"Max Goldt gehört gelesen, gerühmt und ausgezeichnet." (Daniel Kehlmann)
«Warum ich, obwohl ich schlecht lesen kann, begonnen habe zu schreiben, kann ich nicht gut sagen. Weiß nicht hat sich so ergeben. Spät hat es sich ergeben: Als ich mein erstes Stück Literatur verfasste, das über einen Songtext, ein Gedicht oder einen Sketch hinausging, war ich knapp dreißig. Ich dachte wohl: Mal sehen, ob es möglich ist, der Neigung meines Temperaments zum Schieben einer ruhigen Kugel für ein, zwei Tage einen Riegel vorzuschieben und dem ständigen Gedankengang, an dem ich mich meist erfreue, selten auch mal leide, einen irgendwie gearteten Prosaklumpen abzutrotzen. Das Stück hieß Zehn hoch achtundfünfzig und es ging darin, soweit ich mich entsinne, ums Universum und um meine Hose. Genaueres kann ich nicht sagen, denn ich würde schwitzen wie nach dem Genuss eines stark gewürzten asiatischen Gerichtes, wenn ich mir den Text noch einmal anschauen müsste. Was ich danach geschrieben habe: Auch schwer zu sagen, doch glaube ich, unter anderem einen hoffentlich verzeihlichen Hang zur hoffentlich nicht allzu platten Gesellschaftskritik entwickelt zu haben, wobei ich Gesellschaftskritik nie mit System- oder Regierungskritik verwechseln wollte, denn Gesellschaftskritik, die das Grölen von Fußballfans in Bahnhöfen ganz unerwähnt lässt, ist keine.» (Max Goldt, aus der Dankesrede zum Kleist-Preis)
«Warum ich, obwohl ich schlecht lesen kann, begonnen habe zu schreiben, kann ich nicht gut sagen. Weiß nicht hat sich so ergeben. Spät hat es sich ergeben: Als ich mein erstes Stück Literatur verfasste, das über einen Songtext, ein Gedicht oder einen Sketch hinausging, war ich knapp dreißig. Ich dachte wohl: Mal sehen, ob es möglich ist, der Neigung meines Temperaments zum Schieben einer ruhigen Kugel für ein, zwei Tage einen Riegel vorzuschieben und dem ständigen Gedankengang, an dem ich mich meist erfreue, selten auch mal leide, einen irgendwie gearteten Prosaklumpen abzutrotzen. Das Stück hieß Zehn hoch achtundfünfzig und es ging darin, soweit ich mich entsinne, ums Universum und um meine Hose. Genaueres kann ich nicht sagen, denn ich würde schwitzen wie nach dem Genuss eines stark gewürzten asiatischen Gerichtes, wenn ich mir den Text noch einmal anschauen müsste. Was ich danach geschrieben habe: Auch schwer zu sagen, doch glaube ich, unter anderem einen hoffentlich verzeihlichen Hang zur hoffentlich nicht allzu platten Gesellschaftskritik entwickelt zu haben, wobei ich Gesellschaftskritik nie mit System- oder Regierungskritik verwechseln wollte, denn Gesellschaftskritik, die das Grölen von Fußballfans in Bahnhöfen ganz unerwähnt lässt, ist keine.» (Max Goldt, aus der Dankesrede zum Kleist-Preis)
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 06.11.2009Kann ein Kühlschrank Gänse braten?
Hier steht ein Schiedsrichter der Sitten, doch er ist ganz allein: Ein neuer Band von Max Goldt
Etwa alle zwei Jahre bündelt Max Goldt seine Texte aus der „Titanic” zu Büchern, denen er wunderliche Titel wie „Der Krapfen auf dem Sims” oder „Vom Zauber des seitlich dran Vorbeigehens” gibt. Dass diese Bücher sich als eine so anregende wie schwankende Erscheinung darbieten, weist auf eine Fehlstelle in unserer Gesellschaft hin: Allein kraft persönlicher Idiosynkrasie und privaten Spleens erfüllt Goldt eine Aufgabe, für die er unbedingt mehr institutionelle und soziale Rückendeckung bekommen müsste. In seiner mitabgedruckten Kleistpreis-Rede erwägt er die verschiedenen Rollenzuweisungen, die an ihm schon ausprobiert worden sind – Dichter, Satiriker, Kolumnist, Alltagsbeobachter –, und findet sie allesamt unbefriedigend. Zu Recht. Das Amt, das er versieht, ließe sich zureichend nur als das eines Schiedsrichters der Sitten beschreiben.
