Über dem Ozean ist der Horizont unendlich, und auch die Grenzen der Dichtung sind nicht auszumachen in diesem betörenden Debüt. Vom Meer aus betrachtet Jeffrey Yang die Welt, den Menschen und seine Kulturen, Wissenschaften, Geschichte(n), Poesien, Philosophien und Religionen. Sein Blick reicht weit über die Gegenwart und die Grenzen der USA hinaus: von Hawaii über das alte Ägypten, von den Olmeken über Jules Verne bis Vishnu, Google, Aristoteles, Borges - all dies und viel mehr findet in diesem maritimen Alphabet Platz zwischen Flunder, Seetang, Mondfisch und Hummer. Wann hat man zuletzt Gedichte gelesen, die so geistreich wie humorvoll, so musikalisch wie welthaltig, so originell wie elegant wären?"Jeffrey Yangs funkelnde Unterwasser-Revue ist das aufregendste Debüt seit Jahren. Ein Seestern ist aufgegangen!" Eliot Weinberger
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Bisher hätten sie höchstens aufs Meer geschaut, aber sich nie in dessen Tiefe vorgewagt, bemängelt Harald Hartung die Dichterseelchen. Das ist vorbei. Jeffrey Yang kennt die Meeresbewohner von A bis Z und erschafft ein lyrisches Aquarium, in dem es vor Algen und Anemonen, Krabben und Quallen nur so wimmelt, wie der Rezensent staunend feststellt. Doch damit nicht genug, meint Hartung, der Autor ist nicht nur Poeta doctus der Meereskunde, er stellt auch jede Menge Bezüge her zur Philosophie, zu Ökologie und Kulturkritik. Als Kulturgeschichte aus Unterwasserperspektive mit Biss bezeichnet der Rezensent den Band; namentlich geißelt der engagierte Dichter übrigens die amerikanischen Atomversuche.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.01.2013Fisch der Träume
Jeffrey Yangs buntes Aquarium der Poesie
Nicht alle Tage finden die Dichter einen neuen Stoff für die Poesie. Der aus Kalifornien stammende Lektor und Lyriker Jeffrey Yang kann dieses Verdienst für sich in Anspruch nehmen: Sein in Amerika preisgekröntes Lyrikdebüt, dessen zweisprachige Version "Ein Aquarium" nun bei Berenberg erschienen ist, bildet ein Abecedarium der Meereslebewesen von Abalone bis Zooxanthellae. Der Kritiker Eliot Weinberger streicht in seinem Vorwort den thematischen Zugewinn imponierend heraus. Von Walt Whitman bis Charles Olson hätten die Dichter zwar aufs Meer geblickt, sich aber allenfalls für die Mühsal des Fangs, weniger für das Leben der Beute interessiert. Und die wunderbare Emily Dickinson - so Weinberger - verwendete das Wort "Fisch" nur einmal, und das war metaphorisch.
Massenhaft dagegen und eher unmetaphorisch lässt Yang sein lyrisches Aquarium von Fischen und anderen Meerestieren wimmeln - vom Clownfisch bis zum Tintenfisch, von Krabbe und Qualle bis zu Seestern und Schwamm. Alle diese Lebewesen werden in ihrer jeweiligen Besonderheit erfasst, zugleich aber in den Kontext weiträumiger geistiger Bezüge gestellt. Denn Yang ist ein Poeta doctus, nicht nur fit in Meereskunde, sondern auch in Historie und Philosophie, Kulturkritik und Ökologie.
Gleich der erste Text "Abalone" meint nicht bloß eine Meeresschneckenart, er spielt auf Aristoteles und Brueghel an sowie auf einen sehr fernen Kaiser Ingyo. Auch sonst fährt das Weberschiffchen der Bezüge durch Zeiten und Kulturen, von Herodot über Sor Juana zum Meister Zhuang und schafft eine Fülle von Referenzen, die an den Anspielungsreichtum von Ezra Pound erinnert.
Auch etwas anderes hat Yang mit Pound gemeinsam: eine kulturkritische Attitüde, die Kritik an den Vereinigten Staaten einschließt. Nur geht es bei ihm nicht gegen Wucher (wie bei Pound), sondern gegen die Vernutzung und Verschmutzung der Meere, vor allem gegen die ökologischen Folgen der amerikanischen Atomexplosionen im Pazifik.
Yang stellt der üblichen historischen, der gewissermaßen oberirdischen Historie eine Kulturgeschichte aus der Unterwasserperspektive entgegen: "Eine andere / Geschichte unter der Geschichte, von uns / unwissend geschaffen." Zu ihren negativen Triebkräften gehört der "Traum / vom perfekten Fisch, der zum Albtraum wird" - es ist nichts anderes als der pervertierte American dream. So endet "Ein Aquarium" mit einem langen Text, der vom Gedicht nach und nach in ein kritisches Traktat übergeht. Unter dem Buchstaben Z erscheint der Begriff "Zooxanthellae". Dies ist eine Alge, die symbiotisch mit der Koralle lebt, sie mit Sauerstoff und Nährstoffen versorgt und daher für das Leben der Korallenriffe wichtig ist. Diese Symbiose ist gegenwärtig bedroht. Nach 67 Atomtests sieht der Dichter die Vereinigten Staaten als den "Fisch, der alle Meere verschlingt".
