Warum gabelt sich die slawische Überlieferung für die Donau in die Formen Dunav und Dunaj, für die Stadt Rom in Rim und Rum? Warum lebt als Bezeichnung für die Kirche bei den Albanern ecclesia, bei den Rumänen basilica fort? Unter einer philologisch-historischen Lupe ergeben sich aus derartigen Fragen überraschende Einblicke in die dramatische Umbruchszeit von der Antike zum Mittelalter.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.02.1998Name, Name, du mußt wandern
Gottfried Schramm folgt den Völkerbewegungen auf dem Balkan nach den Regeln der Sprachwissenschaft
Offensichtlich ist es ein typisches Bemühen älterer Gelehrter, ihre Studien zusammenzufassen, zu ergänzen und das eigene OEuvre zu kommentieren. Solche Unternehmungen sind häufig mit Ansätzen zur Selbstkritik, vor allem jedoch mit der erneuten Verteidigung der eigenen Thesen und Wertungen verbunden. In dieses literarische Genre gehört zweifellos Gottfried Schramms neuer Band, der elf überarbeitete und ergänzte Aufsätze aus drei Jahrzehnten mit vier unveröffentlichten Beiträgen zusammenfaßt und ein sehr persönliches Profil aufweist.
Das großzügig gedruckte Buch wird durch eine Einleitung eröffnet, die in Schramms Methode einführt und die wichtigsten Etappen seines wissenschaftlichen Weges vergegenwärtigt. Dem Leser dürfte schon hier klarwerden, daß er sich auf ein schwieriges Unternehmen einläßt, Neuland betritt und der Leitung eines Pioniers vertraut. Schramm versteht es, diffizile sprachwissenschaftliche und historische Probleme auch Nicht-Spezialisten einsichtig und interessant zu machen. Er versucht, neue Erkenntnisse über jene Jahrhunderte zu gewinnen, in denen die Ordnung des Römischen Reiches auf der Balkan-Halbinsel zusammenbrach.
Neben den literarischen und archäologischen Zeugnissen wird von ihm dabei "eine dritte Quellengattung ausgelotet, deren Bedeutsamkeit der Historie noch kaum aufgegangen ist. Um Namen und Wörter wird es gehen, und zwar um solche Gebilde, deren lautlichem Gehalt sich in Analysen, welche philologisches Handwerk mit dem Erkenntnisinteresse des Historikers verbinden, Spuren von Geschichte ablesen lassen." Schramm sieht sich damit in der wissenschaftlichen Tradition des Erlanger Namenforschers Ernst Schwarz, in dessen Seminar über germanisch-slawische Sprachbeziehungen (1950/51) er erste Impulse für seinen späteren Arbeitsschwerpunkt empfing.
Zunächst führte ihn sein Weg freilich von der Altgermanistik ("Namenschatz und Dichtersprache. Studien zu den zweigliedrigen Personennamen der Germanen", 1957) zur osteuropäischen Geschichte ("Der polnische Adel und die Reformation 1548-1607", 1965). Doch mehr und mehr zogen ihn gleichzeitig die Probleme der Namenforschung an, die er auch in drei Monographien behandelt hat, die sich mit dem Osten und Südosten Europas befassen. Die Kontakte zwischen Hunnen und Germanen, Slawen und Römern, Rumänen und Albanern rückten in den Mittelpunkt seiner Interessen.
In einem Hauptteil des Buches "Das fünfte Jahrhundert und die Hunnen" ist Attila die zentrale Gestalt. Sowohl in der Studie über Attilas Vater Mundiuch als auch in jener über Etzel, Botelungs Sohn, sucht Schramm ebenso die Genealogie der hunnischen Herrscher zu klären wie die Germanisierung hunnischer Namen, das "Namensspiel" germanischer Herrscherhäuser wie die Anfänge und Wanderwege der nibelungischen Tradition. Als Beitrag der Namenkunde zur Sagenforschung dient die Untersuchung der verschiedenen Varianten des Namens Kriemhilt, wobei Schramm Weitergabewege einerseits von den Burgundern, andererseits von den Ostgermanen unterscheidet. In dem Kapitel "Völker in Attilas Reich: Hunnen, Pannonier, Germanen" setzt er sich insbesondere mit der Kritik des Göttinger Turkologen Gerhard Doerfer an seinen Auffassungen auseinander und legt hierzu "Eine kritische Liste der Namen europäischer Hunnen im vierten bis fünften Jahrhundert" vor.