Dieser sollte, was er meint, beispielhaft in seinem Stil verkörpern, der idealerweise gelassen und elegant wäre. Da Goldt aber so unübersehbar auf eigene Faust operieren muss, kann er seine An- und Absichten nur in einer Art wilden Fuchtelns vortragen, wie ein Gast, der zahlen will, gegenüber einem blinden Kellner: sonst würde er nicht zur Kenntnis genommen. Den selbstverständlichsten Ansprüchen bleibt nichts übrig, als in grotesker Verkleidung daherzukommen, einem kauzigen Privatisieren, das aber aufs Allgemeinste zielt.
Max Goldt beklagt tief eine Gesellschaft, die ständig offene Türen einrennt, aber an geschlossenen Türen nicht einmal wahrnimmt, dass es sich um eine Tür handelt und folglich ein Weg bereit steht. Goldt zeigt auf die Klinke. So geht er zum Beispiel mit der Umhängetasche um; er möchte sie in ihrer enormen Praktizität der Brandmarkung als „typisches Ausstattungselement in den Nachmittag hineinschlafender Langhaariger” entreißen. Ein Rucksack hat zwar gleichfalls den Vorteil, dass er die Hände frei lässt, aber man muss ihn absetzen, um an seinen Inhalt heranzukommen. „In welche Ecke der Geschichte man auch schaut: Eigentlich gab es immer Umhängetaschen, und ich kann darüber nicht sehr staunen, denn sie sind der traditionsreichste, sinnvollste, ich möchte fast sagen: der normalste Taschentypus überhaupt.” Das musste mit solchem Nachdruck gesagt werden, weil niemand sonst je dem scheinbar Offensichtlichen zu seinem Recht verholfen hat. Und nebensächlich wird man es kaum nennen können, denn eine Tasche braucht und trägt jeder jeden Tag.
Unglaublich erscheint Goldt, was und wie in der deutschen Öffentlichkeit stattdessen debattiert wird. „Eine Person des öffentlichen Lebens, meist ein Politiker, nennen wir ihn Politiker A, sagt irgendwas, vielleicht nur bei einer Hinterzimmerversammlung eines Ortsvereins, aber es gerät an die Öffentlichkeit. Darauf meldet sich Politiker B zu Wort. Er sagt, was A gesagt habe, sei unerträglich und A daher als Person ebenfalls untragbar. Am nächsten Tag legt Politiker C nach und sagt, was A gesagt habe, sei ein beispielloser Zynismus gewesen, die einzige mögliche Konsequenz sei ein Rücktritt. Nun springt Politiker D seinem Kollegen A zu Seite und sagt, B und C würden ein sensibles Thema zu Wahlkampfzwecken missbrauchen. Worauf sich der Bundespräsident einmischt und sagt, die Diskussion habe einen Verlauf genommen, mit dem niemand glücklich sein könne, der ein Interesse an einer sachlichen Auseinandersetzung habe.” Es steigt nun auch die Bundeskanzlerin ein, die den Kritikern des Bundespräsidenten schlechten Stil bescheinigt und so weiter, „und sollte einmal eine Woche verstreichen, in der kein Politiker etwas ,absolut Unerträgliches‘ sagt, wird sicher ein Bischof oder sonst wer einspringen”, bis zum Schluss die Forderung ertönt, sich bei Charlotte Knobloch zu entschuldigen „und am besten gleich noch bei sämtlichen Leuten, die im Adressbuch von Charlotte Knobloch stehen.”
