Frauen einander entlasten können, in stummer Absolution für alles Ungesagte aus zwanzig Jahren. So bleibt es beim Kontakt ohne Berührung.

Das ist rührend. Und die Rührung des Lesers steigert sich, wenn ihm wenig später vor Augen geführt wird, dass die Freundschaft von Sylvia, Angela, Gigi und August, ihr scheinbar unerschütterliches Vertrauen, einmal durch Berührungen beglaubigt und geradezu konstituiert wurde. Was fällt August auf, als sie aus dem Fenster ihrer Wohnung die drei Mädchen auf der Straße zum ersten Mal sieht? Dass sie sich untergehakt haben, ein Knäuel aus Armen bilden. Die drei Personen, die nur als Einheit auftreten, nehmen dann bald die Vierte zu sich, ebenso plötzlich wie selbstverständlich, ohne Umstände, ohne Prüfungsritual oder peinliche Befragung. Sie fürchten nicht, durch Erweiterung das Spaltungsrisiko zu erhöhen. (Und behalten recht damit. Die Auflösung des Bundes hat nur mit dem Älterwerden zu tun, nichts mit der Vierzahl.)

Später wollte August wissen: "Was habt ihr in mir gesehen?" Was ist eine Freundin? Nach Auskunft dieses Buches: ein Spiegelbild zum Anfassen. Freundschaft erscheint als Verhältnis einer körperlichen Intimität, die August ihrer Erinnerung gemäß sehnsüchtig antizipierte: "Bevor ich ihre Namen kannte, waren mir die zarten Knochen in ihrem Nacken und die feine Wölbung ihres Haaransatzes vertraut." August, neu in Brooklyn, beobachtet das Terzett der Schulhofstars und hält sich für unsichtbar. Sie muss fürchten, dass ihr Blick nicht erwidert würde. Der Satz über die Nackenknochen, die kein Mädchen selbst in Augenschein nehmen kann, könnte auch im Tagebuch eines Voyeurs stehen. Sylvia, Gigi, Angela und August wachsen unter den Augen von Männern heran, die hinter Treppenaufgängen, aber auch in Ladenlokalen auf sie lauern. Das unheimliche Moment an der Symbiose der Untergehakten ist das Totale dieses Lebensabschnittskonzepts.

Jedes Härchen und jedes Knöchelchen zu kennen: Aus dieser nächsten Nähe betrachtet auch eine Mutter ihre Kinder und der Gott der Bibel und des Korans (Augusts Bruder und Vater werden Muslime) seine Geschöpfe. August wird von den anderen als die angesprochen, die ohne Mutter aufwächst. Mit der Zeit bekommt sie mit, dass sie mit diesem Schicksal nicht allein ist. Jugendliche beim Haschischrauchen vergleicht sie mit einer Faust. Das Ballen der Faust ist auch die Geste des schmerzhaften Rückzugs aus der Gruppe, des Rückfalls in die Individualität. August sieht einmal, wie Angela ihre Faust ballt, als eine bleiche, torkelnde Frau vorbeigeht. Im Rückblick begreift sie: Angelas Mutter oder eine Frau wie Angelas Mutter. Das vorletzte Kapitel endet damit, dass die erwachsene August von ihrer Lebensgefährtin gefragt wird, warum sie mit geballten Fäusten schlafe. Sie bleibt die Antwort schuldig. Man kann sie in "Brown Girl Dreaming" finden, dem Memoirenbuch in Versen, für das Jacqueline Woodson 2014 den National Book Award erhielt: Jedes Baby, sagt dort die Mutter, macht von Natur aus eine Faust.

Wenn Jacqueline Woodson eine Lesung gibt, hat sie das Buch oft nicht dabei. Sie kann es auswendig. Ihren Roman liest man in zwei Stunden. August kann sich kurz fassen, als hätten wir ihre Geschichte schon oft gehört. Als wären wir ihre verschollenen Freundinnen. Alles Überflüssige hat die Autorin weggelassen. Übrig blieb ein Buch aus Zeichensprache.

Jacqueline Woodson: "Ein anderes Brooklyn". Roman.

Aus dem Englischen von Brigitte Jakobeit. Piper Verlag, München 2018. 160 S., geb., 20,- [Euro].

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"Jacqueline Woodson schildert die Jugend ihrer Protagonistinnen als Seiltanz über Abgründen. Erinnerungen fügen sich wie Puzzlestücke zusammen, jeder Absatz ein kleines Meisterwerk der Präzision.", NZZ am Sonntag, 01.07.2018