Ein Briefwechsel Schillers von großem Gewicht - bis heute noch nie selbstständig publiziert: der mit August Wilhelm Schlegel
In etwa 2.200 Briefen hat er sich dargestellt, wie er 'wirklich' gewesen ist - als Sohn und Bruder, als Ehemann und Familienvater; als Freund und Feind; als Geschäftsmann und Kritiker seiner selbst, als Dichter, Philosoph und Historiker; als lebhafter Beobachter auch der politischen Ereignisse in bewegter Zeit. In der deutschen Literatur gibt es kein vergleichbares, so nahezu geschlossenes Briefwerk wie das von Friedrich Schiller. Schon früh wurden Schillersche Briefe mit den wichtigen Korrespondenzpartnern zusammengeführt - eine selbstständige Veröffentlichung des Briefwechsels zwischen Friedrich Schiller und August Wilhelm Schlegel aber fehlt bis auf den Tag. Dabei ist dieser Briefwechsel in privater, literarischer und literaturwissenschaftlicher Hinsicht hoch interessant: August Wilhelm Schlegel empfiehlt sich als Mitarbeiter der seit 1795 von Schiller herausgegebenen Zeitschrift "Die Horen", später auch als Beiträger zu dessen "Musen-Almanach", und kommt 1796 nach Jena, wo sich aber nur für kurze Zeit ein Zusammenwirken ergibt. Schlegels Gattin Caroline hat schon bald viel auszusetzen an dem Menschen und Dichter Schiller. Der Ehemann gibt ihr recht, beteiligt sich sogar heimlich an Kritiken, mit denen der Bruder Friedrich Schlegel gegen Schiller ins Feld zieht. Und dieser macht Ende Mai 1797 kurzen Prozess: Er kündigt August Wilhelm Schlegel Freundschaft und Mitarbeit auf. Der Briefwechsel Friedrich Schiller und August Wilhelm Schlegel umfasst insgesamt 42 Briefe. Die Edition von Norbert Oellers versammelt diesen erstmals selbstständig, je vier Briefe von Schiller und August Wilhelm Schlegel werden faksimiliert vorgelegt.
In etwa 2.200 Briefen hat er sich dargestellt, wie er 'wirklich' gewesen ist - als Sohn und Bruder, als Ehemann und Familienvater; als Freund und Feind; als Geschäftsmann und Kritiker seiner selbst, als Dichter, Philosoph und Historiker; als lebhafter Beobachter auch der politischen Ereignisse in bewegter Zeit. In der deutschen Literatur gibt es kein vergleichbares, so nahezu geschlossenes Briefwerk wie das von Friedrich Schiller. Schon früh wurden Schillersche Briefe mit den wichtigen Korrespondenzpartnern zusammengeführt - eine selbstständige Veröffentlichung des Briefwechsels zwischen Friedrich Schiller und August Wilhelm Schlegel aber fehlt bis auf den Tag. Dabei ist dieser Briefwechsel in privater, literarischer und literaturwissenschaftlicher Hinsicht hoch interessant: August Wilhelm Schlegel empfiehlt sich als Mitarbeiter der seit 1795 von Schiller herausgegebenen Zeitschrift "Die Horen", später auch als Beiträger zu dessen "Musen-Almanach", und kommt 1796 nach Jena, wo sich aber nur für kurze Zeit ein Zusammenwirken ergibt. Schlegels Gattin Caroline hat schon bald viel auszusetzen an dem Menschen und Dichter Schiller. Der Ehemann gibt ihr recht, beteiligt sich sogar heimlich an Kritiken, mit denen der Bruder Friedrich Schlegel gegen Schiller ins Feld zieht. Und dieser macht Ende Mai 1797 kurzen Prozess: Er kündigt August Wilhelm Schlegel Freundschaft und Mitarbeit auf. Der Briefwechsel Friedrich Schiller und August Wilhelm Schlegel umfasst insgesamt 42 Briefe. Die Edition von Norbert Oellers versammelt diesen erstmals selbstständig, je vier Briefe von Schiller und August Wilhelm Schlegel werden faksimiliert vorgelegt.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.11.2005Klassiker, entkoffeiniert
Wiederbelebungsversuche: Was uns das Schiller-Jahr beschert hat
Jubeljahre sind freundliche Einladungen, aufs Ganze zu gehen, ohne daß man sich umständlich rechtfertigen muß. Ungebunden wie Solitäre, die nichts voneinander wissen (wollen), kommen so die Beiträge zum Schiller-Jahr daher. Gern verzichtet man auf Auskünfte über Forschungslagen und verbannt die Fachliteratur ins Schattendasein des Anhangs. Ein unverbrauchter, ein frischer Schiller soll es sein, nicht unbedingt einer für Kenner. Übrigens ist er durchweg erfreulich wohlfeil.