Der Inhalt des folgenden Hauptteils "Das fünfte bis siebte Jahrhundert und die Slawen" ist wesentlich komplexer und vielfältiger. Eingangs geht es hier um die Frage, auf welchem Wege das Lehnwort cesar (für den oströmischen Kaiser) zu den Slawen gelangte. Dabei wird Lautgeschichte als heuristisches Instrument eingesetzt. Nachdem Schramm die bestehenden Hypothesen zurückgewiesen hat, macht er den Weg über die Ostgermanen wahrscheinlich - ein Weg, der auch für die Herkunft des Namens "Römer" bei den Slawen vermutet wird. Doch der Abschnitt über "Die Römer und Rom im Gesichtskreis früherer Slawen" enthält neben den Erörterungen von Lehnfällen und Lehngruppen auch noch weitere wichtige Elemente. So zeigt Schramm die Auswirkungen der slawischen Einfälle zu Beginn des sechsten Jahrhunderts im Donauraum, er arbeitet die Reduit-Räume der "Fluchtromanen" auf dem Balkan und in Illyrien heraus, überprüft die Fortdauer der Romanität und geht schließlich den Berührungen der Slawen mit dem Christentum, insbesondere bei Saloniki wie bei Slowenen und Kroaten, nach.
Ein Pendant hierzu bilden die diffizilen und voraussetzungsreichen Analysen der frühen Sammelbezeichnungen für slawische Stämme, das heißt für Venedi, Antes, Sclaveni, Sclavi und Verwandtes, in denen sich Schramm als guter Kenner der Tabula Peutingeriana wie der schriftlichen Überlieferung erweist. Ähnlich anspruchsvoll ist der Versuch, die slawischen Benennungen der Donau zu klären, das heißt, den komplizierten Befund verständlich zu machen, warum sich in den Dialekten der Serben und Kroaten die Varianten Dunav, Dunaj und Dunavo finden, während bei Tschechen und Polen Dúnay, bei den Ostslawen Dunáj begegnet.
Historisch größere Bedeutung kommt Schramms letztem Hauptteil zu und hier vor allem dem ausführlichen und in sich geschlossenen Abschnitt "Frühe Schicksale der Rumänen: Acht Thesen zur Lokalisierung der lateinischen Kontinuität in Südosteuropa". Ausgangspunkte sind einmal mehr Überlegungen zur Geschichte des Problembündels sowie Darlegungen zur eigenen Methode. Dabei ist es richtig, daß die Überprüfung der wissenschaftlichen Vorstellungen von einer Kontinuität Lateinisch sprechender Bevölkerung in Dakien nach der Räumung dieser großen römischen Bastion jenseits der Donau unter Aurelian (um 275 nach Christus) seit Jahrzehnten unter der Politisierung der Frage leidet, das heißt unter den konträren Ansprüchen Rumäniens und Ungarns auf Siebenbürgen. Während dabei die rumänische Seite an einer solchen "Permanenz" festhält, geht die ungarische von einer ethnischen Diskontinuität und von einer Einwanderung der Rumänen in Siebenbürgen erst um etwa 1200 nach Christus aus.
Sprechen Sie Dakisch?
Schramms eigene Konzeption wird erstens durch eine ungewöhnlich scharfe und pauschale Kritik an den rumänischen Forschungen gekennzeichnet - er spricht von der "einfallslosen Harnäckigkeit der Rumänen", zweitens durch eine einseitige Beurteilung der Geschichtsquellen. Priorität besitzt für ihn die Interpretation von Lehnwörtern und Lehnnamen; der Aussagegehalt der literarischen wie der archäologischen Überlieferung wird dagegen pessimistisch eingeschätzt. Deshalb räumt Schramm auch ein, daß frühgeschichtliche Ergebnisse nur an wenigen Stellen berücksichtigt wurden. Beides erscheint bedenklich: Der jüngst von Wolfgang Schuller herausgegebene Band "Siebenbürgen zur Zeit der Römer und der Völkerwanderung" (1994) hätte Berücksichtigung verdient.