Haargenau so läuft es, das wissen alle; aber realistische Aussichten, dass in dem mit Sinnlosestem vollgemüllten öffentlichen Raum Platz geschaffen wird, um die wirklich relevanten Dinge zu besprechen, gibt es wenig. Hier steht Max Goldt allein auf weiter Flur, wenn er zum Beispiel darauf hinweist, dass die Beleuchtung in Hotelzimmern immer schlechter wird, weswegen man kaum noch im Bett lesen, ja nicht einmal richtig fernsehen kann. Nicht immer lässt es sich vermeiden, dass er sich dabei in Kleinigkeiten festbeißt; man muss Tic-Tac-Bonbons nicht unbedingt als „grundalberne Pfefferminz-Ellipsoide” dämoniseren. Und immer ein tückisches Pflaster bleibt die Sprachkritik. Denn wer die Sprechweisen seiner Mitmenschen kritisiert, entgeht nur selten der belehrenden Geste und üblen Besserwisserei. Dennoch bemerkt Goldt etwas Richtiges, wenn er den Siegeszug des rheinischen Wortes „lecker” im deutschen Sprachraum mit dem Aufkommen der privaten Fernsehsender in Beziehung setzt, die sich ja bevorzugt in Köln niedergelassen haben. Und nur ein bisschen dürfte er überziehen, wenn er in dem vielen „lecker” eine karnevaleske Scheinsinnlichkeit am Werk vermutet, sozusagen eine Büttenrede mit Tusch in Permanenz.
Goldt schätzt die Paradoxe nicht, Fügungen vom Zuschnitt des „kreativen Chaos”, der „tosenden Stille” („Als Stille tost es sich so schlecht, wie sichs als Kühlschrank Gänse braten lässt”) oder des Grönemeyerschen „Bleibt alles anders”. Er durchschaut in der scheinbar unerwarteten Fügung das breit Eingeführte und in der vorgeblichen Zuspitzung den Hinterhalt der Denkfaulheit. Dennoch muss man, um seine Leistung zu würdigen, wahrscheinlich zum Paradox greifen: Seine Originalität besteht darin, dass er das Naheliegende betont. Denn das Naheliegende muss als solches erst fühlbar gemacht werden. „Verbote bringen nichts”? Natürlich bringen Verbote was, speziell Rauchverbote. Goldt, selbst Raucher, erwartet vom Staat zuversichtlich, dass dieser ihn gesetzgeberisch von seiner Sucht befreit: nachts bei Sturm und Schnee zum Automaten gehen, das würde er immer tun; aber sich bis zum Berliner Ostkreuz vorarbeiten, um dort Schmuggelware in Empfang zu nehmen, das bestimmt nicht.
„Raucher”, resümiert Goldt mit schwer zu widerlegender Logik, „werden von einem Rauchverbot weitaus mehr profitieren als Nichtraucher.” Man solle endlich aufhören, Alkohol und Nikotin als Zwillingsgeschwister zu behandeln: vom Nikotin habe keiner was, er verstehe selbst nicht, warum er qualme, von Genuss könne jedenfalls bestimmt nicht die Rede sein. Vom Alkohol gilt dagegen: „Und wenn wir hundert promiske junge Menschen in einen Bauernschrank sperren und sie auffordern, auf einen Zettel zu schreiben, wie viel Prozent ihrer bisherigen sexuellen Erlebnisse sie ohne Alkohol nicht hätten tätigen können, dann wird man viele zweistellige und sogar einige dreistellige Zahlen auf den Zetteln finden. Alkohol ist ein Segen für die Menschheit, wenngleich auch nicht für jeden einzelnen Menschen.” Da ist es wieder, das Gefuchtel; der Bauernschrank, der hier eigentlich nichts zu suchen hat, drängt sich in den Vordergrund, die Prozedur scheint unnötig kompliziert, und vielleicht müssten die jungen Leute auch gar nicht promisk sein. Aber in der Sache äußert Goldt Bedenkenswertes.