Burkhard Müller gibt sich als Essayist, der die Nachteile der Historie von vornherein kassiert - wie Neuerscheinungen möchte er Schillers Werke betrachten. Naturgemäß interessiert dann der Privatmann ebensowenig wie der "Idealist" ("ganz nett, ein bißchen verschroben vielleicht") oder zeitgenössische Zusammenhänge. So entsteht der Freiraum für ein paar behende und lesenswerte Streifzüge. Müller liebt starke Urteile, die nicht immer neu sein müssen. Der Lyriker Schiller ist ihm ein Graus, ausgenommen die "Nänie", der Müller, ein Metriker der feinen Observanz, ein paar vorzügliche Seiten widmet. Auch die Ballade muß als Irrweg gelten, stellt sie sich doch jünger und dümmer, als man ist. "Die Bürgschaft" ist deshalb gleich siebenfach "tot", um so trauriger, daß die beiden Klassiker mit ihren Balladen "eine Volksausgabe ihrer selbst" herausgebracht haben. Bleibt für die Gattung nur die Aufgabe, die ihr denn auch zu Recht zugefallen ist: Training des Gedächtnisses. Fasziniert zeigt sich Müller von der rhetorischen Eleganz des Dramatikers. Hier nimmt er es sogar mit den bekannten Voten Adornos auf ("Schwabenstreiche"). Müller schätzt (und zeigt) insbesondere den Witz und die Rapidität des "Fiesko" - ohne daß der Begriff fällt, hat er dabei den Manieristen Schiller beschrieben, und dies vorzüglich.
Der Antimelancholiker
Eine Größe schon, doch eine problematische, so hält es Müller mit Schiller. Und nach und nach treten die problematischen Züge hervor. Sie konzentrieren sich in einer vermeintlichen Mißachtung des Individuums zugunsten des Großen Allgemeinen und entlocken Müller ein ganzes Register an Schmähungen: "Frechheit", "Phantasielosigkeit", "Potential des Teuflischen". Im Zentrum der Anklage steht die Jenaer Antrittsrede von 1789, also das Konzept der Universalhistorie - hier nun muß Schiller offenkundig für eine ganze Phalanx von Geschichtsphilosophen büßen. Fragt sich nur, ob damit der Richtige getroffen ist. Daß auch das Erhabene sogleich Müllers Zorn verfällt, versteht sich von selbst. So ist es ja üblich, nichts ist der Gegenwart fremder und anstößiger als dieses Theorem. Schade nur, daß Müller (wie viele andere) das Befremdliche gar nicht erst verständlich zu machen sucht, sondern gleich dem Vorurteil preisgibt.
Ohne sich mit Vorreden und Absichtserklärungen aufzuhalten, erzählt Friedrich Dieckmann die Emanzipationsgeschichte des jungen Schiller, die fünf Jahre von der Flucht aus Stuttgart bis zur Abreise aus dem Zirkel der sächsischen Freunde. Und man darf sich daran erinnern, daß etwa zur gleichen Zeit (und nicht ohne Parallelen) Wilhelm Meister seine Romanlaufbahn absolviert. Allerdings ist Dieckmann nicht Erzähler, sondern Analytiker. Neue Quellen stehen ihm nicht zur Verfügung. Eigene Recherchen kompensiert er durch lange Exkurse, leider durchweg aus zweiter Hand, die allerlei historische Bezugsfelder öffnen, so die Freimaurerei (Schiller war einer der ganz wenigen Intellektuellen, "die nicht in die Partei eintraten, die Kaderorganisation des allgemeinen Fortschritts") oder das spätaufklärerische Schwärmerwesen.
