Dieser Roman ist zunächst eine Biographie, die anhand von historischen Ereignissen und Personen das kurze intensive Leben Georg Büchners nachzeichnet und die historischen Fakten durch fiktionale und spielerische Elemente ergänzt. Der Autor "spielt" also mit Büchner: Spiel als Mittel der Erkenntnis. Büchners Vita zeigt Brüche, Widersprüche. Man erreicht ihn am ehesten, wenn man ihn in wechselnden Rollen sieht: Als Libertin in seinen Stücken und als treuen Bräutigam, als Freiheitskämpfer, aber auch als Konservativen, als Atheisten und als Gottessucher.Im Roman nähern sich Büchner fiktive Personen unserer Zeit, indem sie entscheidende Phasen seines Lebens versuchen teils ernst, öfter noch spielerisch heiter nachzuerleben. Diese Personen sind zwar Geschöpfe ihres Autors, haben sich aber auch in ihrer Beschäftigung mit Büchner von ihm emanzipiert. So kann sich der Autor in das Treiben dieser Personen einmischen, mit ihnen diskutieren und ihr Verhalten bewerten. Durch die Protagonistenund den eingreifend mitspielenden Autor entsteht so eine doppelte Brechung der Lebensgeschichte Büchners. Büchners Thema ist der "Fatalismus der Geschichte". Oft wird er darauf reduziert, als sei das sein Markenzeichen. Im Roman wird dieses deterministische Weltbild ebenso hinterfragt wie sein angeblicher Atheismus. Zwar müssen die Menschen, die in seinen Werken auftreten, schwerstes Leid ertragen und Büchner erscheint in dieser hoffnungslosen, gottlosen Welt ratlos. Aber hinter der atheistischen Fassade taucht ein Suchender auf, der immer wieder die Theodizeefrage stellt: Warum lässt Gott es zu, dass wir leiden.
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Eingeschlafen ist der Rezensent beim Lesen. Nicht nur schnarchlangweilig ist dieser Entwurf einer trivialen Biografie über Georg Büchner von Hugo Schultz für Martin Maurach. Falsch ist er darüber hinaus. Das kommt davon, erklärt Maurach, wenn man neuere Forschung übergeht, Epochen blind zusammenwirft und sich auch sonst wissenschaftlich scheu benimmt, ohne aber ausreichend Vorstellungskraft zu bemühen, die so entstehende Lücke zu füllen. Wer soll das lesen?, fragt Maurach, der im Buch über Büchner nichts Neues entdecken kann. Dafür viel Schlüssellochspiekerei, Zettelkastenwissen aus den Siebzigern und überflüssige Spekulation über Büchners Intimleben. Peinlich, findet Maurach.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 27.12.2013Projektnachmittag in der Darmstädter Wohngemeinschaft
Pennälerhafte Rollenspiele: Hugo Schultz möchte seinen Helden aus der Gegenwart beschreiben und versucht sich an einem "Büchnerspiel"
Dichter sind undankbare Objekte für Romanbiographien. Anders als die Malerei eines Grünen Heinrich bei Gottfried Keller oder die Tonkunst eines Adrian Leverkühn bei Thomas Mann lässt sich ihr Tun offenbar kaum in sprachmächtigen Bildern darstellen. Manns "Lotte in Weimar" dürfte eine Klasse für sich sein, "Grabbes letzter Sommer" von Thomas Valentin und "Scardanellis Gedächtnis" von Peter Schünemann sind Glücksfälle des Genres. Kasimir Edschmids Büchner-Roman von 1950 versetzt seine Leser noch heute von den ersten Seiten an in die beklemmende Polizeistaatsatmosphäre des einstigen Großherzogtums Hessen-Darmstadt. Hugo Schultz jedoch präpariert nun einen Büchner in Unterhosen für pennälerhafte Rollenspiele.
Zunächst bleibt rätselhaft, an welches Publikum sich sein Roman "Ein Büchnerspiel" richtet. Wem sagt schon ein Name wie Johann von Rauschenplat auf Anhieb etwas? Das war einer der Rebellen, die den Sturm auf die Frankfurter Wachen von 1833 anführten. Schultz überlässt es seinen Lesern, diese und andere historische Gestalten einzuordnen. Wer dazu in der Lage ist, wird von ihm jedoch auch nichts Neues über Büchner erfahren.