Man hat Max Goldt als Konservativen zu deuten versucht. Das ist ungefähr so weit richtig, als auch dem menschlichen Gesicht mit einer Nase, einem Mund und zwei Augen ein überaus konservativer Bauplan zugrunde liegt. Goldt selbst weist darauf hin, dass die zwei mächtigsten Stützen einer konservativen Haltung, Familie und Religion, für ihn keine Rolle spielen. Ihm geht es um die Regelung des Umgangs unter den Individuen. Und hierbei scheinen ihm durchaus Fortschritte möglich. Von seiner Mission sagt er: „Zivilisation beruht auf gegenseitiger sanfter Kontrolle und Korrektur. Man achtet aufeinander.” An solchen Stellen scheinen die literarischen Leitbilder durch, denen sich dieser in der Wüste der Gegenwart verlorene Rufer verpflichtet weiß: die Liebeskunst des Ovid und das Buch des Freiherrn von Knigge. BURKHARD MÜLLER
MAX GOLDT: Ein Buch namens Zimbo. Texte 2007-2008, einer von 2006, vier von 2009. Rowohlt Berlin Verlag, Berlin 2009, 198 Seiten, 17,90 Euro.
Das Fuchteln des Gastes gegenüber einem blinden Kellner
Zivilisation beruht auf sanfter Kontrolle und Korrektur
Da Goldt aber so unübersehbar auf eigene Faust operieren muss, kann er seine An- und Absichten nur in einer Art wilden Fuchtelns vortragen. Foto: Jens-Ulrich Koch/ddp
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Hier steht ein Schiedsrichter der Sitten, doch er ist ganz allein: Ein neuer Band von Max Goldt
Etwa alle zwei Jahre bündelt Max Goldt seine Texte aus der „Titanic” zu Büchern, denen er wunderliche Titel wie „Der Krapfen auf dem Sims” oder „Vom Zauber des seitlich dran Vorbeigehens” gibt. Dass diese Bücher sich als eine so anregende wie schwankende Erscheinung darbieten, weist auf eine Fehlstelle in unserer Gesellschaft hin: Allein kraft persönlicher Idiosynkrasie und privaten Spleens erfüllt Goldt eine Aufgabe, für die er unbedingt mehr institutionelle und soziale Rückendeckung bekommen müsste. In seiner mitabgedruckten Kleistpreis-Rede erwägt er die verschiedenen Rollenzuweisungen, die an ihm schon ausprobiert worden sind – Dichter, Satiriker, Kolumnist, Alltagsbeobachter –, und findet sie allesamt unbefriedigend. Zu Recht. Das Amt, das er versieht, ließe sich zureichend nur als das eines Schiedsrichters der Sitten beschreiben.
Dieser sollte, was er meint, beispielhaft in seinem Stil verkörpern, der idealerweise gelassen und elegant wäre. Da Goldt aber so unübersehbar auf eigene Faust operieren muss, kann er seine An- und Absichten nur in einer Art wilden Fuchtelns vortragen, wie ein Gast, der zahlen will, gegenüber einem blinden Kellner: sonst würde er nicht zur Kenntnis genommen. Den selbstverständlichsten Ansprüchen bleibt nichts übrig, als in grotesker Verkleidung daherzukommen, einem kauzigen Privatisieren, das aber aufs Allgemeinste zielt.
Max Goldt beklagt tief eine Gesellschaft, die ständig offene Türen einrennt, aber an geschlossenen Türen nicht einmal wahrnimmt, dass es sich um eine Tür handelt und folglich ein Weg bereit steht. Goldt zeigt auf die Klinke. So geht er zum Beispiel mit der Umhängetasche um; er möchte sie in ihrer enormen Praktizität der Brandmarkung als „typisches Ausstattungselement in den Nachmittag hineinschlafender Langhaariger” entreißen. Ein Rucksack hat zwar gleichfalls den Vorteil, dass er die Hände frei lässt, aber man muss ihn absetzen, um an seinen Inhalt heranzukommen. „In welche Ecke der Geschichte man auch schaut: Eigentlich gab es immer Umhängetaschen, und ich kann darüber nicht sehr staunen, denn sie sind der traditionsreichste, sinnvollste, ich möchte fast sagen: der normalste Taschentypus überhaupt.” Das musste mit solchem Nachdruck gesagt werden, weil niemand sonst je dem scheinbar Offensichtlichen zu seinem Recht verholfen hat. Und nebensächlich wird man es kaum nennen können, denn eine Tasche braucht und trägt jeder jeden Tag.