Die Markierungen für den Weg des jungen Schiller liefert freilich der Fundus der Psychoanalyse. Man ist überrascht, wie umstandslos Dieckmann das Personal der frühen Stücke, lauter "Selbstprojektionen", mit der psychoanalytisch-ödipalen Szene verrechnet. Das ergibt viele Gleichheitszeichen. Dazu kommt, wohl aus der Goethe-Biographik importiert, das Inzest-Motiv, die "Tiefenbindung" an die Schwester Christophine. Deshalb also töten die frühen Helden Schillers jeweils ihre Geliebte - die Tabuschranke verhindert jede Vereinigung. Und deshalb wird der "Don Karlos" zur großen Therapie, der die "inzestuöse Selbstblockade" überwindet und den Bann der Väter und Überväter zerbricht.
Lieber folgt man dem zweiten Leitmotiv, das Dieckmann ins Spiel bringt: "Schiller ist der Inbegriff eines antimelancholischen Poeten." Die übliche Fixierung auf allerlei Miseren wird damit abgewehrt. Das Lied an die Freude darf den Ton angeben und mit ihm eine "Theologie der Freude", ein "Evangelium der Lebensbejahung". Deshalb auch findet der "Idealist" bei Dieckmann keine Gnade, der ist zu ernst und zu "anämisch". Tatsächlich ist sein Schiller witzig, heiter, humorvoll. Als Zeugnis des puren Übermuts druckt Dieckmann einen wenig bekannten Comic ab: "Aventiuren des neuen Telemachs oder Leben und Exsertionen Koerners" - Bilder von Schiller (darunter er selbst, einen Purzelbaum schlagend), Texte von Huber, verfertigt zum dreißigsten Geburtstag von Freund Körner. Die aufgeräumte Stimmung ergreift gelegentlich auch den Biographen. "Im übrigen mopst er sich fürchterlich" - ein solcher Satz ist in der Schiller-Literatur nicht eben üblich.
Undenkbar wäre er bei Kurt Wölfel. Denn Wölfel ist nicht nur ein Wortsparer, der es fertigbringt, den ganzen Schiller auf 180 Seiten zu präsentieren, er besitzt auch ein sicheres Gefühl für die alte Regel der Angemessenheit von Stil und Sache. Und das heißt, gleich die erste Seite, gehauen und gestochen wie ein Manifest, zeigt es: Wölfel läßt sich Schillers Größe und seinen Idealismus nicht einfach von "unserem Knirpstum" (Jacob Burckhardt) streitig machen, er läßt die Würde seines Gegenstandes gelten. Das ist nobel, ohne im geringsten altbacken zu wirken (auch das kann vorkommen: "Louise Miller ist an erotischer Ausstrahlung ein Kirchenlicht"). So schrieb man, als die Germanistik noch etwas galt - und sie galt etwas, weil man so zu schreiben verstand.
Nicht etwa, daß Wölfel mit einem neuen "Schillerbild" auftrumpfte. Doch er befreit Schiller aus Verkrustungen, die durch jahrhundertelange Abnutzung entstanden sind. Bis zur ödesten Floskelhaftigkeit heruntergekommene Zitate gewinnen in Wölfels bestimmten Argumentationsgängen ihr ursprüngliches Leben zurück. Vivifizierung nannte Novalis ein solches Verfahren. Man versteht, warum Schiller gern in eigener Sache Leisewitz zitierte: "In meinen Gebeinen ist Mark für Jahrhunderte." Man lernt das Spiel der intellektuellen, erotischen, moralischen und poetischen Energien kennen. Auf wenigen Seiten wird man doch umstandslos und ohne lästige Paraphrasen in die Zentren der Schillerschen Werke eingeweiht. Wölfels Loyalität seinem Autor gegenüber läßt auch dort nicht nach, wo es schwer wird - vor der späten Dramatik nach dem "Wallenstein", die meisterhaft umrissen wird, angesichts der Lyrik mit ihrer "populären Klassizität", die freilich besonders kurz wegkommt, oder im Blick auf den Theoretiker der ästhetischen Erziehung. Allenthalben bewegt sich Wölfel (implizit) auf dem neuesten Forschungsstand, ohne an Verständlichkeit einzubüßen.