Schramms These "Zur Romanisierung Dakiens" lehnt - im Gegensatz zur modernen althistorischen Forschung - sprachliche "Sonderbedingungen" für Dakien ebenso ab wie speziell die Annahme einer außergewöhnlichen Vermittlungsfunktion des Lateinischen in dem, nach der belegten Zuwanderung von vielen Reichsbewohnern aus anderen Regionen, so vielsprachigen Feld. Dasselbe gilt für die Vorstellung einer teilweisen "Bevölkerungsauswechslung" nach den ungewöhnlich hohen Verlusten der Daker in den Kriegen Trajans. Konsequent schließen sich die Überlegungen "Zu den ethnischen Verhältnissen im geräumten Dakien" daran an. Einerseits wird der Abzug der römischen Truppen nach Schramm von einer "Massenaussiedlung" nach Moesien begleitet, andererseits das Zurückbleiben einer "verdünnten Bevölkerung" postuliert, die nun freilich nicht Lateinisch, sondern Dakisch sprach. Schramm nimmt ferner an, daß seit der Mitte des sechsten Jahrhunderts nach Christus in den Ebenen der Walachei und im Südosten Siebenbürgens Slawen siedelten.
Auch derjenige Leser, der von den bisherigen Thesen des Verfassers nicht völlig überzeugt ist, dürfte zugeben, daß dessen folgende Rekonstruktion der Bewegungen der "Fluchtromanen" in Makedonien wie in den Bergregionen des Balkan-Gebirges ein in sich kohärentes Bild vermittelt. Sowohl die Ausbildung eines städtischen "Südrumänentums", das sich schließlich nach der Auflösung der römischen Nordgrenze um 620 nach Christus unter den Einfällen der Slawen weit nach Süden verlagerte, als auch jene einer "balkanischen Hirtenromania" dürften plausibel sein. Für letztere wird die durch Transhumance und Bergnomadismus geprägte Lebenshaltung besonders anschaulich vermittelt. Ob sprachliche Übereinstimmungen "auf eine zeitweilige Weggemeinschaft von Uralbanern und Urrumänen hindeuten", ob die Genese und Entwicklung des sogenannten Balkanischen Sprachbundes richtig gesehen sind, vermögen wohl nur Spezialisten zu entscheiden.
Schramms letzte These befaßt sich dann mit den "Rumänen in Rumänien". Seine Prämisse dazu ist, daß die rumänische Sprache von Zuwanderern nach Rumänien gebracht wurde, die aus Bulgarien kamen. Deren Einbeziehung in die bulgarische Kirchenstruktur ist dafür ein wichtiges Argument. Zur Chronologie meint Schramm, daß Rumänen in die östlich der Karpaten gelegenen Gebiete wohl nicht vor Ende des zehnten Jahrhunderts nach Christus, nach Siebenbürgen dagegen vermutlich erst in der zweiten Hälfte des zwölften Jahrhunderts eingewandert seien. Gegenüber allen sonstigen Perspektiven und Problemen bleibt es für ihn "das wirkliche Rätsel" der rumänischen Geschichte, "wie jene Hirtenromanen, die sich in ihren sonstigen südosteuropäischen Verbreitungsgebieten nirgends aus eingestreuten Minoritäten zur Mehrheit in größeren, auch die Ebenen einschließenden Gebieten entwickelt haben, in der Walachei, in Siebenbürgen und in der Moldau zu einem Achtzehnmillionenvolk anwachsen konnten, das vorwiegend aus Bauern besteht und über weite Strecken nicht nur die Majorität, sondern die annähernde Gesamtheit der Bewohner stellt".