Unglaublich erscheint Goldt, was und wie in der deutschen Öffentlichkeit stattdessen debattiert wird. „Eine Person des öffentlichen Lebens, meist ein Politiker, nennen wir ihn Politiker A, sagt irgendwas, vielleicht nur bei einer Hinterzimmerversammlung eines Ortsvereins, aber es gerät an die Öffentlichkeit. Darauf meldet sich Politiker B zu Wort. Er sagt, was A gesagt habe, sei unerträglich und A daher als Person ebenfalls untragbar. Am nächsten Tag legt Politiker C nach und sagt, was A gesagt habe, sei ein beispielloser Zynismus gewesen, die einzige mögliche Konsequenz sei ein Rücktritt. Nun springt Politiker D seinem Kollegen A zu Seite und sagt, B und C würden ein sensibles Thema zu Wahlkampfzwecken missbrauchen. Worauf sich der Bundespräsident einmischt und sagt, die Diskussion habe einen Verlauf genommen, mit dem niemand glücklich sein könne, der ein Interesse an einer sachlichen Auseinandersetzung habe.” Es steigt nun auch die Bundeskanzlerin ein, die den Kritikern des Bundespräsidenten schlechten Stil bescheinigt und so weiter, „und sollte einmal eine Woche verstreichen, in der kein Politiker etwas ,absolut Unerträgliches‘ sagt, wird sicher ein Bischof oder sonst wer einspringen”, bis zum Schluss die Forderung ertönt, sich bei Charlotte Knobloch zu entschuldigen „und am besten gleich noch bei sämtlichen Leuten, die im Adressbuch von Charlotte Knobloch stehen.”
Haargenau so läuft es, das wissen alle; aber realistische Aussichten, dass in dem mit Sinnlosestem vollgemüllten öffentlichen Raum Platz geschaffen wird, um die wirklich relevanten Dinge zu besprechen, gibt es wenig. Hier steht Max Goldt allein auf weiter Flur, wenn er zum Beispiel darauf hinweist, dass die Beleuchtung in Hotelzimmern immer schlechter wird, weswegen man kaum noch im Bett lesen, ja nicht einmal richtig fernsehen kann. Nicht immer lässt es sich vermeiden, dass er sich dabei in Kleinigkeiten festbeißt; man muss Tic-Tac-Bonbons nicht unbedingt als „grundalberne Pfefferminz-Ellipsoide” dämoniseren. Und immer ein tückisches Pflaster bleibt die Sprachkritik. Denn wer die Sprechweisen seiner Mitmenschen kritisiert, entgeht nur selten der belehrenden Geste und üblen Besserwisserei. Dennoch bemerkt Goldt etwas Richtiges, wenn er den Siegeszug des rheinischen Wortes „lecker” im deutschen Sprachraum mit dem Aufkommen der privaten Fernsehsender in Beziehung setzt, die sich ja bevorzugt in Köln niedergelassen haben. Und nur ein bisschen dürfte er überziehen, wenn er in dem vielen „lecker” eine karnevaleske Scheinsinnlichkeit am Werk vermutet, sozusagen eine Büttenrede mit Tusch in Permanenz.