Luzide kommt so die Verbindung von Geschichtsphilosophie und Ästhetik heraus. Treffend, wie Wölfel Schillers Prosa zum Schauplatz von Begriffskriegen macht. Oder wie er das "Höhenbewußtsein" des Klassikers, das Kollegen und Publikum mit Kriegserklärungen überzog, aus einer durchaus uneitlen "Künstlermoral" herleitet. Wer die Lust an Schiller bereits verloren hat oder wer sie noch sucht, dem kann geholfen werden: Er lese Wölfels Porträt (und dann Schiller).
Wer gründlich belehrt werden möchte, der greife zu Norbert Oellers. Wenn der vielfach bewährte Altmeister der Schiller-Forschung, der gerade auch den Briefwechsel Schillers mit seinem Widersacher August Wilhelm Schlegel mustergültig herausgebracht hat, eine umfangreiche Monographie vorlegt, dann walten Kennerschaft und Zuverlässigkeit in Person. Ordentlich folgen auf etwa einhundert Seiten "Leben" vierhundert Seiten "Werke". An illusionsloser Nüchternheit läßt sich Oellers nicht übertreffen - als einer der besten Kenner von Schillers Wirkungsgeschichte hat er die falsche Begeisterung hassen gelernt. Ein dekoffeinierter Schiller gewissermaßen - so das Lockangebot für Zeitgenossen, die Pathos und Langeweile fürchten. Die Herabstimmung bringt gelegentlich regelrechte Anti-Pathos-Formeln hervor: "und Fiesko spricht Hochpathetisches über Gott, die Natur, das Schicksal"; den Schluß von "Kabale und Liebe" dehnt Schiller, "um seinem Publikum mancherlei Dramatisches vorzuspielen und ihm einige Wahrheiten zu sagen"; "So geht's dann weiter" - die Rede vom Schicksal im "Wallenstein" nämlich. Niemand muß bei Oellers befürchten, daß er ins Schlepptau eines Idealisten gerät. Das "Lied an die Freude" findet Oellers herzlich schlecht. Den Begriff der Freiheit läßt er ganz im Hintergrund.
Zerfall der Universalgeschichte
Natürlich räumt Oellers den philosophischen Schriften passablen Raum ein, richtig wohl aber fühlt er sich in der "philosophischen Bude" nicht. Da wird Überspanntes moniert und zurechtgerückt, das Erhabene, natürlich, in seine Schranken gewiesen, die Idee der ästhetischen Erziehung als nicht von dieser Welt hingestellt. Wo Schiller gut ist, ist er realistisch. Das Zauberwort lautet "realistische Wende". Dazu bedarf es des Zusammenbruchs der Universalgeschichte und eines düsteren Geschichtspessimismus nach der revolutionären Enttäuschung - des "Elends der Geschichte". Erst dann kann der "Wallenstein" entstehen, das Meisterwerk schlechthin.
Im Weltzustand, der (mit einer Wendung zur Jungfrau von Orleans) "von den Göttern desertiert" ist, hilft aber dann einzig und allein die Kunst, eine "transzendierende Kunst". Deshalb "Glanz der Kunst". So wird die (nicht ganz eindeutige) Rede vom ernsten Leben und der heiteren Kunst für Oellers zu einer Art Generalschlüssel zu Schillers Welt. Zermalmende Geschichte und ästhetisches Reich - ein Kreuzungspunkt zeichnet sich ab, dessen Linien zu Büchner und zu Stefan George führen. Dem Rezensenten will es allerdings vorkommen, als würden solche modernen Assoziationen und Markierungen zu früh vergeben. Schiller bleibt ein Aufklärer, der nicht verzagt. Und er bleibt ein Künstler, der nicht zum Ästhetizismus desertiert. Wie dem auch sei: Der Schiller, den Oellers bietet, unruhig und beunruhigend, hat das Zeug zum Zeitgenossen.