Zu diesen Grundlinien von Schramms Werk, die hier nur skizzenhaft nachgezeichnet werden konnten, treten weitere spezielle Hypothesen und Erkenntnisse, die nicht im einzelnen zu besprechen sind. Insgesamt gleicht das Buch einem Mosaik verschiedenartigster Elemente: Punktuelle Namenstudien stehen neben großen historischen Bildern, kühne Hypothesen neben phantasievollen Konstruktionen, sachliche Erörterungen neben engagierter Kritik. Stellenweise beeindruckt die Eleganz einer intellektuellen Artistik. Der Autor wirft selbst einmal die Frage auf: "Ist das nicht ein arg hypothetischer Ansatz?" Und er räumt ein: "Nun, riskant mögen auf den ersten Blick alle zentralen Behauptungen der vorliegenden Studie anmuten."
Die Gefahr, kühnen Suggestionen zu erliegen, hängt mit Eigenart und Grenzen der Namenforschung zusammen. Es ist kein Zufall, daß sie bisher insbesondere in jenen Zeiträumen stärkere Beachtung fand, für die keine ausreichende und zuverlässige schriftliche Überlieferung vorliegt, in der europäischen und orientalischen Vor- und Frühgeschichte, den Anfängen der griechischen und italischen Geschichte, aber auch in denen der Völkerwanderung und weiter Teile der Geschichte Osteuropas. Der Erfolg ihrer Thesen ist dort am größten, wo diese durch andere Quellengattungen gestützt und gesichert werden. Für wichtige Punkte ist dies hier jedoch offensichtlich noch nicht gegeben. Es berührt indessen sympathisch, daß Schramm kritisch von den "raschen Schritten mit (gespielt) festem Auftritt" im Hinblick auf sein Vorgehen schreibt.
Gelehrte bedürfen der Bestätigung und vor allem der Beachtung. In wissenschaftlichen Auseinandersetzungen blühen sie auf, Widersprüche steigern ihren Einsatz. Nichts wirkt lähmender als Schweigen. Das hat auch Gottfried Schramm erfahren müssen, als seine acht Thesen der Jahre 1985-1987 überhaupt nicht beachtet wurden. Mit diesem souverän komponierten Buch darf er hoffen, für seine Methoden wie für seine Hypothesen die verdiente Resonanz zu finden. KARL CHRIST
Gottfried Schramm: "Ein Damm bricht". Die römische Donaugrenze und die Invasionen des 5.-7. Jahrhunderts im Lichte von Namen und Wörtern. Südosteuropäische Arbeiten, Band 100. R. Oldenbourg Verlag, München 1997. 397 S., 14 Kartenskizzen, geb., 110,- DM.
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Gottfried Schramm folgt den Völkerbewegungen auf dem Balkan nach den Regeln der Sprachwissenschaft
Offensichtlich ist es ein typisches Bemühen älterer Gelehrter, ihre Studien zusammenzufassen, zu ergänzen und das eigene OEuvre zu kommentieren. Solche Unternehmungen sind häufig mit Ansätzen zur Selbstkritik, vor allem jedoch mit der erneuten Verteidigung der eigenen Thesen und Wertungen verbunden. In dieses literarische Genre gehört zweifellos Gottfried Schramms neuer Band, der elf überarbeitete und ergänzte Aufsätze aus drei Jahrzehnten mit vier unveröffentlichten Beiträgen zusammenfaßt und ein sehr persönliches Profil aufweist.
Das großzügig gedruckte Buch wird durch eine Einleitung eröffnet, die in Schramms Methode einführt und die wichtigsten Etappen seines wissenschaftlichen Weges vergegenwärtigt. Dem Leser dürfte schon hier klarwerden, daß er sich auf ein schwieriges Unternehmen einläßt, Neuland betritt und der Leitung eines Pioniers vertraut. Schramm versteht es, diffizile sprachwissenschaftliche und historische Probleme auch Nicht-Spezialisten einsichtig und interessant zu machen. Er versucht, neue Erkenntnisse über jene Jahrhunderte zu gewinnen, in denen die Ordnung des Römischen Reiches auf der Balkan-Halbinsel zusammenbrach.