Goldt schätzt die Paradoxe nicht, Fügungen vom Zuschnitt des „kreativen Chaos”, der „tosenden Stille” („Als Stille tost es sich so schlecht, wie sichs als Kühlschrank Gänse braten lässt”) oder des Grönemeyerschen „Bleibt alles anders”. Er durchschaut in der scheinbar unerwarteten Fügung das breit Eingeführte und in der vorgeblichen Zuspitzung den Hinterhalt der Denkfaulheit. Dennoch muss man, um seine Leistung zu würdigen, wahrscheinlich zum Paradox greifen: Seine Originalität besteht darin, dass er das Naheliegende betont. Denn das Naheliegende muss als solches erst fühlbar gemacht werden. „Verbote bringen nichts”? Natürlich bringen Verbote was, speziell Rauchverbote. Goldt, selbst Raucher, erwartet vom Staat zuversichtlich, dass dieser ihn gesetzgeberisch von seiner Sucht befreit: nachts bei Sturm und Schnee zum Automaten gehen, das würde er immer tun; aber sich bis zum Berliner Ostkreuz vorarbeiten, um dort Schmuggelware in Empfang zu nehmen, das bestimmt nicht.
„Raucher”, resümiert Goldt mit schwer zu widerlegender Logik, „werden von einem Rauchverbot weitaus mehr profitieren als Nichtraucher.” Man solle endlich aufhören, Alkohol und Nikotin als Zwillingsgeschwister zu behandeln: vom Nikotin habe keiner was, er verstehe selbst nicht, warum er qualme, von Genuss könne jedenfalls bestimmt nicht die Rede sein. Vom Alkohol gilt dagegen: „Und wenn wir hundert promiske junge Menschen in einen Bauernschrank sperren und sie auffordern, auf einen Zettel zu schreiben, wie viel Prozent ihrer bisherigen sexuellen Erlebnisse sie ohne Alkohol nicht hätten tätigen können, dann wird man viele zweistellige und sogar einige dreistellige Zahlen auf den Zetteln finden. Alkohol ist ein Segen für die Menschheit, wenngleich auch nicht für jeden einzelnen Menschen.” Da ist es wieder, das Gefuchtel; der Bauernschrank, der hier eigentlich nichts zu suchen hat, drängt sich in den Vordergrund, die Prozedur scheint unnötig kompliziert, und vielleicht müssten die jungen Leute auch gar nicht promisk sein. Aber in der Sache äußert Goldt Bedenkenswertes.
Man hat Max Goldt als Konservativen zu deuten versucht. Das ist ungefähr so weit richtig, als auch dem menschlichen Gesicht mit einer Nase, einem Mund und zwei Augen ein überaus konservativer Bauplan zugrunde liegt. Goldt selbst weist darauf hin, dass die zwei mächtigsten Stützen einer konservativen Haltung, Familie und Religion, für ihn keine Rolle spielen. Ihm geht es um die Regelung des Umgangs unter den Individuen. Und hierbei scheinen ihm durchaus Fortschritte möglich. Von seiner Mission sagt er: „Zivilisation beruht auf gegenseitiger sanfter Kontrolle und Korrektur. Man achtet aufeinander.” An solchen Stellen scheinen die literarischen Leitbilder durch, denen sich dieser in der Wüste der Gegenwart verlorene Rufer verpflichtet weiß: die Liebeskunst des Ovid und das Buch des Freiherrn von Knigge. BURKHARD MÜLLER
MAX GOLDT: Ein Buch namens Zimbo. Texte 2007-2008, einer von 2006, vier von 2009. Rowohlt Berlin Verlag, Berlin 2009, 198 Seiten, 17,90 Euro.