Jeffrey Yang, der uns scheinbar bloß ein buntes Meeresaquarium vorführte, erweist sich als ein engagierter Poet. Seine Botschaft lugt gleich zu Anfang aus dem kleinen Gedicht "Barnacle" (Seepocke) hervor: "Never be ashamed of evolution." Beatrice Faßbender übersetzt etwas blass: "Nur nicht für die Evolution schämen." Man könnte entschiedener sagen: "Schäm dich nie für die Evolution!"
HARALD HARTUNG
Jeffrey Yang: "Aquarium". Gedichte Englisch/Deutsch. Mit einem Vorwort von Eliot Weinberger.
Aus dem Englischen von Beatrice Faßbender. Berenberg Verlag, Berlin 2012. 96 S., br., 19,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Jeffrey Yangs buntes Aquarium der Poesie
Nicht alle Tage finden die Dichter einen neuen Stoff für die Poesie. Der aus Kalifornien stammende Lektor und Lyriker Jeffrey Yang kann dieses Verdienst für sich in Anspruch nehmen: Sein in Amerika preisgekröntes Lyrikdebüt, dessen zweisprachige Version "Ein Aquarium" nun bei Berenberg erschienen ist, bildet ein Abecedarium der Meereslebewesen von Abalone bis Zooxanthellae. Der Kritiker Eliot Weinberger streicht in seinem Vorwort den thematischen Zugewinn imponierend heraus. Von Walt Whitman bis Charles Olson hätten die Dichter zwar aufs Meer geblickt, sich aber allenfalls für die Mühsal des Fangs, weniger für das Leben der Beute interessiert. Und die wunderbare Emily Dickinson - so Weinberger - verwendete das Wort "Fisch" nur einmal, und das war metaphorisch.
Massenhaft dagegen und eher unmetaphorisch lässt Yang sein lyrisches Aquarium von Fischen und anderen Meerestieren wimmeln - vom Clownfisch bis zum Tintenfisch, von Krabbe und Qualle bis zu Seestern und Schwamm. Alle diese Lebewesen werden in ihrer jeweiligen Besonderheit erfasst, zugleich aber in den Kontext weiträumiger geistiger Bezüge gestellt. Denn Yang ist ein Poeta doctus, nicht nur fit in Meereskunde, sondern auch in Historie und Philosophie, Kulturkritik und Ökologie.
Gleich der erste Text "Abalone" meint nicht bloß eine Meeresschneckenart, er spielt auf Aristoteles und Brueghel an sowie auf einen sehr fernen Kaiser Ingyo. Auch sonst fährt das Weberschiffchen der Bezüge durch Zeiten und Kulturen, von Herodot über Sor Juana zum Meister Zhuang und schafft eine Fülle von Referenzen, die an den Anspielungsreichtum von Ezra Pound erinnert.
Auch etwas anderes hat Yang mit Pound gemeinsam: eine kulturkritische Attitüde, die Kritik an den Vereinigten Staaten einschließt. Nur geht es bei ihm nicht gegen Wucher (wie bei Pound), sondern gegen die Vernutzung und Verschmutzung der Meere, vor allem gegen die ökologischen Folgen der amerikanischen Atomexplosionen im Pazifik.
Yang stellt der üblichen historischen, der gewissermaßen oberirdischen Historie eine Kulturgeschichte aus der Unterwasserperspektive entgegen: "Eine andere / Geschichte unter der Geschichte, von uns / unwissend geschaffen." Zu ihren negativen Triebkräften gehört der "Traum / vom perfekten Fisch, der zum Albtraum wird" - es ist nichts anderes als der pervertierte American dream. So endet "Ein Aquarium" mit einem langen Text, der vom Gedicht nach und nach in ein kritisches Traktat übergeht. Unter dem Buchstaben Z erscheint der Begriff "Zooxanthellae". Dies ist eine Alge, die symbiotisch mit der Koralle lebt, sie mit Sauerstoff und Nährstoffen versorgt und daher für das Leben der Korallenriffe wichtig ist. Diese Symbiose ist gegenwärtig bedroht. Nach 67 Atomtests sieht der Dichter die Vereinigten Staaten als den "Fisch, der alle Meere verschlingt".
Jeffrey Yang, der uns scheinbar bloß ein buntes Meeresaquarium vorführte, erweist sich als ein engagierter Poet. Seine Botschaft lugt gleich zu Anfang aus dem kleinen Gedicht "Barnacle" (Seepocke) hervor: "Never be ashamed of evolution." Beatrice Faßbender übersetzt etwas blass: "Nur nicht für die Evolution schämen." Man könnte entschiedener sagen: "Schäm dich nie für die Evolution!"
HARALD HARTUNG
Jeffrey Yang: "Aquarium". Gedichte Englisch/Deutsch. Mit einem Vorwort von Eliot Weinberger.
Aus dem Englischen von Beatrice Faßbender. Berenberg Verlag, Berlin 2012. 96 S., br., 19,- [Euro].
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