Neben den literarischen und archäologischen Zeugnissen wird von ihm dabei "eine dritte Quellengattung ausgelotet, deren Bedeutsamkeit der Historie noch kaum aufgegangen ist. Um Namen und Wörter wird es gehen, und zwar um solche Gebilde, deren lautlichem Gehalt sich in Analysen, welche philologisches Handwerk mit dem Erkenntnisinteresse des Historikers verbinden, Spuren von Geschichte ablesen lassen." Schramm sieht sich damit in der wissenschaftlichen Tradition des Erlanger Namenforschers Ernst Schwarz, in dessen Seminar über germanisch-slawische Sprachbeziehungen (1950/51) er erste Impulse für seinen späteren Arbeitsschwerpunkt empfing.
Zunächst führte ihn sein Weg freilich von der Altgermanistik ("Namenschatz und Dichtersprache. Studien zu den zweigliedrigen Personennamen der Germanen", 1957) zur osteuropäischen Geschichte ("Der polnische Adel und die Reformation 1548-1607", 1965). Doch mehr und mehr zogen ihn gleichzeitig die Probleme der Namenforschung an, die er auch in drei Monographien behandelt hat, die sich mit dem Osten und Südosten Europas befassen. Die Kontakte zwischen Hunnen und Germanen, Slawen und Römern, Rumänen und Albanern rückten in den Mittelpunkt seiner Interessen.
In einem Hauptteil des Buches "Das fünfte Jahrhundert und die Hunnen" ist Attila die zentrale Gestalt. Sowohl in der Studie über Attilas Vater Mundiuch als auch in jener über Etzel, Botelungs Sohn, sucht Schramm ebenso die Genealogie der hunnischen Herrscher zu klären wie die Germanisierung hunnischer Namen, das "Namensspiel" germanischer Herrscherhäuser wie die Anfänge und Wanderwege der nibelungischen Tradition. Als Beitrag der Namenkunde zur Sagenforschung dient die Untersuchung der verschiedenen Varianten des Namens Kriemhilt, wobei Schramm Weitergabewege einerseits von den Burgundern, andererseits von den Ostgermanen unterscheidet. In dem Kapitel "Völker in Attilas Reich: Hunnen, Pannonier, Germanen" setzt er sich insbesondere mit der Kritik des Göttinger Turkologen Gerhard Doerfer an seinen Auffassungen auseinander und legt hierzu "Eine kritische Liste der Namen europäischer Hunnen im vierten bis fünften Jahrhundert" vor.
Der Inhalt des folgenden Hauptteils "Das fünfte bis siebte Jahrhundert und die Slawen" ist wesentlich komplexer und vielfältiger. Eingangs geht es hier um die Frage, auf welchem Wege das Lehnwort cesar (für den oströmischen Kaiser) zu den Slawen gelangte. Dabei wird Lautgeschichte als heuristisches Instrument eingesetzt. Nachdem Schramm die bestehenden Hypothesen zurückgewiesen hat, macht er den Weg über die Ostgermanen wahrscheinlich - ein Weg, der auch für die Herkunft des Namens "Römer" bei den Slawen vermutet wird. Doch der Abschnitt über "Die Römer und Rom im Gesichtskreis früherer Slawen" enthält neben den Erörterungen von Lehnfällen und Lehngruppen auch noch weitere wichtige Elemente. So zeigt Schramm die Auswirkungen der slawischen Einfälle zu Beginn des sechsten Jahrhunderts im Donauraum, er arbeitet die Reduit-Räume der "Fluchtromanen" auf dem Balkan und in Illyrien heraus, überprüft die Fortdauer der Romanität und geht schließlich den Berührungen der Slawen mit dem Christentum, insbesondere bei Saloniki wie bei Slowenen und Kroaten, nach.
Ein Pendant hierzu bilden die diffizilen und voraussetzungsreichen Analysen der frühen Sammelbezeichnungen für slawische Stämme, das heißt für Venedi, Antes, Sclaveni, Sclavi und Verwandtes, in denen sich Schramm als guter Kenner der Tabula Peutingeriana wie der schriftlichen Überlieferung erweist. Ähnlich anspruchsvoll ist der Versuch, die slawischen Benennungen der Donau zu klären, das heißt, den komplizierten Befund verständlich zu machen, warum sich in den Dialekten der Serben und Kroaten die Varianten Dunav, Dunaj und Dunavo finden, während bei Tschechen und Polen Dúnay, bei den Ostslawen Dunáj begegnet.