Das Fuchteln des Gastes gegenüber einem blinden Kellner
Zivilisation beruht auf sanfter Kontrolle und Korrektur
Da Goldt aber so unübersehbar auf eigene Faust operieren muss, kann er seine An- und Absichten nur in einer Art wilden Fuchtelns vortragen. Foto: Jens-Ulrich Koch/ddp
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.11.2009Im Vorbeigehen
Wenn uns im Vorbeigehen etwas auffällt, gehen wir in der Regel daran vorbei. Wo kämen wir hin, wenn jeder an jeder Straßenecke stehenbliebe, um etwa einem besonders elegant verwendeten Konjunktiv zu lauschen. Wenn Max Goldt im Vorbeigehen etwas auffällt, geht er in der Regel daran vorbei. Nun ist er aber jemand, der "etwas Erinnertes zunächst im Hirnkasten verschließt, damit es Verbindungen mit anderem, was dort gärt und lagert, eingehen kann" und dann, "wenn der Tag gekommen ist", reizende Texte daraus baut. So beschreibt er, wie ihm in den achtziger Jahren "das wahrhaftige Preußen" in Gestalt der Diseuse Blandine Ebinger begegnete: "plötzlich saß es winzig vor mir und verlangte, dass ich gerade stehe und lauter singe!" Ein anderer quälend komischer Text handelt von Arnold Stadlers These, Glück sei literarisch nicht interessant. Besonders elegant zeigt sich Goldt bei der Sprachkritik. Apropos: In keinem der vierundzwanzig Aufsätze findet sich ein Hinweis darauf, warum "Zimbo" ein guter Name für ein Buch sein sollte. Aber ginge es uns etwas an, hätte Goldt es mitgeteilt. Weitergehen! (Max Goldt: "Ein Buch namens Zimbo. Sie werden kaum ertragen, was Ihnen mitgeteilt wird". Rowohlt Verlag, Berlin 2009. 199 S., geb., 17,90 [Euro].) edie
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Wenn uns im Vorbeigehen etwas auffällt, gehen wir in der Regel daran vorbei. Wo kämen wir hin, wenn jeder an jeder Straßenecke stehenbliebe, um etwa einem besonders elegant verwendeten Konjunktiv zu lauschen. Wenn Max Goldt im Vorbeigehen etwas auffällt, geht er in der Regel daran vorbei. Nun ist er aber jemand, der "etwas Erinnertes zunächst im Hirnkasten verschließt, damit es Verbindungen mit anderem, was dort gärt und lagert, eingehen kann" und dann, "wenn der Tag gekommen ist", reizende Texte daraus baut. So beschreibt er, wie ihm in den achtziger Jahren "das wahrhaftige Preußen" in Gestalt der Diseuse Blandine Ebinger begegnete: "plötzlich saß es winzig vor mir und verlangte, dass ich gerade stehe und lauter singe!" Ein anderer quälend komischer Text handelt von Arnold Stadlers These, Glück sei literarisch nicht interessant. Besonders elegant zeigt sich Goldt bei der Sprachkritik. Apropos: In keinem der vierundzwanzig Aufsätze findet sich ein Hinweis darauf, warum "Zimbo" ein guter Name für ein Buch sein sollte. Aber ginge es uns etwas an, hätte Goldt es mitgeteilt. Weitergehen! (Max Goldt: "Ein Buch namens Zimbo. Sie werden kaum ertragen, was Ihnen mitgeteilt wird". Rowohlt Verlag, Berlin 2009. 199 S., geb., 17,90 [Euro].) edie
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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension
Rezensent Michael Rutschky outet sich als großer Fan von Max Goldt. Da dessen Stil zwar wirklich besonders ist, aber im Grundsätzlichen nur wenig variiert, widmet er sich in seiner Besprechung dem neuen "Buch namens Zimbo" nur am Rande. Den Titel kann er sich lediglich mit einem Verweis auf Goldts "Hermetismus" erklären, geheime Traditionen", in die man entweder eingeweiht ist oder nicht, erklärt bekommt man sie jedenfalls nicht. Meist aber bemüht sich Rutschky in seinem Text um eine allgemeine Kategorisierung von Goldts Schreibstil. "Stillleben" sind sie seiner Meinung nach, wobei Goldt die "Monumentalthemen" nur im Vorbeigehen streife und damit sehr geschickt Peinlichkeiten aller Art vermeide. Trotzdem beweist er nach Meinung des Rezensenten ein "absolutes Gehör", was die "Sittenverstöße des modernen Lebens" angeht.
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