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Wenn Adler vom Militär zur Drohnenjagd abgerichtet und in Laboren synthetische Steaks und würfelförmige Melonen gezüchtet werden, wenn Pilze radioaktiv strahlen, künstlicher Schnee in Gebirgslandschaften kanoniert wird und mikroplastikgesättigte Meerestiere durch die Ozeane treiben, dann ist es unmöglich geworden, zwischen Natürlichem und Künstlichem noch länger zu unterscheiden. Wir leben in einer hybriden Welt, in der Organisches und Synthetisches zusammengewachsen und der globale Einfluss des Menschen auf die Biosphäre allgegenwärtig und geologisch nachweisbar ist. Weil im Zeitalter des…mehr

Produktbeschreibung
Wenn Adler vom Militär zur Drohnenjagd abgerichtet und in Laboren synthetische Steaks und würfelförmige Melonen gezüchtet werden, wenn Pilze radioaktiv strahlen, künstlicher Schnee in Gebirgslandschaften kanoniert wird und mikroplastikgesättigte Meerestiere durch die Ozeane treiben, dann ist es unmöglich geworden, zwischen Natürlichem und Künstlichem noch länger zu unterscheiden. Wir leben in einer hybriden Welt, in der Organisches und Synthetisches zusammengewachsen und der globale Einfluss des Menschen auf die Biosphäre allgegenwärtig und geologisch nachweisbar ist. Weil im Zeitalter des Anthropozäns die herkömmlichen Naturführer versagen, hat Nicolas Novas zusammen mit dem Kollektiv DISNOVATION dieses Bestiarium entworfen, das unsere postnatürliche Gegenwart in 60 Einzelporträts von Antennenbäumen bis Wolkenimpfung vor Augen führt. Dieses neuartige Bestiarium teilt mit den mittelalterlichen Bestiarien die enzyklopädische Lust, die reiche Bebilderung - und nicht zuletzt das moralische Anliegen: Denn die hybriden Kreaturen, die die Verschmelzung von Bio- und Technosphäre hervorbringt, sind keine Einhörner, sondern reale Monster, erschaffen nicht vom menschlichen Geist, sondern durch menschliche Taten.
Autorenporträt
Nicolas Nova beschäftigt sich als Wissenschaftler und Autor mit Fragen zur Anthropologie der Technik, zeitgenössischer Kultur, Interaction Design und Zukunftsforschung. Er ist Mitbegründer des New Future Laboratory und Professor an der Geneva University of Arts and Design. DISNOVATION.ORG, ist ein 2012 in Paris gegründetes Künstler:innenkollektiv, das als Zusammenschluss von Wissenschaftler:innen, Aktivist:innen, Ingenieur:innen und Designer:innen an den Schnittstellen zeitgenössischer Kunst und Wissenschaft arbeitet. Dieter Fuchs, 1962 in Salzburg geboren, arbeitete zunächst als freier Musiker und Schauspieler. Nach einem Studium der Rhetorik und Literaturwissenschaften, lebt er als Autor, Lektor und literarischer Übersetzer in Stuttgart. Maria Roszkowska, geboren 1982 in Warschau, lebt als Grafikdesignerin in Paris und ist Mitglied des Künstler:innenkollektivs DISNOVATION.ORG. Judith Schalansky, 1980 in Greifswald geboren, studierte Kunstgeschichte und Kommunikationsdesign und lebt als freie Schriftstellerin und Buchgestalterin in Berlin. Sowohl ihr Atlas der abgelegenen Inseln als auch ihr Bildungsroman Der Hals der Giraffe wurden von der Stiftung Buchkunst zum »Schönsten deutschen Buch« gekürt. Für ihr Verzeichnis einiger Verluste erhielt sie 2018 den Wilhelm-Raabe-Preis. Seit dem Frühjahr 2013 gibt sie die Reihe Naturkunden heraus.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur Dlf Kultur-Rezension