Historisch größere Bedeutung kommt Schramms letztem Hauptteil zu und hier vor allem dem ausführlichen und in sich geschlossenen Abschnitt "Frühe Schicksale der Rumänen: Acht Thesen zur Lokalisierung der lateinischen Kontinuität in Südosteuropa". Ausgangspunkte sind einmal mehr Überlegungen zur Geschichte des Problembündels sowie Darlegungen zur eigenen Methode. Dabei ist es richtig, daß die Überprüfung der wissenschaftlichen Vorstellungen von einer Kontinuität Lateinisch sprechender Bevölkerung in Dakien nach der Räumung dieser großen römischen Bastion jenseits der Donau unter Aurelian (um 275 nach Christus) seit Jahrzehnten unter der Politisierung der Frage leidet, das heißt unter den konträren Ansprüchen Rumäniens und Ungarns auf Siebenbürgen. Während dabei die rumänische Seite an einer solchen "Permanenz" festhält, geht die ungarische von einer ethnischen Diskontinuität und von einer Einwanderung der Rumänen in Siebenbürgen erst um etwa 1200 nach Christus aus.
Sprechen Sie Dakisch?
Schramms eigene Konzeption wird erstens durch eine ungewöhnlich scharfe und pauschale Kritik an den rumänischen Forschungen gekennzeichnet - er spricht von der "einfallslosen Harnäckigkeit der Rumänen", zweitens durch eine einseitige Beurteilung der Geschichtsquellen. Priorität besitzt für ihn die Interpretation von Lehnwörtern und Lehnnamen; der Aussagegehalt der literarischen wie der archäologischen Überlieferung wird dagegen pessimistisch eingeschätzt. Deshalb räumt Schramm auch ein, daß frühgeschichtliche Ergebnisse nur an wenigen Stellen berücksichtigt wurden. Beides erscheint bedenklich: Der jüngst von Wolfgang Schuller herausgegebene Band "Siebenbürgen zur Zeit der Römer und der Völkerwanderung" (1994) hätte Berücksichtigung verdient.
Schramms These "Zur Romanisierung Dakiens" lehnt - im Gegensatz zur modernen althistorischen Forschung - sprachliche "Sonderbedingungen" für Dakien ebenso ab wie speziell die Annahme einer außergewöhnlichen Vermittlungsfunktion des Lateinischen in dem, nach der belegten Zuwanderung von vielen Reichsbewohnern aus anderen Regionen, so vielsprachigen Feld. Dasselbe gilt für die Vorstellung einer teilweisen "Bevölkerungsauswechslung" nach den ungewöhnlich hohen Verlusten der Daker in den Kriegen Trajans. Konsequent schließen sich die Überlegungen "Zu den ethnischen Verhältnissen im geräumten Dakien" daran an. Einerseits wird der Abzug der römischen Truppen nach Schramm von einer "Massenaussiedlung" nach Moesien begleitet, andererseits das Zurückbleiben einer "verdünnten Bevölkerung" postuliert, die nun freilich nicht Lateinisch, sondern Dakisch sprach. Schramm nimmt ferner an, daß seit der Mitte des sechsten Jahrhunderts nach Christus in den Ebenen der Walachei und im Südosten Siebenbürgens Slawen siedelten.
Auch derjenige Leser, der von den bisherigen Thesen des Verfassers nicht völlig überzeugt ist, dürfte zugeben, daß dessen folgende Rekonstruktion der Bewegungen der "Fluchtromanen" in Makedonien wie in den Bergregionen des Balkan-Gebirges ein in sich kohärentes Bild vermittelt. Sowohl die Ausbildung eines städtischen "Südrumänentums", das sich schließlich nach der Auflösung der römischen Nordgrenze um 620 nach Christus unter den Einfällen der Slawen weit nach Süden verlagerte, als auch jene einer "balkanischen Hirtenromania" dürften plausibel sein. Für letztere wird die durch Transhumance und Bergnomadismus geprägte Lebenshaltung besonders anschaulich vermittelt. Ob sprachliche Übereinstimmungen "auf eine zeitweilige Weggemeinschaft von Uralbanern und Urrumänen hindeuten", ob die Genese und Entwicklung des sogenannten Balkanischen Sprachbundes richtig gesehen sind, vermögen wohl nur Spezialisten zu entscheiden.