Man wüsste ja gar nicht so ungern Näheres über jenen nach Israel emigrierten deutschen Gelehrten, der Wilhelm Schulz, einen Zürcher Freund Büchners, sowie den Dichter Harro Harring "aus der Versenkung" geholt haben soll. Stattdessen wird quälende Seiten lang aus männlicher Schlüssellochperspektive darüber spekuliert, ob und wie Büchner und Minna Jaeglé im Pfarrhaus von deren Vater miteinander intim geworden seien. Dann wird die gleiche Frage übertragen auf eine noch viel quälendere Beziehungskiste der Elvira, Julie, der Rainer und wie sie alle heißen, also auf Schultzens Romanpersonal von heute, das einen Großteil der Handlung mit Vorträgen aus seinen Zettelkästen über Büchner bestreitet. End- und fruchtlos müssen die nächtelangen Beziehungsgespräche in den WGs der Siebziger gewesen sein. Würde aber jene Minna-Frage durch einen Zufall irgendwann beantwortet - was wüssten wir dann mehr über Büchner als Revolutionär und literarisches Genie?
Über das dichterische Werk wird mit brav verteilten Sprechrollen genauso hilf- und hoffnungslos herumräsoniert, ungetrübt von jeder Kenntnis neuerer Interpretationen. Schließlich erfahren wir, dass Schultz auch seiner Tante eine Biographie gewidmet habe, die sich als Nonne mit der Theodizee-Frage nach dem Sinn des Leidens und des Bösen beschäftigte und später den Morden im NS-Euthanasieprogramm zum Opfer fiel. Gewiss ein Schicksal, das zu Trauer und Nachdenklichkeit Anlass gibt. Die Parallelen, die Schultz zu Büchner herstellen will, wirken trotzdem nur peinlich und sektiererisch.
Dieses Werk scheut die Exaktheit eines Sachbuchs, gar der Forschung, ohne sich dem Mehrwert imaginativer oder poetischer Potenzen anzuvertrauen. Frei nach der Kunstkritik des Camille Desmoulins in "Dantons Tod": "Nimmt Einer etwas Büchner-Sekundärliteratur, ein Aufsätzchen, eine Karteikarte, zieht ihr Jeans und T-Shirt an und lässt das Ding sich knapp zweihundert Seiten lang herumquälen, bis auch der letzte Leser eingeschlafen ist - ein ,Büchnerspiel'! Lässt Einer Büchner und Minna Jaeglé miteinander konversieren wie ein mit Humorverlust geschlagener Loriot (,Sagen Sie, was Sie jetzt denken') - ach die Trivialbiographie!"
In der Tat hat bereits Wolfgang Hildesheimer in seiner noch immer unverbrauchten, ironisch-brillanten Mozart-Biographie das "Elend der Trivialbiographie" analysiert, welche "für alles jene eingängigen Erklärungen innerhalb der uns zugänglichen und dem Radius unseres Erlebens entsprechenden Wahrscheinlichkeit" finde. So möchte auch Schultz seinen Helden von unserer Gegenwart aus sehen. Schon recht, nur wird über den geschichtlichen Abstand leider nie reflektiert, sondern die Epochen werden blind amalgamiert. Dadurch ist nicht nur nichts gewonnen; es wird wegen der nie geklärten Prämissen sogar alles falsch. Dass Schultz sich in Einzelheiten auf veraltete Forschung verlässt, fällt da kaum noch ins Gewicht: Büchners Hirnhautentzündung von 1834 und das angebliche "Aretino"-Drama, das es ihm besonders angetan hat, sind sehr wahrscheinlich Legenden, Luise Büchners Novellenfragment "Ein Dichter" ist biographisch wenig zuverlässig.
Ahnungsvoll ruft sich der Autor einmal zu: "Etwas mehr an Mut und Anspruch kann nicht schaden." Hätte er das doch nur beherzigt! Wie der Verlag vertrauensselig mitteilt, fand bei früherer Gelegenheit ein Autor dieser Zeitung einen "Lenz"-Roman von Schultz "zum Gähnen". Nun, das "Büchnerspiel" ist zum Schnarchen.
MARTIN MAURACH.
Hugo Schultz: "Ein Büchnerspiel". Roman.
Lindemanns Bibliothek, Karlsruhe 2013. 191 S., geb., 14,80 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Pennälerhafte Rollenspiele: Hugo Schultz möchte seinen Helden aus der Gegenwart beschreiben und versucht sich an einem "Büchnerspiel"
Dichter sind undankbare Objekte für Romanbiographien. Anders als die Malerei eines Grünen Heinrich bei Gottfried Keller oder die Tonkunst eines Adrian Leverkühn bei Thomas Mann lässt sich ihr Tun offenbar kaum in sprachmächtigen Bildern darstellen. Manns "Lotte in Weimar" dürfte eine Klasse für sich sein, "Grabbes letzter Sommer" von Thomas Valentin und "Scardanellis Gedächtnis" von Peter Schünemann sind Glücksfälle des Genres. Kasimir Edschmids Büchner-Roman von 1950 versetzt seine Leser noch heute von den ersten Seiten an in die beklemmende Polizeistaatsatmosphäre des einstigen Großherzogtums Hessen-Darmstadt. Hugo Schultz jedoch präpariert nun einen Büchner in Unterhosen für pennälerhafte Rollenspiele.