Burkhard Müller: "Der König hat geweint". Schiller und das Drama der Weltgeschichte. zu Klampen Verlag, Springe 2005. 160 S., geb., 14,- [Euro].
Friedrich Dieckmann: "Diesen Kuß der ganzen Welt!" Der junge Mann Schiller. Insel Verlag, Frankfurt am Main und Leipzig 2005. 450 S., 14 Farbtaf., geb., 22,90 [Euro].
Kurt Wölfel: "Friedrich Schiller". Deutscher Taschenbuch Verlag, München 2004 (dtv portrait). 187 S., br., 10,- [Euro].
Norbert Oellers: "Schiller". Elend der Geschichte, Glanz der Kunst. Verlag Philipp Reclam jun., Stuttgart 2005. 520 S., 38 Abb., geb., 19,90 [Euro].
Friedrich Schiller, August Wilhelm Schlegel: "Der Briefwechsel". Hrsg. von Norbert Oellers. DuMont Literatur und Kunst Verlag, Köln 2005. 248 S., Reprint von 8 Briefen, geb., 29,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Wiederbelebungsversuche: Was uns das Schiller-Jahr beschert hat
Jubeljahre sind freundliche Einladungen, aufs Ganze zu gehen, ohne daß man sich umständlich rechtfertigen muß. Ungebunden wie Solitäre, die nichts voneinander wissen (wollen), kommen so die Beiträge zum Schiller-Jahr daher. Gern verzichtet man auf Auskünfte über Forschungslagen und verbannt die Fachliteratur ins Schattendasein des Anhangs. Ein unverbrauchter, ein frischer Schiller soll es sein, nicht unbedingt einer für Kenner. Übrigens ist er durchweg erfreulich wohlfeil.
Burkhard Müller gibt sich als Essayist, der die Nachteile der Historie von vornherein kassiert - wie Neuerscheinungen möchte er Schillers Werke betrachten. Naturgemäß interessiert dann der Privatmann ebensowenig wie der "Idealist" ("ganz nett, ein bißchen verschroben vielleicht") oder zeitgenössische Zusammenhänge. So entsteht der Freiraum für ein paar behende und lesenswerte Streifzüge. Müller liebt starke Urteile, die nicht immer neu sein müssen. Der Lyriker Schiller ist ihm ein Graus, ausgenommen die "Nänie", der Müller, ein Metriker der feinen Observanz, ein paar vorzügliche Seiten widmet. Auch die Ballade muß als Irrweg gelten, stellt sie sich doch jünger und dümmer, als man ist. "Die Bürgschaft" ist deshalb gleich siebenfach "tot", um so trauriger, daß die beiden Klassiker mit ihren Balladen "eine Volksausgabe ihrer selbst" herausgebracht haben. Bleibt für die Gattung nur die Aufgabe, die ihr denn auch zu Recht zugefallen ist: Training des Gedächtnisses. Fasziniert zeigt sich Müller von der rhetorischen Eleganz des Dramatikers. Hier nimmt er es sogar mit den bekannten Voten Adornos auf ("Schwabenstreiche"). Müller schätzt (und zeigt) insbesondere den Witz und die Rapidität des "Fiesko" - ohne daß der Begriff fällt, hat er dabei den Manieristen Schiller beschrieben, und dies vorzüglich.
Der Antimelancholiker
Eine Größe schon, doch eine problematische, so hält es Müller mit Schiller. Und nach und nach treten die problematischen Züge hervor. Sie konzentrieren sich in einer vermeintlichen Mißachtung des Individuums zugunsten des Großen Allgemeinen und entlocken Müller ein ganzes Register an Schmähungen: "Frechheit", "Phantasielosigkeit", "Potential des Teuflischen". Im Zentrum der Anklage steht die Jenaer Antrittsrede von 1789, also das Konzept der Universalhistorie - hier nun muß Schiller offenkundig für eine ganze Phalanx von Geschichtsphilosophen büßen. Fragt sich nur, ob damit der Richtige getroffen ist. Daß auch das Erhabene sogleich Müllers Zorn verfällt, versteht sich von selbst. So ist es ja üblich, nichts ist der Gegenwart fremder und anstößiger als dieses Theorem. Schade nur, daß Müller (wie viele andere) das Befremdliche gar nicht erst verständlich zu machen sucht, sondern gleich dem Vorurteil preisgibt.