Schramms letzte These befaßt sich dann mit den "Rumänen in Rumänien". Seine Prämisse dazu ist, daß die rumänische Sprache von Zuwanderern nach Rumänien gebracht wurde, die aus Bulgarien kamen. Deren Einbeziehung in die bulgarische Kirchenstruktur ist dafür ein wichtiges Argument. Zur Chronologie meint Schramm, daß Rumänen in die östlich der Karpaten gelegenen Gebiete wohl nicht vor Ende des zehnten Jahrhunderts nach Christus, nach Siebenbürgen dagegen vermutlich erst in der zweiten Hälfte des zwölften Jahrhunderts eingewandert seien. Gegenüber allen sonstigen Perspektiven und Problemen bleibt es für ihn "das wirkliche Rätsel" der rumänischen Geschichte, "wie jene Hirtenromanen, die sich in ihren sonstigen südosteuropäischen Verbreitungsgebieten nirgends aus eingestreuten Minoritäten zur Mehrheit in größeren, auch die Ebenen einschließenden Gebieten entwickelt haben, in der Walachei, in Siebenbürgen und in der Moldau zu einem Achtzehnmillionenvolk anwachsen konnten, das vorwiegend aus Bauern besteht und über weite Strecken nicht nur die Majorität, sondern die annähernde Gesamtheit der Bewohner stellt".
Zu diesen Grundlinien von Schramms Werk, die hier nur skizzenhaft nachgezeichnet werden konnten, treten weitere spezielle Hypothesen und Erkenntnisse, die nicht im einzelnen zu besprechen sind. Insgesamt gleicht das Buch einem Mosaik verschiedenartigster Elemente: Punktuelle Namenstudien stehen neben großen historischen Bildern, kühne Hypothesen neben phantasievollen Konstruktionen, sachliche Erörterungen neben engagierter Kritik. Stellenweise beeindruckt die Eleganz einer intellektuellen Artistik. Der Autor wirft selbst einmal die Frage auf: "Ist das nicht ein arg hypothetischer Ansatz?" Und er räumt ein: "Nun, riskant mögen auf den ersten Blick alle zentralen Behauptungen der vorliegenden Studie anmuten."
Die Gefahr, kühnen Suggestionen zu erliegen, hängt mit Eigenart und Grenzen der Namenforschung zusammen. Es ist kein Zufall, daß sie bisher insbesondere in jenen Zeiträumen stärkere Beachtung fand, für die keine ausreichende und zuverlässige schriftliche Überlieferung vorliegt, in der europäischen und orientalischen Vor- und Frühgeschichte, den Anfängen der griechischen und italischen Geschichte, aber auch in denen der Völkerwanderung und weiter Teile der Geschichte Osteuropas. Der Erfolg ihrer Thesen ist dort am größten, wo diese durch andere Quellengattungen gestützt und gesichert werden. Für wichtige Punkte ist dies hier jedoch offensichtlich noch nicht gegeben. Es berührt indessen sympathisch, daß Schramm kritisch von den "raschen Schritten mit (gespielt) festem Auftritt" im Hinblick auf sein Vorgehen schreibt.
Gelehrte bedürfen der Bestätigung und vor allem der Beachtung. In wissenschaftlichen Auseinandersetzungen blühen sie auf, Widersprüche steigern ihren Einsatz. Nichts wirkt lähmender als Schweigen. Das hat auch Gottfried Schramm erfahren müssen, als seine acht Thesen der Jahre 1985-1987 überhaupt nicht beachtet wurden. Mit diesem souverän komponierten Buch darf er hoffen, für seine Methoden wie für seine Hypothesen die verdiente Resonanz zu finden. KARL CHRIST
Gottfried Schramm: "Ein Damm bricht". Die römische Donaugrenze und die Invasionen des 5.-7. Jahrhunderts im Lichte von Namen und Wörtern. Südosteuropäische Arbeiten, Band 100. R. Oldenbourg Verlag, München 1997. 397 S., 14 Kartenskizzen, geb., 110,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main