Zunächst bleibt rätselhaft, an welches Publikum sich sein Roman "Ein Büchnerspiel" richtet. Wem sagt schon ein Name wie Johann von Rauschenplat auf Anhieb etwas? Das war einer der Rebellen, die den Sturm auf die Frankfurter Wachen von 1833 anführten. Schultz überlässt es seinen Lesern, diese und andere historische Gestalten einzuordnen. Wer dazu in der Lage ist, wird von ihm jedoch auch nichts Neues über Büchner erfahren.
Man wüsste ja gar nicht so ungern Näheres über jenen nach Israel emigrierten deutschen Gelehrten, der Wilhelm Schulz, einen Zürcher Freund Büchners, sowie den Dichter Harro Harring "aus der Versenkung" geholt haben soll. Stattdessen wird quälende Seiten lang aus männlicher Schlüssellochperspektive darüber spekuliert, ob und wie Büchner und Minna Jaeglé im Pfarrhaus von deren Vater miteinander intim geworden seien. Dann wird die gleiche Frage übertragen auf eine noch viel quälendere Beziehungskiste der Elvira, Julie, der Rainer und wie sie alle heißen, also auf Schultzens Romanpersonal von heute, das einen Großteil der Handlung mit Vorträgen aus seinen Zettelkästen über Büchner bestreitet. End- und fruchtlos müssen die nächtelangen Beziehungsgespräche in den WGs der Siebziger gewesen sein. Würde aber jene Minna-Frage durch einen Zufall irgendwann beantwortet - was wüssten wir dann mehr über Büchner als Revolutionär und literarisches Genie?
Über das dichterische Werk wird mit brav verteilten Sprechrollen genauso hilf- und hoffnungslos herumräsoniert, ungetrübt von jeder Kenntnis neuerer Interpretationen. Schließlich erfahren wir, dass Schultz auch seiner Tante eine Biographie gewidmet habe, die sich als Nonne mit der Theodizee-Frage nach dem Sinn des Leidens und des Bösen beschäftigte und später den Morden im NS-Euthanasieprogramm zum Opfer fiel. Gewiss ein Schicksal, das zu Trauer und Nachdenklichkeit Anlass gibt. Die Parallelen, die Schultz zu Büchner herstellen will, wirken trotzdem nur peinlich und sektiererisch.
Dieses Werk scheut die Exaktheit eines Sachbuchs, gar der Forschung, ohne sich dem Mehrwert imaginativer oder poetischer Potenzen anzuvertrauen. Frei nach der Kunstkritik des Camille Desmoulins in "Dantons Tod": "Nimmt Einer etwas Büchner-Sekundärliteratur, ein Aufsätzchen, eine Karteikarte, zieht ihr Jeans und T-Shirt an und lässt das Ding sich knapp zweihundert Seiten lang herumquälen, bis auch der letzte Leser eingeschlafen ist - ein ,Büchnerspiel'! Lässt Einer Büchner und Minna Jaeglé miteinander konversieren wie ein mit Humorverlust geschlagener Loriot (,Sagen Sie, was Sie jetzt denken') - ach die Trivialbiographie!"
In der Tat hat bereits Wolfgang Hildesheimer in seiner noch immer unverbrauchten, ironisch-brillanten Mozart-Biographie das "Elend der Trivialbiographie" analysiert, welche "für alles jene eingängigen Erklärungen innerhalb der uns zugänglichen und dem Radius unseres Erlebens entsprechenden Wahrscheinlichkeit" finde. So möchte auch Schultz seinen Helden von unserer Gegenwart aus sehen. Schon recht, nur wird über den geschichtlichen Abstand leider nie reflektiert, sondern die Epochen werden blind amalgamiert. Dadurch ist nicht nur nichts gewonnen; es wird wegen der nie geklärten Prämissen sogar alles falsch. Dass Schultz sich in Einzelheiten auf veraltete Forschung verlässt, fällt da kaum noch ins Gewicht: Büchners Hirnhautentzündung von 1834 und das angebliche "Aretino"-Drama, das es ihm besonders angetan hat, sind sehr wahrscheinlich Legenden, Luise Büchners Novellenfragment "Ein Dichter" ist biographisch wenig zuverlässig.
Ahnungsvoll ruft sich der Autor einmal zu: "Etwas mehr an Mut und Anspruch kann nicht schaden." Hätte er das doch nur beherzigt! Wie der Verlag vertrauensselig mitteilt, fand bei früherer Gelegenheit ein Autor dieser Zeitung einen "Lenz"-Roman von Schultz "zum Gähnen". Nun, das "Büchnerspiel" ist zum Schnarchen.
MARTIN MAURACH.
Hugo Schultz: "Ein Büchnerspiel". Roman.
Lindemanns Bibliothek, Karlsruhe 2013. 191 S., geb., 14,80 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main