"Wildnis" ist ein Anachronismus - so der Grundgedanke hinter dem Begriff des Anthropozäns, und so auch die Message, die Rezensent Volkart Wildermuth aus der Lektüre des vorliegenden Buches mitnimmt. Abgesehen von dem großen Unbehagen, das die Bilder und deren Beschreibungen bzw. Einordnungen beim Leser auslösen. Und damit haben der Sozialanthropologe Nicolas Nova das Künstlerkollektiv Disonnovation.ord eigentlich schon erreicht, was sie mit ihrem "Bestiarium des Anthropozäns" erreichen wollten: Unruhe stiften, oder wie sie es ausdrücken: "Dinge bemerkenswert machen" - und mit "Dingen" meinen sie kulturell (um-) geformte Natur: Fordit, Chicken Wings, Einsiedlerkrebse, die in Glühbirnenfassungen leben. Leider belassen die Herausgeber und Herausgeberinnen es nicht bei dem wirksamen Prinzip des Bestiariums, sondern hängen ihrer Sammlung konkreter Beispiele noch einie ausschweifende, abstrakt theoretische Betrachtungen im höchsten Akademikerinnendeutsch an. Den ersten Teil des Buches will Wildermuth trotzdem unbedingt empfehlen, und selbst aus dem unglücklichen Anhang lässt sich doch noch mindestens ein wichtiger und sehr verständlicher Appell ziehen, den man so zusammenfassen könnte: Die Geister, die wir riefen, werden nicht wieder verschwinden. Was wir Menschen verzapft haben, darüber müssen wir nun und dauerhaft Verantwortung übernehmen. Ein Zustand "natürlicher" Natur lässt sich nicht wieder herstellen.

© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 01.08.2023

Natürlich künstlich
Eine kleine Galerie für das Anthropozän

Ein Wagen fährt durchs Tal, zwischen dunklen Fichtenwäldern, und eine Dame spricht das Dichterwort: "Wer hat dich, du schöner Wald, aufgebaut da droben?" Darauf der neben ihr sitzende Herr: "Die Niederösterreichische Bodenbank. Das wissen Sie nicht, Kusine, dass alle Wälder hier der Bodenbank gehören? Und der Meister, den Sie loben wollen, ist ihr angestellter Forstmeister." Als Robert Musil diesen Dialog in seinem "Mann ohne Eigenschaften" unterbrachte, war die Rede vom Anthropozän noch weit. Aber der Hinweis auf die vom Menschen gehegte Natur hat natürlich mit ihm zu tun. Schließlich meint ein untechnischer, nicht auf geologische Marker zielender Gebrauch dieses Begriffs gerade das: Dass wir so gut wie überall auf mehr oder minder deutliche Folgen unseres eigenen, also menschlichen Handelns stoßen.

Weshalb in einem "Bestiarium des Anthropozäns", entworfen von einem Kollektiv aus Wissenschaftlern, Künstlern und Aktivisten, der Wald als Exempel nicht fehlen sollte. Tatsächlich ist er in der Form des Plantagenwalds vertreten, Beispiel einer strikt genormten Natur, für die hier etwa auch Hecken, Rollrasen oder Laborratten einstehen. Neben Modellorganismen der Forschung figurieren genetisch modifizierte Tiere oder auch solche, die als Sensoren oder für militärische Zwecke verwendet werden. Aber auch künstliche Riffe, Plastiglomerate, Mikroplastik in allen Lebensräumen, als Bäume camouflierte Funktürme, Ablagerungen von Atomwaffenversuchen oder der Autoindustrie, Schimmel, Viren, Kunstschnee oder Tamagotchis finden sich unter den Exempeln.

Diese Beispiele recht unterschiedlicher Verschränkungen von Künstlichem und Natürlichem sollen durch den Bezug auf die mittelalterliche Form der Tierbücher zusammengehalten werden. Allerdings mit der Einschränkung, dass die für sie typische moralische Auslegung der angegebenen Charakteristika der vorgestellten Tiere fortfällt. Die Auslegung soll der Leser, so formuliert es einer der Texte im zweiten Teil des Büchleins, selbst vornehmen.

Wir plädieren doch eher dafür, dass er sich zu ihr nicht allzu schnell hinreißen lässt, es ginge zu sehr ins Ungefähre, und wie sich die im Hintergrund der alten "Bestiarien" stehende, theologisch imprägnierte Ordnungsvorstellung - ihre Störung durch den Sündenfall eingeschlossen - sollte beerben lassen, ist alles andere als auf Anhieb klar. Was sich bewährt an der alten Form ist schlicht die Kombination eines Bilds mit schnörkellos knappen Texten. Man mag die ausgewählten Gegenstände nicht durchgehend besonders aufschlussreich finden, aber die Beschreibungen sind es eigentlich immer. Vergleichbar konzis fallen die im zweiten Teil beigegebenen Texte eher nicht aus. Und weil Designer und Künstler mit an Bord sind, ist daraus insgesamt ein ästhetisch eigenwilliger Band geworden, silberfarben auf schwarzem Papier gedruckt - knapp an der Behinderung der Lesbarkeit vorbei. HELMUT MAYER

Nicolas Nova & Disnovation.org: "Ein Bestiarium des Anthropozäns". Über hybride Mineralien, Tiere, Pflanzen, Pilze.

Aus dem Englischen von Dieter Fuchs. Matthes & Seitz Verlag, Berlin 2023. 253 S., geb., Abb., 28,- Euro.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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