Ohne sich mit Vorreden und Absichtserklärungen aufzuhalten, erzählt Friedrich Dieckmann die Emanzipationsgeschichte des jungen Schiller, die fünf Jahre von der Flucht aus Stuttgart bis zur Abreise aus dem Zirkel der sächsischen Freunde. Und man darf sich daran erinnern, daß etwa zur gleichen Zeit (und nicht ohne Parallelen) Wilhelm Meister seine Romanlaufbahn absolviert. Allerdings ist Dieckmann nicht Erzähler, sondern Analytiker. Neue Quellen stehen ihm nicht zur Verfügung. Eigene Recherchen kompensiert er durch lange Exkurse, leider durchweg aus zweiter Hand, die allerlei historische Bezugsfelder öffnen, so die Freimaurerei (Schiller war einer der ganz wenigen Intellektuellen, "die nicht in die Partei eintraten, die Kaderorganisation des allgemeinen Fortschritts") oder das spätaufklärerische Schwärmerwesen.
Die Markierungen für den Weg des jungen Schiller liefert freilich der Fundus der Psychoanalyse. Man ist überrascht, wie umstandslos Dieckmann das Personal der frühen Stücke, lauter "Selbstprojektionen", mit der psychoanalytisch-ödipalen Szene verrechnet. Das ergibt viele Gleichheitszeichen. Dazu kommt, wohl aus der Goethe-Biographik importiert, das Inzest-Motiv, die "Tiefenbindung" an die Schwester Christophine. Deshalb also töten die frühen Helden Schillers jeweils ihre Geliebte - die Tabuschranke verhindert jede Vereinigung. Und deshalb wird der "Don Karlos" zur großen Therapie, der die "inzestuöse Selbstblockade" überwindet und den Bann der Väter und Überväter zerbricht.
Lieber folgt man dem zweiten Leitmotiv, das Dieckmann ins Spiel bringt: "Schiller ist der Inbegriff eines antimelancholischen Poeten." Die übliche Fixierung auf allerlei Miseren wird damit abgewehrt. Das Lied an die Freude darf den Ton angeben und mit ihm eine "Theologie der Freude", ein "Evangelium der Lebensbejahung". Deshalb auch findet der "Idealist" bei Dieckmann keine Gnade, der ist zu ernst und zu "anämisch". Tatsächlich ist sein Schiller witzig, heiter, humorvoll. Als Zeugnis des puren Übermuts druckt Dieckmann einen wenig bekannten Comic ab: "Aventiuren des neuen Telemachs oder Leben und Exsertionen Koerners" - Bilder von Schiller (darunter er selbst, einen Purzelbaum schlagend), Texte von Huber, verfertigt zum dreißigsten Geburtstag von Freund Körner. Die aufgeräumte Stimmung ergreift gelegentlich auch den Biographen. "Im übrigen mopst er sich fürchterlich" - ein solcher Satz ist in der Schiller-Literatur nicht eben üblich.
Undenkbar wäre er bei Kurt Wölfel. Denn Wölfel ist nicht nur ein Wortsparer, der es fertigbringt, den ganzen Schiller auf 180 Seiten zu präsentieren, er besitzt auch ein sicheres Gefühl für die alte Regel der Angemessenheit von Stil und Sache. Und das heißt, gleich die erste Seite, gehauen und gestochen wie ein Manifest, zeigt es: Wölfel läßt sich Schillers Größe und seinen Idealismus nicht einfach von "unserem Knirpstum" (Jacob Burckhardt) streitig machen, er läßt die Würde seines Gegenstandes gelten. Das ist nobel, ohne im geringsten altbacken zu wirken (auch das kann vorkommen: "Louise Miller ist an erotischer Ausstrahlung ein Kirchenlicht"). So schrieb man, als die Germanistik noch etwas galt - und sie galt etwas, weil man so zu schreiben verstand.
Nicht etwa, daß Wölfel mit einem neuen "Schillerbild" auftrumpfte. Doch er befreit Schiller aus Verkrustungen, die durch jahrhundertelange Abnutzung entstanden sind. Bis zur ödesten Floskelhaftigkeit heruntergekommene Zitate gewinnen in Wölfels bestimmten Argumentationsgängen ihr ursprüngliches Leben zurück. Vivifizierung nannte Novalis ein solches Verfahren. Man versteht, warum Schiller gern in eigener Sache Leisewitz zitierte: "In meinen Gebeinen ist Mark für Jahrhunderte." Man lernt das Spiel der intellektuellen, erotischen, moralischen und poetischen Energien kennen. Auf wenigen Seiten wird man doch umstandslos und ohne lästige Paraphrasen in die Zentren der Schillerschen Werke eingeweiht. Wölfels Loyalität seinem Autor gegenüber läßt auch dort nicht nach, wo es schwer wird - vor der späten Dramatik nach dem "Wallenstein", die meisterhaft umrissen wird, angesichts der Lyrik mit ihrer "populären Klassizität", die freilich besonders kurz wegkommt, oder im Blick auf den Theoretiker der ästhetischen Erziehung. Allenthalben bewegt sich Wölfel (implizit) auf dem neuesten Forschungsstand, ohne an Verständlichkeit einzubüßen.
Luzide kommt so die Verbindung von Geschichtsphilosophie und Ästhetik heraus. Treffend, wie Wölfel Schillers Prosa zum Schauplatz von Begriffskriegen macht. Oder wie er das "Höhenbewußtsein" des Klassikers, das Kollegen und Publikum mit Kriegserklärungen überzog, aus einer durchaus uneitlen "Künstlermoral" herleitet. Wer die Lust an Schiller bereits verloren hat oder wer sie noch sucht, dem kann geholfen werden: Er lese Wölfels Porträt (und dann Schiller).
Wer gründlich belehrt werden möchte, der greife zu Norbert Oellers. Wenn der vielfach bewährte Altmeister der Schiller-Forschung, der gerade auch den Briefwechsel Schillers mit seinem Widersacher August Wilhelm Schlegel mustergültig herausgebracht hat, eine umfangreiche Monographie vorlegt, dann walten Kennerschaft und Zuverlässigkeit in Person. Ordentlich folgen auf etwa einhundert Seiten "Leben" vierhundert Seiten "Werke". An illusionsloser Nüchternheit läßt sich Oellers nicht übertreffen - als einer der besten Kenner von Schillers Wirkungsgeschichte hat er die falsche Begeisterung hassen gelernt. Ein dekoffeinierter Schiller gewissermaßen - so das Lockangebot für Zeitgenossen, die Pathos und Langeweile fürchten. Die Herabstimmung bringt gelegentlich regelrechte Anti-Pathos-Formeln hervor: "und Fiesko spricht Hochpathetisches über Gott, die Natur, das Schicksal"; den Schluß von "Kabale und Liebe" dehnt Schiller, "um seinem Publikum mancherlei Dramatisches vorzuspielen und ihm einige Wahrheiten zu sagen"; "So geht's dann weiter" - die Rede vom Schicksal im "Wallenstein" nämlich. Niemand muß bei Oellers befürchten, daß er ins Schlepptau eines Idealisten gerät. Das "Lied an die Freude" findet Oellers herzlich schlecht. Den Begriff der Freiheit läßt er ganz im Hintergrund.
Zerfall der Universalgeschichte
Natürlich räumt Oellers den philosophischen Schriften passablen Raum ein, richtig wohl aber fühlt er sich in der "philosophischen Bude" nicht. Da wird Überspanntes moniert und zurechtgerückt, das Erhabene, natürlich, in seine Schranken gewiesen, die Idee der ästhetischen Erziehung als nicht von dieser Welt hingestellt. Wo Schiller gut ist, ist er realistisch. Das Zauberwort lautet "realistische Wende". Dazu bedarf es des Zusammenbruchs der Universalgeschichte und eines düsteren Geschichtspessimismus nach der revolutionären Enttäuschung - des "Elends der Geschichte". Erst dann kann der "Wallenstein" entstehen, das Meisterwerk schlechthin.
Im Weltzustand, der (mit einer Wendung zur Jungfrau von Orleans) "von den Göttern desertiert" ist, hilft aber dann einzig und allein die Kunst, eine "transzendierende Kunst". Deshalb "Glanz der Kunst". So wird die (nicht ganz eindeutige) Rede vom ernsten Leben und der heiteren Kunst für Oellers zu einer Art Generalschlüssel zu Schillers Welt. Zermalmende Geschichte und ästhetisches Reich - ein Kreuzungspunkt zeichnet sich ab, dessen Linien zu Büchner und zu Stefan George führen. Dem Rezensenten will es allerdings vorkommen, als würden solche modernen Assoziationen und Markierungen zu früh vergeben. Schiller bleibt ein Aufklärer, der nicht verzagt. Und er bleibt ein Künstler, der nicht zum Ästhetizismus desertiert. Wie dem auch sei: Der Schiller, den Oellers bietet, unruhig und beunruhigend, hat das Zeug zum Zeitgenossen.
Burkhard Müller: "Der König hat geweint". Schiller und das Drama der Weltgeschichte. zu Klampen Verlag, Springe 2005. 160 S., geb., 14,- [Euro].
Friedrich Dieckmann: "Diesen Kuß der ganzen Welt!" Der junge Mann Schiller. Insel Verlag, Frankfurt am Main und Leipzig 2005. 450 S., 14 Farbtaf., geb., 22,90 [Euro].
Kurt Wölfel: "Friedrich Schiller". Deutscher Taschenbuch Verlag, München 2004 (dtv portrait). 187 S., br., 10,- [Euro].
Norbert Oellers: "Schiller". Elend der Geschichte, Glanz der Kunst. Verlag Philipp Reclam jun., Stuttgart 2005. 520 S., 38 Abb., geb., 19,90 [Euro].
Friedrich Schiller, August Wilhelm Schlegel: "Der Briefwechsel". Hrsg. von Norbert Oellers. DuMont Literatur und Kunst Verlag, Köln 2005. 248 S., Reprint von 8 Briefen, geb., 29,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Der Briefwechsel ist eher schmal und der Eindruck, dass Friedrich Schiller und August Wilhelm Schlegel sich nicht sehr viel zu sagen hatten, ist Lothar Müllers Rezension nach zu urteilen wohl nicht ganz verkehrt. Im wesentlichen geht es ums Geschäftliche, vor allem die Mitarbeit Schlegels an der Zeitschrift "Die Horen". Dass die Jenaer Frühromantik um August Wilhelm und Friedrich Schlegel nicht zu den größten Bewunderern Schillers gehörte, ist der Literaturgeschichte kein Geheimnis, hier bleibt aber alles aus unterschiedlichen Rücksichtsgründen im wesentlichen höflich. So will Schlegel den im Hintergrund stehenden Goethe nicht verärgern und erst, als August Wilhelms Bruder Friedrich die Horen kritisiert, weil sie zu viele Übersetzungen bringen - die freilich stammen zu einem nicht geringen Teil von August Wilhelm - setzt Schiller Schlegel den Stuhl vor die Tür: "Da ich aber vernehmen muss, dass mich H. Frd. Schlegel zu der nehmlichen Zeit, wo ich Ihnen diesen Vortheil verschaffe, öffentlich deßwegen schilt, und der Uebersetzungen zuviele in den Horen findet, so werden Sie mich für die Zukunft entschuldigen." Der Rezensent lobt den "minutiös kommentierten" Band als "idealen Führer" durch die "stachligen Regionen" der klassisch-frühmonatischen Verhältnisse.
© Perlentaucher Medien GmbH
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